Fragen und Antworten zur Insolvenz von Rot-Weiß Erfurt

Überraschend kam die Meldung am Mittwochvormittag nicht: Rot-Weiß Erfurt ist zahlungsunfähig und hat zum zweiten Mal nach 1997 Insolvenz angemeldet – das hatte sich in den vergangenen Wochen bereits angedeutet. liga3-online.de erklärt, welche Auswirkungen der Insolvenzantrag auf RWE und die anderen Drittligisten hat und wie es für Rot-Weiß Erfurt jetzt weitergeht.

[box type="info" size="large"]Hintergründe[/box]

Warum hat Rot-Weiß Erfurt einen Insolvenzantrag gestellt?

Bereits Mitte Januar hatten die Verantwortlichen angekündigt, eine geregelte Insolvenz einleiten zu wollen, wenn der Rückstand zum rettenden Ufer zu groß werden sollte. Fehlten RWE zu diesem Zeitpunkt "nur" sechs Punkte, sind es jetzt bereits zwölf Zähler. Da der Klassenerhalt bei nur noch zehn ausstehenden Spielen kaum noch zu schaffen ist, zog Rot-Weiß Erfurt die Notbremse. "Durch den aktuellen Tabellenstand ist ein Hoffen auf den Klassenerhalt nicht mehr realistisch, es fehlt somit die Basis für eine positive Fortführungsprognose", begründet Präsident Frank Nowag in einer Mitteilung die Entscheidung. Mit der geordneten Insolvenz soll nun ein "klarer Schnitt" gemacht und die "Grundlage für einen Neuanfang" geschaffen werden. (Weiterlesen: Das Chaos bei Rot-Weiß Erfurt in der Chronologie)

Auf welche Summe belaufen sich die Verbindlichkeiten?

Mit Stichtag vom 30. November 2017 beliefen sich die Schulden auf 8,08 Millionen Euro. In dieser Summe sind Forderungsverzichte mit Besserungsscheinen in Höhe von 2,32 Millionen Euro enthalten, die erst bei einem Zweitliga-Aufstieg etappenweise fällig werden würden. Da diese Summe in der Bilanz nicht als Verbindlichkeit geführt wird, beläuft sich die bilanzielle Überschuldung zum 30. November 2017 auf 5,76 Millionen Euro.

Die Liste der Gläubiger ist lang und umfasst rund 200 Personen. Größter Gläubiger ist der Leipziger Medien-Unternehmer Dr. Michael Kölmel, dem RWE nach "Bild"-Angaben 1,4 Millionen Euro schuldet (mit Besserungsschein). Bei Ex-Präsident Rolf Rombach als Privatperson und seiner Kanzlei stehen die Thüringer mit 562.000 Euro im Minus, der Stadt schuldet Erfurt laut der "Bild" rund 200.00 Euro. Weitere Gläubiger sind unter anderem Borussia Dortmund (156.000 Euro), Ex-Trainer Stefan Krämer (30.000 Euro) und Ex-Manager Torsten Traub (15.000 Euro).

Wie verläuft das Insolvenzverfahren nun?

Rot-Weiß Erfurt hat beim Amtsgericht beantragt, das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung durchführen zu können, "um die Bindungen zu eventuellen Investoren aufrechtzuerhalten", so Rechtsanwalt Marko Harras, der das Insolvenzverfahren begleiten soll. Konkret heißt das: Nicht ein durch das Gericht bestellter Insolvenzverwalter, sondern der Verein selbst will das Verfahren abwickeln und das Heft des Handels somit bei sich behalten. Dadurch soll die Dauer des Verfahrens zudem verkürzt werden.

Das Gericht würde lediglich einen Sachverwalter bestellen, der prüft, ob alle Regularien eingehalten werden. Genehmigt das Amtsgericht diesen Antrag, würde das Insolvenzverfahren wohl am 1. Mai eröffnet werden. Sollte das Gericht den Antrag jedoch ablehnen, droht RWE im schlimmsten Fall eine komplette Abwicklung des Vereins, was eine Löschung aus dem Vereinsregister zur Folge hätte. Dann müsste in der untersten Liga ein neuer Verein gegründet werden – der FC Rot-Weiß Erfurt wäre dann aber Geschichte. Ein Horror-Szenario, das unbedingt verhindert werden soll.

In den kommenden Tagen soll nun ein Insolvenzplan erstellt werden, anschließend können die Gläubiger ihre Forderungen anmelden. "Die Gläubiger müssen vom Insolvenzplan überzeugt werden. Es braucht Akzeptanz", sagt Präsident Frank Nowag und hofft, die Insolvenzmasse mit frischem Geld von Investoren anheben zu können. Dadurch sollen möglichst viele Gläubiger ins Boot geholt werden. Damit das Verfahren erfolgreich durchgeführt werden kann, müssten 50 Prozent der Gläubiger dem Insolvenzplan letztlich zustimmen.

Wann könnte das Insolvenzverfahren abgeschlossen sein?

Das ist noch ungewiss. Zum Vergleich aber: Beim VfR Aalen stimmten die Gläubiger dem Insolvenzplan Anfang Mai 2017 zu – und damit knapp drei Monate nach Stellung des Insolvenzantrags. Seit Ende Juni 2017 ist das Verfahren schließlich abgeschlossen, sodass der VfR Aalen schuldenfrei in die neue Saison ging.

 

[box type="info" size="large"]Perspektiven[/box]

Werden die Spiele von Rot-Weiß Erfurt aus der Wertung genommen?

Wird der Spielbetrieb bis zum Saisonende fortgeführt, bleiben alle Spiele in der Wertung.

Kann der Spielbetrieb bis zum Saisonende fortgeführt werden?

Ein deutliches Ja! Wie der DFB auf Anfrage mitteilte, könne der Spielbetrieb bis zum Saisonende fortgeführt werden.

Was passiert im sehr unwahrscheinlichen Fall, dass der Spielbetrieb doch nicht fortgeführt werden kann?

Dann würde Paragraf 55a Nr. 4 der DFB-Spielordnung greifen: Scheidet ein Verein vor den letzten fünf Spieltagen aus, werden alle Saisonspiele des Vereins nicht gewertet. Scheidet ein Verein innerhalb der letzten fünf Spieltage aus, gilt Folgendes: Alle bereits ausgetragenen Partien werden gemäß des Spielausgangs gewertet, alle nicht ausgetragenen Spiele werden mit drei Punkten und 2:0 Toren für den Gegner gewertet.

Das heißt: Stichtag ist der 34. Spieltag. Sollte Rot-Weiß Erfurt vor dem 34. Spieltag aus dem Spielbetrieb ausscheiden, würden alle Spiele aus der Wertung fallen und somit annulliert werden. Damit es nicht dazu kommt, müsste RWE mindestens noch den 34. Spieltag austragen. Wenn die Thüringer erst danach aus dem Spielbetrieb ausscheiden, würden die nicht ausgetragenen Spiele – konkret gegen Großaspach, Bremen II, Meppen und Würzburg  – für den Gegner gewertet werden. Alle anderen Partien bleiben gemäß des Spielausgangs in der Wertung.

Wer zahlt jetzt die Gehälter der Spieler?

Für die Monate Februar, März und April könnten die Spieler und Angestellten über die Arbeitsagentur Insolvenzgeld beziehen.

Welche Konsequenzen drohen RWE?

Der DFB sieht in Paragraf 6 seiner Spielordnung einen Abzug von neun Punkten in der laufenden Saison vor. Nur in besonderen Ausnahmefällen kann von diesem Punktabzug abgesehen werden, beispielsweise wenn gegen den Hauptsponsor zuvor ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Weitere Konsequenzen über einen Punktabzug hinaus sind nicht vorgesehen.

Hat Rot-Weiß Erfurt noch Chancen auf den Klassenerhalt?

Kaum. Sobald der Punktabzug rechtskräftig wird, fällt RWE 21 Punkte hinter das rettende Ufer zurück. Bei nur noch zehn ausstehenden Spielen wäre der Abstieg in die Regionalliga damit so gut wie besiegelt. Selbst ohne den Punktabzug tendieren die Chancen auf den Klassenerhalt gegen Null. Klar ist aber ohnehin: Die Thüringer haben den Kampf um den Liga-Verbleib mit der Insolvenzanmeldung aufgegeben. Wie Präsident Frank Nowag am Mittwoch klar machte, fehle die Basis "für eine positive Fortführungsprognose."

Welche Perspektive hat der Verein nun?

Für Rot-Weiß Erfurt geht es nun darum, einen Neuanfang einzuleiten und sich als schuldenfreier Verein in der Regionalliga neu aufzustellen. (Weiterlesen: Warum die Insolvenz für RWE eine Chance ist).

 

[box type="info" size="large"]Warum kein Zwangsabstieg droht[/box]

Als Alemannia Aachen im November 2012 einen Insolvenzantrag gestellt hatte, stand ein Zwangsabstieg im Raum. Warum ist die Regelung nun kein Thema mehr?

Mit dem 1. Juli 2014 wurde Paragraf 6 der DFB-Spielordnung geändert. Bis dahin galt: Wurde über das Vermögen eines Vereins der 3. Liga das Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt, stand er automatisch als erster Absteiger fest. Mittlerweile ist als Rechtsfolge, z.B. eines eigenen Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch einen Verein der 3. Liga, grundsätzlich der Abzug von neun Punkten vorgesehen. Die Regularien wurden diesbezüglich mit Beginn der Saison 2014/2015 an die Bundesliga und 2. Bundesliga angepasst, die bereits zuvor so verfahren waren. Heißt: Früher hatten ein bloßer Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens noch gar keine spieltechnischen Konsequenzen. Der Zwangsabstieg wäre erst und nur dann erfolgt, wenn das Insolvenzverfahren später auch eröffnet oder dies mangels Masse abgelehnt worden wäre. Jetzt kommt es also zu einer milderen Rechtsfolge (Punktabzug statt Zwangsabstieg), diese greift allerdings ggf. bereits zu einem früheren Zeitpunkt.

Im Fall von Alemannia Aachen kam der Zwangsabstieg letztlich nicht zum Tragen, da das Insolvenzverfahren erst nach dem letzten Spieltag eröffnet worden ist. Aachen ist am Ende der Saison 2012/13 sportlich abgestiegen.

Wann entscheidet der DFB über den Punktabzug?

Zunächst wird der DFB eine schriftliche Stellungnahme anfordern. Für diese hat Rot-Weiß Erfurt mehrere Tage Zeit. Anschließend wird der DFB-Spielausschuss zeitnah über den Punktabzug entscheiden. Beim FSV Frankfurt lagen in der vergangenen Saison zwischen Insolvenzantrag und Punktabzug knapp drei Wochen, beim VfR Aalen waren es davor rund vier Wochen. Denkbar ist nach DFB-Angaben aber auch, dass der Verein das Recht zur Stellungnahme abritt, sodass der Punktabzug schon kurzfristig rechtskräftig wird. Derzeit laufen diesbezüglich die Gespräche.

Würde der Punktabzug schon in dieser Saison greifen?

Ja. Wird der Insolvenzantrag während der laufenden Spielzeit gestellt, erfolgt der Punktabzug gemäß Paragraf 6 der DFB-Spielordnung in der aktuellen Saison. Wird das Insolvenzverfahren erst nach dem letzten Spieltag beantragt, erfolgt der Abzug mit Beginn der neuen Saison. Dies war zuletzt bei Viertligist Offenbach der Fall, der aufgrund eines nach Saisonende gestellten Insolvenzantrages mit neun Minuspunkten in die vergangenen Spielzeit gestartet war. Bei Rot-Weiß Erfurt würde der verhängte Punktabzug dagegen in der laufenden Saison greifen.

 

[box type="info" size="large"]Die Auswirkungen[/box]

Welche Auswirkungen hätte der drohende Punktabzug für die übrigen Vereine der 3. Liga?

Sofern der Spielbetrieb fortgeführt wird – wovon auszugehen ist -, hat die Insolvenzanmeldung keine Auswirkung auf das Punktekonto der anderen Vereine. Auch an der Tabelle ändert sich nichts, da Rot-Weiß Erfurt bereits Letzter ist.

Gab es schon ähnliche Fälle in der Geschichte der 3. Liga?

Erst im vergangenen Jahr meldeten mit dem VfR Aalen und dem FSV Frankfurt gleich zwei Vereine innerhalb von nur acht Wochen Insolvenz an. Während Aalen den Klassenerhalt trotz des Abzugs von neun Punkten schaffte, stieg der FSV abgeschlagen als Tabellenletzter ab.

In den Jahren zuvor profitierten derweil gleich mehrere Vereine von finanziellen Problemen der Konkurrenz. In der Saison 2008/2009 blieb Wacker Burghausen durch den freiwilligen Rückzug der Kickers Emden in der 3. Liga. Zwei Jahre später profitierten Bremen II und erneut Burghausen von den Zwangsabstiegen von Rot Weiss Ahlen und der TuS Koblenz. Nach der Saison 2013/14 verweigerte der DFB-Lizenzierungsausschuss den Offenbacher Kickers wegen Regelverstößen die Drittliga-Lizenz für die kommende Spielzeit, sodass Darmstadt 98 in der 3. Liga blieb und den Durchmarsch in die Bundesliga schaffte.

Wie viele Vereine haben in der Drittliga-Geschichte bereits einen Insolvenzantrag gestellt?

Nach Rot Weiss Ahlen (2011), Alemannia Aachen (2012), dem VfR Aalen und dem FSV Frankfurt (beide 2017) ist Rot-Weiß Erfurt nun der fünfte Verein – und der dritte innerhalb der letzten 13 Monate.

Droht die Gefahr, dass der RWE die verbleibenden zehn Spiele "abschenken" wird?

Eher nicht. Einige Spieler, etwa Philipp Klewin oder Theodor Bergmann, haben das Interesse der Konkurrenz (auch aus höheren Ligen) geweckt und wollen sich dementsprechend präsentieren. Für Nachwuchsspieler wie Marius Wegmann, Tobias Kraulich und Lion Lauberbach geht es darum, sich für das künftige Regionalliga-Team der Thüringer zu empfehlen. Darüber hinaus wird es Trainer Stefan Emmerling kaum mit seinem Gewissen vereinbaren können, wenn sich RWE dem Verdacht der Wettbewerbsverzerrung schuldig machen würde.

Wie wird die künftige Regionalliga-Mannschaft von Rot-Weiß Erfurt aussehen?

Das ist noch vollkommen offen. Trainer Stefan Emmerling, der zugleich auch Sportdirektor ist, hat hinter den Kulissen aber bereits mit den Planungen begonnen. Wie er Anfang März der "Thüringer Allgemeinen" sagte, gehe es darum, eine "torgefährlichere Mannschaft zusammenzustellen, die außerdem eine bessere Mentalität" habe. "Alles wird auf den Prüfstand kommen", kündigte der 52-Jährige an.

   
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