Strittige Szenen am 31. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Nicht gegebenen Elfmeter für Chemnitz, Rostock, Erfurt, Magdeburg, Wiesbaden und Würzburg, die verhinderte Torchance für Chemnitz und die Platzverweise gegen Bergner und Frahn. Am 31. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de elf Szenen genauer angeschaut.

[box type="info"]Hintergrund: 25 Jahre lang war Babak Rafati Schiedsrichter, 2008 schaffte er es sogar auf die FIFA-Liste. Insgesamt leitete der heute 44-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit- und 13 Drittliga-Spiele. Seit Februar 2015 hat er eine neue Aufgabe: Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter jeden Spieltag die strittigen Entscheidungen des Wochenendes. Nach einer Vorauswahl durch die Redaktion sichtet Rafati das Video-Material und gibt eine kurze Einschätzung zu den jeweiligen Szenen ab. [/box]

Szene 1: Nach einem Pass von Tom Baumgart (Chemnitzer FC), der sich zuvor gegen Alexander Langlitz (Sportfreunde Lotte) durchgesetzt hatte, ist Marcus Mlynikowski frei durch, wird aber zurückgepfiffen. Schiedsrichter Benedikt Kempkes entscheidet auf Stürmerfoul von Baumgart gegen Langlitz. [TV-Bilder – ab Minute 6:15]

Babak Rafati: Baumgart läuft dem Ball entgegen und leitet ihn zu Mlynikowski weiter, der frei durchläuft und eine sehr gute Angriffsposition hat. Bei diesem Pass gibt es keinerlei Berührung, geschweige denn ein Foulspiel durch Baumgart gegen Langlitz. Warum der Schiedsrichter in dieser Szene pfeift, ist nicht erkennbar. Vermutlich entscheidet er auf Stürmerfoul. Das ist jedoch eine klare Fehleinschätzung und somit eine Fehlentscheidung.

Szene 2: Tom Baumgart (Chemnitzer FC) geht im Luftduell nach einem Kontakt von Alexander Langlitz (Sportfreunde Lotte) im Strafraum zu Boden und fordert Elfmeter. Kempkes will jedoch ein Handspiel gesehen haben und entscheidet erneut auf Stürmerfoul. [TV-Bilder – ab Minute 7:30]

Babak Rafati: Beim Luftduell im Strafraum von Lotte steigt Baumgart zum Ball hoch und lässt ihn von seiner Brust/Schulter abprallen, um sich diesen vorzulegen. Gleichzeitig wird er unmittelbar, nachdem er etwas früher am Ball ist, von Langlitz umgerempelt und zu Fall gebracht. Dieses Rempeln ist ein Foulspiel. Da kein Handspiel von Baumgart vorliegt, hätte es für diese Aktion einen Strafstoß für Chemnitz geben müssen. Somit liegt erneut eine Fehlentscheidung vor.

Szene 3: CFC-Trainer David Bergner regt sich über den nicht gegebenen Elfmeter auf, wirft eine Flasche auf den Boden und wird vom Schiedsrichter anschließend auf die Tribüne verwiesen – nach eigenen Angaben ohne Vorwarnung

Babak Rafati: Natürlich ist der Ärger des Trainers nachvollziehbar und natürlich gehören Emotionen im Spiel dazu. Der Schiedsrichter muss aber auch die Regeln einhalten und diese geben ihm bei derartigen Verhaltensweisen wenig Spielraum. Dennoch bin ich der Meinung, dass man solche Dinge besser, taktisch klüger und mit psychologischem Geschick und Wissen lösen kann.

Szene 4: Daniel Frahn (Chemnitz) beschwert sich bei Kempkes mit den Worten "Was pfeifst du für eine Scheiße hier?" über ein Zeitspiel der Sportfreunde und sieht dafür Gelb. Anschließend wird er angemahnt, den Schiedsrichter nicht anzuschreien, was Frahn nach eigenen Angaben mit "Ja ja ja" kommentiert und erneut Gelb sieht. [TV-Bilder – ab Minute 8:30]

Babak Rafati: Zunächst einmal hätte der Schiedsrichter bei diesem Zeitspiel von fast einer Minute ganz anders vorgehen müssen. Man muss nicht auf den Spieler mit dem verlorenen Schuh warten. Es hätte viel früher eine Ermahnung und danach, wenn immer noch auf Zeit gespielt wird, eine gelbe Karte gegen Rahn ausgesprochen werden müssen. Dann wäre die folgende Situation mit Frahn erst gar nicht entstanden. Ursache und Wirkung wurden hier nicht angemessen eingeschätzt. Es kann einfach nicht sein, dass aus einem Zeitspiel der führenden Mannschaft eine gelb-rote Karte für den Gegner entsteht. Das versteht keiner. Das Konflikt-Management des Schiedsrichters ist in dieser Situation sehr unglücklich, sodass er sich sicherlich selbst in der Nachanalyse hinterfragen wird.

 

Szene 5: Im Laufduell mit Guillaume Cros (Carl Zeiss Jena) kommt Lukas Scherff (Rostock) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Tobias Reichel. [TV-Bilder – ab Minute 9:15]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell steht der Schiedsrichter gut und hat freie Sicht zum Geschehen. Cros folgt Scherff nur, ein Foulspiel ist nicht zu sehen. Auch wenn Cros nach seinem Hinfallen Scherff womöglich berührt, reicht das für einen Strafstoß nicht aus. Aktionen, gerade im Strafraum, müssen klar und deutlich sein, sonst sollte man immer weiterlaufen lassen, wie es der Schiedsrichter richtigerweise auch macht.

Szene 6: Nach einer Flanke will Guillaume Cros (Jena) den Ball klären, bekommt ihn im Duell mit Vladimir Rankovic (Hansa Rostock) aber an die Hand. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 51:30]

Babak Rafati: Der Ball springt auf den Boden auf und prallt Cros anschließend aus kurzer Distanz an den Unterarm. Cros geht nicht aktiv mit dem Arm zum Ball und seine Körperhaltung ist natürlich. Auch ist der Arm nicht zur Verlängerung der Körperfläche im Einsatz. Es liegt kein absichtliches Handspiel vor. Eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 7: Nico Brandenburger (Fortuna Köln) berührt den Ball nach einem Schuss von Nermin Crnkic (Rot-Weiß Erfurt) im Strafraum mit der Hand, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Henry Müller nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]

Babak Rafati: Die entscheidende Frage in dieser Szene ist, ob Brandenburger seinen Arm zur Vergrößerung der Körperfläche einsetzt oder eine natürliche Körperhaltung vorliegt. Im gesamten Bewegungsablauf des Verteidigers ist es aus Sicht des Schiedsrichters, der eine gute Position hat, nachvollziehbar weiterspielen zu lassen. Somit eine richtige Entscheidung.

Szene 8: Merveille Biankadi (Rot-Weiß Erfurt) dringt in den Strafraum ein und wird von Dominik Ernst (Fortuna Köln) zu Fall gebracht – die Pfeife des Schiedsrichters bleibt erneut stumm. [TV-Bilder – ab Minute 1:35:30]

Babak Rafati: Der Schiedsrichter steht optimal und sieht wie Ernst bemerkt, dass er Biankadi im eigenen Strafraum nicht entsprechend folgen kann und ihn kurz an den Arm packt, um ihn zu stören. Biankadi kommt anschließend im Strafraum zu Fall. Hier kann man geteilter Meinung sein. Der Arm hat da nichts zu suchen. Somit ist das ein taktisch unkluger Zweikampf und hätte auch mit einem Strafstoß geahndet werden können. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob das ausreicht, um hinzufallen. Eine grenzwertige Situation, bei der auch die Linie oder die Zweikampfbewertung des Schiedsrichters im gesamten Spiel berücksichtigt werden muss. Eine vertretbare Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 9: Florian Pick (1. FC Magdeburg) geht im Strafraum zu Fall, Schiedsrichter Florian Badstübner lässt das Spiel weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 14:10]

Babak Rafati: Es sieht danach aus, dass kein Kontakt vorliegt. Selbst wenn ein Kontakt vorliegen sollte, läuft Pick gegen den Fuß des hinteren Verteidigers, ohne dass dieser eine aktive Bewegung ausführt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 10: Simon Brandstetter (SV Wehen Wiesbaden) wird von Benjamin Girth (SV Meppen) im Strafraum gehalten und geht zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Markus Wollenweber. [TV-Bilder – ab Minute 0:35]

Babak Rafati: Der Schiedsrichter läuft zunächst nicht gut in Position, um den Vorgang im Strafraum besser sehen zu können. Girth versucht mit allen Mitteln seinen Gegenspieler, der nur noch den Torhüter vor sich hat, am Schuss zu hindern. Dabei schmeißt/dreht er sich erst mit seinem Körper in den Laufweg. Dann nimmt er den linken Arm zu Hilfe und schließlich trifft er ihn auch mit dem Arm unten am Fuß. In der Summe ist das eine Verhinderung einer Torchance, es hätte einen Strafstoß für Wiesbaden und eine rote Karte wegen einer Notbremse gegen Girth geben müssen – die Attacke gilt nur dem Gegner und ist nicht im Kampf um den Ball. Eine Fehlentscheidung, weiterlaufen zu lassen, die in erster Linie aus dem unglücklichen Stellungsspiel des Schiedsrichters resultiert.

 

Szene 11: Im Strafraum geht Dominic Baumann (Würzburger Kickers) bei einem Zweikampf mit Marco Thiede (Karlsruher SC) zu Fall. Schiedsrichter Nicolas Winter lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:41:40]

Babak Rafati: Der Schiedsrichter steht glänzend und kann den Zweikampf somit sehr gut bewerten. Thiede ist früher am Ball und spielt diesen im eigenen Strafraum klar, sodass die Aktion absolut sauber ist, auch wenn Baumann anschließend zu Fall kommt. Eine richtige Entscheidung, nicht auf Strafstoß zu entscheiden.

   
Back to top button