Strittige Szenen am 30. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Platzverweise gegen Egerer und Guder, die nicht gegebenen Elfmeter für Duisburg und Berlin, der Strafstoß für Meppen, der verwehrte Treffer von Duisburg, das Foul von Grodowski an Seegert, das 2:1 von Mannheim, das 1:0 von Kaiserslautern und das 1:0 von Wiesbaden. Am 30. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zehn strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Alaar Bakir (Duisburg) ist frei durch, wird von Florian Egerer (Meppen) gehalten und zu Fall gebracht. Schiedsrichter Patrick Kessel entscheidet auf Notbremse und zeigt Egerer glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]

Babak Rafati: Das Foulspiel (Festhalten) kurz vor dem Strafraum von Egerer an Bakir ist unstrittig. Die entscheidende Frage stellt sich nunmehr danach, ob Christoph Hemlein, der ein paar Meter weiter entfernt steht, noch hätte eingreifen können. Bakir ist zentral durch, sodass Hemlein nicht mehr entscheidend eingreifen kann. Es handelt sich damit um eine sehr gute Torchance. Somit ist dieses Foulspiel als Notbremse auszulegen und konsequenterweise mit der roten Karte zu ahnden. Eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters, diese auch zu zeigen.

Szene 2: Nach einem Pass von Orhan Ademi (Duisburg) läuft Alaa Bakir frei auf das Tor zu, geht aber im Duell mit Torhüter Mathis Harsman (Meppen) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Alt. [TV-Bilder – ab Minute 57:25]

Babak Rafati: Bakir will sich im gegnerischen Strafraum den Ball an Torhüter Harsman vorbeilegen und an ihm vorbeilaufen. Der Keeper kommt aus seinem Tor herausgelaufen und springt zwar riskant in den Zweikampf, aber letztendlich spielt er sauber den Ball, indem er das Spielgerät mit der rechten Hand vom Fuß des Angreifers wegspitzelt, sodass kein Foulspiel vorliegt. Auch wenn Bakir bei diesem Zweikampf spektakulär zu Fall kommt, ist es eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 3: Einen Kopfball von Luka Tankulic (Meppen) bekommt Marvin Ajani (Duisburg) im Strafraum an den ausgestreckten Arm, es gibt Elfmeter für Meppen. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]

Babak Rafati: Nach einem Abwehrversuch im eigenen Strafraum springt Ajani zunächst hoch und will den Ball spielen. Er unterläuft das Spielgerät allerdings, und dadurch kann Gegenspieler Tankulic, der unmittelbar hinter Ajani postiert ist, den Ball auf das Tor bringen. Ajani steht zu diesem Zeitpunkt mit dem Rücken zu seinem Gegenspieler, reißt die Arme unnatürlich über die Schulter hoch und blockt den Ball mit den ausgestreckten Armen. Das ist ein absichtliches Handspiel, weil in Kauf genommen wird, den Ball an den Arm zu bekommen. Eine richtige Entscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden.

Szene 4: Nach einem rüden Foulspiel von René Guder (Meppen) gegen Marvin Knoll (Duisburg) lässt Alt zunächst Vorteil laufen, pfeift dann aber doch ab und zeigt Guder die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]

Babak Rafati: Guder springt mit gestrecktem Bein, offener Sohle und voller Dynamik in die Füße von Knoll, trifft diesen rüde im Knöchel-/Bänderbereich und bringt ihn zu Fall. Das ist eine brutale Spielweise, bei der der Gegner in seiner Gesundheit gefährdet wird, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, Guder die rote Karte für diesen überharten Einsatz zu zeigen. In dieser Szene wäre es allerdings optimaler gewesen, die Aktion sofort zu unterbinden und die fällige rote Karte auszusprechen und nicht erst auf Vorteil zu entscheiden. Bei Vergehen, die eine rote Karte nach sich ziehen, soll nur in Ausnahmefällen ein Vorteil gegeben werden, wenn zum Beispiel eine klare Torchance vorliegt. In dieser Szene war das aber nicht der Fall.

Szene 5: Leroy Kwadwo (Duisburg) bringt den Ball nach einer Stoppelkamp-Vorlage im Tor unter, der Schiedsrichter entscheidet jedoch auf Handspiel bei der Ballannahme. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:00]

Babak Rafati: Kwadwo bekommt den Ball bei der Annahme zwar unabsichtlich an den eigenen Arm, jedoch ist das regeltechnisch auch ein strafbares Handspiel, wenn unmittelbar vom gleichen Spieler der Ball im Tor untergebracht wird. Eine richtige Entscheidung, den Treffer abzuerkennen.

Hinweis: Bei fünf strittigen Entscheidungen, die nicht unwesentlich zum Spielverlauf beigetragen haben und alle ausnahmslos richtig sind, muss dem Schiedsrichter auch mal ein außerordentliches Kompliment (!) ausgesprochen werden.

 

Szene 6: Bei einem Fallrückzieher im gegnerischen Strafraum trifft Joel Grodowski (Verl) Mannheims Marcel Seegert mit dem Fuß im Gesicht, sieht von Schiedsrichter Christian Ballweg aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]

Babak Rafati: Bei diesem Fallrückzieher von Grodowski, bei dem er nicht den Ball spielt, sondern seinen Gegenspieler Seegert im Gesicht trifft, liegt ein Foulspiel vor. Dadurch, dass der Ball Spielobjekt ist und der Gesichtstreffer nicht mit offener Sohle oder durchgestreckten Fuß passiert, liegt lediglich ein rücksichtsloses Foulspiel vor und keine brutale Spielweise, bei der die Gesundheit de Gegenspielers gefährdet wird. Somit ist das Strafmaß mit der gelben Karte eine angemessene und richtige Entscheidung.

Szene 7: Joseph Boyamba (Mannheim) setzt sich robust gegen Cottrell Ezekwem (Verl) durch, der dabei zu Fall geht. Das Spiel läuft weiter, und aus dem Angriff fällt das 2:1 für Mannheim. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist Boyamba schneller am Ball und wenn man überhaupt über ein Foulspiel spricht, dann geht dieses von Ezekwem aus, indem er Boyamba am Fuß trifft, sodass kein Foulspiel vom Angreifer vorliegt. Das Zufallkommen des Verteidigers passiert somit nicht aufgrund eines Foulspiels. Er kommt zu Fall, weil er versucht, über Boyamba zu springen, der bei diesem Zweikampf zu Fall gekommen ist, um nicht auf ihn einzutreten. Durch das Ausweichen verliert Ezekwem das Gleichgewicht und kommt schließlich ohne Fremdverschulden zu Fall. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer für Mannheim anzuerkennen.

 

Szene 8: Nach einer Ecke von Hendrick Zuck verlängert Philipp Hercher (Kaiserslautern) den Ball in einem Zweikampf mit der Hand zu Terrence Boyd, der zum 1:0 trifft. Schiedsrichter Patrick Ittrich gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]

Babak Rafati: Nach einer Ecke verlängert Hercher den Ball mit der Hand zu Mitspieler Boyd, der danach ins Tor trifft. Das Handspiel ist hierbei absichtlich und zudem unsportlich, sodass es in dieser Szene einen Freistoß für Havelse sowie die gelbe Karte gegen Hercher hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer für Kaiserslautern anzuerkennen.

Anzumerken ist, dass der Schiedsrichter nach dem Spiel seinen Fehler öffentlich einräumte. Das verdient trotz der Fehlentscheidung Respekt und schafft Akzeptanz und Glaubwürdigkeit bei den Akteuren, obwohl sie benachteiligt wurden.

 

Szene 9: Im Strafraum geht Christopher Theisen (Berlin) gegen Richard Neudecker (München) zu Fall und fordert einen Elfmeter, den Schiedsrichter Timo Gerach aber nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 35:30]

Babak Rafati: Nach einem Einwurf für Viktoria Berlin kommt der Ball zu Theisen, der den Ball annimmt. Dabei steht Neudecker hinter ihm und will auch den Ball spielen, trifft aber Theisen hinten am Fuß und bringt ihn dadurch zu Fall. Auch wenn es im TV-Bild nicht zu 100 Prozent zu sehen ist, so ist der Ablauf ein typischer Fußtreffer. Das Verhalten des Verteidigers, sofortiger Blickkontakt zum Schiedsrichter, nachdem der Angreifer zu Boden geht, ist ein weiteres Indiz, dass er weiß, was er soeben begangen hat – nämlich ein Foulspiel, wenn auch ungewollt. Eine Fehlentscheidung, dieses Vergehen nicht als Foulspiel zu ahnden und den fälligen Elfmeter für Berlin anschließend nicht zu geben.

 

Szene 10: Nach einer Ecke trifft Tobias Kempe im Anschluss an einen Nilsson-Kopfball zum 1:0 für Wiesbaden. Köln reklamiert Abseits, Schiedsrichter Sven Waschitzki-Günther gibt den Treffer.  [TV-Bilder – ab Minute 1:30]

Babak Rafati: Nach einer Ecke wird der Ball von Nilsson auf Mitspieler Kempe geköpft, der das Spielgerät im gegnerischen Tor unterbringt. Auch wenn es mit den vorliegenden TV-Bildern nicht zweifelsfrei aufzulösen ist, scheint tendenziell am rechten Bildrand ein Verteidiger die Abseitsposition aufzuheben, sodass anscheinend eine richtige Entscheidung vorliegt, diesen Treffer anzuerkennen.

 

Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde

   

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