Traditionsduell in Halle: Die Geschichte zweier legendärer Vereine

Der Hallesche FC gegen den FC Hansa Rostock. Ein Spiel zweier Traditionsclubs aus der ehemaligen DDR, deren Weg seit der Wende nicht hätte unterschiedlicher verlaufen können. Am kommenden Sonntag (14 Uhr, live auf mdr.de) treffen die beiden zu einem Duell aufeinander, was nicht nur mit dem Geschehen auf dem Platz schon Wochen im Voraus für Gesprächsstoff sorgt. Wir von liga3-online.de wollen diesem besonderen Spiel Tribut zollen und werden in den kommenden Tagen von allen Seiten und aus allen Augen auf die beiden Vereine blicken. Die Geschichtsbücher wurden gewälzt, die Teams analysiert, die Fans befragt; in den kommenden Tagen wird jeder zu Wort kommen und seine Sicht auf die Partie und den Gegenüber darstellen können. Zum Anfang widmen wir uns heute der Geschichte der beiden Vereine vor und nach der Wende.

FC Wacker 1900 Halle –  Fußballtradition an der Saale

Nicht mal ein Monat lag seinerzeit zwischen der Gründung des FC Hansa Rostock und dem Halleschen FC Chemie. Während der FC Hansa am 28. Dezember 1965 aus der Fußballabteilung des SC Empor Rostock das Licht der Welt erblickte, unterschrieben in Halle am 26. Januar 1966 die Verantwortlichen die Ausgliederung der Fußballabteilung des SC Chemie Halle und gründeten damit den HFC Chemie. Beide Vereine konnten jedoch schon vor ihrer Gründung auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Die Stadt Halle stand schon vor dem zweiten Weltkrieg für Fußball von höchster Qualität. In der Saison 1920/21 wurde der FC Wacker 1900 Halle Mitteldeutscher Meister und trat im damals noch stattfindenden Turnier im die deutsche Meisterschaft an. Hier scheiterten die Hallenser erst im Halbfinale am späteren Meister aus Nürnberg. 1928 gelang die Mitteldeutsche Meisterschaft erneut, man scheiterte im Achtelfinale der deutschen Meisterschaftsendrunde am FC Bayern München, danach übernahm der Dresdener SC über viele Jahre die Vorherrschaft in Mitteldeutschland und ließ dem FC Wacker keine weiteren Titel, bis auf die Gaumeisterschaft der Gauliga Mitte im Jahr 1934.

Aus der SG Freiimfelde wird der SC Chemie

Nach dem 2. Weltkrieg gestalteten sich die Vereinsgründungen in der sowjetisch besetzten Zone allgemeinhin recht umfangreich. In Halle bildeten sich aus losen Sportgruppen zuerst die SG Halle-Glaucha, ab 1948 SG Freiimfelde Halle, welche im Jahr der Umbenennung bereits im Endspiel um die 1. Ostzonenmeisterschaft stand, dort aber mit 0:1 gegen die SG Planitz scheiterte. Da die Vereinsumbenennung scheinbar Erfolg versprach, schloss sich die SG Freiimfelde Halle im Folgejahr direkt zur ZSG Union Halle zusammen, errang tatsächlich die 2. Ostzonenmeisterschaft mit einem sicheren 4:1 gegen Fortuna Erfurt und qualifizierte sich stolz für die neu gegründete DDR-Oberliga, die sie in ihrer ersten Saison auf dem fünften Platz abschloss. Zu dieser Zeit war es in Ostdeutschland üblich, dass Sportvereine von Trägerbetrieben aus der Wirtschaft übernommen wurden, in Halle fand sich nach der erfolgreichen Oberliga-Premierensaison mit dem Energiekombinat West ein Träger, der der ZSG Union den klangvollen Namen BSG Turbine Halle verlieh. Dieser Name schrieb Fußballgeschichte, denn die BSG Turbine wurde in der Saison 1951/52 dritter Fußballmeister in der Geschichte der DDR. Die Saison darauf bildete aber den Grundstein für den Niedergang der BSG Turbine, das schlechte Abschneiden des Meisters auf Platz 13 und die politischen Unruhen in der DDR führten dazu, dass sich viele Spieler in die Bundesrepublik absetzten. Davon erholte sich die BSG Turbine nie wieder, 1954 wurde, infolge einer (von unzähligen) Umstrukturierung im DDR-Fußball die Fußballabteilung der BSG Turbine ausgegliedert und in den SC Chemie Halle-Leuna integriert. Turbine Halle existiert allerdings bis heute und trägt seine Spiele in der Landesklasse Sachsen Anhalt aus.

Tragödie von Eindhoven

Mit der Neuformierung stieg der SC Chemie 1954 direkt in die zweite Liga der DDR ab, wo man bis 1957 verharrte. Allerdings errang man im Jahr 1956 den FDGB-Pokal. Nach einer weiteren Umbenennung gelang dieses Kunststück als SC Chemie Halle 1962 erneut. 1971 betrat dann, nach weiteren Umstrukturierungen 1966, der Hallesche FC Chemie nach einem 3. Platz in der Oberliga zum ersten Mal das internationale Parkett  –  1962 war man in der Qualifikation zum Pokal der Pokalsieger am OFK Belgrad gescheitert  –   und bestritt ein Spiel im UEFA-Cup gegen den PSV Eindhoven, welches tragisch endete. Hatte sich der SC Chemie im Hinspiel in Halle mit 0:0 beachtlich geschlagen, so fand das Rückspiel nie statt. Am Vorabend brach im Hotel der Hallenser ein Großbrand aus und forderte neben zahlreichen Verletzten auch das Leben von Nachwuchstalent Wolfgang Hoffmann, woraufhin sich der HFC Chemie aus dem Turnier zurückzog. Bis zur Wende blieb der Club eine „graue Maus“, schwankte zwischen Mittelfeld der Oberliga und Abstieg in die zweite Liga, 1991 qualifizierte man sich mit einem 4. Platz in der Oberliga dann für die 2. Bundesliga und trat nochmals im UEFA-Cup an, wo man direkt in der ersten Runde gegen Torpedo Moskau scheiterte.

„Retortenclub“ Empor

Die Geschichte des FC Hansa Rostock verlief demgegenüber ganz anders. Gab es nach dem 2. Weltkrieg in Rostock keinen explizit nennenswerten Spielbetrieb, so nahm die Kogge vor allem mit dem Ende der DDR und in den 90er Jahren erheblich an Fahrt auf und mauserte sich seinerzeit zu einem der beliebtesten Vereine Deutschlands. In seinem Ursprung ging der FC Hansa nicht wie der HFC aus einem traditionsreichen Zusammenschluss von Sportlern der Region hervor, sondern er war so etwas wie einer der ersten Retortenclub des Fußballs. Anfang der 50er Jahre, nach dem Abstieg von Motor Wismar, plante man eine Fußballmannschaft in der Hafenstadt und für diese direkt auch ein würdiges Stadion, welches von tausenden von freiwilligen Helfern in 230.000 Arbeitsstunden errichtet wurde und den Namen Ostseestadion erhielt. Was fehlte, war der Fußballclub und so delegierte man in einer Nacht- und Nebelaktion den erfolgreichen Erstligisten und Tabellenführer aus dem Erzgebirge BSG Empor Lauter an die Ostsee, welcher nunmehr unter dem Namen SC Empor Rostock ins Spielgeschehen eingriff. Das erste Heimspiel bestritt Empor Rostock am 14. November 1954 gegen Chemie Karl-Marx-Stadt, es endete mit 0:0. Zuvor kam es aber bereits am 3. Oktober 1954 zum ersten Aufeinandertreffen in Halle, was Empor mit 0:1 für sich entschied. Zum Ende der Saison landeten die Rostocker auf dem 9.Platz und erreichten das Finale des FDGB-Pokals, was man gegen Wismut Karl-Marx-Stadt in der Verlängerung mit 2:3 verlor. Zwölf Spieler und Trainer Oswald Pfau waren im Zuge der Delegation von Lauter nach Rostock an die Küste gefolgt, der Rest der Mannschaft bestand aus Talenten aus der Region. 1956 stieg der SC Empor in die zweite DDR-Liga ab, konnte aber 1957 direkt wieder aufsteigen, worauf eine Phase begann, die den SC Empor zu einer Art „Vizekusen der DDR“ machte. In den Jahren 1957 und 1960 verlor man die Finalspiele im FDGB-Pokal jeweils in der Verlängerung, 1962 und 1963 wurde man jeweils hauchdünn Vizemeister. 1965 wurde der FC Hansa Rostock dann als zweiter reiner Fußballclub der DDR gegründet. Der Name und das Wappen, eine bauchige rote Hansekogge, wurden aus zahlreichen Zuschriften der Rostocker Bevölkerung ausgewählt, was den einstigen Retortenclub endgültig zum Volksverein verwandelte.

Hansa schreibt Geschichte

Sportlich änderte sich nichts, 1967 unterlag der FC Hansa erneut im FDGB-Pokalfinale und 1968 wurde man erneut Vizemeister. Im Messepokal konnten die Hanseaten im Jahr 1969 den ersten ihrer zwei internationalen Achtungserfolge feiern, so wurde Inter Mailand mit 2:1 besiegt. In den Jahren darauf fristete der FC Hansa ein ähnliches Dasein wie der HFC Chemie, zwischen Tabellenmittelfeld der Oberliga und Abstieg in die 2. Liga. In dieser Zeit traf man auch regelmäßig aufeinander, wobei der FC Hansa zumeist die Oberhand behielt oder die Spiele unentschieden ausgingen. Heute haben die Vereine ein Verhältnis von 24 Siegen für den FC Hansa, 23 Unentschieden und 9 Siegen für den HFC, davon 8 im heimischen Halle. 1987 erreichte der FC Hansa zum fünften Mal das Pokalfinale, wer am Ende den Pokal in den Händen hielt dürfte aus der bisherigen Geschichte bekannt sein. 1991 brachen dann aber alle Dämme, denn der FC Hansa nahm in dieser Saison Revanche für alle Vizetitel und schrieb sich als letzter Meister und letzter Pokalsieger der DDR in die Geschichtsbücher des Weltfußballs ein. Damit verbunden war die Qualifikation zur 1. Bundesliga und dem Europapokal der Landesmeister, wo man den zweiten internationalen Achtungserfolg feiern durfte: Ein 1:0-Sieg gegen den FC Barcelona, in dessen Reihen ein junger Mann namens Josep „Pep“ Guardiola mitspielte. Nach einem überragenden Saisonstart, stieg der F.C.H. am Ende seiner Bundesliga-Premierensaison in die 2. Liga ab, um mit dem Aufstieg 1995 unter Frank Pagelsdorf eine Ära einzuleiten, die die Vereinsanalen, wie auch die Geschichte des ostdeutschen Fußballs entscheidend prägte und nahezu alleine schrieb. Spieler wie Stefan Beinlich, Jonathan Akpoborie, Oliver Neuville, Marko Rehmer oder Sergej Barbarez prägen die Bundesliga langfristig, dazu kommt ein Jugendinternat, was Spieler wie Carsten Jancker und, viel später, Toni Kroos hervorbringt. Klassenerhaltwunder werden geschrieben, wie 1998 in Bochum, Hansa wird zum „Leuchtturm des Ostens“, zum „Wikingerclub“, als zwischenzeitlich sechs Schweden auf dem Platz stehen. Fußballlegenden wie Jari Litmanen und national bekannte Stars wie Martin Max oder Marcus Allbäck gehen für den FC Hansa auf Torejagd. Das Ostseestadion wird umgebaut und begrüßt internationale Gäste aus den USA und Georgien zum A-Nationalmannschaft-Länderspiel. Zehn Jahre genießt der FC Hansa das Leben als sympathischer Underdog in der Bundesliga, manchmal schon fast Kultverein, wenn wieder eine schwedische Reisegruppe ihre Landesfahne im Stadion schwenkt. Hansa schaffte das Kunststück, zwar keine Topmannschaft und kein Fahrstuhlverein, aber auch nie eine „graue Maus“ wie zu Ostzeiten zu sein.

Der eine stürzt ab, der andere wächst über sich hinaus

Mit dem Abstieg 2005 kam aber der stetige Absturz. 10 Jahre Bundesliga hatten eine kostspielige Infrastruktur errichtet, die finanziert werden wollte. Zudem hatte der Verein zwischenzeitlich über seinen Möglichkeiten gelebt und so wurde mit dem Abstieg 2005 eine siebenjährige Abschiedstournee eingeleitet, die zwischenzeitlich noch vom Aufstieg 2007 unterbrochen wurde, den FC Hansa aber nicht in die Spur brachte. Es war, als wäre ein anderer Verein in die Bundesliga aufgestiegen und nicht ein altehrwürdiger Club zurückgekehrt. Es folgte 2010 der Abstieg in die 3. Liga, erstmalig in der Geschichte des FC Hansa Rostock, der Wiederaufstieg 2011 mutete ähnlich wie das kurze Bundesligagastspiel an, ein völlig anderer Verein in der gleichen Liga. 2012 stieg der Verein erneut ab und kämpfte einen Sommer lang ums Überleben, bis die Stadt Rostock half, auch wenn die schweren Zeiten noch lange nicht überstanden sind. Anders als beim FC Hansa begann beim Halleschen FC Mitte der 00er Jahre die Erfolgsgeschichte. Nach der Wende hatte man das „Chemie“ abgelegt und wandelte, nach dem direkten Abstieg aus der 2. Bundesliga 1992, zwischen Oberliga und Verbandsliga. 2008 stieg man in die Regionalliga Nord auf und spielte sich dort bis zum Aufstieg 2012 regelmäßig in den oberen Plätzen fest. Highlights waren die Landespokalsiege 1994, 2002, 2008 und 2010, die zu DFB-Pokalteilnahmen führten, wo unter anderem 2011 der 1. FC Union besiegt werden konnte. 2012 gelang dann im neuen ERDGAS-Sportpark der ersehnte Aufstieg in die Drittklassigkeit, vor Favoriten wie Holstein Kiel und dem neureichen RB Leipzig. Der Landespokal ging ebenfalls in die Saalestadt und so begann das Abenteuer 3. Liga, in welcher man nun am Sonntag auf den alten Weggefährten trifft.

Hansa Rostock und der Hallesche FC, zwei Clubs, die sich in all ihren Unterschieden über weite Strecken doch sehr ähnlich waren. Deren Rivalität gerade wieder neu entfacht wird und deren Mannschaften am Sonntag für manche nur das Duell, aber für viele auch eine lang gewachsene Tradition mit sich tragen.

FOTO:  Sebastian Ahrens / rostock-fotos.de

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