Strittige Szenen am 6. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Elfmeter für 1860, Kaiserslautern, Wiesbaden und Köln, die Tore für Braunschweig, Saarbrücken und Meppen, das 1:0 und 3:4 für Halle sowie der nicht gegebene Strafstoß für Zwickau. Am 6. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zehn Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).
Szene 1: Einen Schuss von Richard Neudecker (1860) bekommt Michael Schultz (Braunschweig) im Strafraum beim Fallen an den Rücken. Es gibt Elfmeter für 1860. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]
Babak Rafati: Nach einer Flanke von Neudecker auf der rechten Außenbahn blockt Schultz den Ball im Fallen aus kurzer Distanz im Strafraum und verhindert dadurch die Hereingabe vor das eigene Tor. Dabei ist die alles entscheidende Frage, ob er mit dem Arm am Ball ist. Wer Fußball spielt respektive gespielt hat, kennt den natürlichen Bewegungsablauf. Wenn ein Bein nach vorne bewegt wird, geht gleichzeitig der entgegengesetzte Arm etwas nach oben. In diesem Fall grätscht Schultz mit dem linken Bein nach vorne, und der rechte Arm geht gleichzeitig aufgrund der beschriebenen Motorik nach oben. Somit liegt eine natürliche Armhaltung vor, zumindest des rechten Arms. Der linke Arm ist hierbei irrelevant. Der Ball prallt an den Rippen-/Rückenbereich und von da aus springt das Spielgerät an den Arm. Dadurch, dass der Arm wie oben beschrieben, in natürlicher Haltung ist, liegt kein strafbares Handspiel vor.
Bei der Regelmodifizierung wurde festgelegt, dass nur noch die Absicht beziehungsweise das in Kauf nehmen des Handeinsatzes strafbar ist. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, diesen Elfmeter für 1860 München zu pfeifen. Zugegebenermaßen ist es für den Schiedsrichter im normalen Ablauf schwierig, so etwas zu beurteilen. Wir haben allerdings die TV-Bilder als Hilfe. Was aber erwartet werden kann, ist, dass zumindest die Absicht beim Handspiel durch die Schiris besser verinnerlicht und ausgelegt wird. Bei dieser Szene liegt beim besten Willen dieses entscheidende Kriterium, die Absicht, nicht vor, sodass die Schiedsrichter hoffentlich nicht noch mehr Zeit brauchen, um sich umzustellen und die neue Regelinterpretation richtig praktizieren.
Szene 2: Nach einem Luftzweikampf zwischen Kevin Goden (1860) und Lasse Schlüter (Braunschweig) gibt es Freistoß für Braunschweig. Dieser führt zu einer Ecke, aus der der Ausgleich fällt. [TV-Bilder – ab Minute 2:03:20]
Babak Rafati: Es kommt vor dem Strafraum von 1860 München zu einem Luftzweikampf zwischen Goden und Schlüter. Goden geht dabei nur zum Ball, Schlüter wiederum dreht sich und springt nur mit dem Rücken in den Körper von Goden. Dadurch kann Goden nicht richtig zum Ball, beide kommen anschließend zu Fall und Schlüter hält sich den Kopf. Einen Kontakt im Kopfbereich von Schlüter gibt es allerdings überhaupt nicht. Das ist ein Foulspiel von Schlüter und nicht andersherum. Eine Fehlentscheidung, diesen Freistoß für Braunschweig zu geben. Der Schiedsrichter hat sich womöglich in der Vorszene selbst in Zugzwang gebracht, sodass bei solchen Entscheidungen die Rufe nach Konzessionsentscheidungen naturgemäß laut werden.
Szene 3: Für ein vermeintliches Foul von Luca Stellwagen (Verl) an Tom Zimmerschied (Halle) gibt es Freistoß für den HFC, durch den das 1:0 zustande kommt. Im Strafraum geht Lasse Jürgensen (Verl) gegen Terrence Boyd (Halle) zu Fall, das Tor zählt. [TV-Bilder – ab Minute 38:40]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell kreuzt Zimmerschied den Laufweg von Stellwagen. Dabei gibt es im Fußbereich keinen Kontakt, allerdings berührt Stellwagen seinen Gegenspieler leicht mit dem Arm. Zimmerschied lässt sich dann etwas zeitverzögert fallen. Hierbei sind Impuls und Wirkung zu berücksichtigen. Diese leichte Berührung bringt niemanden zu Fall, es sei denn, man hilft selbst ein wenig nach, was Zimmerschied durch sein Fallmuster sehr gut gelingt. Eine Fehlentscheidung, auf diesen Faller hereinzufallen und einen Freistoß für Halle zu geben.
Beim anschließenden Zweikampf trifft Boyd mit dem Fuß seinen Gegenspieler Jürgensen in die Hacke, sodass dieser ins Straucheln kommt, den Ball nicht richtig erwischt und in der Folge zu Fall kommt. Das ist ein Foulspiel, sodass das Tor nicht hätte zählen dürfen. Erneut eine Fehlentscheidung.
Szene 4: Kasim Rabihic (Verl) wird am eigenen Strafraum von Niklas Kastenhofer (Halle) gefoult, das Spiel läuft weiter. Aus dem Angriff fällt das 3:4 für Halle. [TV-Bilder – ab Minute 3:20]
Babak Rafati: Rabihic legt sich den Ball vor dem gegnerischen Strafraum an seinem Gegenspieler Kastenhofer vorbei. Dabei nimmt der Verteidiger den Fuß heraus, trifft den Angreifer klar und unübersehbar am Fuß und bringt ihn daher zu Fall. Der Schiedsrichter führt zunächst die Pfeife zum Mund, warum er dann doch nicht pfeift, ist nicht nachvollziehbar. Kastenhofer selbst bleibt stehen und erwartet den Pfiff gegen sich und ist vermutlich schon gedanklich bei der Mauerstellung. Eine Fehlentscheidung, diesen zwingenden Freistoß für Verl nicht zu pfeifen. Kastenhofer hätte hierfür zudem die gelbe Karte sehen müssen.
Szene 5: Kenny Prince Redondo (Kaiserslautern) geht im Strafraum gegen Can Coskun (Zwickau) zu Boden, es gibt Elfmeter für den FCK. Allerdings zögerte der Schiedsrichter recht lange und ließ zunächst weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 3:00]
Babak Rafati: Nach einem hohen Ball in den Strafraum von Zwickau kommt es circa 7 Meter zentral vor dem Tor zu einem Zweikampf zwischen Redondo und Coskun. Dabei erläuft sich der Angreifer die bessere Position. Coskun wiederum muss sich erst orientieren und bemerkt im letzten Augenblick, indem er kurz den Blick vom Ball abwendet, dass er eine schlechtere Position im Vergleich zu Redondo hat. Er kann sich nur noch durch ein Foulspiel helfen und drückt (kein Schlag) seinen Arm entscheidend ins Gesicht des Angreifers und trifft ihn zudem unten am Fuß, was beides schon als Einzelvergehen jeweils einen Elfmeter für Kaiserslautern rechtfertigen würde. Offensichtlich liegt für den Schiedsrichter dennoch kein Foulspiel vor, was man an seiner Körpersprache deuten kann. Nach heftigen Protesten der Lautrer schaut der Schiedsrichter in Richtung seines Assistenten und entscheidet etwas zeitversetzt auf Elfmeter für Kaiserslautern. Vermutlich gibt ihm sein Assistent das entscheidende Zeichen, was folglich zur richtigen Entscheidung führt. Eine rote Karte kann es dabei nicht geben, da der Angreifer zwar in einer aussichtsreichen Position ist, allerdings keine Ballkontrolle hat (Ball in der Luft), die aber zwingend für eine Notbremse-Regelung erforderlich wäre.
Szene 6: Einen Schuss von Ronny König (Zwickau) bekommt Marvin Senger (Kaiserslautern) im Strafraum an die ausgestreckte Hand, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:36:30]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum will König das Spielgerät annehmen, dabei prallt der Ball nach der Annahme aus kurzer Entfernung an die Hand von Gegenspieler Senger. Dadurch, dass der Arm durch die Bewegung des Körpers in normaler Haltung ist, liegt kein absichtliches Handspiel vor. Man sieht gleich im Anschluss, wie Senger den Ball wegschießt, und auch da erkennt man ähnlich wie in der unmittelbaren Szene zuvor, dass der Arm in natürlicher Haltung ständig in Bewegung ist. Entscheidend sind die Absicht und eine mögliche Vergrößerung der Körperfläche, die ein Handspiel in Kauf nimmt. Beides liegt in dieser Szene nicht vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 7: Einen Schuss von Leon Bell Bell (Magdeburg) bekommt Gino Fechner (Wiesbaden) im Strafraum beim Abstützen an die Hand, es gibt Elfmeter für den FCM. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]
Babak Rafati: Nach einer Flanke von der linken Außenbahn durch Bell Bell rutscht Fechner im eigenen Strafraum per Grätsche zum Ball, will die Hereingabe verhindern und bekommt dabei den Ball an die Hand. Allerdings dient der Arm nur zum Abstützen, sodass eine natürliche Haltung vorliegt und dadurch keine Absicht vorliegt. Selbst in der Vorsaison, als die Handspielregel durch zahlreiche Parameter strenger ausgelegt wurde, wäre diese Aktion nicht strafbar, da explizit dieses Abstützen als nicht strafbar hervorgehoben wurde. Somit ist dies nach der Regelmodifizierung und großzügigeren Auslegung erst Recht nicht strafbar und daher ist der Elfmeter eine Fehlentscheidung.
Szene 8: Nach einer Ecke für Viktoria Köln zeigt die Schiedsrichterin auf den Punkt, nachdem Sandrino Braun (Freiburg II) den Ball mit dem Arm gespielt haben soll. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Nach einer Ecke köpft ein Kölner auf das Freiburger Tor. Dabei bekommt Braun den Ball an den Bauch. Die Schiedsrichterin pfeift in dieser Szene etwas verzögert Elfmeter. Das ist offensichtlich eine Fehlentscheidung, denn es ist gar keine Hand im Spiel. Wie kann so etwas passieren? Man erkennt sehr gut, dass Braun mit dem Rücken ein paar Meter entfernt zur Schiedsrichterin steht. Als Braun den Ball an den Bauch bekommt, was die Schiedsrichterin nicht sieht, zieht er den Arm zurück, um zu verhindern, den Ball mit dem Arm zu spielen. Dabei wird die Schiedsrichterin wahrgenommen haben, dass der Ball an den Arm springt und deshalb der Arm nach hinten schwingt. Somit kann man festhalten, dass diese Entscheidung aus einer falschen Wahrnehmung und nicht einer falschen Handinterpretation resultiert. Warum der Pfiff zeitversetzt ertönt, ist aber nicht nachvollziehbar.
Szene 9: Bei einem Angriff wird David Kopacz (Würzburg) im Mittelfeld von Minos Gouras (Saarbrücken) gefoult, das Spiel läuft weiter. Kurz danach fällt das 1:1. [TV-Bilder – ab Minute 2:05:50]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Mittelfeld, bei dem Kopacz zu Boden geht, ist alles regelkonform. Der Gegenspieler begeht kein Foulspiel, es kommt lediglich zu einem leichten Kontakt beziehungsweise leichtem Touchieren im Beinbereich, was aber im Fußballsport nicht ahndungswürdig und nicht ursächlich für das Zufallkommen von Kopacz ist. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen
Szene 10: Niklas Teichgräber (Havelse) geht bei einem Angriff des SV Meppen im Duell mit René Guder (Meppen) zu Fall, das Spiel läuft weiter. Aus der anschließenden Flanke resultiert das 1:0 für Meppen. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]
Babak Rafati: Auf der rechten Außenbahn grätscht Teichgräber zum Ball und wird von seinem Gegenspieler Guder ausgespielt. Dabei grätscht Teichgräber ins Leere und bekommt am Boden beim Überspringen durch den Angreifer dessen Knie leicht ins Gesicht. Hier geht alles mit fairen Dingen zu und der "Gesichts-Treffer" ist ein unglücklicher Unfall und keinesfalls ein Foulspiel, so dass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen.
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