Strittige Szenen am 6. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Tore für Kaiserslautern und Ingolstadt, die verwehrten Elfmeter für Mannheim, Uerdingen, Zwickau und Kaiserslautern, die Strafstöße für Mannheim und Türkgücü, das Foul von Reinhardt an Löwe und der Tritt von FCI-Sportdirektor Michael Henke. Am 6. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de elf Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).

Szene 1: Nach einer Ecke trifft Thomas Keller zum 1:0 für Ingolstadt. Doch weil Schiedsrichter Asmir Osmanagic ein Stürmerfoul an FCK-Keeper Avdo Spahic gesehen haben will, zählt der Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]

Babak Rafati: Nach einer Ecke springt Keller zum Kopfball hoch und köpft den Ball ins gegnerische Tor. Spahic kommt einfach nicht richtig zum Ball und verpasst diesen. Bei diesem Luftduell liegt überhaupt kein Foulspiel vor. Der Schiedsrichter macht auch erst keine Anzeichen, diesen Treffer nicht anzuerkennen. Womöglich lässt er sich durch das Hinfallen des Torhüters ein wenig beirren. Die Aktion ist absolut sauber, sodass der Treffer hätte zählen müssen. Eine Fehlentscheidung.

Szene 2: Einen Schuss von Marvin Pourie (Kaiserslautern) blockt Tobias Schröck (Ingolstadt) im Strafraum mit dem Arm/dem Rücken. Kein Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 52:30]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Pourié, etwa 7-8 Meter vor dem gegnerischen Tor, dreht sich Schröck mit dem Rücken zum Ball und bekommt diesen aus kurzer Entfernung an den Arm. Dabei ist der Arm angelegt und in natürlicher Haltung, sodass kein absichtliches Handspiel vorliegt. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 3: Bei einem Schuss auf das Tor geht Carlo Sickinger (Kaiserslautern) im Duell mit Tobias Schröck (Ingolstadt) zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]

Babak Rafati: Sickinger will im gegnerischen Strafraum den Ball auf das Tor schießen, trifft ihn aber nicht richtig. Dabei dreht sich Schröck mit dem Rücken zum Angreifer und will nur den Ball blocken. Auch wenn Sickinger anschließend zu Fall kommt, ist kein Foulspiel zu erkennen. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 4: Marvin Pourié (Kaiserslautern) setzt sich im Laufduell gegen Björn Paulsen (Ingolstadt) durch, umkurvt Keeper Fabijan Buntic und trifft zum 2:1. Osmanagic entscheidet aber auf Stürmerfoul und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:40]

Babak Rafati: Bei einem Angriff kurz vor dem Strafraum von Ingolstadt kommt es zu einem Laufduell zwischen Pourié und Paulsen. Dabei wählt Paulsen einen ungünstigen Laufweg und verschätzt sich mit seinem Stellungsspiel ein wenig. Anschließend will er Pourié vom Ball weghalten und setzt dabei sogar grenzwertig den linken Arm ein. Es gelingt ihm aber schlussendlich nicht, Pourié am Weiterlaufen zu hindern. Daher lässt er sich einfach fallen, womöglich um einen Freistoß zu schinden. Pourié verhält sich dagegen absolut korrekt, setzt sich gegen den Verteidiger regelkonform durch und erzielt anschließend einen Treffer. Eine wichtige Rolle bei der Fehleinschätzung des Schiedsrichters spielt sicherlich auch, dass er sehr weit entfernt vom Geschehen steht und somit keinen optimalen Blick auf die Szene hat. Dieser Treffer hätte zählen müssen, daher liegt eine Fehlentscheidung vor.

Szene 5: Bei den üblichen Handshakes nach dem Spiel lässt sich FCI-Sportdirektor Michael Henke zu einem Tritt gegen FCK-Trainer Jeff Saibene hinreißen. [TV-Bilder – ab Minute 4:25]

Babak Rafati: Man sieht, dass die Beteiligten nach dem Spiel beim Schiedsrichter sind und mit ihm sprechen. Plötzlich tritt Henke dem gegnerischen Trainer Saibene kurz und ansatzlos von hinten in die Beine und macht sich schnell davon. Solche Szenen haben auf dem Fußballplatz einfach nichts zu suchen. Im Fußballsport müsste das Konfliktmanagement viel besser geschult werden, damit so etwas nicht passiert. Die Reaktion von Saibene ist hingegen vorbildlich. Er lässt einfach nur die Bilder für sich sprechen. Respekt, Herr Saibene! Sie haben Größe gezeigt und ein elementar wichtiges Zeichen über den Fußball hinaus in die Gesellschaft gesendet! Respektlosigkeit beantwortet man nicht mit Respektlosigkeit! Somit kann man dieser hässlichen Szene etwas Wunderbares abgewinnen. 

 

Szene 6: Bei einem Laufduell mit Sven Sonnenberg (Rostock) geht Dominik Martinovic (Mannheim) im Strafraum zu Fall. Schiedsrichter Sven Waschitzki entscheidet auf Elfmeter und zeigt Sonnenberg Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball kommt es zu einem Laufduell zwischen Sonnenberg und Martinovic. Dabei überläuft der Mannheimer Angreifer seinen Gegenspieler, sodass der Rostocker Verteidiger keine Chance auf den Ball hat und seinen Gegenspieler kurz und ansatzlos durch Beinstellen aus dem Tritt und zu Fall bringt – dadurch verhindert er eine große Torchance. Das ist ein Foulspiel, allerdings noch vor dem Strafraum. Bei Vergehen, die außerhalb des Strafraumes beginnen und bis in den Strafraum anhalten, gilt als Tatort der Strafraum. Hier hätte es aber einen Freistoß für Mannheim geben müssen, da der Kontakt nur außerhalb stattfindet und dort auch endet. Dass der Stürmer anschließend erst im Strafraum fällt, ist unerheblich. Zudem hätte es die rote Karte gegen Sonnenberg geben müssen. Eine Fehlentscheidung, den Tatort in den Strafraum zu verlegen. Eine Fehlentscheidung auch, es lediglich bei der gelben Karte zu belassen.

Selbst wenn das Vergehen im Strafraum gewesen wäre, findet die Dreifachbestrafung nur dann nicht Relevanz, wenn der Verteidiger im Kampf um den Ball ist und das Vergehen nicht gegen den Gegenspieler gerichtet ist. In diesem Fall ist das Vergehen nicht im Kampf um den Ball und somit nur gegnerorientiert. Der Vorgang ist aber für den Schiedsrichter schwer zu sehen, da er frontal auf die Szene drauf schaut. In solchen Szenen muss der Assistent, der einen optimalen Blick von der Seite hat, höchste Konzentration aufbringen und auf solch ein Vergehen vorbereitet sein, damit er bei der Tatortfestlegung helfen kann und final eine richtige Entscheidung im Schiedsrichtergespann getroffen werden kann.

Szene 7: Nach einem Schubser von Sven Sonnenberg (Rostock) kommt Gillian Jurcher (Mannheim) im Strafraum zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 3:50]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball Richtung Strafraumgrenze kommt es zu einem Laufduell zwischen Sonnenberg und Jurcher. Dabei nimmt der Rostocker Verteidiger den Arm zur Hilfe und stößt Jurcher leicht in den Rücken, sodass dieser zu Fall kommt. Die entscheidende Frage, die sich in dieser Szene stellt, ist, ob dieses Vergehen ursächlich für das Fallen ist. Sicherlich eine grenzwertige Angelegenheit. Dadurch, dass der Stürmer keine Ballkontrolle hat – der Ball ist noch in der Luft – und den Ball vielleicht nicht mehr erreicht hätte, wird er womöglich den Kontakt dankend angenommen haben und zu Fall gekommen sein. Auch ist Fußball ein Kontaktsport, sodass diese Armeinsätze immer wieder hüben wie drüben zu sehen sind. 

Wiederum muss man die Frage stellen, was der Arm des Verteidigers dort zu suchen hat und ob diese Spielweise nicht einfach taktisch unklug ist. Der Verteidiger hätte sich über einen Strafstoßpfiff nicht wundern dürfen. Am Ende kannst Du als Schiedsrichter in dieser Szene entscheiden, wie du willst – es bleibt immer diskussionswürdig. Es gibt somit Argumente für, aber genauso auch gegen eine Strafstoßentscheidung. Ich persönlich hätte tendenziell weiterspielen lassen.

 

Szene 8: Für ein Foul an Chris Löwe (Dresden) sieht Julius Reinhardt (Zwickau) von Schiedsrichter Alexander Sather Gelb. Löwe muss danach verletzt ausgewechselt werden. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]

Babak Rafati: An der Seitenlinie grätscht Reinhardt seinem Gegenspieler Löwe in die Beine, was absolut gelbwürdig ist. Dass sich Löwe dabei am Knie verletzt, ist eher einer unglücklichen Bewegung von beiden zuzuschreiben und nicht Reinhardts Schuld. Somit eine richtige Entscheidung, die Aktion mit der gelben Karte zu ahnden. Auch die Reaktionen aller Beteiligten sind eindeutig eher benommen als emotional, was ein Indiz für eine Verkettung von unglücklichen Umständen ist.

Szene 9: Nach einer Flanke in den Dynamo-Strafraum will Torhüter Kevin Broll den Ball wegfausten, trifft aber nur Gegenspieler Julius Reinhardt (Zwickau). Einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:35]

Babak Rafati: Nach einer Flanke von der linken Seite in den Strafraum von Dresden steigen Torhüter Broll und Angreifer Reinhardt zum Ball hoch. Dabei kommt Reinhardt an den Ball und köpft diesen über das Tor. Broll kommt etwas zu spät und trifft nur seinen Gegenspieler mit den Fäusten an den Kopf. Auch wenn Reinhardt nicht schindet und nicht am Boden liegen bleibt, was ihm hoch anzurechnen ist, hätte es in dieser Szene einen Strafstoß für Zwickau geben müssen, weil dieser Gesichtstreffer ein Foulspiel ist. Eine Fehlentscheidung, den fälligen Strafstoß nicht zu geben.

 

Szene 10: Florian Riedel (Lübeck) blockt einen Schuss von Tom Boere (Türkgücü) im Strafraum ab, Schiedsrichter Nicolas Winter gibt Elfmeter für Türkgücü. [TV-Bilder – ab Minute 3:35]

Babak Rafati: Nach dem Schuss von Boere auf das Tor von Lübeck springt Riedel im eigenen Strafraum hoch und wehrt den Ball ab. Die entscheidende Frage dabei ist, ob er den Ball mit dem Rücken oder dem Arm abwehrt. Die TV-Sequenzen liefern kein eindeutiges Bild. Aber ein Indiz dafür, dass der Ball vom Rücken abgewehrt wird, ist die Flugbahn des Balles nach dem Abpraller. Wenn der Ball an den Arm gegangen wäre, wäre der Ball nicht so dynamisch dorthin zurückgesprungen, von wo er angeflogen kam. In diesem Fall wäre der Ball nach unten heruntergefallen. Auch ist die Lautstärke des Abprallers, was durch die Geisterspiele begründet ist, deutlich hörbar und signalisiert akustisch, dass der Ball mit dem Rücken abgewehrt wurde. Eine Fehlentscheidung, diesen Strafstoß zu pfeifen. 

 

Szene 11: Im Strafraum schießt Osayamen Osawe (Uerdingen) aufs Tor, wird dabei jedoch von Jakov Medic (Wiesbaden) zu Fall gebracht. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Michael Bacher. Osawe verletzt sich dabei. [TV-Bilder – ab Minute 0:55]

Babak Rafati: Osawe ist im Strafraum von Wiesbaden und holt zum Schuss auf das gegnerische Tor aus, wird dabei aber von Medic am Fuß getroffen. Wenn ein Verteidiger derartig im Strafraum in die Füße des Angreifers springt, muss er in Kauf nehmen, fast immer auch den Gegner zu treffen. Das tut Medic auch in diesem Fall, trifft ihn eindeutig im Knöchelbereich und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel und hätte einen Strafstoß für Uerdingen geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben.

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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