Strittige Szenen am 8. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Schwalbe von Pusic, die nicht gegebenen Elfmeter für 1860 und Wiesbaden, das Foulspiel von Schmidt an Pusic, die beiden Tore von Duisburg, ein abgepfiffener Angriff von Rostock und das Tor für Ingolstadt. Am 8. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de acht Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).
Szene 1: Für eine Schwalbe im Mittelfeld sieht Martin Pusic (1860 München) von Schiedsrichter Max Burda Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 36:40]
Babak Rafati: Pusic legt sich circa 30 Meter vor dem gegnerischen Tor den Ball vor und will am Gegenspieler vorbeilaufen. Plötzlich kommt er zu Fall, obwohl der Verteidiger im Fußbereich überhaupt keine Anstalten macht, ihn durch Foulspiel zu stoppen. Wenn es im Fußbereich überhaupt einen Kontakt gibt, dann nur, weil der Angreifer selbst gegen das Standbein des Verteidigers läuft und einfädelt. Womöglich erkennt der Angreifer, dass er sich den Ball zu weit vorgelegt hat und der nächste Verteidiger eher an den Ball kommt als er, und lässt sich deshalb fallen. Das ist eine klassische Schwalbe, sodass die gelbe Karte wegen Unsportlichkeit absolut richtig ist. Die leichte Bewegung des Verteidigers mit den Armen Richtung von Pusic ist fußballtypisch und kann vernachlässigt werden.
Szene 2: Nach einer Flanke von Marius Willsch geht Martin Pusic (1860) im Strafraum nach einem Stoß von Maximilian Sauer (Duisburg) zu Boden. Kein Elfmeter, entscheidet der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 58:00]
Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum von Duisburg steigt Pusic zum Kopfball hoch, wird von Sauer leicht in den Rücken gestoßen und kommt zu Fall. Natürlich nimmt der Verteidiger den Arm zu Hilfe, jedoch nimmt der Angreifer diesen leichten Kontakt dankend an und lässt sich fallen. Das ist kein Foulspiel, sondern ein Zweikampf, wie wir ihn hüben wie drüben zig Mal sehen. Somit ist das branchenüblich und es liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen. Auch wenn das Argument kommt, dass ein leichter Stoß in der Luft ausreicht, um den Stürmer aus der Balance zu bringen, trifft das in dieser Szene nicht zu, weil es schlicht und einfach für einen Strafstoß nicht ausreicht. Außerdem muss Pusic davon ausgehen, dass der Schiedsrichter die Schwalbe aus der 19. Spielminute (Szene 1), also 20 Minuten zuvor, im Hinterkopf haben müsste und somit sogar im Zweifel eher weiterlaufen lassen würde. Ein Schiedsrichter merkt sich so etwas vor, auch wenn er das nicht zugeben wird.
Szene 3: Bei einem Laufduell im Mittelfeld geht Dominik Schmidt (Duisburg) in einen Zweikampf mit Martin Pusic (1860) und bringt diesen zu Fall. Burda belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:40]
Babak Rafati: Solche Szenen sind immer diskussionswürdig und müssen differenziert betrachtet werden, damit man zum richtigen Ergebnis kommt. Bei diesem Angriff foult Schmidt seinen Gegenspieler Pusic circa 30 Meter vor dem eigenen Tor durch einen Tritt in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Da Pusic allein durchgelaufen wäre, vereitelt Schmidt eine offensichtliche Torchance, sodass es dafür die rote Karte hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, nur die gelbe Karte zu zeigen.
Bei der Frage, ob das Vereiteln einer offensichtlichen Torchance vorliegt, spielen vier Faktoren eine Rolle:
- Distanz zwischen Ort des Vergehens und Tor: Wenn das Vergehen kurz hinter der Mittellinie wäre, hätte die gelbe Karte ausgereicht. Hier beträgt die Distanz etwa 30 Meter, sodass man sagt, dass bei dieser Entfernung eine sehr gute Torchance vorliegt.
- Allgemeine Richtung des Spiels: Pusic hat direkten Zug zum Tor.
- Wahrscheinlichkeit, in Ballbesitz zu bleiben oder zu kommen: Pusic hat den Ball absolut unter Kontrolle, anders etwa als bei einer erwarteten Flanke.
- Position und Anzahl der Verteidiger: Zwei Verteidiger sind hinter Pusic und würden nicht mehr heran kommen. Dabei ist wichtig, das Standbild zum Zeitpunkt des Foulspiels zu bewerten.
Die größte Herausforderung bei der Beurteilung dieser Szene ist die Verschiebung und Verzerrung der Szene nach dem Pfiff. Hierbei empfiehlt es sich, bei Laufduellen in diesen Bereichen sehr stark zu fokussieren und den Moment des Foulspiels gedanklich "fotografisch" als Standbild festzuhalten. Zudem kann hier der Assistent von der Seite mit einem optimalen Blick helfen, da der Schiedsrichter frontal auf die Szene schaut und die Tiefe des Raumes nicht einschätzen kann.
Szene 4: Nach einer Ecke bekommt 1860 den Ball nicht geklärt. Quirin Moll (1860) will das Spielgerät von der Linie aus wieder ins Feld bringen, trifft aber nur Tobias Fleckstein (Duisburg). Von dessen Gesicht prallt der Ball ins Tor. 1860 reklamiert Handspiel, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:50]
Babak Rafati: Nach einer Ecke will Moll den Ball auf der eigenen Torlinie in der Luft klären, schießt den Ball aber in das Gesicht von Gegenspieler Fleckstein – von da aus springt der Ball ins Tor. Dadurch, dass der Angreifer seinen Arm hochnimmt und dicht neben seinem Kopf führt, ist es etwas unübersichtlich, genau zu erkennen, von welchem Körperteil der Ball final ins Tor springt. Aber dadurch, dass der Schiedsrichter – nicht wie so oft – stehen bleibt, sondern die entscheidenden Schritte in den Strafraum macht, sich einen optimalen Blickwinkel verschafft und freie Sicht "erarbeitet", sieht er alles und entscheidet richtig auf Tor. Prima!
Szene 5: Bei einem Angriff über links setzt sich Vincent Vermeij (Duisburg) gegen Quirin Moll (1860) durch, der liegen bleibt. Das Spiel läuft weiter und aus dem Angriff fällt das 2:0. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]
Babak Rafati: Auf der linken Außenbahn kommt es zu einem Laufduell zwischen Vermeij und Moll. Dabei ist eigentlich Moll eher am Ball und blockt diesen mit seinem Körper, jedoch schafft es Vermeij den Ball zu spielen, läuft weiter und leitet dadurch den anschließenden Treffer zum 2:0 ein. Moll kommt bei diesem Zweikampf zu Fall und nicht mehr hinterher. Das Zufallkommen ist aber nicht durch ein Foulspiel passiert, vielmehr stolpert Moll über die eigenen Füße, beziehungsweise wird es im normalen Bewegungsablauf zu einem unglücklichen Kontakt gekommen sein. Das ist aber nicht maßgeblich, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer für Duisburg zu geben.
Szene 6: Hansa schlägt den Ball nach vorne, Pascal Breier ist frei durch. Allerdings pfeift Schiedsrichter Tobias Schultes genau in diesem Moment ab. Zu diesem Zeitpunkt waren 2:50 Minuten nachgespielt. Die genaue Nachspielzeit war zuvor nicht angezeigt worden. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: Die Festlegung der Nachspielzeit liegt im Ermessen des Schiedsrichters. Die Spielzeit geht durch Torjubel, Auswechslungen, Zeitschinden, Verletzungen usw. verloren. Die Nachspielzeit kann sich innerhalb dieser wieder erhöhen, wenn sich erneut einer der genannten Vorgänge ereignet. Sie darf aber nicht verkürzt werden. In dieser Szene kann es sein, dass der Schiedsrichter ursprünglich zwei Minuten angezeigt hatte und für ihn diese mit 50 Sekunden darüber bereits verstrichen war.
Doch unabhängig davon darf so eine Szene – einen derartig aussichtsreichen Angriff zu unterbinden – einfach nicht passieren. Hier hätte der Schiedsrichter den Angriff noch laufen lassen sollen, denn anders als beim Handball liegt es im Ermessen des Schiedsrichters, die Zeit "sinnvoll" zu variieren. Sehr unglücklich und unprofessionell, frühzeitig abzupfeifen.
Szene 7: Maurice Malone (Wiesbaden) wird im Strafraum von Jamie Lawrence (Bayern II) zu Fall gebracht, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Konrad Oldhafer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]
Babak Rafati: Malone spielt im gegnerischen Strafraum seinen Gegenspieler Lawrence aus und will an ihm vorbeilaufen. Lawrence nimmt aber ungeschickt das Bein heraus, lässt ihn über sein Knie springen und kann ihn dadurch nur noch durch ein Foulspiel stoppen. Hier hätte es einen Strafstoß für Wiesbaden geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 8: Nach einem Zweikampf zwischen Aaron Berzel (Türkgücü) und Stefan Kutschke (Ingolstadt) gibt es Freistoß für den FCI, aus dem das 1:0 für Ingolstadt fällt. [TV-Bilder – ab Minute 0:30]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf bekommt Kutschke den Ball circa 30 Meter vor dem gegnerischen Tor angespielt. Dann kommt Berzel von hinten und spielt nur den Ball. Dabei ist kein Foulspiel zu sehen, weder im Fußbereich noch im Oberkörperbereich. Kutschke verstolpert ein wenig und kommt ohne gegnerische Einwirkung aus dem Gleichgewicht. Eine Fehlentscheidung, diesen Freistoß für Ingolstadt zu pfeifen, aus dem anschließend ein Treffer fällt.
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