Strittige Szenen am 25. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Das Tor für Dresden, die nicht gegebenen Elfmeter für Aue, Saarbrücken, Verl, Oldenburg und Dortmund II, das 1:1 für Meppen, Foulspiele von Dresdens Kutschke, Aues Burger und Halles Berko sowie ein Rückpass von Essens Wiegel. Am 25. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Robin Becker (Dresden) und Omar Sijaric (Aue) behaken sich an der Grundlinie gegenseitig, es gibt Freistoß für Dresden. Anschließend kommt Tim Knipping (Dresden) im Strafraum gegen Boris Tashchy (Aue) zu Fall, woraufhin Schiedsrichter Tobias Welz auf den Punkt zeigt. [TV-Bilder – ab Minute 54:20]

Babak Rafati: Beim Zweikampf zwischen Becker und Sijaric auf der rechten Außenbahn hat Sijaric kurz die Hand am Trikot von Becker, aber das ist kein Foulspiel. Becker spielt dabei auch weiter. Dann greift Becker nach hinten, Sijaric entscheidend an das Trikot und reißt ihn zu sich. Dabei kommen beide zu Fall. Das ist ein verdecktes Foulspiel des Angreifers und nicht ein Foulspiel des Verteidigers. Dieses Vergehen hätte der Assistent auf dieser Seite sehr gut erkennen und dem Schiedsrichter signalisieren können. Genau das tut zwar der Auer Torwart anschließend, aber der Schiedsrichter ist selbst verunsichert. Das sieht man sehr gut daran, dass er erst sehr gemächlich zum Tatort geht, anstatt dort hinzulaufen. Dann schaut er hilfesuchend zum Assistenten heraus, was ein weiteres Indiz für seine Verunsicherung ist. Schließlich steht er mit dem Gesicht in die andere Richtung, nämlich weg vom Tor, was ein Schiedsrichter dann tut, wenn er für die verteidigende Mannschaft pfeift. Somit strahlt die gesamte Körpersprache eine große Verunsicherung aus. Eine Fehlentscheidung, schlussendlich, einen Freistoß für Dresden zu pfeifen. Es wäre sogar eine gelbe Karte gegen Becker erforderlich, da er Sijaric nach dem Pfiff noch am Boden liegend wegdrückt. Sehr sportlich und anerkennenswert vom Auer Spieler, beim gesamten Vorgang derartig zurückhaltend zu agieren.

Nach dem anschließenden Freistoß wird der Ball in die Mitte geschossen. Dabei kommt es zu einem Zweikampf, bei dem Knipping in zentraler Position gegen Tashchy zu Fall kommt. Der Verteidiger ist sicherlich am Angreifer dran. Ob allerdings tatsächlich ein entscheidendes Vergehen durch Halten vorliegt, sodass dadurch der Angreifer ursächlich zu Fall kommt, kann nicht zweifelsfrei bewertet werden. Tendenziell wäre Weiterspielen die bessere Entscheidung. Gerade ein erfahrener Schiedsrichter sollte aufgrund der Szene zuvor, die zum Freistoß geführt hat, sensibler mit solchen Szenen umgehen, die nicht klar sind, so wie bei diesem Zweikampf, bei dem der Schiedsrichter auf Elfmeter entscheidet. Das bedeutet natürlich nicht, dass aufgrund der falschen Entscheidung zuvor, nunmehr eine Konzessionsentscheidung getroffen und ein möglicher Elfmeter nicht gepfiffen werden sollte, um einen Ausgleich herzustellen. Das bedeutet, dass erst recht nur bei klaren Vergehen solch eine Entscheidung getroffen werden sollte. In dieser Szene lag nämlich kein klares bzw. erkennbares Foulspiel im Strafraum vor.

Szene 2: Der bereits gelb-verwarnte Stefan Kutschke (Dresden) tritt Erik Majetschak (Aue) auf den Fuß, kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:25:05]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf in der Nähe der Eckfahne will Kutschke zwar zum Ball, aber er nimmt auch in Kauf, den Gegner zu treffen. Er verpasst den Ball und tritt stattdessen seinem Gegenspieler Majetschak auf den Fuß. Dieses Vergehen wird in der Fachsprache als "Stempel" bezeichnet, der eine gelbe Karte nach sich zieht. Somit hätte es die gelb-rote Karte gegen den zuvor gelb-verwarnten Kutschke geben müssen. Eine Fehlentscheidung, die Karte nicht zu zeigen.

Szene 3: Aue reklamiert bei einem Schuss von Omar Sijaric (Aue) Handspiel durch Claudio Kammerknecht (Dresden). Die Partie läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:42:45]

Babak Rafati: Der Ball wird bei einer Hereingabe durch Kammerknecht im Strafraum bei einer Abwehraktion von Sijaric klar mit der Brust gespielt, sodass kein Handspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 4: Auf dem Weg zum Tor kommt Marvin Stefaniak (Aue) an der Grundlinie gegen Tim Knipping (Dresden) im Strafraum zu Fall, Welz lässt weiterspielen. [TV-Bilder – ab Minute 1:51:50]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf an der Grundlinie spielt Knipping zuerst klar den Ball, sodass die Aktion ballorientiert ist. Auch wenn er anschließend Stefaniak trifft, ist das unerheblich, da ein natürlicher Bewegungsablauf zum Ball vorausging und zudem glückte, sodass kein Foulspiel vorliegt. Wäre der Ball nicht gespielt worden, wäre die Ballorientierung missglückt, und es hätte in der Folge einen Elfmeter für Aue geben müssen. Nicht aber in diesem Fall. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 5: Im Mittelfeld bekommt Stefan Kutschke (Dresden) einen leichten Tritt von Korbinian Burger (Aue) ab. Eine Karte zeigt der Schiedsrichter nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:03:25]

Babak Rafati: Eine Szene, die ein Schiedsrichter einfach nicht sehen kann, weil sie fern vom Geschehen ist. Burger ist nicht im normalen Bewegungsablauf, sondern holt aktiv und bewusst gegen Kutschke aus und tritt ihm gegen das Schienbein. Der Tritt an sich ist nicht hart, aber dennoch nur gegnerorientiert und das ohne Ballnähe. Hierfür hätte die gelbe Karte wegen einer Unsportlichkeit ausgereicht. Kutschke macht auch mehr daraus, vielleicht erschreckt er sich auch einfach. Wenn der Schiedsrichter das Vergehen gesehen hätte, wäre ein Freistoß für Dresden sowie die gelbe Karte gegen Burger fällig. Eine Fehlentscheidung, auch wenn für den Schiedsrichter nicht erkennbar, das Vergehen nicht zu ahnden. Man kann dem Schiedsrichter für diese Fehlentscheidung oder besser entgangene Entscheidung aber keinen Vorwurf machen. Natürlich kann ein Schiedsrichter daraus auch eine grobe Unsportlichkeit machen und im Ergebnis zu einer roten Karte kommen. Für mich ist aber bei der Intensität die gelbe Karte vollkommen ausreichend.

Szene 6: Beim Kampf um den Ball geht Korbinian Burger (Aue) im Duell mit Dynamo-Keeper Stefan Drljaca zu Boden und fordert einen Elfmeter, den es jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]

Babak Rafati: Beim Kampf um den Ball im Strafraum von Dresden ist Burger zuerst am Spielgerät und tickt dieses an. Keeper Drljaca ist bei seinem Abwehrversuch einen Moment zu spät, verpasst den Ball und trifft im Bewegungsablauf, bei dem er nach dem Ball springt, seinen Gegenspieler minimal am Fuß. Das ist ein korrekter Zweikampf. Dass der Angreifer diesen minimalen Kontakt dankend annimmt und derartig spektakulär zu Boden geht, ist zwar branchenüblich, aber keinesfalls ein Foulspiel. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Das Fallmuster ist auch ein typischer Fall von Schinden. Zudem passt die Unsitte hierzu, den Ball kurz anzuticken, um zu signalisieren, dass man am Ball war, um dann urplötzlich umzufallen, wie es in dieser Szene exemplarisch ist.

 

Szene 7: Der bereits gelb-verwarnte Erich Berko (Halle) stößt Lukas Mazagg (Meppen) etwas um, kommt bei Schiedsrichter Christian Ballweg aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 50:20]

Babak Rafati: Sicherlich liegt bei diesem Vergehen ein Foulspiel von Berko vor, allerdings ist die Folge des Foulspiels an Mazagg dem Umstand geschuldet, dass dieser unglücklich auf dem Boden aufkommt und sich dadurch wehtut. Eine gelbe Karte ist hierfür nicht erforderlich, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, lediglich eine Ermahnung statt eine zweite gelbe Karte auszusprechen.

Szene 8: Bei einem Konter des HFC kommt Christoph Hemlein (Meppen) mit der Hand an den Ball, das Spiel läuft weiter. Anschließend gibt es eine Ecke, aus der das 1:1 fällt. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:50]

Babak Rafati: Im Mittelfeld will sich der Spieler von Halle den Ball an Hemlein vorbeilegen und einen aussichtsreichen Angriff einleiten. Hemlein schmeißt sich zum Ball, nimmt den Arm aktiv heraus und blockt das Spielgerät klar und deutlich, sodass ein absichtliches Handspiel vorliegt. Der Schiedsrichter lässt aber weiterspielen und aus dieser Szene resultiert eine Ecke für Meppen, die anschließend zum Torerfolg führt. Das Handspiel zuvor im Mittelfeld hätte aber abgepfiffen und Hemlein mit der gelben Karte sanktioniert werden müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 9: Luca Kerber (Saarbrücken) dringt in den Strafraum ein und geht gegen Ba-Muaka Simakala (Osnabrück) zu Fall. Schiedsrichter Alexander Sather pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 20:35]

Babak Rafati: Kerber ist im Strafraum zuerst am Ball und legt sich diesen vor. Dabei kommt Gegenspieler Simakala hinzu und will ebenso den Ball spielen, verpasst das Spielgerät aber und kann nicht mehr verhindern, mit dem ausgestreckten Fuß, mit dem er den Ball spielen wollte, den Fuß des Angreifers zu treffen, womit er ihn aus dem Tritt und schließlich zu Fall bringt. Das ist ein Foulspiel, wenn auch unbeabsichtigt und unspektakulär, sodass es in dieser Szene einen Elfmeter für Saarbrücken hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 10: Nach einem Freistoß von Maximilian Wolfram (Verl) bekommt Yannik Möker (Zwickau) den Ball an die Hand. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Mario Hildenbrand nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Nach einem Freistoß von Wolfram fliegt der Ball über viele Spieler hinweg in den Strafraum. Möker ist offensichtlich überrascht, dass einige Spieler den Ball verpassen und der Ball zu ihm gelangt, sodass er sich nur noch durch ein Handspiel zu helfen weiß. Der Arm geht klar und deutlich aktiv heraus, zudem ist das Spielgerät lange in der Luft, sodass ein absichtliches und somit strafbares Handspiel vorliegt. Folglich hätte es einen Elfmeter für Verl sowie die gelbe Karte gegen Möker wegen Unsportlichkeit geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht zu ahnden.

 

Szene 11: Einen Schuss von Deichmann (Oldenburg) bekommt Caspar Jander (Duisburg) im Strafraum an die Hand. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Assad Nouhoum. [TV-Bilder – ab Minute 1:56:20]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Deichmann blockt Jander im eigenen Strafraum den Ball klar und deutlich mit beiden Fäusten und spielt den Ball mir der Hand. Allerdings liegt bei derartigen Handspielen, bei denen der Ball auch ohne einen Armeinsatz oder Handspiel an den Körper/Kopf geprallt wäre, regeltechnisch kein strafbares Handspiel vor. Dabei ist jedoch wichtig, dass der Ball zu 100 Prozent an den Körper geprallt wäre. Wenn also der Ball am Körper vorbeigeflogen wäre, würde dieses Handspiel als Körpervergrößerung ausgelegt und somit strafbar werden. In diesem Fall wäre der Ball an Janders Brust/Oberkörper geflogen, so dass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen. Eine regeltechnisch ähnliche Szene hatten wir im laufenden Champions-League-Wettbewerb zwischen Bayern München und Inter Mailand, als Mané den Ball in Torwart-Manier vor dem Gesicht blockte. Der Schiedsrichter ließ weiterspielen, was für hitzige Diskussionen sorgte, sich im Nachhinein aber als eine richtige Entscheidung erwies.

 

Szene 12: RWE-Keeper Jakob Golz nimmt einen Rückpass von Andreas Wiegel auf, Schiedsrichter Max Burda lässt weiterspielen. [TV-Bilder – ab Minute 46:30]

Babak Rafati: Bei der Frage, ob ein Rückpass vorliegt, ist zu klären, ob es sich um ein kontrolliertes Zuspiel auf den Torwart handelt. Dass der Schiedsrichter diese Frage hier verneint und weiterspielen lässt, ist schon exklusiv, denn einen Klärungsversuch aus der Bedrängnis heraus von Wiegel ist nicht erkennbar. Das ist ein gewolltes und kontrolliertes Zuspiel zu Keeper Golz, der den Ball auch noch aufnimmt. In dieser Szene hätte es einen Freistoß für Bayreuth – an der Stelle, an der Golz den Ball aufnimmt –  geben müssen, so dass eine Fehlentscheidung vorliegt.

 

Szene 13: Nach einem Abpraller geht Justin Njinmah (Dortmund II) zum Ball, wird aber von Kimberly Ezekwem (Freiburg II) gestoßen und geht zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Marc Philip Eckermann. [TV-Bilder – ab Minute 0:35]

Babak Rafati: Nach einem Abpraller geht Njinmah zum Ball, wird dabei von hinten von seinem Gegenspieler Ezekwem einfach umgerannt und dadurch zu Boden gefällt. Das ist ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter für Dortmund hätte geben müssen. Eine Karte ist hierbei nicht erforderlich, weil sich der Angriff vom Tor wegorientiert. Eine Fehlentscheidung dennoch, weiterspielen zu lassen. In diesem Fall sieht man sehr gut, was ein Fallmuster bedeutet. Man sieht nämlich, dass beim Umrennen durch den Verteidiger der Angreifer vollkommen natürlich fällt, indem der Schwung des Verteidigers durch dessen Vergehen nicht vom Angreifer dramatisiert und daraus ein unendliches Wälzen auf dem Boden markiert wird, sondern schlicht und einfach die Ursache des Wirkungstreffers ist. Hier passt einfach das Vergehen zum Zufallkommen. An dieser Stelle nun die Behauptung zu stellen, dass der junge Angreifer durch sein sportliches Verhalten nicht belohnt wird und ihm der fällige Elfmeter verwehrt wird, wäre nicht richtig. Der Schiedsrichter wird die Heftigkeit des Umrennens womöglich deshalb nicht wahrgenommen haben, weil er von hinten auf die Szene schaut. Hätte er einen Seitenblick, sähe die Sache auch für ihn klarer aus.

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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