Kommentar: Türkgücü muss sein "Konzept" dringend hinterfragen

Nach gerade mal 64 Tagen im Amt ist Peter Hyballa am Dienstag als Trainer von Türkgücü München entlassen worden. Gesucht wird nun bereits der dritte (!) Trainer in dieser Saison und der fünfte (!) seit dem Aufstieg in die 3. Liga vor eineinhalb Jahren. Nicht nur deswegen muss Türkgücü sein "Konzept" dringend hinterfragen. Ein Kommentar.

Trainer-Halbwertszeit sinkt kontinuierlich

Dass der Trainerstuhl bei vielen Klubs eher einem Schleudersitz gleicht, ist bekannt. Den Chefcoach-Posten bei Türkgücü München allerdings mit einem Schleudersitz zu vergleichen, wäre maßlos untertrieben. Seit dem Aufstieg in die 3. Liga durften sich mit Alexander Schmidt, Serdar Dayat, Petr Ruman und Peter Hyballa innerhalb von 16 Monaten gleich vier verschiedene Trainer versuchen – Andreas Pummer, der zweimal als Interimscoach eingesprungen ist, den Verein aber mittlerweile ebenfalls verlassen hat, nicht mitgezählt.

Die Halbwertszeit der Türkgücü-Trainer nahm dabei kontinuierlich ab: Während Schmidt immerhin 23 Spiele an der Seitenlinie stand und trotz Platz 7 gehen musste, hielten sich Serdar Dayat und Petr Ruman anschließend nur noch elf beziehungsweise 13 Spiele. Für Hyballa war nun bereits nach acht Pflichtspielen Schluss. Es scheint, als würde der Geduldsfaden von Präsident und Investor Hasan Kivran immer kürzer, die Ambitionen und Ansprüchen gleichzeitig immer größer werden.

Kaderplanung wirkt planlos

Seit dem Drittliga-Aufstieg im Sommer 2020 hat Türkgücü nie einen Hehl daraus gemacht, mittelfristig in die 2. Liga aufsteigen zu wollen. Spätestens bis 2023 soll es soweit sei – so zumindest die Zielvorgabe im September 2020. Vor Beginn der laufenden Saison sprach Geschäftsführer Max Kothny davon, zur Spitzengruppe gehören zu wollen. Mit Platz fünf wäre der 24-Jährige allerdings nicht zufrieden, so die klare Aussage. Große Töne angesichts der Tatsache, dass die Münchner gerade mal ihre zweite Saison im Profifußball spielen. Die fehlende Expertise abseits des Platzes glaubt Türkgücü mit vielen Transfers und noch mehr Geld wettzumachen. Dass das nicht funktioniert, zeigte sich sowohl in der letzten, als auch in der laufenden Serie. Der Kader mit seinen 18 (!) Neuzugängen wirkt planlos nach dem Motto "Masse statt Klasse" zusammengestellt und wenig homogen – die Mischung aus Erfahrenen und jungen Talenten fehlt: So stand beim Spiel in Braunschweig gerade mal ein U23-Spieler in der Startelf. Mit einem Altersdurchschnitt von 26,8 Jahren verfügt Türkgücü nach dem SV Meppen über die zweitälteste Mannschaft der Liga.

Doch während es die Emsländer verstehen, dass es mehr braucht, als große Namen und Erfahrung, sehen nicht wenige Türkgücü-Kicker ihren Verein als Wohlfühloase am Ende ihrer Laufbahn. Ein bisschen kicken und gutes Geld verdienen, das reicht. Ambitionen? Fehlanzeige. "Wir verpflichten gute Spieler und bezahlen sie auch gut. Aber dann erwarten wir auch volle Leidenschaft und Leistung", hatte Kothny zuletzt die Einstellung mancher Akteure kritisiert. Die Mannschaft müsse sich mit den Zielen des Vereins identifizieren. "Aber das sehe ich einfach nicht. Stattdessen sehe ich seit Wochen Sattheit", musste Kothny feststellen. Innerhalb des Teams scheinen die Worte allerdings wirkungslos verhallt zu sein, zumal sich der Geschäftsführer bereits im September ähnlich geäußert hatte: "Es kann doch nicht der Anspruch eines Klubs sein, die Einstellung zu haben: 'Wenn wir hinten liegen, ja mei, dann ist das eben so. Dann ist das Spiel sowieso gelaufen.' Das geht nicht!"

Aufstieg lässt sich nicht erzwingen

Türkgücüs Plan ist durchschaubar: der Aufstieg in die 2. Bundesliga soll erzwungen werden – und zwar so schnell wie möglich. Denn in der 3. Liga rechnet sich Kivrans Investment nicht. Also wird viel Geld in eine ohne erkennbares Konzept zusammengestellte Mannschaft gesteckt, die dann zu liefern hat. Tut sie das nicht, wird binnen 16 Spieltagen eben zweimal der Trainer gewechselt – auch das ohne langfristigen Plan. Gelingt auch unter Chefcoach Nummer drei nicht die schnelle Wende, ist im Winter wieder eine größere Transferoffensive zu erwarten. Und führt das ebenfalls nicht zum Erfolg, wird der Trainer eben nochmal gewechselt. Oder Kivran schmeißt – wie letztes Jahr kurz vor Weihnachten – hin, nur um ein paar Wochen später dann doch weiterzumachen.

Es zeigt sich: Statt einen langfristigen Plan zu verfolgen, setzt Türkgücü auf das "Hire-and-fire"-Prinzip. Dass das allerdings noch nie den Aufstieg gebracht hat und sich auch schnell in die andere Richtung entwickeln kann (Stichwort KFC Uerdingen), ist zu den Münchnern augenscheinlich noch nicht durchgedrungen. Türkgücü wird sein "Konzept" dringend hinterfragen müssen – ansonsten dürften die Tage im Profifußball schon bald gezählt sein – dann über mehrere Jahre wird sich Kivran, mit dem alles steht und fällt, die 3. Liga sicherlich nicht antun. Zumal das Fan-Interesse überaus gering ist: Mit durchschnittlich 1.198 Fans pro Heimspiel belegt Türkgücü den letzten Platz in der Zuschauertabelle. Von den einst anvisierten 5.500 Besuchern sind die Münchner weit entfernt. Den Zuspruch derart falsch eingeschätzt zu haben – Corona-Auswirkungen hin oder her – passt dabei ins Bild.

   
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