Titel und Tränen #3: Der Abstiegs-Showdown 2019
Es ist Mitte Mai. Eigentlich würde sich nun die Saison entscheiden – doch nicht im Jahr 2020, nicht im Jahr der Corona-Pandemie. Wir nutzen die Zeit und blicken in einer Serie auf die spannendsten und emotionalsten Saisonfinal-Momente der vergangenen Jahre zurück. Der dritte Serienteil schaut ein Jahr zurück: Am 18. Mai 2019 kämpften fünf Mannschaften am finalen Spieltag gegen den Abstieg, nur drei würden sich retten.
Die Lage spitzt sich zu
Es ist das erste Jahr mit vier Drittliga-Absteigern. Früh bahnt sich eine heikle Lage im Tabellenkeller an: Im hinteren Mittelfeld wird gepunktet wie verrückt, es ist rasch absehbar, dass 40 Punkte bei weitem nicht für den Ligaverbleib genügen werden. Parallel dazu schafft es einzig der VfR Aalen nicht mehr, sich bis zum Saisonende in eine Hoffnung bringende Position zu bringen, er vergeigt die Saison und ist schon einige Wochen vor dem Finalspieltag abgestiegen. Eintracht Braunschweig, das nach dem Zweitliga-Abstieg durch gravierende personelle Fehlplanung sportlich kollabiert, holte in einer starken Rückrunde derweil Zähler um Zähler vom einst acht Punkte großen Rückstand auf den rettenden 16. Platz auf, Carl Zeiss Jena schafft in einem fulminanten Endspurt das gleiche Kunststück mit fünf Siegen aus sechs Spieltagen. Um die Lage zu entschlüsseln, müssen wir allerdings noch auf einige andere Vereine schauen. So gingen die Klubs in den 38. Spieltag.
Die Ausgangslage der Klubs
Ab Platz 14 wird es heiß. Eintracht Braunschweig rangiert dort mit 44 Punkten und minus sechs Toren. Rang 15 ist an Energie Cottbus vergeben: Die Lausitzer haben 44 Zähler und minus sieben Tore – ein nichtiger Unterschied. Eigentlich. Doch beide Teams treffen im direkten Duell in Braunschweig aufeinander. Für den sicheren Klassenerhalt muss Cottbus also gewinnen, ein Remis reicht nicht.
Aber warum sorgen sich die Vereine überhaupt, sie stehen doch in der Tabelle gesichert? Keinesfalls. Auf Platz 16 rangiert Carl Zeiss Jena, zwar mit deutlich schlechterem Torverhältnis, aber 43 Punkten auf der Habenseite. Die Thüringer empfangen ein "Ananas-Team" – 1860 München ist als Elfter gerettet und gedanklich schon fast im Sommerurlaub.
Den ersten Abstiegsrang 17 belegt Sonnenhof Großaspach; 42 Punkte, nur minus drei Tore. Aspach fährt zum 19., Fortuna Köln. Die Domstädter sind schon in der Vorwoche an jenem Ort abgestiegen, an dem sie einst den Aufstieg in die 3. Liga bejubelten: im Grünwalder Stadion zu München. Eine pikante Note soll das Duell noch dazu im Nachhinein erhalten, als klar wird, dass Kölns "Abstiegstrainer" Oliver Zapel ab Juli Großaspach (erneut) als Übungsleiter übernehmen wird.
Auf Position 18 stehen schließlich die Sportfreunde Lotte mit 40 Punkten und dem schlechtesten Torverhältnis. Sie empfangen Würzburg und wissen im Vorfeld, dass sie zu 98 Prozent abgestiegen sind. Nur wenn die SFL gewinnen, Jena als auch Großaspach verlieren, könnte die Sensation eintreten.
Nervenkrimi an der Hamburger Straße
Wer das Abstiegsfinale 2016 miterlebt hat, der spekuliert vor diesem Samstagnachmittag wie wild. Zahlreiche Szenarien werden durchgespielt, wird es womöglich noch spannender als vor drei Jahren? Speziell der Nervenkrimi in Braunschweig zehrt schon im Vorfeld an den Gemütern der Klubs. Mit fast 23.000 Zuschauern im ausverkauften Stadion an der Hamburger Straße ist die Kulisse erstligatauglich, das Spiel war es – verständlicherweise – nicht. Im günstigsten Fall, so hoffen es die Vereine, würden an jenem Tag um 15.30 Uhr Ortszeit einfach beide Fanlager tief durchatmen. Doch dafür müsste die Konkurrenz patzen. Und das tut sie nicht.
1860 lustlos, Lotte chancenlos
Schnell erzählt ist die Partie zwischen Jena und München. Löwen-Trainer Daniel Bierofka wechselt auf sechs Positionen, seine Spieler aber nehmen die Aufgabe ganz offenbar nicht mehr wirklich ernst: Nach 17 Minuten steht es 2:0, nach 70 Minuten 4:0 – 1860 München lässt sich widerstandslos abschießen. Für Carl Zeiss, frenetisch bejubelt von den meisten der 10.600 Fans im erstmals in jener Saison ausverkauften Ernst-Abbe-Sportfeld, ist dies der Optimalfall: Weder Großaspach noch Lotte können die Elf aus dem Paradies noch einfangen – ein weiteres Jahr in der 3. Liga ist gesichert. Für die Sportfreunde Lotte heißt das zugleich: Abschied nehmen. Weil die SFL ihr Heimspiel gegen die Würzburger Kickers ohnehin mit 1:2 (1:0) vergeigen, fehlen am Ende fünf Punkte. Die Westfalen sind wieder viertklassig.
Damit ist Großaspach gefordert. Dank des besten Torverhältnisses würde ein Sieg aber genügen, um aus der Paarung zwischen Braunschweig und Cottbus jene Mannschaft(en) zu überholen, die nicht gewinnt. 500 Gästefans begleiten die SGS nach Nordrhein-Westfalen, auf diese Distanz wohl ein Allzeit-Rekord. Sie sehen, wie Dominik Pelivan sowie ein Eigentor von Joel Abu Hanna einen souveränen 2:0-Auswärtssieg einleiten. Auch Aspach punktet dreifach. Für die Anhänger von Eintracht Braunschweig als auch Energie Cottbus eine fatale Nachricht, die sich im Laufe der zweiten Halbzeit rasch vor Ort herumspricht. Einer der beiden wird absteigen, das ist nun gewiss. Aber wer?
Alles schaut auf Braunschweig
Die Anspannung ist über 90 Minuten greifbar, Schiedsrichter Daniel Schlager wirkt leidlich überfordert und trifft mutige Entscheidungen – darunter zwei Handelfmeter, die zunächst Marc Pfitzner für die Gastgeber (30.) und dann Fabio Viteritti für Cottbus (57.) für die einzigen beiden Tore nutzen. Das ist bezeichnend, weil aus dem laufenden Spiel heraus kaum eine Chance entsteht, die Teams sind lange auf Sicherheit bedacht. Doch als die Gäste wissen, dass sie bei einem 1:1-Remis der Angeschmierte sind, werfen sie mit Mut alles nach vorne. Es wird hektisch, beide Teams kassieren je einen Platzverweis. Doch der heutige Bundesliga-Stürmer Streli Mamba, der nach der Saison zum SC Paderborn wechseln sollte, vergibt die finale Chance. Bange Blicke. Die Sekunden verrinnen für die einen quälend langsam, für die anderen viel zu schnell. Dann pfeift Schlager ab, um 15.25 Uhr ist Energie Cottbus zum zweiten Mal nach 2016 aus der 3. Liga abgestiegen. Eintracht Braunschweig feiert unterdessen das nicht für möglich gehaltene Comeback nach einer missratenen ersten Saisonhälfte.