„Hurra, das ganze Dorf ist da!“

Viele deutsche Fußball-Klubs kämpfen mit finanziellen Problemen. Das große Zittern beginnt jährlich zur Lizenzvergabe durch die Deutsche-Fußball-Liga (DFL). Ein alljährlicher Wackelkandidat ist die SpVgg Unterhaching: Ein knallharter Sparkurs plagt die Münchner Vorstädter. liga3-online.de hat sich bei Deutschlands ärmstem Profi-Fußballklub umgesehen und sich von Präsident Manfred „Manni“ Schwabl erklären lassen, wie dieser den klammen Verein bald zurück in die 2. Bundesliga führen will – trotz Geldsorgen.

Wir befinden uns im Jahre 2000 nach Christus. Ganz Fußball-Deutschland ist von Vereinen mit finanzstarken Großinvestoren besetzt… Ganz Fußball-Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Oberbayern bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die etablierten Vereine, von denen das Dorf als sicherer Punktelieferant belächelt wurde…

Nein, die Rede ist nicht von den gallischen Kriegern um Asterix und Obelix, sondern von der Spielvereinigung Unterhaching – einem Fußballverein, beheimatet vor den Toren Münchens. Der Vergleich zu den unbeugsamen Galliern liegt dennoch nah. Die Spielvereinigung hält nämlich einen beeindruckenden Rekord: Sie ist der Verein aus der kleinsten Gemeinde, die jemals einen Klub in der 1. Bundesliga gestellt hat. Ganze zwei Spielzeiten, im Zeitraum von 1999 bis 2001, flogen den Rot-Blauen die Herzen vieler Fußballbegeisterter weltweit zu – mit einem ganz speziellen Höhepunkt.

Meistermacher! Bayern-Bezwinger! Hallenchampion!

Das kurze Gastspiel der Spielvereinigung in der höchsten deutschen Fußballliga war turbulent und intensiv zugleich. Im ersten Jahr erkämpfte sich die Mannschaft von Aufstiegs-Trainer Lorenz-Günther Köstner den zehnten Tabellenplatz und landete damit vor Schalke 04 oder Borussia Dortmund. Hachings Anhänger tingelten mit einem besonderen Schlachtruf durch die Republik: „Hurra, das ganze Dorf ist da“, sangen sie selbstironisch. Weltweite Bekanntheit erlangte der Klub wegen der letzten Partie in der selben Saison: Bayer 04 Leverkusen, um den späteren Nationalmannschafts-Kapitän Michael Ballack, reiste als Tabellenführer nach Unterhaching und brauchte lediglich einen Punkt, um erstmals Deutscher Meister zu werden.

Kein Durchkommen: Bayern-Star Mehmet Scholl scheitert beim Freistoß an Hachings Mauer.

Alles kam anders: Eben jener Ballack wurde zum tragischen Held und leitete durch sein Eigentor Leverkusens 0:2-Niederlage ein. Leverkusens Spieler, Verantwortliche und Fans trauerten – während Andere wenige Kilometer entfernt feierten: Unterhaching hatte den großen FC Bayern München im letzten Moment zum Deutschen Meister gemacht. „Das war ein großes Thema in München“, sagt Hachings aktueller Trainer und Ex-Bayernprofi Christian Ziege. „Bayern und Unterhaching haben damals gemeinsam gefeiert.“ Und Medien aus der ganzen Welt berichteten über die Münchner Vorstädter.

Die Meistermacher-Mannschaft besiegte in der folgenden Saison die beiden großen Nachbarn – den FC Bayern mit 1:0, den TSV 1860 mit 3:2 – im heimischen Sportpark und holte sich zudem völlig überraschend den Titel des Deutschen Hallenmeisters. Prominente Anhänger unterstützten den Verein, darunter Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) und Moderatorin Andrea Kaiser. Ein Mythos war geboren – der vom Dorfverein, der mitspielt im Konzert der Großen. „Wie kam es damals zu diesen Erfolgen?“, fragt der aktuelle Präsident Manfred „Manni“ Schwabl. „Durch kontinuierliche, vernünftige Arbeit!“

Chronisch klamme, graue Maus

Dann folgte der Absturz – sportlich und finanziell. Nach dem Abstieg aus der Bundesliga musste der chronisch klamme Verein nach nur einer Saison den bitteren Gang in die Regionalliga antreten und spielt seit 2008 in der eingleisigen Dritten Liga. Haching ist zur grauen Maus verkommen und entrinnt jedes Jahr nur knapp dem Absturz in die Regionalliga und damit in die absolute Bedeutungslosigkeit. Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Kürzlich mussten der kaufmännische Leiter Reinhold Betzendörfer (nach 25 Dienstjahren) und Phsysiotherapeutin Nelly Le Berre (nach 15) gehen – aus Kostengründen. „Ich muss im Sinne des Vereins handeln“, rechtfertigt Schwabl den harten Schnitt. „Wir geben nicht mehr Geld aus, als wir einnehmen. Punkt. Fertig.“

Gespart wird auch beim Profikader. Unterhaching hat mit unter einer Million Euro seit Jahren den niedrigsten Etat aller deutscher Profimannschaften. Dieser soll jetzt weiter gesenkt werden – auf eine halbe Million Euro. Präsident Schwabl wirbt für Verständnis: „Es wäre schwieriger, in der Verwaltung zu kürzen und für die Profis Geld raus zu hauen, dass es scheppert“.

Problematische Sponsorensuche

Auch bei der Sponsorensuche hapert es. Nach dem Ausstieg des Versicherers "Generali" im Jahr 2010 spielte die Spielvereinigung zwei Jahre lang mit blanker Brust. Diese zwei Spielzeiten rissen ein tiefes Loch in den Etat. Seit 2001 sponsert der Bonbonhersteller Alpenbauer die SpVgg. Geschätze Einnahmen: 200.000 Euro. Zum Vergleich: Generali zahlte über eine Million, jahrelang. Ligakonkurrent Hansa Rostock erhält vom Brausehersteller Vita Cola gut 400.000 Euro. Immerhin: Der Vertrag mit dem oberbayerischen Bonbonhersteller wird wohl verlängert. Dennoch: „Es ist nicht einfach im Drittligafußball gute Sponsoren zu finden. Da müssen wir weiter hart arbeiten“, gibt Schwabl zu.

Schwabl hat ein ambitioniertes Ziel: den Verein schuldenfrei bekommen. Seit er das Präsidentenamt im Juni 2012 von Engelbert Kupka (39 Jahre ununterbrochen im Amt) übernommen hat, fährt er einen strikten Konsolidierungskurs. „Wir müssen diesen Weg gemeinsam mit unseren Zuschauern und Fans gehen“, sagt er. „Wir können nicht zaubern!“

Vernunft ist eingekehrt bei der Spielvereinigung. Das war nicht immer so. Noch vor vier Jahren – unter Kupkas Führung – ließ sich der Verein von einem dubiosen Geschäftsmann hinter‘s Licht führen: Ein Unbekannter versprach Sponsorengelder in Höhe von bis zu fünf Millionen Euro, Verträge wurden geschlossen. Das Problem: Der mysteriöse Mäzen zahlte nicht und verschwand wenig später von der Bildfläche. Die Staatsanwaltschaft ermittelte –  und Haching wartet bis heute auf eine Überweisung.

Drastische Maßnahmen – große Wirkung?

Die Posse um den Investor kostete die Spielvereinigung damals beinahe Kopf und Kragen. Die Vereinsführung hatte mit dem zugesagten Geld geplant und den Drittliga-Etat daran ausgerichtet. Die Pleite drohte – und konnte letztlich nur knapp verhindert werden. Unter Manfred Schwabl kann so etwas nicht passieren.

Spart eisern: Hachings Präsident Manfred Schwabl (re.) – hier mit Vorgänger Engelbert Kupka.

Der geht selbstbewusst seinen Weg: Um weitere Kosten zu sparen, plant Schwabl jetzt den nächsten kuriosen Schritt: Er will ab der kommenden Saison Verträge abschließen, die mit 250 Euro Grundgehalt pro Monat dotiert sind. „Natürlich trifft das nur die ganz jungen Spieler, die bisher nichts geleistet haben“, sagt der Ex-Bayernprofi.

Die Spielvereinigung ist für hervorragende Jugendarbeit bekannt und hat mit Christian Ziege einen Trainer, der junge Talente besonders fördert. „Es gibt genügend Spieler, die mit dem Fahrrad herfahren würden, um diese Chance zu bekommen“, erklärt Präsident Schwabl selbstbewusst.

Schaufenster Dritte Liga. Ganz unrecht hat Schwabl mit seiner These nicht. In den vergangenen Jahren gab es unzählige Spieler, die aus unterklassigen Vereinen nach Unterhaching gewechselt sind und die Spielvereinigung nach wenigen Spielzeiten – in Richtung höherklassiger Vereine – wieder verlassen haben. Einer von ihnen ist Maximilian Welzmüller (kam vor zwei Jahren aus der Regionalliga von der SpVgg Greuther Fürth II). Hachings Ex-Kapitän wechselte nach der abgelaufenen Saison zum Zweitligisten VfR Aalen. „Ich habe der Spielvereinigung sehr viel zu verdanken, im Verein wird hervorragend gearbeitet“, sagt er. „Trotzdem hat jeder Spieler das Ziel, höherklassig zu spielen.“

Talentschmiede – für die Konkurrenz

Das ist Hachings großes Problem: Der knallharte Sparkurs hat zur Folge, dass viele Leistungsträger den Verein schnell wieder verlassen. Robert Zillner (Fürth), Stefan Riederer (Chemnitz), Patrick Ziegler (Paderborn), Sascha Bigalke (Köln), Florian Niederlechner (Heidenheim), Janik Haberer (Hoffenheim) oder zuletzt Maximilian Welzmüller und Thomas Steinherr (beide Aalen) – sie alle sind Beispiele für Unterhachings herausragendene Jugendarbeit, aber auch für das Dilemma des Klubs. „Dieser Radikalkurs mit Spielerverkäufen ist eine Momentaufnahme“, beschwichtigt Präsident Schwabl. „Wir müssen uns hart erarbeiten, dass wir irgendwann Leistungsträger halten und oben angreifen können.“

Die Jugendarbeit ist Hachings großer – weil einziger – Trumpf. Der Verein ist zertifiziertes DFB-Nachwuchsleistungszentrum und formt immer wieder Jugendnationalspieler wie Janik Haberer, Michael Zetterer oder Marius Duhnke. Haching betreibt hohen Aufwand im Scouting-Bereich und investiert hohe Summen in Nachwuchsförderung. „Es ist nicht so, dass wir schlafen“, sagt Schwabl. „Wir sparen überall Geld, um es in unsere Jugendmannschaften investieren zu können.“ Zukünftig soll sich der Profikader aus Eigengewächsen speisen. Teure Zukäufe von außen wären dann nicht mehr nötig.

Fernziehl 2. Bundesliga

Einigen Fans stinkt Schwabls rigider Sparkurs gewaltig: „Das Präsidium spart uns kaputt“, wettert einer, der nicht namentlich genannt werden will. „Diese Herren riskieren, dass unser Verein vor die Hunde geht.“ Schwabl selbst ist ein Kämpfer – aufgeben liegt ihm fern. „Mit Sicht auf fünf Jahre will ich Unterhaching zu einem wirtschaftlich gesunden Zweitligisten machen“, sagt er. „Vielleicht werden wir dann wieder das gallische Dorf von einst.“

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FOTOS: SpVgg Unterhaching

   

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