Rafati im Interview: "Heute stehe ich zu meinen Schwächen"

25 Jahre war Babak Rafati Schiedsrichter, 2008 schaffte er es sogar auf die FIFA-Liste. Insgesamt leitete der heute 44-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit- und 13 Drittliga-Spiele. Im November 2011 folgte dann jedoch der Schock: Vor der Bundesliga-Partie zwischen dem 1. FC Köln und dem FSV Mainz 05 beging Rafati einen Suizidversuch, der in Deutschland für großes Aufsehen sorgte. Wie sich später herausstellte, waren Burnout und Depressionen der Grund für den versuchten Suizid. Rafati wurde glücklicherweise rechtzeitig in seinem Hotelzimmer gefunden und begab sich danach in eine intensive Therapie, die ihm das Leben rettete. 2013 veröffentlichte er das viel beachtete Buch "Ich pfeife auf den Tod!“, welches überaus viele gute Kritiken erhielt. Ab sofort unterstützt Babak Rafati die Redaktion von liga3-online.de als Schiedsrichter-Experte. Bevor er diese Tätigkeit mit dem 29. Spieltag aufnimmt, sprach er im Interview mit unserer Redaktion über den Suizidversuch und die anschließende Therapie, die Gründe für seine Depressionen und über den öffentlichen Druck auf die Schiedsrichter.

liga3-online.de: Hallo Herr Rafati. Wie geht es Ihnen?

Babak Rafati: Mir geht es gut und ich bin wieder gestärkt aus der Krise zurück im Leben und habe Kraft geschöpft für neue Herausforderungen.

Wie hat sich Ihr Leben nach dem Suizidversuch und der anschließenden Therapie verändert?

Die Therapie war für mich wie ein Sechser im Lotto. Ich sehe Altes mit neuen Augen und ich habe gelernt, eine gesunde Reaktion für ungesunde Umstände zu entwickeln.

In Vorlesungen und Vorträgen gaben Sie Ihre Erfahrungen mit dem Thema Depression weiter. Welche Reaktionen erhalten Sie?

Ich bin in der freien Wirtschaft und bei Führungskongressen in Deutschland, Schweiz und Österreich zum Thema Präventions-Strategien gegen Burnout und Stressmanagement als Referent tätig und habe eine Agentur gegründet. Die Reaktionen sind imponierend, was allein die Tatsache zeigt, dass ich immer gut ausgebucht bin. Auch arbeite ich mit diversen Redneragenturen zusammen, die renommiert und führend in Europa sind. Zudem biete ich meine Dienste für Persönlichkeiten und VIP’s als Mentalcoach an.

Was gab am 19. November 2011 letztendlich den Ausschlag für den Suizidversuch? Wie lange haben Sie diesen "vorbereitet“?

Durch die menschenverachtenden Umgangsformen meiner Vorgesetzten im Schiedsrichterwesen war mein Hirn erkrankt und nicht mehr in der Lage, für das Hirn zu denken. Meine Werte Respekt, Menschenwürde, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit waren mit Füßen zertreten. Der Hass und Wut über diese Menschen und über mich selbst, mich überhaupt so weit treiben zu lassen, haben mir die Kraft zum Leben genommen, so dass ich in dieser Nacht im Hotelzimmer alles was mir in die Hände kam, als Waffe eingesetzt habe, um den hässlichen und brutalen Film der seelischen Misshandlungen abzuschalten. Eines werde ich nie vergessen: Am liebsten hätte ich die Tür im Hotelzimmer aufgerissen und ganz laut in die Welt geschrien: "Ich wollte doch nur als Mensch behandelt werden!“

Hat Sie der Gedanke, Ihre Frau auf diese Art und Weise zurückzulassen, nicht gestört?

Ein wesentlicher Bestandteil der Krankheit Depression ist die Unterdrückung von Gefühlen. Es existiert sowohl keine Selbstliebe als auch keine Nächstenliebe. Ich habe zudem nie an den Tod gedacht. Meine Frau sieht mich trotz dieser Tat als ein Geschenk Gottes zum zweiten Mal in ihrem Leben an. Das ist wahre Liebe!

Wie haben Sie damals reagiert und was haben Sie gedacht, als man Sie zum Glück noch rechtzeitig in der Badewanne gefunden hat?

Schamgefühl, das Gefühl ein Feigling zu sein, Demaskierung, denn jeder hatte meine Schwäche erkannt. Damals war das mein einziger Ausweg und der hatte fehlgeschlagen. Danach war ich eine tickende Zeitbombe und wollte es diesmal geplant durchführen.

2013 haben Sie ein Buch mit dem Titel „Ich pfeife auf den Tod!“ geschrieben. Was gab den Anlass, dieses Buch zu schreiben?

Was in meinem Fall passiert ist, ist sehr tief abgründig und darf in der Menschheit niemals wieder passieren. Kein Problem nur im Spitzensport, vielmehr ein Gesellschaftsphänomen in unserem Berufsalltag.

Robert Enke hat uns stellvertretend für zigtausend andere Menschen eine Aufgabe hinterlassen und einen Hilferuf gesendet, die bis heute nicht erhört wurde und über den wir immer noch reden. Leider sind wir immer noch handlungsunfähig.

Mein Fall ist ein Paradebeispiel, welche Fehler ein Angestellter auf der einen und welche Fehler im Umgang von Führungskräften auf der anderen Seite gemacht werden können. Ich möchte aufklären und enttabuisieren sowie präventiv einwirken.

Ihre Frau war zunächst dagegen, dass Sie das Buch schreiben. Warum?

Für meine Frau waren die Ereignisse ein Trauma. Sie hat mich fast schon im Grab gesehen und mich dabei fast unter diesen Umständen für immer verloren. Sie hatte Angst, dass ich durch die Enthüllung der Missstände beim DFB das Medienecho nicht ertrage und erneut  einen Rückschlag erleide. Also aus Angst um mich. Letztendlich haben wir gemeinsam entschieden, dass wir Millionen anderen Menschen helfen möchten, damit ihnen nicht das Gleiche widerfährt.

Inwiefern hat Ihnen das Schreiben des Buches geholfen, über die Erlebnisse und letztendlich über die Depression hinweg zu kommen?

Gefühle niederschreiben, weinen während des Schreibens, verarbeiten statt zu verdrängen, greifbar zu machen um zu verstehen, warum Menschen andere schwächen müssen, um sich dabei stark zu fühlen, warum ich so exzessiv reagiert habe und mich zu reflektieren… All das hat mir geholfen, die Zusammenhänge ganzheitlich zu verstehen. Ich war damals schwach für diese Umgangsformen. Schwach von mir war nicht meine Schwäche dafür, denn das ist menschlich, sondern mir das nicht einzugestehen. Heute stehe ich zu meinen Schwächen und das macht mich so ungemein stark!

In Ihrem Buch berichten Sie sehr ausführlich über das Mobbing des Vorsitzenden der DFB-Schiedsrichter-Kommission Herbert Fandel und DFL-Schiedsrichter-Experte Hellmut Krug. Was hat das damals mit Ihnen gemacht und wie würden Sie heute damit umgehen?

Ich habe ein Buch geschrieben und das Kapitel um diese Menschen für mich abgeschlossen. Mir geht es nicht um Schuldige und das Was in der Vergangenheit, sondern um das Wie in der Zukunft. Daher vermittle ich Strategien im Stressmanagement und gegen Burnout, damit sich Betroffene in unserer Gesellschaft präventiv schützen können. Solche Menschen wie meine Vorgesetzte kann man nicht ändern, lediglich seine eigene Sichtweise.

Warum ist das Thema „Depression“ trotz der Tragödie um Robert Enke und Ihrem Fall weiterhin ein Tabu-Thema im Profifußball?

Selbst der DFB-Präsident, Wolfgang Niersbach, hat neulich in einem Interview gesagt, dass sich nach dem tragischen Fall um Robert Enke nichts verändert habe. Diese Aussage ist alarmierend und bedrohlich und spiegelt zugleich eine große Hilflosigkeit wieder. Aus einigen vertraulichen Gesprächen weiß ich, dass in den Vereinen großer Bedarf an Aufklärung besteht, weil es Betroffene gibt, diese aber sich niemals freiwillig outen würden. Wir haben eine einmalige Chance im Fußball und eine große gesellschaftliche Verantwortung und müssen in den Profivereinen  das Thema offensiv kommunizieren. Es wäre ein großer Schritt auch für die Gesellschaft, wenn der Spitzensport diese Konzepte federführend vermitteln würde. Das wäre der gewünschte Durchbruch und eine Revolution. Ich selbst stehe in Verhandlungen mit einer Profiliga im Ausland dieses Thema anzugehen.


Hätte man das Leben von Enke retten können, wenn man damals in der Öffentlichkeit anders mit dem Thema umgegangen wäre?

Das steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Ich kann nur sagen, dass mir so ein schwerer Schicksalsschlag ganz sicher nicht passiert wäre, wenn ich vorher die Erfahrungen und Gedankengänge sowie die Auswirkungen von einem Spitzensportler erfahren hätte.

Was würden Sie jungen Schiedsrichtern, die gerade am Anfang ihrer Karriere stehen, mit auf den Weg geben?

Die Schiedsrichterei hat mein Leben geprägt. Ich war 25 Jahre Schiedsrichter, davon 23 Jahre auf der Sonnenseite und zudem international als FIFA-Schiedsrichter Repräsentant des deutschen Fußballs. Die letzten zwei Jahre waren die Hölle, was aber nichts unmittelbar mit der Schiedsrichterei zu tun hatte. Die Gründe lagen wo anders. Ich würde jedem jungen Menschen empfehlen Schiedsrichter zu werden, weil man viele Werte und Tugenden erlernt und diese für das private wie auch das berufliche Umfeld elementar wichtig sind.

Schiedsrichter, gerade in der Bundesliga, stehen unter großem öffentlichen Druck. Wie geht man damit um und wie sind Sie früher damit umgegangen?

In der Spitze kann jeder damit umgehen. Auch ich bin damit professionell umgegangen, weil unsere Führungskraft Volker Roth damals alle Schiedsrichter intern unter vier Augen deutlich, aber konstruktiv und lösungsorientiert kritisierte und immer bestrebt war, uns vor der Öffentlichkeit und den Medien zu schützen, ähnlich wie bei Trainern mit ihren Spielern. Das ist angemessene Führungskompetenz und zeugt von Respekt und Wertschätzung. Wir sprechen also nicht von der Brutalität des Spitzensports, sondern von intellektuell, menschlich und geistig vollkommen unwürdigem Verhalten von Machthabern.

Von den Bundesligaprofis wurden Sie in Umfragen insgesamt vier Mal zum „schlechtesten Schiedsrichter“ der Bundesliga gewählt. Wie sind Sie damals damit umgegangen?

Das war nicht relevant für meinen Fall. Auch Herbert Fandel, der Schiedsrichter-Chef, und Wolfgang Stark, unser WM-Schiedsrichter, wurden zum „schlechtesten Schiedsrichter“ gewählt. Die Umfrage ist somit kein Qualitätsmerkmal. Ich will aber nicht verschweigen, dass ich natürlich auch Fehlentscheidungen getroffen habe und mein Auftreten arrogant war. Übrigens wurde ich im Dezember 2007 von den Kicker Redakteuren zum notenbesten Schiedsrichter der Vorrunde gewählt, was in den Medien niemals erwähnt wurde.

Wie verfolgen einen die Anfeindungen seitens der Fans oder der Medien?

Das ist eine Frage der Führungskultur und der Sozialkompetenz. Solange die Führung einen davor schützt, ist das kein Problem. Kritisch und bedrohlich wird es erst, wenn die „schützende Mauer“ seitens der Führung fällt und sie mit den Medien kooperieren und hinter den Kulissen diese auch noch instrumentalisieren…

Braucht der Fußball mehr Menschlichkeit?

Dieses Bedürfnis ist kein Problem nur im Spitzensport, vielmehr ein Gesellschaftsphänomen. Aber der Fußball könnte aufgrund seiner gesellschaftlichen Vorbildfunktion und seiner Reputation  das raubtierkapitalistische Denken in der Gesellschaft verändern, indem er sich aufrichtig und nicht scheinheilig um die gesellschaftlichen Belange kümmert: Depression und Homosexualität um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen.

Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal ein Bundesliga-Spiel zu pfeifen?

Nein, das schließe ich aus. Ich könnte mir vorstellen im Ausland als Schiedsrichter oder Mentor zu arbeiten. Vielleicht kommt mal ein Spielerberater auf mich zu und vermittelt mich ins Ausland. In Deutschland wäre ein Job als TV-Experte denkbar. Mir liegt auch ein Angebot von einem Verein als Schiedsrichter-Berater vor.

In diesem Jahr erscheint ein Dokumentarfilm über Sie. Worum geht es in dem Film und was dürfen die Zuschauer erwarten?

Der Klassiker! Leistungsdruck + systematisches Mobbing + selbst gemachte Fehler = Depression mit der Folge des Suizidversuchs. Es geht darum, meinen Weg in die Volkskrankheit Nr.1 Depression aufzuzeigen. Es wird auch deutlich, dass es jeden treffen kann, auch starke Persönlichkeiten. Außerdem ist Depression keine Schwäche. Das Thema soll aufzeigen und sensibilisieren, dass die Krankheit heilbar ist und eine Therapie ein Leben verändern kann. Auch die Rolle der uneingeschränkten Liebe der Familie ist ein zentraler Wegbegleiter zurück ins erfüllte Leben. Mein Weg zurück ins Leben und in die Gesellschaft soll alle Menschen ermutigen, alles was sie krank macht und erschöpft hinter sich zu lassen. Loslassen, Achtsamkeit, radikale Akzeptanz, Balance und Gleichgewicht um einige Faktoren zu nennen sind der Weg zur Selbstbestimmung.

Eine Begleitung mit der Kamera zu einem meiner Vorträge bei einem Führungskongress zeigt auch meine neue Tätigkeit als Referent.

Eine Geschichte des Untergangs, einer Therapie und ein Happy End durch die Auferstehung !

 

Vielen Dank für das Interview!

   

Das könnte Sie auch interessieren

Auch interessant

Back to top button