Viktoria Köln: Reift hier ein Geheimfavorit?
Als Aufsteiger überzeugte Viktoria Köln im Vorjahr mit attraktivem, hochwertigen Fußball und schaffte als Zwölfter souverän und vorzeitig den Klassenerhalt. Jetzt nutzen die Domstädter die Corona-Ungewissheit aus und legen mit beachtlichen Transfers die Messlatte höher. Warum die Mannschaft von Trainer Pavel Dotchev sich schon jetzt mindestens das Attribut "Geheimfavorit" verdient.
International erfahrene Spieler verpflichtet
Was am Sportpark Höhenberg Tag für Tag vor sich geht, bemerken die meisten Drittliga-Fans eher sporadisch. Warum ein Auge auf Viktoria Köln werfen? Der Verein gehört in den Augen vieler eben derzeit zum Tross der 3. Liga dazu, ist aber nicht sonderlich attraktiv – klar im Schatten des Bundesligisten 1. FC Köln, meist nur begleitet von etwa zweitausend Zuschauern, so zumindest vor der Corona-Pandemie. Ein Klub, dessen Leistungszenit mit dem Aufstieg auf nationale Ebene im Jahr 2019 erreicht schien und in den kommenden Jahren früher oder später wieder absteigen dürfte, so wie es zuvor mit Sonnenhof Großaspach, Fortuna Köln oder den Sportfreunden Lotte ebenso geschehen ist. Doch dies könnte sich mehr und mehr als Fehleinschätzung entpuppen.
Viktoria Köln rüstet auf, und das in einer beeindruckenden Geschwindigkeit. Nicht wie Zweitliga-Absteiger Dynamo Dresden, das sich bislang am prominentesten und üppigsten verstärkt hat, aber doch durchaus bemerkenswert. Wenig verwunderlich stellte Kölns sportliche Leitung um Sportdirektor Marcus Steegmann Bedarf in der Defensive fest – 65 erzielten Toren standen im Vorjahr 71 kassierte gegenüber, die Spiele waren also stets spektakulär, hin und wieder aber mutierte Viktoria zur Schießbude. Ändern soll das beispielsweise Torhüter Sebastian Mielitz: Der 31-Jährige hat in seiner Karriere 62 Bundesliga-Partien für Werder Bremen absolviert, war danach Stammkeeper bei Zweitligist Greuther Fürth und nun drei Jahre in der höchsten dänischen Liga aktiv. Für Drittliga-Verhältnisse ist das ein Transfer-Kracher.
Dazu kommt in Maximilian Rossmann ein weiterer Profi mit internationaler Erfahrung. Der Innenverteidiger setzte sich in der Saison 2018/19, gekommen von den Sportfreunden Lotte, überraschend beim niederländischen Ehrendivisionär Heracles Almelo durch und spielte 37 Mal in der Eredivisie. Jeremias Lorch vom SV Wehen Wiesbaden ist zweitliga-erfahren und in der 3. Liga auf Jahre erprobt. In der Summe ergeben sich drei Transfers, die der Viktoria nicht jeder zugetraut hat. Die aber auch den veränderten Bedingungen während der Corona-Pandemie geschuldet sind.
Geringe Zuschauerresonanz wird während der Pandemie zum Vorteil
In der 3. Liga, in der Zuschauereinnahmen wesentlich sind, ist jeder Verein anders von der gegenwärtigen Situation betroffen. Groß ist die Not etwa in Magdeburg, Duisburg oder bei 1860 München, die als besucherstarke Klubs von vollen Stadien leben. Sie mussten schon im Frühjahr erhebliche Einbuße verzeichnen und werden wohl auch mindestens in der Hinrunde der neuen Saison die Ticket-Nachfrage ihrer Fans aufgrund von Corona-Auflagen nicht ansatzweise erfüllen können. Ganz anders ergeht es Viktoria Köln: Der Etat ist hier mit einem viel größeren Prozentanteil von Sponsoringeinnahmen abhängig, die aber sehr regelmäßig – und üppig – fließen. Vereinsmäzen Franz-Josef Wernze leitet eines der größten deutschen Wirtschaftsprüfungsunternehmen, das bald in den Kreis der Umsatzmilliardäre aufsteigen wird und als Hauptsponsor gelistet ist.
Mit einer reduzierten Kapazität von 1.400 (statt 10.000) Zuschauern plant Viktoria Köln die ersten Heimspiele im Sportpark Höhenberg. Das genügt nicht nur problemlos, um sämtliche Dauerkartenbesitzer mit Tickets auszustatten, sondern bedeutet für die Westdeutschen auch nur geringe Einnahmenverluste. Ähnlich "komfortabel" planen können in der 3. Liga sonst allenfalls Vereine wie der SC Verl, Türkgücü München oder die SpVgg Unterhaching – schlicht alle, bei denen schon vor der Pandemie bei Heimspielen in der Regel deutlich mehr freie als belegte Plätze vorzufinden waren.
Verfolgerrolle möglich
Viktoria schaffte es dank dieser Gemengelage zudem, in René Klingenburg (Dresden) einen Mittelfeldmotor zu verpflichten – Klingenburg hat Zweitliga-Erfahrung und zählte ein Jahr davor, damals noch bei Preußen Münster unter Vertrag, zu den besten "Box-to-Box“-Spielern der Liga, der Bälle erobern und mit Wucht nach vorne tragen kann. Abgerundet wird die bisherige Transferstrategie vom schnellen Konterstürmer Lucas Cueto, der direkt von Absteiger Münster kommt und die ohnehin gefährliche Offensive schwerer ausrechenbar machen soll. In den erfahrenen Albert Bunjaku und Mike Wunderlich ist Viktoria hier in Bestaufstellung schon aufgestellt wie eine Spitzenmannschaft. Allerdings steht und fällt vieles mit der Einsatzbereitschaft des routinierten Duos, diese Abhängigkeit soll reduziert werden.
Wo kann sich Viktoria in der neuen Saison platzieren? Die Favoritenrolle wird Trainer Pavel Dotchev, der bei allen bisherigen Transfers ein Wörtchen mitgeredet hat, gerne weiterschieben. Auch wenn er im Interview mit liga3-online.de zumindest mit einem Aufstieg innerhalb der nächsten beiden Jahre kokettierte. Die speziellen Umstände kommen den Domstädtern in jedem Fall entgegen, nicht nur in puncto finanzieller Wettbewerbsfähigkeit – ein zuschauerschwacher Drittligist profitiert auch von jedem Fan, der den „Traditionsvereinen“ mit gewohnt stärkerer Unterstützung aufgrund reduzierter Stadionkapazitäten fehlen wird. Sollte der Kader punktuell mit weiteren Transfers der bisherigen Gewichtsklasse aufgerüstet werden, muss Viktoria Köln auf dem Papier mindestens mit der Rolle als potenzieller Verfolger der Topfavoriten leben können.