Wie der FCM die Rückkehr in frühere Tabellenregionen plant

Das Team der Stunde kam im Frühjahr von der Elbe: Schier beeindruckend war, wie der 1. FC Magdeburg als einstiger Abstiegskandidat urplötzlich durch die hintere Tabellenhälfte pflügte und letztlich eine Top-10-Platzierung nur knapp verpasste. Ist dies der Start eines erfolgreicheren Zeitabschnitts? Die Zusammenstellung der neuen Mannschaft lässt Gutes vermuten – gleichwohl geht Magdeburg ist Risiko. liga3-online.de erklärt, wieso.

Rückrunde: Vorerst nur eine Momentaufnahme

Als der FCM 2015 in die 3. Liga aufrückte, kannten Euphorie und Zuversicht kaum Grenzen. Zweimal wurde der Klub Vierter, dann stieg in er als Meister in die 2. Bundesliga auf. Es folgten die Krisenjahre, Unruhe, fehlende Kontinuität. Gegen Ende des vergangenen Jahres war Magdeburg ans Tabellenende der Liga gepurzelt, die Fans waren ausgesperrt und versanken in Tristesse: Sollte es, die Gastspiele beim Hamburger SV und dem 1. FC Köln als Zweitligist noch vor Augen, bald wirklich wieder in die ostdeutsche Diaspora gehen, nach Meuselwitz, Halberstadt und Luckenwalde?

Wie groß war die Erleichterung, als Trainer Christian Titz nach kurzen Startschwierigkeiten den Verein auf Kurs brachte, der neue Sportdirektor Otmar Schork allen voran in der Verpflichtung von Baris Atik einen Glücksgriff tätigte und die Rückrunde von Festspielen geprägt war. Schafft es der 1. FC Magdeburg, auf diesem Niveau eine ganze Saison durchzuspielen, er wäre Mitfavorit. Doch so gut kennt man an der Elbe die 3. Liga mittlerweile, als dass er Momentaufnahmen nicht überinterpretieren würde – auch wenn es noch so verlockend wäre.

Eine kleine Zäsur im Kader

Trotz der überragenden zweiten Saisonhälfte war schnell klar, dass die Mannschaft der Saison 2021/22 ein neues Gesicht bekommen. Elf externe Neuzugänge stehen derzeit 13 Spielern gegenüber, die den Klub verlassen haben, zunächst wird laut Aussage von Trainer Titz nicht mit weiteren Transfers geplant. Prominentes Gesicht unter den Abgängen war ohne jeden Zweifel Christian Beck: Der mittlerweile 33-jährige Vize-Rekordtorjäger des Klubs, seine 149 Treffer wurden einzig von Joachim Streich (154) übertroffen, erhielt keinen neuen Vertrag und schloss sich daher Regionalligist BFC Dynamo an. Er hatte nach achteinhalb starken Jahren sportlich erstmals Zweifel hinterlassen, noch in das FCM-Konzept zu passen, menschlich bleibt sein Verlust für viele Fans mehr als bedauernswert. Er hinterlässt als Letzter einer besonderen Fußballer-Generation an der Elbe eine große Lücke, neue Identifikationsfiguren muss Magdeburg erst schaffen.

Viele weitere Abgänge befinden sich ähnlich wie Beck im gesetzteren Fußballer-Alter. Auch bei Jürgen Gjasula (35), Sören Bertram (30), Timo Perthel (32), Dustin Bomheuer (30) und Dominik Ernst (30) sah der Klub kein großes Entwicklungspotenzial mehr, legte ihnen keine oder nicht ausreichende Angebote vor. Stammtorhüter Morten Behrens wählte indes den Weg in die 2. Bundesliga (Darmstadt 98), neben ihm ging im zentralen Mittelfeldspieler Thore Jacobsen (Rückkehr zu Werder Bremen) lediglich ein weiterer regelmäßiger Stammspieler der abgelaufenen Saison. Auch Jacobsen orientiert sich dabei schon jetzt eine Liga höher. Beide Vakanzen hat der FCM bereits besetzt, Abgänge wie jene von Daniel Steininger, Brian Koglin und Philipp Harant tun nach sportlichen Kriterien nicht weh.

Die jungen Wilden

Dass die acht Neuen auf ein Durchschnittsalter von nicht einmal 22 Jahren kommen, ist ein klarer Fingerzeig Richtung Zukunft: Früh bemühte man sich beim 1. FC Magdeburg offenbar gezielt um junge, gut ausgebildete Profis aus deutschen Nachwuchsleistungszentren – einer der begehrtesten Märkte für Klubs dieser Kragenweite, doch wiederholte setzte sich der FCM durch. Auch, weil Christian Titz als ein Trainer gilt, der mit jungen Spielern umzugehen, sie zu entwickeln weiß. Luca Schuler (Schalke II, Stürmer), Jason Ceka (Mittelfeld, Schalke II), Tobias Knost (Rechtsverteidiger, HSV II), Tim Sechelmann (Linksverteidiger, 1. FC Köln II) und Julian Rieckmann (defensives Mittelfeld, Werder Bremen II) dienen als klassische Beispiele dieser nicht unriskanten, aber zukunftsgerichteten Transferstrategie – alle Genannten sind zwischen 20 und 22 Jahre alt.

Nur ein Quartett erfüllt nicht die U23-Regel, steuert dazu aber wertvolle Erfahrung bei: Connor Krempicki (26) verstärkt das zentrale Mittelfeld mit Drittliga-Kenntnissen aus Duisburg und Uerdingen, Torwart Dominik Reimann (24) stand für Holstein Kiel schon in der 2. Bundesliga im Tor und wird mit Augsburg-Leihgabe Benjamin Leneis (22) um die Behrens-Nachfolge rangeln. Und Box-to-Box-Spieler Amara Condé (24) ließ sich Titz von seiner früheren Station Rot-Weiss Essen direkt nach Magdeburg bestellen. Auf ihn sollte ein Auge geworfen werden: Condé bringt Physis, Spielintelligenz und starkes Zweikampfverhalten mit, kann defensivere, aber auch offensivere Rollen einnehmen. Er hat das Potenzial zum Star-Transfer.

Mehr als nur Baris Atik

Und die, die schon da sind? Unter denen stand der offensive Wirbelwind Baris Atik für Wochen im Fokus, denn keiner wusste, ob Atik tatsächlich bleiben würde. Als der 26-Jährige dann unterschrieb, wurde das von Fans gefeiert, auch wenn sie nicht wissen, wie lange Atik überhaupt an den Klub gebunden worden ist: Mittlerweile ist auch der FCM auf den Zug jener Klubs aufgesprungen, die einander und dem Rest der interessierten Fußballwelt nicht mehr die Laufzeiten der Arbeitspapiere verraten wollen. Sei es drum – Atik, der in 15 Rückrundenspielen ebenso viele Torbeteiligungen aufwies, ist mindestens ein weiteres Jahr dabei. Und schafft er es, seinen Durchbruch im Profifußball in kontinuierliche Leistungen umzuwandeln, hat er allemal das Potenzial, ein Topscorer der Liga zu werden.

Doch im Kader der vergangenen Saison steckt noch viel mehr. So erwischte der 20-jährige Andreas Müller ein außergewöhnliches Debütjahr, traf regelmäßig, war spielstarkes Bindeglied zwischen Defensive und Angriffsspiel. Von ihm darf ein nächster Entwicklungsschritt erwartet werden, der Müller in den Fokus weiterer höherklassiger Vereine bringt. Namensvetter Tobias Müller bleibt als Abwehrchef zugleich auch Kapitän, soll die zuletzt stabile Defensive (20 Gegentore in 19 Rückrundenspielen) weiter zusammenhalten. Ein gutes Jahr erwischte Raphael Obermair als variabler Flügelspieler, der das bestätigen will. Ganz vorne darf vom so durchsetzungsstarken Kai Brünker schließlich eine noch bessere Torquote erwartet werden – hier muss sich der 1. FC Magdeburg noch steigern, den attraktiveren Spielansatz in mehr als in die nur 42 zuletzt erzielten Tore ummünzen. Die fest verpflichteten Florian Kath (SC Freiburg) und Maximilian Franzke (St. Pauli) können ebenfalls eine wichtige Rolle einnehmen – wenn sie verletzungsfrei bleiben.

Auf dem Papier gut – aber wie gut?

Unter Schork und Titz hat sich der 1. FC Magdeburg einen spannenden Kader zusammengestellt, der mehr als je zuvor auf die Ausbildung hochveranlagter Talente abzielt: Einzig Alexander Bittroff (32) und Nico Granatowski (30) haben das dritte Lebensjahrzehnt schon vollendet. Es wird sich nach dem Kader-Umbruch eine neue Hierarchie herausbilden, keiner der jetzigen Profis hat die Zeit vor dem Zweitliga-Aufstieg 2018 selbst miterlebt. Startet der FCM gut in die Saison, könnte sich eine ähnliche Dynamik wie im Frühjahr entwickeln, Rückschläge aber müssen der wahrscheinlich jungen Startelf, die sich ab Ende Juli beweisen wird, gestattet werden. Gemeinsam mit der Kraft der zurückkehrenden Fans sollte die obere Tabellenhälfte das Mindestziel sein, vielleicht sogar das obere Drittel.

Wenn das schlimme Jahr 2020 etwas Gutes hatte, dann, dass das Wort "Aufstieg" am Heinz-Krügel-Platz so schnell nicht mehr fällt, das Umfeld bescheidener geworden ist. Perspektivisch aber ist jedem klar, dass auf die Rückkehr in die zweite Liga hingearbeitet werden muss. Die ersten Schritte dahin lassen sich – zumindest auf dem Papier – alles andere als schlecht an.

   
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