Analyse zum VfL Osnabrück: Aufbruch trotz Abstieg?

Weltuntergangsstimmung suchte man an der Bremer Brücke des VfL Osnabrück am Sonntagnachmittag vergebens – jeder war auf den Abstieg vorbereitet. Ursachen gibt es so einige, mit dem Status als Fahrstuhlverein können die meisten Lila-Weißen ohnehin leben. Und wer weiß, vielleicht bieten sich schon in der kommenden Saison neue Angriffschancen? Eine Analyse.

Mit positivem Trotz zum neuen Anlauf

Im Moment der traurigsten Gewissheit war vielen der 2.000 VfL-Fans ganz und gar nicht danach, Tränen zu vergießen. Einige starteten Sprechchöre, andere applaudierten, der Stadionsprecher kündigte trotzig die Rückkehr an. Ein Aufbruch trotz Abstieg? Die erste, kleine Grundlage hat der VfL Osnabrück am vergangenen Sonntag mit dem 3:1-Sieg über den FC Ingolstadt womöglich gelegt. Doch viel Arbeit steht bevor, und wer sich an die sportliche Aufarbeitung nach einer katastrophalen Rückrunde machen darf, ist noch nicht bekannt. Es gilt, einiges besser zu machen, um möglichst weich zu fallen. Einfacher gesagt als getan, denn einen schlimmeren Zeitpunkt als diesen, an dem die Corona-Pandemie mit ihren dauerhaften Einnahmeausfällen wohl jedes Sparbuch im Profifußball empfindlich geschrumpft hat, gibt es kaum.

Der siebte Zweitliga-Abstieg an der Bremer Brücke hat nicht die eine Ursache. Natürlich war da der Abgang von Erfolgstrainer Daniel Thioune, der perfekt zu diesem ehrlichen Standort passte, aber die nächste Herausforderung suchte – und ein Lose-Lose-Szenario heraufbeschwor: Thioune scheiterte am Hamburger SV, und Osnabrück scheiterte am Versuch, seine Identifikationsfigur zu ersetzen. Der erste Nachfolger Marco Grote scheiterte trotz tollen Auftakts (acht Pflichtspiele ohne Niederlage!), weil er inmitten dieser Hinrunde irgendwie den Drive verlor. Mit einem sang- und klanglosen 1:4 gegen Nürnberg endete im November 2020 der Heim-Nimbus – oder das, was von ihm übrig war. 13 Heimspiele in Folge brachten null Punkte, ein bitterer Negativrekord im deutschen Profifußball. Jeder, der die spezielle Atmosphäre in Osnabrück einmal erlebt hat, der ahnt: Mit Fans wäre diese blamable Bilanz wohl nie zustande gekommen.

Kein glückliches Händchen

Dafür genügte auch schon der Anblick des Relegationsrückspiels. Was arbeitete, was kämpfte diese Mannschaft, um das fast unaufholbare 0:3 gegen Ingolstadt noch zu egalisieren. Im Moment, als es zu spät schien – und letztlich auch war – zeigten die Spieler ihr Gesicht, zeigten sie die Leidenschaft, die Osnabrück so oft ausgemacht hat. Es genügte nicht, zum vierten Mal seit 2009 – davon dreimal als Zweitligist – scheiterte der Klub in der Relegation. Und so verdient der Abstieg allein aufgrund der schlimmen Rückrunde (elf Punkte aus 17 Spielen) war, so unnötig wirkte er. Anders als manch anderer Absteiger in den deutschen Profiligen hatte Osnabrück ja die Basics in dieser Mannschaft. Doch auch Grotes Nachfolger Markus Feldhoff, ein sachlicher, vielleicht etwas zu nüchterner Arbeiter für den Endspurt, konnte diese nicht mehr regelmäßig zutage fördern.

Wie bei den Trainern hatte der VfL auch auf dem Spielermarkt kein glückliches Händchen. Am Ende fehlte viel Torgefahr. Allein schon den giftigen Marcos Alvarez konnte der VfL im Sommer als auch in diesem Winter, als das Offensivproblem abseits des Glücksgriffes Sebastian Kerk durchaus sichtbar war, nicht gleichwertig ersetzen. Ebenso mangelte es defensiv an Konstanz und Qualität, den eigenen Spielstil umzusetzen, ohne anfällig zu werden. Den Spagat, aus geringen Mitteln Konkurrenzfähigkeit herzustellen, schaffte der im Vorjahr noch gelobte Benjamin Schmedes letztlich nicht. Dabei vermittelte der VfL gerade in der Hinserie immer wieder ein anderes Gefühl, baute Selbstvertrauen auf. Umso bitterer war, wie sich dieses nach einigen, heftigen Negativerlebnissen zu Jahresbeginn in Luft auflöste.

Fahrstuhlverein!?

Ein Blick auf die Ewige Tabelle der 3. Liga genügt, um zu erkennen: Dieser Verein scheint – zumindest seit der Gründung der Spielklasse im Jahr 2008 – hierher zu gehören. Der VfL Osnabrück belegt nach wie vor Platz 3, obwohl er in den vergangenen beiden Spielzeiten und während seines Abstechers in die Zweitklassigkeit keinen Punkt dazuholte. Schon bald werden die Niedersachsen wieder auf den zweiten Rang vorpreschen, dazu fehlen nur 25 Punkte auf den künftigen Zweitligisten Hansa Rostock. Am Ende der Saison 2021/22 wird es im SV Wehen Wiesbaden und der SpVgg Unterhaching nur zwei Vereine geben, die mehr Drittliga-Spiele absolviert haben als der VfL.

Das böte eine Grundlage, um sich im Lager der Lila-Weißen mit dem Abstieg irgendwie anzufreunden. Natürlich: Man wäre gerne dauerhaft unter den Top 36, man würde sich gerne langfristig etablieren in jener Liga, die bis Anfang der 90er Jahre tatsächlich über viele Jahre das Zuhause war. Danach endete noch jedes Abenteuer in der 2. Liga nach spätestens zwei Jahren, so auch der jetzige fünfte Anlauf. Ob man die bauliche Infrastruktur oder das wirtschaftliche Umfeld betrachtet: Der Status als Fahrstuhlverein entspricht wohl den Tatsachen und Möglichkeiten. Ein Jahr in der höheren Liga, im Idealfall gleich mehrere in Folge, ist schon ein Erlebnis und die Chance, große Klubs wie den HSV zu ärgern, ein Bonus. Mehr scheint – zumindest aktuell – kaum drin.

Panik ist nicht angebracht

Wie bei jedem Absteiger stehen auch beim VfL Osnabrück nun etliche Fragezeichen hinter der künftigen Ausrichtung. Etliche Verträge laufen aus, ein Coach wird ebenfalls gesucht und selbst die Zukunft von Sport-Geschäftsführer Schmedes ist offen. In Osnabrück kennt man solche Phasen, Panik ist nicht angebracht. Dass sich in Dresden, Rostock und Ingolstadt gleich drei absolute Schwergewichte aus der 3. Liga verabschiedet haben, darf Lila-Weiß sogar als Chance für sich empfinden: Die Niedersachsen werden als einer von einem halben Dutzend Klubs genannt werden, die sich die größten Aufstiegshoffnungen ausmalen dürfen, ohne dass es dieses Mal einen klaren Topfavoriten geben wird. In zwei, drei Wochen sollte der Kern des Kaders stehen. Dann werden wir schon deutlich schlauer sein, ob dieser VfL – womöglich endlich wieder dem Faustpfand vieler Tausend Fans im Rücken – sofort den neuerlichen Angriff auf die 2. Bundesliga starten kann.

   
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