Strittige Szenen am 37. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Der nicht gegebene Treffer von Kaiserslautern, die verwehrten Elfmeter für Kaiserslautern, Ingolstadt, Meppen und 1860, der Strafstoß für Ingolstadt, der zweite Elfmeter für 1860, das Foulspiel von Batz, ein Foulspiel von Greger an Bahn sowie die Platzverweise gegen Kastenhofer und Grupe. Am 37. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).

Szene 1: Philipp Hercher (Kaiserslautern) bringt den Ball im Tor unter, jedoch entscheidet Schiedsrichter Florian Lechner auf Abseits, obwohl der Ball zur Vorlage wohl von einem Kölner kam. [TV-Bilder – ab Minute 1:00:50]

Babak Rafati: Bei einem Angriff der Lauterer spielt ein Spieler den Ball von der rechten Seite in die Mitte des Strafraums. Dabei will ein Mitspieler den Ball auf das Tor schießen, allerdings wird der Ball vom Verteidiger abgewehrt und das Spielgerät kommt wieder auf die rechte Seite zum ursprünglichen Flankengeber zurück, der in Abseitsposition steht. Dieser flankt erneut in die Mitte und anschließend schießt Hercher den Ball ins gegnerische Tor, allerdings wird der Treffer wegen Abseits nicht gegeben. Wäre der Ball nach der ersten Flanke in die Mitte nicht vom Gegenspieler, sondern vom Mitspieler gekommen, wäre es unstrittig eine Abseitsposition. In dieser Szene wird der Ball aber unmittelbar nach dem Schuss auf das Tor vom gegnerischen Verteidiger abgewehrt und kommt dann zum Flankengeber wieder zurück. Da hier eine Abwehraktion in Tornähe vorliegt, ist es immer noch die gleiche Spielsituation, sodass auch hier eine strafbare Abseitsposition vorliegt und die Entscheidung folglich richtig ist.

Solch eine Abwehraktion kann man mit folgender Szene vergleichen: Ein Angreifer schießt zentral auf das Tor und der Verteidiger hält den Fuß vor und wehrt den Ball auf die rechte Seite ab. Dort steht ein weiterer Angreifer im Abseits. Auch wenn der Ball vom Gegner kommt, ist es die gleiche Spielsituation, denn der erste Schuss des Angreifers ist für die Abseitsbewertung relevant. Somit wäre das Abseits. Ein Abpraller ist also Abseits. Wenn aber ein Angreifer den Ball zu einem Mitspieler, der sich in Abseitsposition befindet, abspielt und der Ball auf dem Weg zum Mitspieler von einem Verteidiger aktiv berührt wird, weil er ihn spielen will (!), dann entsteht eine neue Spielsituation und dieses Berühren des Balles wird als bewusstes Abspiel ausgelegt, sodass die Abseitsposition aufgehoben ist, obwohl er vom Gegner kommt. Also bewusstes Abspiel ist kein Abseits.

Szene 2: Nach einer Ecke wird Felix Götze (Kaiserslautern) von Jeremias Lorch (Köln) am Trikot gezogen und im Strafraum zu Fall gebracht. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:30:50]

Babak Rafati: Der Ball wird nach einer Ecke lang auf den zweiten Pfosten geflankt. Dabei bearbeiten sich Götze und Lorch ein wenig, was aber fußballtypisch und im Bereich des Erlaubten ist. Als Götze zum Kopfball hochsteigen will, wird er allerdings entscheidend von Lorch am Trikot gehalten, was dann auch die Ursache für das Zufallkommen von Götze ist. Das ist ein Foulspiel und somit hätte es einen Elfmeter für Kaiserslautern geben müssen. Weiterspielen zu lassen, ist eine Fehlentscheidung.

Szene 3: Einen abgefälschten Schuss von Daniel Hanslik (Kaiserslautern) bekommt Maximilian Rossmann (Köln) im Strafraum an den Ellenbogen, erneut gibt es keinen Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 1:41:55]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Hanslik wehrt ein Kölner Verteidiger den Ball mit dem Fuß ab und von da aus prallt das Spielgerät seinem Mitspieler Rossmann aus sehr kurzer Entfernung an den Ellenbogen. Dabei ist der Arm von Rossmann im Bewegungsablauf in absolut natürlicher Haltung, sodass keine Absicht vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 4: Im Strafraum läuft Daniel Hanslik (Kaiserslautern) einem Ball entgegen, bekommt jedoch den Arm von Patrik Koronkiewicz (Köln) ins Gesicht und trägt eine blutende Lippe davon. Wieder kein Elfmeter für den FCK. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:00]

Babak Rafati: Der Ball wird lang in den Strafraum von Köln geschlagen. Hanslik läuft im Rücken von Koronkiewicz dem Spielgerät entgegen, bekommt den Arm von ihm ins Gesicht und kommt zu Fall. Koronkiewicz nimmt zwar bewusst den Arm heraus, aber nicht, um den Gegner im Gesicht zu treffen, sondern vielmehr, um diesen vom Ball abzuhalten. Das ist aber noch kein Vergehen. So etwas – Ball blocken mit dem Körper und den Armen –  beobachtet man auch im Mittelfeld sehr oft.

Danach sieht man eine blutende Wunde an der Lippe von Hanslik. Allerdings lag wie oben beschrieben keine aktive Bewegung vom Verteidiger vor. Zudem läuft der Angreifer selbst in den Zweikampf, sodass es hier bei der blutenden Wunde zu einem sogenannten "Unfall" kommt, bei dem niemand etwas dafür kann. Somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Wichtig ist bei Zweikämpfen, insbesondere in den Strafräumen, bei denen ein Vergehen zum Elfmeter führen und das Spiel dadurch entscheiden kann, dass bei Absicht eines Foulspiels oder bei Nicht-Absicht eines Foulspiels die aktive Bewegung zum Gegner stattfindet. In einen Arm zu laufen, ist vergleichbar mit in das Standbein des Gegners zu laufen, sodass hier noch kein Foulspiel als solches vorliegt.

 

Szene 5: Fatih Kaya (Ingolstadt) ist im Strafraum am Ball und geht im Duell mit Lukas Scepanik (Duisburg) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Eric Müller. [TV-Bilder – ab Minute 54:10]

Babak Rafati: Scepanik grätscht im eigenen Strafraum bilderbuchmäßig zum Ball und spielt nur das Spielgerät. Ein saubereres Tackling kann man nicht anwenden. Natürlich kommt es bei dieser Szene auch zum Fußkontakt. Dieser ist aber nicht relevant, weil das Spielobjekt klar der Ball ist. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 6: Nach einer Flanke in den Strafraum wird Filip Bilbija (Ingolstadt) von Dominik Schmidt (Duisburg) am Trikot gezogen, es gibt Elfmeter für Ingolstadt. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]

Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum will Bilbija zum Kopfball hoch und den Ball auf das Tor bringen. Er wird dabei aber von Schmidt kurz und ansatzlos am rechten Arm gehalten, sodass der Angreifer nicht richtig hochsteigen kann und keinen Druck mehr hinter dem Ball bekommt. Dadurch wird er entscheidend behindert. Das ist ein Foulspiel, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Elfmeter für Ingolstadt zu entscheiden. Hierbei ist die Frage nach der Kartenfrage interessant. Man würde annehmen, dass eine glasklare Torchance vereitelt wurde und die Aktion nur gegen den Gegenspieler gerichtet war und somit die Notbremseregel zieht. Im Ergebnis käme man zu einer roten Karte. Dadurch aber, dass keine Ballkontrolle gegeben ist (Ball ist noch in der Luft), liegt laut Regel keine glasklare Torchance mehr vor, sodass eine gelbe Karte ausreichend ist.

 

Szene 7: FCS-Keeper Daniel Batz kommt aus dem Tor und foult außerhalb des Strafraums Luka Tankulic (Meppen). Schiedsrichter Wolfgang Haslberger belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:10]

Babak Rafati: Batz kommt aus seinem Tor über mehrere Meter herausgesprintet und will außerhalb des Strafraumes vor Tankulic an den Ball kommen. Dabei trifft er den Angreifer jedoch aus vollem Lauf und in hoher Geschwindigkeit sowie hoher Dynamik im Fuß-/Bänderbereich und bringt ihn rüde zu Fall. Hierbei wird zwar nicht eine glasklare Torchance verhindert, da noch mehrere Verteidiger in Spielnähe sind und eingreifen können. Dennoch ist dieses Foulspiel an sich als grob und brutal zu werten, was die rote Karte nach sich ziehen würde. Bei so einem Tempo wird einfach in Kauf genommen, die Gesundheit des Gegenspielers zu gefährden. Eine Fehlentscheidung, nur die gelbe Karte zu zeigen.

Szene 8: Christoph Hemlein (Meppen) dringt in den Strafraum ein und geht im Duell mit Mario Müller (Saarbrücken) zu Fall. Einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]

Babak Rafati: Hemlein legt sich im gegnerischen Strafraum den Ball auf der rechten Seite an Gegenspieler Müller vorbei. Dabei nimmt der Verteidiger das Bein heraus und kann nicht verhindern, dass er Hemlein am Weiterlaufen durch Beinstellen hindert und zu Fall bringt. Bedingt dadurch, dass das Bein aktiv herausgenommen wird, kann man nicht von einem Unfall sprechen. Auch nicht darüber, dass der Angreifer den Kontakt dankend sucht und auf das Standbein des Verteidigers zuläuft, um einen Elfmeter zu schinden. Nein, das ist ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter für Meppen hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. In dieser Szene haben sowohl der Schiedsrichter als auch der Assistent freie Sicht und somit optimale Bedingungen den Vorgang zu sehen. Ein Rätsel, wie so etwas übersehen werden kann und das Vergehen zumindest nicht von einem der beiden erkannt wird.

 

Szene 9: Im Strafraum geht Stefan Lex (1860) im Duell mit Nicolas Feldhahn (Bayern II) zu Fall, Schiedsrichter Frank Willenborg gibt Elfmeter für 1860. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Bayern läuft Lex im Rücken von Feldhahn dem Ball entgegen. Als Feldhahn den Ball spielen will, sieht er Lex im Rücken nicht, trifft ihn mit einer aktiven Bewegung hinten in die Hacke und bringt ihn zu Fall. Natürlich nimmt Lex diesen Kontakt dankend an und lässt sich anschließend fallen. Durch die aktive Bewegung von Feldhahn liegt kein Unfall vor. Es stellt sich nur die Frage, ob der Kontakt ausreicht, den Gegenspieler am Weiterlaufen zu hindern. Das ist eine typische 50:50 Situation, sodass man von einem Kann-Elfmeter spricht, denn ein Treffer in die Hacke kann durchaus ausreichend sein. Eine vertretbare Entscheidung, diesen Elfmeter für 1860 München zu geben.

Szene 10: Bei einer Ecke wird Semi Belkahia (1860) von Fiete Arp (Bayern II) gehalten und damit zu Fall gebracht. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:00:50]

Babak Rafati: Nach einer Ecke kommt es zu einem Zweikampf im Strafraum von Bayern. Dabei wird der Ball lang in die Mitte geschlagen und circa zwei Meter innerhalb des Strafraumes – also etwas vom Spielgeschehen entfernt – läuft Belkahia los, wird dabei von Arp am Trikot gehalten und zu Fall gebracht. Solche Vergehen sieht man bei Standards oft auf beiden Seiten, sodass man nicht argumentieren kann, dass das Halten von Arp vollkommen unnötig ist – business as usual. Die elementare Frage hierbei ist, ob das Trikothalten von Arp ursächlich für das Zufallkommen von Belkahia ist. Für mich nimmt Belkahia das Halten dankend an, um sich fallen zu lassen. Das reicht bei weitem nicht für einen Elfmeter aus. Ich glaube, dass selbst wenn der Schiedsrichter diesen Vorgang gesehen hätte, trotzdem nicht auf den Punkt gezeigt hätte. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 11: Kurz vor dem Strafraum wird Bentley Baxter Bahn (Rostock) von Christoph Greger (Unterhaching) zu Fall gebracht, Schiedsrichter Lars Erbst lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 46:00]

Babak Rafati: Nach einem Zweikampf kurz vor dem Unterhachinger Strafraum verschätzt sich Greger und hält, nachdem er zu Boden geht, seinen Gegenspieler Baxter Bahn am Fuß fest und reißt ihn zu Boden. Das ist ein klares Foulspiel und hätte einen Freistoß für Rostock sowie die gelbe Karte gegen Greger geben müssen. Wenn der Schiedsrichter ein wenig nach rechts ausgewichen wäre, hätte er den Vorgang selbst aus einer besseren Position erkennen können. Aber auch der Assistent hat eine sehr gute Sicht von der Seite und hätte hier eingreifen müssen. Eine Fehlentscheidung, dieses klare Vergehen ungeahndet weiterlaufen zu lassen.

 

Szene 12: Leon Brumme (Wiesbaden) läuft auf das Tor zu und wird von Niklas Kastenhofer (Halle) zu Fall gebracht. Schiedsrichter Florian Exner wartet kurz und entscheidet dann auf glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]

Babak Rafati: Brumme leitet einen sehr guten Angriff ein und spielt den Ball auf die rechte Seite in den Strafraum zu seinem Mitspieler. Zum Zeitpunkt, als er den Ball abspielt, kommt Kastenhofer angelaufen, rutscht von hinten in die Beine von Brumme und bringt ihn zu Fall. Der Schiedsrichter wartet zunächst richtigerweise einen möglichen Vorteil ab, und als dieser nicht eintritt, pfeift er zurück und zeigt Kastenhofer die rote Karte. Kastenhofer rutscht nicht mit gestrecktem Bein und offener Sohle in die Beine des Gegners, sodass hierbei auch eine gelbe Karte ausgereicht hätte. Der Schiedsrichter wird aber womöglich gesehen haben, dass die Aktion in die Achillessehne/Hacke von Brumme geht und somit eine brutale Spielweise ausgemacht haben. Das ist sicherlich vertretbar, aber dennoch eine harte Entscheidung. Niemand hätte sich bei einer gelben Karte beschwert, auch wenn das nicht Maßstab sein sollte.

 

Szene 13: Nach einem Zweikampf mit Dustin Willms (Zwickau) im Mittelfeld sieht Tommy Grupe (Lübeck) für eine versuchte Tätlichkeit Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Grupe wird im Mittelfeld kurz von Willms gehalten. Der Schiedsrichter entscheidet auf Foulspiel und unterbricht das Spiel durch einen Pfiff. Unmittelbar nach dem Pfiff holt Grupe mit dem Bein Richtung Willms aus und zieht im letzten Moment zurück, sodass statt einem Tritt nur ein leichter Kontakt zustande kommt. Doch schon der Versuch (!) einer Tätlichkeit ist mit der roten Karte zu ahnden, sodass die Entscheidung vom Schiedsrichter regeltechnisch richtig ist. Auch wenn es hier für Lübeck im Saisonfinale um den Abstieg geht, kann man vom Schiedsrichter kein Fingerspitzengefühl einfordern, da er von einem offiziellen Beobachter benotet wird, sodass er keine andere Wahl hat. Sicherlich hat ein Bundesliga-Schiedsrichter, der in der 3.Liga nicht beobachtet wird, einen anderen Spielraum und hätte in dieser Szene die Möglichkeit gehabt, beide Augen zuzudrücken. Ich persönlich hätte hier noch nicht einmal die gelbe Karte gezeigt und kann natürlich den Ärger der Beteiligten nachvollziehen.

 

Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde

   

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