Quo vadis, 1860? Was der Abschied von Ismaik für die Löwen bedeutet

Die Nachricht kam einem Paukenschlag gleich: Nach 14 Jahren hat Hasan Ismaik seine Anteile am TSV 1860 München an eine bislang unbekannte Schweizer Familienholding verkauft. Für viele Löwen-Fans war der Jubel groß: die Ära des umstrittenen Investors ist vorbei. Doch wie geht es nun für den zerstrittenen Traditionsverein weiter? liga3-online.de wirft einen Blick zurück auf die Ismaik-Ära – und wagt einen Ausblick auf einen Neuanfang.
"Hire-and-Fire"-Politik mündet im Abstieg
Wir schreiben den 30. Mai 2011. Der finanziell stark angeschlagene TSV 1860 München verkauft 60 Prozent seiner Anteile an den jordanischen Investor Hasan Ismaik – für rund 18 Millionen Euro. Die drohende Insolvenz ist damit abgewendet. Doch die vermeintliche Rettung entwickelt sich bald zum Albtraum. Der jordanische Geschäftsmann, zunächst unwissend darüber, dass in Deutschland die 50+1 Regel gilt, fällt schnell durch mangelndes Verständnis der Rahmenbedingungen und fehlende strategische Weitsicht auf.
Präsidenten und Trainer kommen und gehen, Kader werden umgekrempelt. Die Entscheidungen wirken oft willkürlich. Den Tiefpunkt markiert die Saison 2016/17: Unter dem investorenfreundlichen Präsidenten Peter Cassalette darf Ismaik nahezu frei walten. Mit viel Geld werden Ex-Liverpool-Geschäftsführer Ian Ayre, Star-Trainer Vitor Pereira und ein teurer internationaler Kader verpflichtet. Pereira spricht von der Champions League, doch am Ende wird es der Abstieg aus der 2. Liga. Ismaik verweigert die für die Drittliga-Zulassung benötigte Hinterlegung von elf Millionen Euro – die Folge ist der Zwangsabstieg in die Regionalliga Bayern und ein gewaltiger Schuldenberg.
Große Opposition im Verein
Die Stunde Null für den TSV, der sich im Zuge des Zwangsabstiegs von den Fesseln der Allianz Arena löst und einer regionalen Mannschaft die Herzen der Fans zurückgewinnt. Gleichzeitig formiert sich ein starker Widerstand gegen den Investor. Unterstützt von der klaren Mehrheit der Mitglieder schränken Präsident Robert Reisinger und der mächtige Verwaltungsrat Ismaiks Einfluss auf ein Minimum ein. Zwar gleicht Ismaik weiterhin das jährliche Defizit von rund zwei Millionen Euro aus, um einen erneuten Lizenzentzug zu verhindern – doch de facto ist er weitgehend entmachtet.
Dieses konsequente Vorgehen hat seinen Preis: Die Löwen stecken trotz ihres vermeintlichen Potenzials seit Jahren in der 3. Liga fest, da finanziell aufgrund der Blockadestellung gegenüber Ismaik nur ein mittelmäßiger Spieleretat drin ist. Zudem ist das Umfeld polarisiert: Die einen pochen auf Autonomie von Ismaik, die anderen fordern mehr Pragmatismus und sportlichen Fortschritt – unter Einbindung des Investors. Dieser versucht wiederholt durch Medienkampanien und Personalvorschläge für den Verwaltungsrat Einfluss zurückzugewinnen, scheitert dabei aber regelmäßig an der Mitgliederbasis. Klagen gegen die 50+1 Regel sind ebenso wenig von Erfolg gekrönt.
Historische Chance für 1860
Nun also der Abschied. Nach Jahren der Blockade und des sportlichen Stillstands hat Ismaik ein Einsehen und verkauft seine Anteile an eine bisher unbekannte Schweizer Holding, bei der es sich um die EBP Global mit CEO Matthias Thoma handeln könnte. Laut Pressemitteilung erlässt Ismaik dem Klub im Zuge des Verkaufs sämtliche Darlehen. Der TSV 1860 ist damit de facto schuldenfrei – ein Szenario, das bis vor Kurzem noch völlig utopisch erschien.
Doch wie geht es nun weiter mit den Sechzgern? Fest steht, dass die Übergabe eine historische Chance für den zerstrittenen Verein darstellt, um zu einer lang verloren gegangen Einheit zurückzufinden und den sportlichen Stillstand zu überwinden. Ebenso klar ist jedoch, dass die Löwen nach den 14 Jahren der Ismaik-Hegemonie ein gebrandmarktes Kind in Bezug auf Investoren sind und jeden Schritt des neuen Geldgebers aus der Schweiz mit Argusaugen beobachten werden.
Neuer Präsident mit Schlüsselrolle
Passenderweise beginnt nicht nur auf Investorenseite, sondern auch auf vereinspolitischer Ebene ein neues Kapitel: Nach acht Jahren unter Robert Reisinger übernimmt mit Gernot Mang ein neuer, bis dato unbelasteter Mann das Präsidentenamt. Es liegt nun an ihm, den Übergang zum neuen Investor klug zu moderieren – und die künftige Zusammenarbeit von Anfang an auf ein stabiles, vertrauensvolles Fundament zu stellen. Damit die neue Ära erfolgreicher verläuft als die verkorkste Liaison mit Ismaik, braucht es wohl vor allem eines: eine geschickte Kommunikation, die das kritische Umfeld abholt und eint, sowie eine langfristig ausgelegte Strategie.