Strittige Szenen am 7. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Der Tritt von Bittroff gegen Klingenburg, die nicht gegebenen Elfmeter für Magdeburg, 1860, Meppen und Berlin, ein Foulspiel von Sessa an Atik, die verwehrten Treffer für 1860 und Verl, ein Foulspiel von Neudecker an Dombrowka und der Strafstoß für Berlin. Am 7. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zehn Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).

Szene 1: Nach einem Foul an René Klingenburg (Kaiserslautern) tritt Alexander Bittroff (Magdeburg) dem Lautrer auf den Brustkorb. Eine Karte sieht er von Schiedsrichter Alexander Sather nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]

Babak Rafati: Nachdem Bittroff an der Seitenlinie seinem Gegenspieler Klingenburg auf den Fuß tritt, kommt dieser zu Fall. Diese Foulspiele, die sich eingebürgert haben und in der Fachsprache als "Stempel" bezeichnet werden, tun weh. Hierfür gibt es normalerweise die gelbe Karte. Aufgrund dieses schmerzvollen Tritts versucht Klingenburg beim Hinfallen den Fuß "freizukriegen." Womöglich wirkt diese "Befreiung" auf Bittroff so, als ob Klingenburg sich revanchieren will und deshalb den Fuß von Klingenburg (beim Abrollen auf den Boden) abbekommt. Daraufhin will sich Bittroff befreien, tritt mit dem langen Bein in einer kurzen und schnellen Bewegung in Richtung Brustbereich von Klingenburg und trifft ihn dabei voll. Diesen gesamten Ablauf kann der Schiedsrichter aus der Distanz natürlich nicht sehen. Der Assistent allerdings hätte besser, anstatt die Fahne beim ersten Foulspiel sofort zu heben und den Blick vom Zweikampf abzuwenden, die Szene auch nach dem Pfiff weiter verfolgen sollen. Der Tritt von Bittroff wirkt absichtlich und daher wäre die rote Karte wegen Nachtreten/Tätlichkeit angebracht gewesen. Eine Fehlentscheidung, diese nicht zu zeigen.

Natürlich kann man auch argumentieren, dass Bittroff aufgrund seiner Position – über Klingenburg, der am Boden liegt – nicht mehr genügend Fläche hat, auf dem Boden aufzukommen und daher der Tritt unabsichtlich ist. Oftmals sieht man aber bei solchen Szenen, dass ein Spieler, der im Zweikampf verwickelt ist, sich abrollt und mit zu Boden geht, um eben keine Verletzung des Gegenspielers in Kauf zu nehmen. Das wäre hier auch möglich gewesen. Hier muss man einfach die Kriterien – pro und contra – abwägen, die für mich klar dazu tendieren, eine Absicht zu unterstellen. Die anschließende Reaktion – Gesichtsausdruck und Körpersprache – von Bittroff bestätigen das zudem. Bei einem unglücklichen und unbeabsichtigten Tritt mit einer Auswirkung wie in diesem Fall, verhält man sich anders. Jeder würde sofort zum verletzten Spieler laufen und sich entschuldigend um diesen Spieler kümmern. Auch wenn Klingenburg sich nach dem Spiel mit den Worten "Das gehört zum Spiel" äußert, hat er zwar Recht, das ändert aber nichts am Vergehen.

Übrigens passieren in dieser Szene zwei Vergehen von Bittroff. Erst der Tritt auf den Fuß, das wäre mit der gelben Karte zu ahnden. Und danach der Tritt, der mit der roten Karte zu ahnden wäre. Bei zwei Vergehen des gleichen Spielers in einer Aktion wird regeltechnisch immer das Schwerere geahndet. Hier wäre somit die rote Karte fällig.

Szene 2: Im Strafraum geht Baris Atik (Magdeburg) im Duell gegen Nicolas Sessa (Kaiserslautern) zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 57:45]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell im Strafraum kommt Atik zu Fall. Allerdings sieht man sehr gut, dass Sessa nur im Lauf ist und den Fuß überhaupt nicht herausnimmt, um aktiv den Ball zu spielen oder den Gegner zu hindern, sondern Atik selbst dem Verteidiger in die Füße/Hacken läuft und dadurch zu Fall kommt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 3: Baris Atik (Magdeburg) läuft auf das Tor zu, wird von Nicolas Sessa (Kaiserslautern) am Trikot gehalten und zu Fall gebracht. Einen Freistoß gibt es jedoch nicht, stattdessen sieht Atik aufgrund zu großer Proteste Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:31:30]

Babak Rafati: Wieder kommt es zu einem Zweikampf zwischen Atik und Sessa. Dabei wird Atik, der den Ball am Fuß führt und auf das gegnerische Tor zuläuft, klar und deutlich von Sessa, der hinter ihm herläuft, circa 20 Meter vor dem Tor am Trikot festgehalten. Atik kommt anschließend zu Fall und nimmt in Erwartung, dass er den Freistoß zugesprochen bekommt, den Ball vorsorglich in die Hand. Da der Schiedsrichter das vorangegangene Foul – Trikotvergehen – aber nicht ahndet, sondern das Handspiel von Atik und daher Kaiserslautern den Freistoß zuspricht, protestiert dieser heftig und bekommt für diese Aktion die gelbe Karte. Vielleicht war die Szene 12 Minuten zuvor (Szene 2), als Atik im Strafraum zu Fall kam, noch im Hinterkopf des Schiedsrichters und für ihn eher ein Versuch, einen Elfmeter zu schinden, obwohl das nicht zutrifft, und lässt deshalb weiterspielen. Eine andere mögliche Erklärung wäre, dass für ihn das Trikotvergehen einfach nicht genug war für einen Freistoßpfiff. Das Trikotvergehen ist aber ohne Zweifel ein Foulspiel und hätte mit einem Freistoß für Magdeburg und einer gelben Karte gegen Sessa geahndet werden müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt.

 

Szene 4: Richard Neudecker (1860) drückt den Ball nach einer Hereingabe von Sascha Mölders über die Linie, allerdings entscheidet Schiedsrichter Tobias Welz auf Foulspiel und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:30]

Babak Rafati: Nachdem der Ball in der Luft ist, setzt der Meppener Verteidiger zum Kopfball an und will hochspringen, um den Ball vor Neudecker, der direkt hinter ihm steht, zu klären. Dabei wird er kurz und ansatzlos von Neudecker in den Rücken gestoßen und zu Fall gebracht. Dieser Schubser bringt den Verteidiger entscheidend aus der Balance, auch wenn er beim Fallen mehr daraus macht, als wirklich vorliegt. Dennoch ist das ein Foulspiel. Eine richtige Entscheidung, den anschließenden Treffer nicht zu geben.

Szene 5: Im Strafraum geht Stefan Lex (1860) im Duell mit Steffen Puttkammer (Meppen)  zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Welz. [TV-Bilder – ab Minute 26:15]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Meppen ist der leichte Rempler im Oberkörperbereich von Puttkammer gegen Lex regelkonform. Im Fußbereich ist auch alles im grünen Bereich, da Puttkammer den Fuß nicht aktiv zum Beinstellen herausnimmt, sondern im normalen Bewegungsablauf weiterläuft. Somit liegt auch in dieser Szene kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, diesen Zweikampf weiterlaufen zu lassen.

Szene 6: Bei einem Freistoß für den SV Meppen bekommt Philip Steinhart (1860) den Ball nach einem Schuss von Markus Ballmert (Meppen) im Strafraum an die Hand. Kein Elfmeter, sagt der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 1:31:15]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Ballmert im Strafraum von 1860 München bekommt Steinhart den Ball aus kurzer Entfernung an den angelegten Arm geschossen, sodass der Arm nach hinten schwingt. Die kurze Distanz lässt Steinhart allerdings gar nicht die Reaktionszeit, den Arm wo anders hinzuführen. Der Arm ist somit in natürlicher Haltung, sodass kein absichtliches Handspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 7: Im eigenen Strafraum geht der bereits gelb-verwarnte Richard Neudecker (1860) mit einem Seitfallzieher zum Ball und trifft Max Dombrowka (Meppen) im Gesicht. Eine weitere Karte sieht er nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:53:40]

Babak Rafati: Bei diesem Seitfallzieher, der zum Fußball dazu gehört, trifft Neudecker seinem Gegenspieler Dombrowka, der einfach früher am Ball ist und per Kopf klären kann, ins Gesicht. Das ist natürlich ein Foulspiel, und der Gesichtstreffer tut auch weh. Allerdings ist die Aktion nur ballorientiert und verfolgt damit überhaupt nicht das Ziel, den Gegner zu attackieren. Daher eine absolut richtige Entscheidung mit Fußballsachverstand, dem bereits verwarnten Neudecker für diese unglückliche Aktion keine weitere gelbe Karte, die zu einer Ampelkarte geführt hätte, zu zeigen.

 

Szene 8: Nach einer Hereingabe geht Enes Küc (Viktoria Berlin) gegen Cottrell Ezekwem (Verl) in der Luft zu Fall, Schiedsrichter Eric Müller gibt Elfmeter für Berlin. [TV-Bilder – ab Minute 0:30]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf laufen Ezekwem und Küc zunächst zum Ball und springen dann im Strafraum zum Kopfball hoch. Anschließend kommt der Angreifer zu Fall. Beim Laufduell sieht man allerdings, dass der Verteidiger überhaupt keine Anstalten macht, den Angreifer zu foulen, sondern nur zum Ball hochspringt und somit ballorientiert ist. Wenn es zu einem möglichen Kontakt im Fußbereich gekommen sein sollte, wäre das kein Foulspiel, sondern vielmehr ein "Unfall", der von keinem der beiden Spieler bewusst initiiert wird. Somit liegt ein korrekter Zweikampf vor, sodass die Elfmeterentscheidung falsch ist.

Szene 9: Leandro Putaro (Verl) bringt den Ball nach einem Zuspiel von Kasim Rabihic im Tor unter, wird aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition jedoch zurückgepfiffen. [TV-Bilder – ab Minute 1:37:10]

Babak Rafati: Anhand der vorliegenden Bilder kann nicht zweifelsfrei beurteilt werden, ob tatsächlich eine Abseitsposition von Putaro vorliegt oder nicht. Tendenziell sieht es aber danach aus, dass zum Zeitpunkt des Zuspiels von Rabihic Mitspieler Putaro knapp im Abseits steht.

Szene 10: Im eigenen Strafraum wehrt Vinko Sapina (Verl) den Ball auf dem Boden nach einem Zweikampf mit Soufian Benyamina (Berlin) mit der Hand ab, das Spiel läuft weiter, und aus dem Angriff fällt das 3:2 für Verl und zählt. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]

Babak Rafati: Im eigenen Strafraum grätscht Sapina mit aller Kraft mit dem linken Bein zum Ball, um einen Schuss auf das eigene Tor abzuwehren. Dabei kommt er etwas zu spät und kann den geschossenen Ball von Benyamina nur noch mit der rechten Hand abwehren. Natürlich sind bei diesen Aktionen, bei denen der Ball klar und deutlich an den Arm springt, die Proteste lautstark. Allerdings wurde die Handregel zu Beginn dieser Saison modifiziert, sodass nur noch die Absicht oder das "In-Kauf-nehmen" des Handspiels strafbar ist. Dadurch, dass Sapina das linke Bein ausstreckt kommt es automatisch dazu, dass der rechte Arm hoch geht, sodass eine natürliche Körperhaltung vorliegt und nicht von Absicht oder Strafbarkeit gesprochen werden kann. Eine regeltechnisch richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

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