Titel und Tränen #5: Als Hansa dem Abstieg nur knapp entkam

Es ist Mitte Mai. Eigentlich würde sich nun die Saison entscheiden – doch nicht im Jahr 2020, nicht im Jahr der Corona-Pandemie. Wir nutzen die Zeit und blicken in einer Serie auf die spannendsten und emotionalsten Saisonfinal-Momente der vergangenen Jahre zurück. Im fünften und letzten Teil erinnern wir uns an den Endspurt der Saison 2014/15, als Hansa Rostock beinahe in die Regionalliga abgestürzt wäre. Ein anderer Klub rettete am 23. Mai 2015 die Kogge.

Nie so nah an der vierten Liga wie 2015

Seit acht Jahren ist der F.C. Hansa Rostock Dauergast in der. Liga. Fast wird vergessen, dass der Klub sogar schon seine Aufstiegserfahrungen gemacht hat: 2010/11 ging es als Zweiter hoch in die 2. Bundesliga, um umgehend als Letzter wieder abzusteigen. Seitdem stagniert man an der Warnow mehr oder weniger: Zwar deuten die Endplatzierungen einen Aufwärtstrend an, von der unteren Tabellenhälfte ging es in den vergangenen Jahren regelmäßig in Richtung oberes Drittel, bei der Aufstiegsfrage hatte Hansa aber an den finalen Spieltagen meistens eher wenig zu melden. Anders sah es im Abstiegskampf aus: Immer wieder stürzte Rostock bedenklich ab, verunsicherte seine Fans und nicht zuletzt sich selbst mit langen Negativserien. Nie aber war die Lage so bedrohlich wie im Frühsommer 2015: Vor dem letzten Spieltag drohte den Ostdeutschen der Fall in die Viertklassigkeit. Was war passiert?

Zunächst unter dem heutigen Sportchef von Eintracht Braunschweig, Peter Vollmann, ab Dezember der Saison dann unter Karsten Baumann als Trainer war Hansa zunächst überhaupt nicht in Tritt gekommen, ehe in der Rückrunde die Aufholjagd begann. Dabei hatte man sich doch mit zahlreichen Akteuren verstärkt, die ihre Tauglichkeit in den Folgejahren nachwiesen: Maximilian Ahlschwede etwa, Oliver Hüsing und Marcel Schuhen. Marcel Ziemer kam vom 1. FC Saarbrücken und wurde trotz der desaströsen Spielzeit mit respektablen 15 Saisontoren gar zum teaminternen Torjäger. Auch Christian Bickel, verpflichtet aus Cottbus, schlug mit sieben Treffern und 13 Vorlagen ein. Nur war die Offensive, die 54 Mal netzte und damit selbst den späteren Relegations-Teilnehmer Holstein Kiel (53) in der Toranzahl übertraf, gar nicht das Problem.

Rostocker Schießbude

68 Gegentore handelte sich Hansa in 38 Spieltagen ein. Beim spektakulären 4:3-Auswärtssieg zum Auftakt in Münster mochte man das noch auf die leichte Schulter nehmen, doch im Saisonverlauf nervte die Defensivschwäche mehr und mehr. Bis zum 27. Spieltag hatte man nur genau einmal die Null gehalten, am Ende standen vier weiße Westen auf der Habenseite. Jörg Hahnel, Johannes Brinkies, Marcel Schuhen – ein erfahrener Haudegen und zwei große Talente, die sich später herausragend entwickelten – standen zwischen den Pfosten, es lag nicht nur an ihnen. Selten war die Angst so groß wie im Dezember 2014: Fünf Pleiten in Folge, zuletzt ein 1:4 in Erfurt und ein 0:4 daheim gegen Kiel. Rostock war Vorletzter die Schießbude der Liga. Aus anfangs 14.000 Besuchern beim ersten Heimspiel blieben noch 5.600, die das 0:2 gegen Preußen Münster sahen. 5.600! Frohe Weihnachten.

Neues Jahr, neues Glück: Mit nun zwei Stürmern und offenbar viel mentaler Aufbauarbeit beginnt 2015 unerwartet gut. Sechs Siege holt Hansa aus den ersten zehn Punktspielen, verliert nur beim späteren Meister Arminia Bielefeld. Doch im Saisonendspurt, als es keiner erwartet, geht der Elf von Karsten Baumann allmählich die Puste aus. 41 Zähler hat der FCH nach 34 Spieltagen, als Abstiegskandidat Dortmund II daheim besiegt worden ist. Es fühlt sich nach vorzeitiger Klassenerhaltsparty an. Doch das Punktekonto stockt, es setzt drei Niederlagen in Folge. Gibt’s denn das? Ein Sieg hätte doch zum endgültigen Klassenerhalt gereicht. Aber Hansa will Drama. Das wissen die 21.600 Zuschauer, die am vorletzten Spieltag nach der 0:1-Niederlage gegen Energie Cottbus frustriert das Ostseestadion verlassen. Und die Tabelle, sie lügt nicht.

Kurzreise als "Belohnung" für die Schützenhilfe

Hansa steht wie angewurzelt bei 41 Punkten auf dem rettenden 17. Platz, während sich die SpVgg Unterhaching vor dem finalen Showdown an jenem 23. Mai vor fünf Jahren auf 39 Zähler vorarbeitet – eigentlich haben die Hachinger sogar zwei Zähler mehr, die ihnen aber aufgrund einer nicht pünktlich geschlossenen Liquiditätslücke abgezogen worden waren. Auch Mainz 05 II ist mit ebenfalls 41 Punkten, aber dem vier Tore besseren Torverhältnis gegenüber Rostock, noch in der Verlosung. Ihnen reicht das 1:1-Remis gegen den Chemnitzer FC für den Klassenerhalt. Denn Hansa spielt auswärts in Dresden, und verliert. Trotz 1:0-Führung. Als Sinan Tekerci für Dynamo nach 88 Minuten das 2:1 erzielt, geht das Zittern los. Doch ein Herzschlagfinale bleibt aus. Rot-Weiß Erfurt sei Dank.

Maik Baumgarten erlöst die Kogge bereits nach 42 Minuten, als er zum 1:0 für den längst geretteten Tabellenzwölften trifft. Rostocker Fans wissen, dass Haching nur auf Platz 17 springen kann, wenn es auswärts gewinnt. Man kann den Süddeutschen das Bemühen nicht absprechen. Doch die Chancenverwertung der Gäste ist (nicht nur) an diesem Nachmittag schlicht nicht drittliga-tauglich – als Konsequenz geht es runter in die Regionalliga. Tiefes Durchatmen in Rostock! Unzählige Danksagungen aus Mecklenburg-Vorpommern trudeln in den Stunden und Tagen danach am Erfurter Steigerwald ein. Kurioserweise verpflichtet Hansa sogar Heilsbringer Baumgarten, der sich aber in der Folgesaison nicht durchsetzen kann.

Die Erfurter Delegation antwortet bescheiden, sich nur sportlich fair verhalten zu haben. Eine "Belohnung“ gibt es dennoch, und zwar vom damaligen Rostocker Hauptsponsor: Das Touristik-Unternehmen schenkte dem gesamten Kader der Thüringer kurzerhand eine dreitägige Reise. Ein ungewöhnliches Präsent am Ende einer ungewöhnlichen Saison, die den Anhang des früheren Bundesligisten viele Nerven gekostet hat.

   
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