Strittige Szenen am 7. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Das Foul von Steinhart an Bonga, die nicht gegebenen Elfmeter für Chemnitz, Köln, Magdeburg und Jena, das Foul von Bozic an Klassen, der verwehrte Treffer für Münster, das Tor für Rostock, die Platzverweise gegen Pfitzner und Keller, das Foulspiel von Kirchhoff an Becker und die gelbe Karte gegen Becker. Am 7. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf Szenen genauer angeschaut.

[box type="info"]Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 48-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf ist Rafati heute Mentalcoach für Profifußballer und Manager sowie ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).[/box]

Szene 1: Für ein Foul an Tarsis Bonga (Chemnitzer FC) sieht Philipp Steinhart (1860 München) von Schiedsrichter Franz Bokop nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Bonga wird von seinem Mitspieler zentral kurz vor dem gegnerischen Strafraum angespielt und dabei von Steinhart, der hinter ihm herläuft und keine Chance mehr auf den Ball hat, durch Beinstellen zu Fall gebracht. Ob das zu Fallbringen mit Absicht passiert, ist dabei unerheblich. Das ist ein Foulspiel. Da Bonga bei diesem Foulspiel eine glasklare Torchance hatte und kein Verteidiger mehr hätte eingreifen können, liegt eine Vereitelung einer glasklaren Torchance vor (Notbremse), sodass es in dieser Szene eine rote Karte hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, es nur bei Gelb für Steinhart zu belassen.

Szene 2: Nach einer Hereingabe von Dejan Bozic (Chemnitzer FC) reklamiert der CFC Handspiel von 1860-Kapitän Daniel Weber. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:47:35]

Babak Rafati: Bozic will den Ball in den gegnerischen Strafraum zum Mitspieler durchspielen. Weber blockt den Ball jedoch kurz vor dem eigenen Strafraum mit dem Arm ab und verhindert somit das Zuspiel. Der Arm von Weber ist zwar angelegt, aber die Bewegung mit dem Arm zum Ball ist aktiv und somit absichtlich. Dadurch, dass Weber seitlich zum Schiedsrichter steht, verdeckt er mit seinem Körper seinen hinteren Arm, mit dem er das Handspiel begeht, sodass dem Schiedsrichter dieses strafbare Handspiel entgeht. Hier hätte der Assistent eventuell durch seinen Seitenblick helfen können. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Es hätte einen Freistoß für Chemnitz und eine gelbe Karte gegen Weber geben müssen.

Szene 3: Für ein vermeintliches Foul an Dejan Bozic (Chemnitzer FC) sieht Leon Klassen (1860 München) Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:16:00]

Babak Rafati: Klassen geht auf Höhe der Mittellinie mit einem absolut sauberen Tackling in den Zweikampf und spielt nur den Ball. Dabei gibt es überhaupt keinen Kontakt mit Gegenspieler Bozic, sodass dieser Freistoßpfiff und obendrein die gelbe Karte  Fehlentscheidungen sind. Warum sich Bozic derartig am Boden wälzt, bleibt sein Geheimnis. Weiterspielen und keine Karte wären die richtige Entscheidung gewesen.

 

Szene 4: Maurice Litka (Preußen Münster) trifft zum 1:0 für Münster, wird von Schiedsrichter Robin Braun allerdings zurückgepfiffen, weil Luca Schnellbacher (Preußen Münster) den Ball zuvor mit der Hand weitergeleitet hat. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]

Babak Rafati: Seit dieser Saison gibt es im Rahmen der Handspielreform die Regelung, dass aus einem Handspiel kein Tor mehr entstehen oder erzielt werden darf. Unabhängig davon, ob Absicht vorliegt. Da Schnellbacher zuvor den Ball im Mittelfeld an den Arm bekommen hat, wird das Tor annulliert und das Handspiel nachträglich geahndet. Eine richtige Entscheidung nach dem neuen Regelwerk. Ob diese Regel allerdings Sinn ergibt, bleibt eine andere Frage.

Szene 5: Nach einem Zweikampf zwischen Pascal Breier (Hansa Rostock) und Luca Schnellbacher (Preußen Münster) landet der Ball im Aus. Der Linienrichter zeigt Einwurf für Münster an. Dieser wird zunächst ausgeführt, dann unterbricht der Schiedsrichter die Partie, weil er zuvor Einwurf für Rostock angezeigt hatte. Dazu kommt es anschließend und aus dem Angriff fällt das 1:0 für Rostock. [TV-Bilder – ab Minute 1:51:00]

Babak Rafati: Nach einem Zweikampf an der Seitenlinie wird der Ball deutlich und unverkennbar vom Rostocker Breier ins Seitenaus befördert, sodass es einen Einwurf für Münster geben muss. Der Schiedsrichter geht allerdings durch seinen Bewegungsablauf in Richtung Münsteraner Tor und signalisiert damit, dass Rostock den Einwurf zugesprochen bekommt. Als dann aber ein Münsteraner den Ball einwirft, unterbricht er das Spiel und lässt Rostock den Einwurf ausführen. Aus diesem Einwurf resultiert schließlich ein Tor für Rostock. Das ist natürlich eine Fehlentscheidung, denn es hätte einen Einwurf für Münster geben müssen, sodass es erst gar nicht zur Torerzielung für Rostock hätte kommen dürfen.

Der Kommentator sagt im Beitrag, dass der Assistent vorher richtigerweise Einwurf für Münster angezeigt haben soll. Die Assistenten zeigen Einwürfe üblicherweise auf ihrer Seite mit offener Fahne nur bis zur Mittellinie an. In diesem Fall war der Ball jedoch aus Assistentensicht hinter der Mittellinie. Er wird aber womöglich gedacht haben, dass der Schiedsrichter aus seiner Position den Vorgang nicht genau gesehen haben könnte und wollte ihm dadurch helfen. Das ist ausnahmsweise möglich. Der Schiedsrichter wäre somit besser beraten gewesen, wenn er sich in diesem Fall dem Assistenten angeschlossen hätte.

 

Szene 6: Für ein Foul an Roberto Rodriguez (KFC Uerdingen) sieht Marc Pfitzner (Eintracht Braunschweig) von Schiedsrichter Florian Badstübner glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]

Babak Rafati: Pfitzner geht im Mittelfeld mit gestrecktem Bein in den Zweikampf und trifft Rodriguez voll mit offener Sohle auf Knie-/Oberschenkelhöhe. Auch wenn diese Aktion dem Ball gelten sollte und sicherlich keine Absicht vorliegt, nimmt Pfitzner billigend in Kauf, die Gesundheit des Gegenspielers zu gefährden. Das ist ein brutales Foulspiel und der Schiedsrichter hat überhaupt keinen Ermessensspielraum. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, Pfitzner wegen dieses überharten Einsteigens die rote Karte zu zeigen.

Das mag einem im ersten Anschein sicherlich hart vorkommen, aber man stelle sich vor, der Schiedsrichter würde diese Spielweise zulassen ("Fingerspitzengefühl") und nicht regelkonform mit Rot ahnden. Dann gäbe es aus Frust womöglich ähnliche Vergehen auf der anderen Seite, die der Schiedsrichter ebenso nur mit Gelb belegen müsste, um nicht mit zweierlei Maß zu agieren. Das Spiel würde ihm aus der Hand gleiten, weil der Maßstab falsch gesetzt wäre.

Szene 7: Jan Kirchhoff (KFC Uerdingen) bringt Yari Otto (Eintracht Braunschweig) aus vollem Lauf zu Fall, Badstübner zeigt Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:51:45]

Babak Rafati: Auf Höhe der Mittellinie (an der Seitenlinie) wird Otto vom Mitspieler angespielt und will einen guten Angriff über die linke Angriffsseite einleiten. Dabei grätscht Kirchhoff von der Seite und will den Ball spielen, trifft Otto jedoch leicht am Fuß und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel. Zudem ist die gelbe Karte eine richtige Entscheidung, denn die Attacke ist nicht brutal, sondern im Kampf um den Ball, bei dem Kirchhoff ein wenig zu spät kommt.

Szene 8: Für ein Foul an Robin Becker (Eintracht Braunschweig) sieht Tobias Rühle (KFC Uerdingen) Gelb, auch Becker wird verwarnt. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:40]

Babak Rafati: Die gelbe Karte gegen Rühle wegen des Foulspiels an Becker ist unstrittig. Warum Becker bei dieser Aktion ebenso die gelbe Karte bekommt, ist hingegen unerklärlich. Vielleicht erhält er die gelbe Karte für Meckern. In solch einer Szene ein derartiges Foulspiel und ein Meckern gleichzusetzen, wäre aber unverhältnismäßig und somit eine Fehlentscheidung.

 

Szene 9: Christian Beck (1. FC Magdeburg) kommt im Duell mit Dominic Volkmer (Jena) im Strafraum zu Fall. Schiedsrichter Patrick Alt lässt das Spiel weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:18:05]

Babak Rafati: Beim Zweikampf im Jenaer Strafraum kommt es vielleicht zu einem leichten Kontakt von Volkmer gegen Beck, aber das reicht natürlich nicht für einen Strafstoß aus, zumal dieser Kontakt sicherlich nicht die Ursache für das Zufallkommen von Beck ist. Das fällt eher in die Kategorie "Dankend angenommen." Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 10: Niklas Jahn (Jena) geht mit dem Kopf zum Ball und wird von Timo Perthel (1. FC Magdeburg) getroffen – kein Elfmeter, sagt Alt. [TV-Bilder – ab Minute 1:52:30]

Babak Rafati: Perthel geht im eigenen Strafraum zum Ball und klärt diesen deutlich und sauber mit dem Fuß. Gleichzeitig geht Jahn mit dem Kopf etwas zu tief dorthin, wo Perthel den Ball gespielt hat und wird vom Fuß des Gegenspielers im natürlichen Bewegungsablauf touchiert. Das ist ein gefährliches Spiel (Kopf zu tief) vom Angreifer und hätte folglich einen indirekten Freistoß für Magdeburg geben müssen. Eine richtige Entscheidung, keinen Strafstoß für Jena zu geben.

 

Szene 11: Eine Hereingabe berührt Thomas Keller (FC Ingolstadt) im Strafraum mit der Hand, Schiedsrichter Alexander Sather lässt die Partie weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 0:30]

Babak Rafati: Nach einer langen Hereingabe in den Strafraum von Ingolstadt geht Keller, nachdem er sich ein wenig verschätzt hat, mit dem Arm zum Ball und berührt diesen auch. Das ist ein absichtliches Handspiel und hätte als Folge einen Strafstoß für Köln sowie eine gelbe Karte gegen Keller nach sich ziehen müssen. Der Schiedsrichter hatte eigentlich eine gute Sicht und auch der Assistent hätte helfen können. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 12: Für ein Foul an Marcel Gottschling (Viktoria Köln) sieht Thomas Keller (FC Ingolstadt) glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]

Babak Rafati: Gottschling legt sich auf der rechten Seite, noch in der eigenen Spielfeldhälfte, den Ball vor und läuft diesem hinterher. Dabei kommt Keller aus vollen Lauf und mit großer Dynamik angerauscht, springt mit gestrecktem Bein und offener Sohle in den Zweikampf, trifft Gottschling dabei und bringt ihn brutal zu Fall. Auch wenn Keller seinen Gegenspieler nicht voll trifft, nimmt er billigend in Kauf, die Gesundheit des Gegenspielers zu gefährden. Die rote Karte gegen Keller ist die einzig richtige Entscheidung.

 

[box type="info"]Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde[/box]

   
Back to top button