Kommentar: Diesen Abgang hat Joe Enochs nicht verdient
Mehr als zwei Jahre lang betreute Joe Enochs den VfL Osnabrück als Cheftrainer. Anfangs galt er als perfekte Lösung – es wäre ein Märchen geworden, wenn der US-Amerikaner, die Identifikationsfigur des Vereins, mit den Lila-Weißen große Erfolge gefeiert hätte. Stattdessen geht der Mittwoch als dunkler Tag in die Geschichte des Klubs ein. Mit einem Abgang, den Enochs nicht verdient hatte. Ein Kommentar.
Ein Trainer muss nicht immer ein Lautsprecher sein
Nicht viele Trainer haben als letztes Spiel vor der eigenen Freistellung einen 5:0-Erfolg in der Akte stehen. Zugegeben handelte es sich lediglich um ein Spiel im Landespokal gegen einen zwei Klassen tieferen Fußballverein, der aus Feierabendspielern besteht. Und doch zeigte es, dass die Spieler des VfL Osnabrück bis zuletzt gewillt waren, ihrem Übungsleiter Rückendeckung zu bescheren. Auch tönten wenige Misstöne von Spielern an die Öffentlichkeit. Im zwischenmenschlichen Bereich fand Enochs stets die richtigen Worte. Manche werden sagen, er war zu brav und das habe ihn letztendlich den Job gekostet. So ein Quatsch. Nicht immer muss der Coach emotional sein, einen Lautsprecher darstellen oder draufhauen. Enochs war eine angenehme Abwechslung zu seinen Vorgängern Maik Walpurgis und Claus-Dieter Wollitz. Und er schaffte in den schwersten Jahren des VfL seit Drittliga-Abstieg 2011 bemerkenswerte Ergebnisse.
2015 hatte er die Niedersachsen eigentlich nur als Übergangslösung betreut. Er übernahm seine Herzensangelegenheit auf einem Abstiegsplatz und führte den VfL mit Geduld und Zielstrebigkeit schon zum Ende der Hinrunde 2015/16 in die Aufstiegsregion. In der Dunkelheit der Stuttgarter Waldau fühlte sich Osnabrück am 18. März 2016 vor 765 handgezählten Besuchern der 2. Bundesliga nah, als Halil Savran einen Vier-Punkte-Vorsprung auf den vierten Platz herausschoss. Dann stotterte der Motor gewaltig. Schlussendlich hatte der VfL keine Chance gegen die Konkurrenz, Enochs wurde hart kritisiert. Ein Jahr später, Osnabrück hatte mit David Pisot und Marvin Schwäbe die beiden besten Spieler ziehen lassen, beförderte sich Lila-Weiß unter Enochs abermals auf die vordersten Plätze. Der Kalifornier führte den VfL zu beiden Derbysiegen. An der Bremer Brücke wurde gefeiert, ehe die berüchtigten letzten sieben Spieltage kamen. Wieder brach der VfL ein. Enochs wurde neuerlich zur Rechenschaft gezogen.
Enochs lebte den Verein
So oft stand der US-Amerikaner kurz vor dem Rauswurf. Immer wieder ließ er sich den unglaublichen Druck, der auf seiner Person lastete, kaum anmerken. Er kaschierte die sportlichen Sorgen, die ihn selbst um ein Vielfaches mehr mitnahmen als fast alle seiner Amtskollegen. Joe Enochs lebte den Verein, der VfL war – und ist – für ihn so viel mehr als bloß eine Station der beruflichen Laufbahn. Es schmerzte selbst als Außenstehender, den Umgang einiger Fans mit ihm sehen zu müssen. Fans, die zu Beginn der Enochs-Ära an der Scharnhorststraße im Jahr 1996 nicht einmal geboren waren. Nach der herben 1:4-Pleite gegen Preußen Münster ließen sich einige dazu hinreißen, an Enochs Wohnort zu pöbeln. So weit war es gekommen – und selbst das ließ Enochs unkommentiert. Er verstand doch jede Kritik an seiner Person, jede Sorge um den Verein. Schließlich war er stets ein Teil vom Club gewesen, in den vergangenen zwei Jahren nur eben ein besonders relevanter. Und er war stets zu höflich, mit der Faust auf den Tisch zu hauen.
Das galt sogar für die letzten Tage, in denen ihn die Reporterschaft rund um den VfL Osnabrück nahezu täglich zu ausführlichen Videointerviews bat und ihm die anstehende Entlassung stets aufs Neue unter die Nase rieb. Joe Enochs, wer übernimmt die Verantwortung für die sportliche Krise? Joe Enochs, sind Sie noch der Richtige für den Club? Joe Enochs, wie lautet ihr Gefühl, ob Sie morgen noch Trainer sein werden? Enochs antwortete immer. So genervt er auch sein mochte. Es war die gelebte Vorbildfunktion, die ein Akteur im Profifußball als Person öffentlichen Interesses stets ausführen sollte und an der doch so viele scheitern. Indem sie unflätig reklamieren, indem sie nachkarten, indem sie sich auf jegliche Art und Weise unfaire Vorteile verschaffen.