Strittige Szenen am 37. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Meppen, Mannheim, Verl, Oldenburg, und Bayreuth, die Platzverweise gegen Park, Zeitz und Reinthaler, das 2:0 für 1860, die Strafstöße für Mannheim und Freiburg II, ein Nachtreten von Kutschke sowie Foulspiele von Wagner. Am 36. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach einem Freistoß in den Strafraum kommt Bruno Soares (Meppen) im Duell mit Robin Becker (Dresden) zu Fall, auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Lars Erbst nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:34:20]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist nach den vorliegenden TV-Bildern nicht erkennbar, ob ein Foulspiel von Becker an Soares vorliegt oder nicht, sodass diese Szene nicht zweifelsfrei bewertet werden kann. Auch bei den Zeitlupen schwenkt die Kamera erst spät auf den Zweikampf. Tendenziell liegt aber eher kein Foulspiel vor, da der Bewegungsablauf von Becker natürlich aussieht.

Szene 2: Bei einem Zweikampf mit Bruno Soares (Meppen) tritt Stefan Kutschke (Dresden) leicht nach, kommt aber ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:35:10]

Babak Rafati: Zunächst einmal ist der Zweikampf zwischen Soares und Kutschke sauber. Dabei greift sogar Kutschke nach hinten und hält Soares leicht am Trikot, um dann selbst zu Fall zu kommen. Was er danach am Boden liegend macht, ist allerdings nicht ganz sauber. Er nimmt den Fuß heraus und trifft/streift seinen Gegenspieler im Kniebereich. Wenn der Schiedsrichter diesen Vorgang sieht, dann ist zumindest die gelbe Karte erforderlich. Da aber kein richtiger Tritt vorliegt und auch nicht von einem versuchten Tritt gesprochen werden kann, was auch eine rote Karte nach sich ziehen würde, wäre die gelbe Karte vollkommen angemessen. Eine Fehlentscheidung, dieses Vergehen von Kutschke komplett ungeahndet zu lassen

Szene 3: Nach einem Zuspiel von Marek Janssen (Meppen) humpelt Kyu-Hyun Park (Dresden) erst raus, dann wieder rein und sieht wegen Zeitspiels Gelb. Kurz danach blockt er Markus Ballmert (Meppen) und bekommt in der Folge Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 1:40:55 & 1:45:45]

Babak Rafati: Park wird an der Seitenlinie gefoult. Dann humpelt er raus, kommt auf das Spielfeld zurück und legt sich dann wieder auf dem Spielfeld hin, um behandelt zu werden. Das sieht offensichtlich nach Zeitspiel aus. Er hätte für eine Behandlung gleich draußen bleiben können. Somit ist die erste gelbe Karte regeltechnisch wegen Zeitspiels vollkommen in Ordnung.

Anschließend will Ballmert im Mittelfeld an ihm vorbeilaufen, Park blockt ihn allerdings und lässt ihn auflaufen, sodass ein Foulspiel vorliegt. Da dieses Foulspiel einen guten Angriff unterbindet und somit ein taktisches Foulspiel vorliegt, ist auch diese gelbe Karte vollkommen berechtigt, die schlussendlich zu einer gelb-roten Karte gegen Park führt.

 

Szene 4: Pascal Sohm (Mannheim) wird im Mittelfeld von Quirin Moll (1860) gehalten, verliert den Ball und moniert Foulspiel. Schiedsrichter Mitja Stegemann lässt weiterlaufen, aus dem Angriff fällt das 2:0. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf wird Sohm von Moll im Mittelfeld länger gehalten, und dadurch kommt es zu diesem Fehlpass trotz geringen Abstands zum Mitspieler. Diesen Zweikampf muss der Schiedsrichter wegpfeifen, weil das ein Foulspiel ist. Somit wäre es nicht zum anschließenden Treffer gekommen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Haltevergehen von Moll ungeahndet zu lassen.

Szene 5: Nachdem Fridolin Wagner (Mannheim) nach einem Foulspiel gegen Marcel Bär (1860) die gelbe Karte gesehen hatte, steigt er mit offener Sohle gegen Fynn Lakenmacher (1860) ein, kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Die erste gelbe Karte gegen Wagner wegen eines Foulspiels an Bär ist unstrittig und absolut richtig. Bei der zweiten Aktion rutscht er in den Zweikampf, verfehlt den Ball und trifft stattdessen seinen Gegenspieler Lakenmacher in die Beine. Wenn ein Spieler in Kauf nimmt, den Gegenspieler mit dieser Spielweise zu treffen und es auch noch zum Vollzug kommt, kann es nur die gelbe Karte geben. Da gibt es absolut keinen Ermessensspielraum. In dieser Aktion hätte es zwingend die gelbe Karte gegen Wagner geben müssen, die aufgrund der gelben Karte zuvor zu einer gelb-roten Karte geführt hätte. Eine Fehlentscheidung, diese Ampelkarte nicht auszusprechen.

Szene 6: Marten Winkler (Mannheim) wird auf der Strafraumlinie von Semi Belkahia (1860) gefoult. Statt Strafstoß gibt es Freistoß. [TV-Bilder – ab Minute 1:43:40]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf am Strafraum legt sich Winkler den Ball an Gegenspieler Belkahia vorbei. Dieser läuft hinterher, nimmt das Bein heraus und trifft Winkler am rechten Knie – auch, wenn er womöglich einen Kontakt nicht beabsichtigt und das Bein sogar eher wegziehen will. Dennoch ist das ein Foulspiel, weil die Absicht beim Foulspiel keine Rolle spielt. Der Kontakt ist auf der Strafraumlinie, und diese gehört zum Strafraum. Somit hätte es einen Elfmeter statt eines Freistoßes geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt.

Für den Schiedsrichter ist es aus der Position, in der er sich befindet, jedoch unmöglich, den tatsächlichen Ort auszumachen. Daher kann man ihm keinen Vorwurf machen. Hierbei könnte, wenn überhaupt, der Assistent helfen, weil er aufgrund seiner Grundposition seitlichen Einblick hat. Dabei muss man aber auch ihm zugutehalten, dass es auch für ihn schwierig ist, aufgrund seiner relativ großen Distanz zum Zweikampf zu erkennen, ob überhaupt ein Kontakt zustande kommt oder nicht. Somit kann man auch ihm keinen Vorwurf machen. Das wäre ein klarer Fall für den VAR, den es aber in der 3.Liga nicht gibt. Übrigens wäre bei einer Elfmeterentscheidung die gelbe Karte richtig, weil der Zweikampf ballorientiert ist und es keine Dreifachbestrafung (Elfmeter, rote Karte und Sperre) gibt. Bei einer Freistoßentscheidung wiederum hätte es die rote Karte geben müssen, da die beiden Verteidiger nicht mehr hätten entscheidend eingreifen können.

Szene 7: Im Anschluss an eine Ecke bekommt Yannick Deichmann (1860) den Ball an die Hand, Stegemann gibt Elfmeter für Mannheim. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]

Babak Rafati: Der Ball ist in der Luft, und als er herunter fällt, nimmt Deichmann den Arm unnatürlich heraus und bekommt das Spielgerät an den Arm. Das ist eine Vergrößerung der Körperfläche, und somit liegt ein strafbares Handspiel vor – auch, wenn es im ersten Anschein sehr unspektakulär aussieht. Eine richtige Entscheidung, den Elfmeter zu geben.

 

Szene 8: Auf dem Weg zum Tor geht Nicolas Sessa (Verl) im Duell mit Freiburg-Keeper Atubolu (Freiburg II) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Nicolas Winter. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball kommt es im Strafraum zu einem Zweikampf. Dabei will sich Sessa den Ball an Keeper Atubolu vorbeilegen, der allerdings mit einem langen Bein den Ball zur Seite abwehren kann. Auch wenn es in diesem Bewegungsablauf naturgemäß anschließend zum Kontakt mit den Füßen des Angreifers kommt, muss festgehalten werden, dass die Aktion absolut ballorientiert ist. Der Ball wird entscheidend vom Keeper gespielt, sodass kein Foulspiel vorliegt. Eine absolut richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Wäre der Ball vom Keeper verfehlt worden, würde ein Foulspiel vorliegen, weil die Aktion dann nicht mehr ballorientiert, vielmehr gegnerorientiert gewesen wäre. Dann bekommt der Fußtreffer beziehungsweise das Abräumen eine andere Wertigkeit.

Szene 9: Im eigenen Strafraum tritt Yannik Engelhardt (Freiburg II) seinem Gegenspieler Mikic (Verl) auf den Fuß, dennoch gibt es Elfmeter für Freiburg. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf ist Mikic früher am Ball und kann das Spielgerät klären, sodass Gegenspieler Engelhardt nicht mehr an den Ball kommt, stattdessen dem Verteidiger auf den Fuß tritt und ihn zu Fall bringt. Das ist ein klares Stürmerfoul. Warum der Schiedsrichter aber in dieser Szene auf Elfmeter entscheidet, ist nicht nachvollziehbar. Eine Fehlentscheidung, einen Elfmeter für den Angreifer anstatt einen Freistoß für den Verteidiger zu pfeifen.

 

Szene 10: Auf der Mittellinie grätscht Manuel Zeitz (Saarbrücken) gegen Alaa Bakir (Duisburg) und sieht von Schiedsrichter Konrad Oldhafer glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]

Babak Rafati: Das Foulspiel von Zeitz gegen Bakir im Mittelfeld ist unstrittig. Bei der Frage, ob eine Notbremse vorliegt und somit eine klare Torchance vereitelt wird, um die Voraussetzung für das Zeigen einer roten Karte zu erfüllen, ist folgendes zu beachten: Normalerweise muss eine klare Torchance innerhalb von wenigen Sekunden vorliegen. An der Mittellinie ist das meistens zu verneinen, da es mehr als die erforderlichen Sekunden braucht, um zum Abschluss zu kommen. Allerdings ist in dieser Szene auch deutlich, dass kein Abwehrspieler mehr entscheidend eingreifen kann. Daher dauert es zwar ein paar Sekunden mehr, demgegenüber ist aber tatsächlich kein Spieler da, der diese klare Torchance verhindern kann. Somit liegt eine vertretbare Entscheidung vor, diese rote Karte zu zeigen.

 

Szene 11: Max Reinthaler (Wiesbaden) hält Luca Schnellbacher kurz vor dem Strafraum am Trikot fest. Schiedsrichter Sören Storks wertet die Aktion als Notbremse und zeigt Reinthaler glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]

Babak Rafati: Nach einem Zuspiel auf Schnellbacher hält Gegenspieler Reinthaler diesen kurz und ansatzlos knapp vor dem Strafraum am Arm fest und verhindert dadurch, dass er allein auf das Tor laufen kann. Somit liegt unstrittig ein Foulspiel vor. Dadurch, dass zum Zeitpunkt des Haltevergehens kein Wiesbadener Spieler mehr entscheidend hätte eingreifen können, handelt es sich um eine Vereitelung einer Torchance, sodass die Notbremsenregelung in Kraft tritt und die rote Karte alternativlos ist. Eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters, sowohl auf Foulspiel sowie rote Karte zu entscheiden.

 

Szene 12: Am Boden liegend bekommt Davy Frick (Zwickau) einen Schuss von Patrick Hasenhüttl (Oldenburg) im Strafraum an den Arm, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Florian Exner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]

Babak Rafati: Nach einer Abwehraktion unmittelbar vor dem eigenen Tor liegt Frick am Boden und stützt sich mit dem Arm ab. Dabei bekommt er aus kurzer Entfernung den Ball von Hasenhüttl an diesen Arm geschossen. Das Handspiel ist allerdings nicht strafbar, da sich Frick natürlich mit dem Arm abstützt und nicht aktiv mit dem Arm zum Ball geht. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 13: Im Strafraum geht Alexander Nollenberger (Bayreuth) gegen Can Özkan (Dortmund II) zu Fall, auf den Punkt zeigt Schiedsrichterin Franziska Wildfeuer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Strafraum will sich Nollenberger den Ball an Özkan vorbeilegen und ihn umspielen. Dabei nimmt Özkan das Bein heraus, trifft ihn von hinten in die linke Kniekehle und bringt ihn dadurch zu Fall. Der 'Treffer' ist somit ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers, sodass ein Foulspiel vorliegt. Es hätte somit einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

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