Strittige Szenen am 26. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Treffer für Bielefeld und Ulm, die verwehrten Strafstöße für Bielefeld, Freiburg II und Mannheim, die Elfmeter für Unterhaching und Ingolstadt, der Schubser von Esswein gegen Greger, das 3:3 für Sandhausen, ein Rückpass von Saarbrücken, sowie Foulspiele von Großer und Landgraf. Am 26. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Für eine Grätsche gegen Aaron Keller (Unterhaching) kurz vor dem Strafraum sieht Maximilian Großer (Bielefeld) von Schiedsrichter Mario Hildenbrand nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell vor dem Strafraum in zentraler Position will Großer den Ball klären, sieht aber nicht in seinem Rücken, dass Keller angelaufen kommt und den Ball mitnehmen will. Dabei trifft er ihn in die Füße und bringt ihn zu Fall. Das ist ein Foulspiel. Zum Zeitpunkt des Foulspiels liegt eine klare Torchance vor, weil der Angreifer nur noch den Torwart vor sich hatte und der nächste Abwehrspieler auf der relativ kurzen Distanz nicht mehr entscheidend hätte eingreifen können. Der Ball springt nur in die Richtung des nächsten Verteidigers, weil der Angreifer nach dem Foulspiel unfreiwillig im Fallen das Spielgerät an den Fuß bekommt und dieses dadurch zum Verteidiger gelangt. In dieser Szene nur die gelbe Karte zu zeigen, ist zu wenig. Somit hätte es eine rote Karte wegen Vereitelung einer klaren Torchance geben müssen. Eine Fehlentscheidung, keine rote Karte zu zeigen. Hier hätte aber auch der Assistent helfen und eingreifen können, damit am Ende die richtige Entscheidung steht.

Szene 2: Eine Vorlage von Niclas Shipnoski bringt Nassim Boujellab zum 2:2 für Bielefeld im Tor unter, allerdings will Hildenbrand den Ball zuvor im Toraus gesehen haben, sodass der Treffer nicht gegeben wird. [TV-Bilder – ab Minute 3:20]

Babak Rafati: Ob der Ball im Toraus ist oder nicht, kann nicht zweifelsfrei aufgelöst werden. Hierfür bräuchte man eine andere Kameraperspektive. Dass aber Zweifel bestehen bleiben, ist nachvollziehbar.

Szene 3: Im Strafraum geht Nassim Boujellab (Bielefeld) gegen Raphael Schifferl (Unterhaching) zu Fall und fordert einen Elfmeter, den es jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 4:05]

Babak Rafati: Boujellab tankt sich durch, dringt in den Strafraum ein und wird von den Verteidigern verfolgt. Als er sich den Ball vorbei legen will, um direkt auf das Tor zuzulaufen, lässt ihn Schifferl über das Bein springen, indem er das Bein in den Laufweg stellt. Das ist ein klares Foulspiel, und es hätte Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, den fälligen Strafstoß nicht zu geben. Eine rote Karte wäre nicht erforderlich, da ein weiterer Verteidiger neben Boujellab herläuft und zumindest noch hätte stören können. Dem Schiedsrichter hätte eine nähere Position zum Vorgang sicherlich geholfen, um den Vorgang besser beurteilen zu können.

Szene 4: Der bereits verwarnte Maximilian Großer (Bielefeld) bringt Gibson Nana Adu (Unterhaching) im Strafraum zu Fall und verursacht einen Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 4:35]

Babak Rafati: Das Foulspiel von Großer an Gegenspieler Adu ist unumstritten. Bei der Frage, ob eine Karte für das Vergehen vorgeschrieben ist, muss berücksichtigt werden, dass das Foulspiel im Kampf um den Ball passiert und der Verteidiger kein Foulspiel begehen will, vielmehr die Finte vom Angreifer einfach sehr geschickt ist. Dafür kann man keine gelbe Karte geben, weil sich der Verteidiger nichts zu Schulden kommen lässt. Eine richtige Entscheidung, das Foul mit einem Elfmeter zu ahnden und keine Karte hierfür zu zeigen.

 

Szene 5: Nach Vorlage von Max Brandt bringt Dennis Chessa den Ball zum 1:0 im Tor unter, jedoch entscheidet Schiedsrichter Frank Willenborg auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Torschusses von Brandt stehen ein Verteidiger und der Torwart näher zur eigenen Torlinie als der anschließende Torschütze Chessa, der den Ball zugespielt bekommt. Somit liegt keine Abseitsposition vor, der Treffer hätte zählen müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Treffer nicht zu geben.

Eine Erklärung für die falsche Wahrnehmung des Assistenten könnte sein, dass er beim Angriff noch in der Vorwärtsbewegung und nicht in ruhender Position ist, sodass er ein verzerrtes Bild hat. Bei sehr knappen Entscheidungen ist eine optimale Position von besonderer Bedeutung. In dieser Vorwärtsbewegung sieht man sehr gut, dass die Position des Assistenten nicht optimal ist. Der Kopf ist etwas hinterher, sodass er etwas schräg in die Szene hineinschaut und dadurch der Stürmer mit dem gelben Trikot eher wahrgenommen und gesehen wird als der Torhüter. Auch, weil dieser räumlich näher zum Assistenten steht als der Torwart. Bei gerader Haltung mit dem Körper zum Vorgang wäre der Blick zu den Spielern optimaler, die imaginäre Abseitslinie für den Schiedsrichter gerade und dadurch sichtbarer, sodass er dann hätte erkennen können, dass der Torhüter (Hinterteil und der Fuß mit dem roten Schuh) minimal näher zur eigenen Torlinie steht als der Torschütze.

 

Szene 6: Bei einem Zweikampf an der Seitenlinie schubst Alexander Esswein (Duisburg) seinen Gegenspieler Christoph Greger (Köln), der dadurch auf den Asphalt und in die Bande prallt und sich verletzt. Schiedsrichterin Fabienne Michel belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]

Babak Rafati: Im Zweikampf schubst Esswein seinen Gegenspieler Greger im Laufduell von hinten Richtung Bande. Dabei verletzt sich Greger so stark, dass er anschließend ausgewechselt werden muss. Er rutscht erst mit dem Knie über den Asphalt und prallt dann gegen die Bande. Das Foulspiel an sich ist zunächst einmal für sich abstrakt betrachtet nicht rotwürdig. Wenn die Schiedsrichterin aber einen Moment abwartet und die Folgen mit in die Entscheidung einbezieht, wird sie erkennen, dass durch das Foulspiel eine Gesundheitsgefährdung des Gegenspielers billigend in Kauf genommen wird. Es hätte somit die rote Karte gezeigt werden müssen. Eine Fehlentscheidung, es nur bei der gelben Karte zu belassen. Ein Spieler muss die Folgen seines Foulspiels mit einkalkulieren und wissen, dass solch ein Foulspiel im Mittelfeld andere Folgen haben kann als in dieser Position an der Bande.

 

Szene 7: Eine Flanke des SC Freiburg bekommt Leon Guwara (Ingolstadt) im Strafraum an die Hand, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Tom Bauer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]

Babak Rafati: Nach einer Flanke von der linken Seite in den Strafraum geht Guwara mit voller Absicht mit dem Arm zum Ball und spielt diesen aus der Gefahrenzone. Das ist ein klares Handspiel, sodass es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Strafstoß nicht zu geben. Guwara scheint selbst auf den Pfiff zu warten und bleibt deshalb zunächst einmal auf dem Boden, bewegt sich nicht und guckt ein bisschen abwartend Richtung Schiedsrichter, bis er vom Nicht-Pfiff erlöst wird und wieder aufsteht.

Ein möglicher Grund für das Übersehen dieses klaren Handspiels ist das Positionsspiel des Schiedsrichters. Wenn er zum Zeitpunkt des Vergehens mindestens auf der Strafraumlinie steht, kann er aus einer viel besseren Position und dem optimalen Abstand zum Geschehen das Handspiel besser sehen und richtig einordnen. Hier steht er einfach zu weit weg, sodass er noch nicht einmal im Bild zu sehen ist.

Szene 8: Im Strafraum geht Jannik Mause (Ingolstadt) bei einem Duell mit Fabian Rüdlin (Freiburg II) zu Fall, Bauer zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell im Strafraum laufen Rüdlin und Gegenspieler Mause nebeneinander her. Der Angreifer läuft dem Verteidiger selbstverschuldet mit dem linken Bein an dessen rechtes Bein, kommt dadurch außer Balance und deshalb zu Fall. Der Verteidiger macht nichts Regelwidriges, sodass kein Foulspiel vorliegt. Einen Elfmeter für diesen vollkommen normalen Zweikampf zu geben, ist eine Fehlentscheidung.

 

Szene 9: Bei einem Laufduell mit Luca Zander (Sandhausen) an der Seitenlinie geht Dominik Kother (Regensburg) zu Fall, Schiedsrichter Florian Badstübner lässt weiterlaufen. Aus dem Angriff fällt das 3:3 für Sandhausen und zählt. [TV-Bilder – ab Minute 53:10]

Babak Rafati: Kother legt sich den Ball vor und läuft dann selbst ein wenig in den Gegenspieler Zander, der sich nicht in Luft auflösen kann – beide kommen zu Fall. Hierbei ist kein regelwidriges Verhalten von Zander auszumachen, sodass ein korrekter Zweikampf vorliegt. Eine richtige Entscheidung, den Zweikampf nicht zu unterbinden und den anschließenden Treffer anzuerkennen.

 

Szene 10: Ein Zuspiel von Lukas Boeder nimmt Torhüter Tim Schreiber (Saarbrücken) mit der Hand auf. Mannheim reklamiert Rückpass, Schiedsrichter Florian Lechner lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 30:35]

Babak Rafati: Boeder spielt diesen Ball mit Absicht zu seinem Keeper Schreiber, sodass es einen indirekten Freistoß wegen Rückpass für Mannheim hätte geben müssen. Die Regel spricht von einem Zuspiel, weil der Ball auch nach vorne zu einem Torhüter gespielt werden könnte und auch dann ein Vergehen darstellen würde. Eine Fehlentscheidung, dieses Zuspiel als nicht absichtlich zu bewerten und weiterspielen zu lassen. Dort steht nur der Torhüter und kein weiterer Mitspieler, und ein zur Ecke abwehren sieht wahrlich anders aus. Dass das Zuspiel absichtlich und nicht aus der Bedrängnis heraus passiert, ist auch offensichtlich. Zudem ist auch unerheblich, dass das Zuspiel von Boeder nicht direkt zum Torhüter gelangt und der Keeper 1-2 Meter zum Ball laufen muss, um diesen zu erreichen. Entscheidend ist die Intention von Boeder und die ist eindeutig.

Szene 11: Einen Schuss von Per Lockl (Mannheim) bekommt Bjarne Thoelke (Saarbrücken) im Strafraum an den Arm. Kein Elfmeter, sagt Lechner. [TV-Bilder – ab Minute 1:03:50]

Babak Rafati: Nachdem Lockl auf das Tor schießt, blockt Thoelke den Ball mit der Brust, und von da aus springt der Ball an den Arm. Der Arm ist hierbei in natürlicher Haltung, sodass das Handspiel nicht absichtlich und somit nicht strafbar ist. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und dieses Handspiel als nicht strafbar auszulegen.

 

Szene 12: Auf dem Weg in Richtung Tor wird Fynn Lakenmacher (1860) von Niklas Landgraf (Halle) gehalten und geht zu Boden. Schiedsrichter Felix Bickel entscheidet auf Freistoß für Halle. [TV-Bilder – ab Minute 2:02:55]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf bearbeiten sich beide zunächst, aber das entscheidende Foul begeht Landgraf, der Lakenmacher herunterreißt. Der Assistent zeigt auch mit seiner Fahne die richtige Richtung an, erkennt dann aber womöglich, dass der Schiedsrichter (nicht im Bild) in die andere Richtung zeigt, wechselt deshalb die Fahne von der rechten in die linke Hand und schließt sich seinem Chef auf dem Platz an. Das ist aber eine Fehlentscheidung. Hier muss ein Assistent den Mut haben und seinen Schiedsrichter überstimmen. Die richtige Entscheidung steht über allem.

 

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