Strittige Szenen am 20. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Der Treffer zum 1:1 von Dresden, die nicht gegebenen Elfmeter für 1860, Oldenburg, Meppen, Saarbrücken, Köln und Bayreuth, eine Rudelbildung in Halle, Foulspiele von Zwickaus Jansen und Kölns Dietz, die gelbe Karte gegen Duisburgs Mai und der Platzverweis gegen Bayreuths Zejnullahu. Am 20. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach einem Zweikampf mit Christian Conteh (Dresden) bleibt Tim Rieder (1860) im Mittelfeld liegen, Dresden spielt weiter und trifft zum 1:1. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist Rieder im Rückwärtslauf und will den anfliegenden Ball erreichen. Dabei springt er hoch, wird von Conteh leicht gestoßen und kommt dann zu Fall. Dadurch, dass der Münchner im Rückwärtslauf ist, verliert er selbst die Standhaftigkeit und Orientierung, sodass das leichte Stoßen von Conteh kein Foulspiel ist. Die Spieler merken gerade bei Luftduellen oft, dass sie ihr Gleichgewicht verlieren, nehmen daher jede Berührung/Kontakt dankend an und lassen sich fallen. Das reicht aber in dieser Szene für ein Foulspiel einfach nicht aus. Wenn derartige Zweikämpfe gepfiffen würden, käme gar kein Spielfluss mehr zustande, zumal die Mannschaften sich eine großzügige Spielleitung und somit keine kleinliche Auslegung wünschen.

Die Frage, ob wegen einer möglichen Verletzung das Spiel hätte unterbrechen müssen, ist klar zu verneinen. Nur wenn nach Ansicht des Schiedsrichters eine ernsthafte Verletzung vorliegt, z.B. eine Kopfverletzung, soll er das Spiel unterbrechen und den Spieler behandeln lassen. Auch die gegnerische Mannschaft ist nicht verpflichtet, den Ball ins Aus zu befördern, um eine notwendige Behandlung des jeweiligen Spielers zu gewährleisten. Eine richtige Entscheidung, kein Foulspiel zu pfeifen und anschließend das Spiel nicht wegen einer möglichen Verletzung zu unterbrechen.

Interessant ist auch das Reklamieren der Münchner Spieler nach der Torerzielung. Diese fällt sehr zaghaft aus. Wenn die Spieler von München vollends von einem Foulspiel überzeugt wären, dann wären in der Folge die Proteste viel heftiger ausgefallen.

Szene 2: Im Anschluss an eine Ecke reklamiert 1860 ein Handspiel von Jakob Lewald (Dresden), einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:23:30]

Babak Rafati: Nach einer Ecke kommt es zu einem Kopfball auf das Tor von Dresden. Dabei fliegt der Ball Richtung Lewald, der den Ball an den Oberschenkel bekommt und den Arm auf dieser Seite sogar nach hinten nimmt, um ein mögliches Handspiel zu vermeiden. Es liegt kein Handspiel vor, somit ist es eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 3: Nach einer Hereingabe in den Strafraum kommt es zu einem Zweikampf zwischen Jonas Nietfeld (Halle) und Davy Frick (Zwickau). Anschließend geraten beide mit den Köpfen aneinander, was eine Rudelbildung auslöst. Beide sehen Gelb von Schiedsrichter Wolfgang Haselberger. [TV-Bilder – ab Minute 53:35]

Babak Rafati: Beide Spieler begehen durch das Kopf-an-Kopf-Stehen eine Unsportlichkeit, die jeweils eine gelbe Karte nach sich zieht. Solche Aktionen sind häufig der Grund für ein anschließendes Spielerverhalten beider Mannschaften, das in einer Rudelbildung ausartet. Richtig und wichtig vom Schiedsrichter, die Verursacher zu identifizieren und ein Zeichen für den weiteren Spielverlauf zu setzen, indem jeweils die gelbe Karte gezeigt wird. Bei solchen Aktionen ist es auch nicht einfach, den Überblick zu behalten, welche zwei Spieler die Hauptschuldigen sind. Daher ist es prima, dass der Assistent zu Hilfe kommt und womöglich den entscheidenden Tipp gibt, damit keine Verwechslungen stattfinden bzw. die entsprechenden Spieler womöglich nicht identifiziert werden.

Szene 4: Der bereits gelb-verwarnte Max Jansen (Zwickau) bringt Tom Zimmerschied (Halle) im Mittelfeld per Grätsche zu Fall, kommt bei Haselberger aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:28:30]

Babak Rafati: Jansen kommt einen Schritt zu spät in den Zweikampf, trifft Zimmerschied am Fuß und bringt ihn zu Fall. Auch wenn das Foul nicht überhart ist und an sich vom Härtegrad keine gelbe Karte nach sich ziehen würde, unterbindet der bereits gelb-verwarnte Jansen sehr wohl einen guten Angriff des Gegners in zentraler Position. Hierfür ist wiederum eine gelbe Karte zwingend vorgeschrieben, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, keine weitere gelbe Karte gegen Jansen zu zeigen und ihn durch die Ampelkarte vom Platz zu stellen.

 

Szene 5: Im Strafraum geht Max Wegner (Oldenburg) nach einem Trikothalten von Lukas Mazagg (Meppen) zu Boden. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Dr. Robin Braun nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Strafraum ist Wegner in einer besseren Position, wird circa 7 Meter vor dem Tor zentral angespielt, streckt den Fuß zum Ball und braucht nur noch einzuschießen. Dabei steht Mazagg hinter ihm, hat keine Chance mehr an den Ball zu kommen und den Angreifer zu stoppen. Deshalb hält er Wegner am Trikot und reißt ihn zu Boden, sodass der Angreifer bedingt durch dieses Vergehen nicht mehr an den Ball kommen kann und das Spielgerät verfehlt. Das ist ein klares Festhalten, sodass es einen Elfmeter für Oldenburg hätte geben müssen. Zudem ist die Aktion nur gegnerorientiert und nicht ballorientiert. Auch wenn keine klassische Ballkontrolle, Ball am Fuß vorliegt, ist das Unmittelbare an den Ballkommen quasi wie eine Ballkontrolle zu behandeln, sodass es in dieser Szene zudem die rote Karte gegen Mazagg wegen der Notbremsenregelung hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, keinen Elfmeter zu pfeifen und die vorgeschriebene rote Karte gegen Mazagg nicht zu geben. Vermutlich sieht der Schiedsrichter das Festhalten deshalb nicht, weil er durch die Position der Spieler keine freie Sicht zum Vorgang hat.

Szene 6: Marvin Pourié (Meppen) will im Strafraum zum Ball, kommt aber gegen einen Oldenburger zu Fall. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 31:10]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell zwischen Pourie und einem Oldenburger Spieler rempelt der Verteidiger mit dem Körper, allerdings ist diese Spielweise im erlaubten Bereich. Dass der Angreifer den Kontakt dankend annimmt und zu Fall geht, ist legal und branchenüblich. Der Schiedsrichter fällt aber auf diesen Faller nicht herein und lässt richtigerweise weiterspielen.

 

Szene 7: Nach einem Schuss von Kasim Rabihic (Saarbrücken) will Daniel Mikic (Verl) klären, trifft aber nur Mitspieler Mael Corboz (Verl), der den Ball im Strafraum an die Hand bekommt. Schiedsrichter Felix Bickel lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]

Babak Rafati: Nach der Abwehraktion von Mikic geht der Ball zu Mitspieler Corboz, der den Ball sicherlich mit der Brust beabsichtigt zu stoppen, sich allerdings verschätzt, schließlich den Ball an den Arm abprallen lässt und dieser von der Flugbahn typischerweise so herunter fällt, wie wenn der Ball an den Arm geht. Aufgrund der Entfernung hätte Corboz genügend Zeit gehabt, den Arm wegzuziehen, sodass ein absichtliches Handspiel vorliegt. Eine Fehlentscheidung, keinen Elfmeter für Saarbrücken zu pfeifen. Das Übersehen ist sicherlich auch dem Stellungsspiel des Schiedsrichters geschuldet, der bei einer Position weiter rechts zum Vorgang, dieses Vergehen sicherlich gesehen und geahndet hätte.

 

Szene 8: Im Strafraum will Robin Meißner (Köln) zum Ball, geht aber gegen Marcel Seegert (Mannheim) zu Fall und forderte einen Elfmeter. Diesen gibt Schiedsrichter Martin Speckner jedoch nicht. [TV-Bilder – ab Minute 46:20]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf steht Meißner im Strafraum mit dem Rücken zum Tor und wird dabei von Seegert attackiert. Im Oberkörperbereich liegt ein leichtes Zupfen vor, das für ein Foulspiel aber bei Weitem nicht ausreicht. Anschließend rutscht Meißner aus, sodass erneut kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen

Szene 9: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Dominik Martinovic (Mannheim) im Zweikampf mit Lars Dietz (Köln) im Strafraum zu Fall. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:42:50]

Babak Rafati: Hier kommt es an der Strafraumgrenze zu einem Zweikampf zwischen Martinovic und Dietz. Dabei legt sich der Angreifer den Ball vor, will in den Strafraum eindringen und hat dabei eine gute Angriffschance. Dietz kommt bei diesem Laufduell, etwas versetzt hinter ihm, somit in einer schlechteren Position, hinzu und will den Ball vom Fuß des Angreifers wegspitzeln, verfehlt das Spielgerät aber. Stattdessen stellt er, wenn auch ungewollt, den Fuß in den Laufweg des Angreifers und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, das mit einem Freistoß geahndet werden muss. Freistoß deshalb, weil das Vergehen kurz vor der Strafraumgrenze geschieht. Bei der Frage, ob eine Torvereitelung und somit eine Notbremse vorliegt, ist zu berücksichtigen, dass ein weiterer Verteidiger in unmittelbarer Nähe neben Martinovic ist. Daher kann er noch eingreifen, sodass als Personalstrafe eine gelbe Karte ausreichend ist. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht entsprechend zu ahnden. Der Schiedsrichter ist etwas zu weit vom Geschehen weg. Zudem sieht man durch die Hintertorkamera, dass er sich auch nicht in die optimale Position bringt, um das Vergehen besser sehen zu können. Er läuft vorschriftsmäßig, wie es die "alte Regelschule" vorschreibt, in der Diagonalen, was ihn aber vom Tatort tatsächlich entfernt. Das kann man von der Hintertorkamera sehr gut beobachten. Wäre er kerzengerade hinter dem Zweikampf hergelaufen, wie es erfahrene Schiedsrichter entgegen der alten Regelschule machen würden, hätte er eine Abkürzung genommen, die ihn in eine optimale Position bringen würde und eine bessere Entscheidungsfindung ermöglicht hätte.

 

Szene 10: Duisburgs Sebastian Mai macht den Linienrichter darauf aufmerksam, dass ein Osnabrücker Auswechselspieler ein kurzes Stück über den Platz gelaufen ist. Er sieht von Schiedsrichter Patrick Kessel daraufhin gelbe Karte. [TV-Bilder – ab Minute 1:56:10]

Babak Rafati: Vorausgesetzt, dass Mai beim Assistenten die Abkürzung eines Auswechselspielers an der Eckfahne moniert, in dem dieser statt die Eckfahne von außerhalb des Spielfeldes auf dem Spielfeld umkurvt, ist die Reklamation des Duisburgers durchaus berechtigt und nachvollziehbar, da womöglich der Mitspieler von Mai bei dem zuvor vorgetragen Angriff irritiert wurde. Eine Beleidigung von Mai kann ausgeschlossen werden, denn sonst hätte es die rote Karte für ihn gegeben. Die Art und Weise (Körpersprache, Mimik, Gestik) von Mai wirkt zudem nicht übertrieben oder bösartig. Selbst wenn die Worte etwas zu übertrieben sind, sollte man solche Situationen souverän managen und nicht emotional reagieren und mit Karten lösen, was nicht bedeutet, dass eine Fehlentscheidung vorliegt. Es ist einfach unangemessen. Kommunikation und ein kurzes Erklären deeskalieren die Stimmung und wirken hierbei Wunder, und der Schiedsrichter wird in der Folge akzeptiert. Anmerkung: Wenn in dieser Szene der Schiedsrichter den Eindruck hätte, dass der Auswechselspieler den Duisburger Angreifer irritiert hat, wäre übrigens ein indirekter Freistoß an der Eckfahne für Duisburg sowie die gelbe Karte wegen unerlaubten Betretens des Spielfeldes gegen den Auswechselspieler von Osnabrück zu verhängen.

 

Szene 11: Alexander Nollenberger (Bayreuth) dribbelt in den Strafraum und kommt gegen den am Boden liegenden Rico Preißinger (Ingolstadt) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Sven Waschitzki-Günther. [TV-Bilder – ab Minute 26:40]

Babak Rafati: Nollenberger dribbelt sich gegen zwei Ingolstädter durch. Dabei schmeißt sich Preißinger auf den Boden und will den Ball wegspielen, bleibt aber unglücklich mit dem linken Bein im Rasen hängen, verpasst dadurch das Spielgerät und trifft ins Leere. Daraufhin will der Angreifer über den am Boden liegenden Verteidiger springen und ausweichen, bleibt aber am Verteidiger hängen und kommt zu Fall. Somit kommt es zu einem unglücklichen Kontakt, für den der Verteidiger aber nichts kann. Dieses Vergehen fällt unter die Rubrik "Unfall". Somit liegt kein Foulspiel vor. Wenn der Verteidiger, nachdem er ins Leere gegrätscht hat, erst dann eine neue Bewegung Richtung Angreifer macht, um ihn aufzuhalten und die Attacke nur gegen den Angreifer gerichtet ist, dann würde ein Foulspiel vorliegen, nicht aber in diesem Fall. Somit eine richtige Entscheidung, in dieser Szene weiterspielen zu lassen. Die Frage stellt sich auch erst gar nicht, ob das Vergehen innerhalb oder außerhalb gewesen wäre und somit mit einem Freistoß oder Elfmeter geahndet hätte werden müssen. Ganz einfach, weil die Kontakte (am linken Fuß und rechten Fuß) kein Foulspiel darstellen. Dafür bräuchten wir ein anderes "Movement" und Kontakte der Abläufe.

Szene 12: Unmittelbar nach einem Pfiff des Schiedsrichter schießt der bereits gelb-verwarnte Eroll Zejnullahu den Ball weg und sieht dafür Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Der Schiedsrichter pfeift berechtigt einen Freistoß für Ingolstadt. Daraufhin schießt Zejnullahu den Ball aus Verärgerung – oder warum auch immer – klar und deutlich weit weg. Bei solchen Szenen hat der Schiedsrichter absolut keinen Ermessensspielraum, sodass die gelbe Karte für dieses Vergehen vollkommen berechtigt ist. Das ist eine Unsportlichkeit und wenn solche Vergehen geduldet werden, wird der Spielleiter keine Akzeptanz mehr auf dem Platz erfahren. Es sollte sich auch herumgesprochen haben, dass die Schiedsrichter der ersten drei Ligen in ihrem Wintertrainingslager die Anweisung bekommen haben, sensibler mit Unsportlichkeiten umzugehen und diese konsequenter zu ahnden. In diesen Situationen sollten sich die Spieler zudem selbst hinterfragen, ob das nötig ist, zumal sie ihre eigene Mannschaft mit solchen Aktionen schwächen.

 

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