Strittige Szenen am 17. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Der nicht gegebene Treffer für Saarbrücken, Duisburg und 1860, die verwehrten Elfmeter für Saarbrücken, Duisburg, Lübeck, Dresden, Dortmund II und Mannheim, der Platzverweis gegen Kok, der Strafstoß für Regensburg sowie Foulspiele von Mizuta und Marseiler. Am 17. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach einer Flanke trifft Marcel Gaus zum 1:0 für Saarbrücken, allerdings soll Vorlagengeber Rizzuto zuvor im Abseits gestanden haben, sodass der Treffer nicht zählt. [TV-Bilder – ab Minute 51:45]

Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Abspiels aus dem Mittelfeld startet Rizzuto auf der rechten Außenbahn und passt den Ball in die Mitte, sodass Gaus den Ball im Tor unterbringen kann. Ob Rizzuto hierbei im Abseits steht, ist nicht zweifelsfrei aufzulösen, weil die Perspektive verzerrt ist. Auf der anderen Seite steht nämlich noch ein Münsteraner. Und ob ein Körperteil von ihm Millimeter im Abseits ist oder nicht, können nur die kalibrierten Linien, wie wir sie aus der Bundesliga beim Videobeweis kennen, auflösen. Tendenziell steht Rizzuto aber in der Mitte der hellen Rasenmarkierung und somit etwas näher zur gegnerischen Torlinie als der Verteidiger auf der anderen Seite sowie dem Torhüter, sodass die Entscheidung, das Tor abzuerkennen, womöglich richtig ist.

Szene 2: Amine Naïfi (Saarbrücken) kommt auf der Strafraumlinie bei einem Duell mit Luca Bazzoli (Münster) zu Fall, statt Elfmeter gibt es Freistoß. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]

Babak Rafati: Beim Zweikampf zwischen Bazzoli und Naifi trifft der Verteidiger dem Angreifer am Fuß – womöglich unbeabsichtigt, was aber nicht maßgeblich ist – und bringt ihn dadurch zu Fall. Dadurch, dass der Schiedsrichter glänzend postiert ist, erkennt er sehr gut, dass sich dieses Beinstellen knapp außerhalb des Strafraumes ereignet und entscheidet vollkommen richtig auf Freistoß. Dieses Beinstellen ist im normalen Ablauf besser zu sehen, da der Vorgang in der Zeitlupe erst nach dem Foulspiel eingeblendet wird und den Angreifer nach dem Foulspiel, als er in dem Strafraum zu Fall kommt, zeigt und somit suggeriert, dass das Foulspiel im Strafraum sein könnte. Sehr gut erkannt vom Schiedsrichter! Allerdings hätte es auch die gelbe Karte für das Foulspiel geben müssen, da eine gute Angriffssituation unterbunden wird.

Szene 3: Kurz vor dem Strafraum bringt der bereits verwarnte Thomas Kok (Münster) seinen Gegenspieler Simon Stehle (Saarbrücken) zu Fall und sieht dafür Gelb-Rot. Gab es zuvor ein Foul von Stehle an Kok? [TV-Bilder – ab Minute 1:45]

Babak Rafati: Kurz bevor es zu der gelb-roten Karte gegen Kok kommt, entgeht dem Schiedsrichtergespann ein Foulspiel von Stehle an Kok, sodass es erst gar nicht zu der gelb-roten Karte hätte kommen dürfen. Stehle trifft Kok mit dem Fuß, indem er aktiv mit dem Fuß in die Richtung der Füße von Kok geht, in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Der Tritt ist auch nicht im Kampf um den Ball, sondern nur gegen den Gegenspieler. Es liegt daher ein Foulspiel vor, das hätte geahndet werden müssen. Somit eine Fehlentscheidung, nicht zu pfeifen. Wäre das Foulspiel von Stehle nicht passiert, hätte die anschließend gelb-rote Karte gegen Kok ihre Berechtigung.

 

Szene 4: Einen Schuss von Niklas Kölle (Duisburg) bekommt Ulrich Taffertshofer (Lübeck) im Strafraum an den Arm, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 21:20]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Kölle, der aus kurzer Entfernung kommt, geht Taffertshofer aktiv mit der Brust/Schulter zum Ball und blockt diesen. Hierbei ist kein Handspiel auszumachen. Ein Indiz dafür ist auch die Art und Weise, wie der Ball abprallt. Bei einem Handspiel prallt der Ball nicht ab, sondern fällt sehr schwach und flach auf den Boden, als ob man den ihn gestoppt hätte. Das liegt daran, dass zum Zeitpunkt des Handspiels der Druck und die Spannung aus dem Arm herausgenommen werden und dadurch kein Abprallen zustande kommt. Man kann diesen Vorgang mit einem Stoppen mit dem Fuß vergleichen. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.

Szene 5: Eine Hereingabe von außen verlängert Sebastian Mai (Duisburg) im Strafraum zu Niklas Kölle, der zum 1:0 trifft. Aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition zählt der Treffer aber nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]

Babak Rafati: Nach der Hereingabe spielt Mai den Ball mit der Hacke zu Kölle, der den Ball ins Tor befördert. Auch wenn die Situation sehr eng und knapp ist, kann man sehr gut erkennen, dass zum Zeitpunkt des Hackenzuspiels der anschließende Torschütze Kölle kurz vor (!) der Torraumlinie steht. Gleichzeitig streckt ein Verteidiger von Lübeck in der Bewegung vom Tor weg das rechte Bein nach hinten in den Fünfer und hat gleichzeitig den linken Fuß auf der Fünferlinie, sodass das rechte Bein eine mögliche Abseitsposition von Kölle aufhebt. Eine Fehlentscheidung, diesen Treffer abzuerkennen. Eine knifflige Situation für einen Assistenten, da es wirklich schwierig ist, Körperteile bezüglich Abseitspositionen aus der Entfernung von 20-25 Metern wahrzunehmen, die auch noch vom Körper nach vorne oder nach hinten gestreckt werden. Anders und einfacher verhält es sich, wenn der Körper als Ganzes für eine mögliche Abseitsposition entscheidend wird, also kein Körperteil weit abgespreizt ist.

Szene 6: Im Strafraum bekommt Santiago Castaneda (Duisburg) einen Schuss von Robin Velasco (Lübeck) an den Arm. Kein Elfmeter, entscheidet der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 2:03:55]

Babak Rafati: Velasco schießt den Ball auf das Tor, dabei dreht sich Castaneda um und bekommt den Ball in der Umdrehaktion an die Hand. Dabei hat der Verteidiger, bevor es zum Schuss bekommt, die Arme leicht hinter dem Körper, um einen möglichen Schuss nicht mit den Armen abzuwehren. Als der Schuss kommt, dreht er sich um, und die Arme schwingen in natürlicher Haltung mit, sodass – auch wenn der Arm etwas abgespreizt ist -, keine Vergrößerung der Körperfläche, sondern eine natürliche Körperhaltung vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Ein abgespreizter Arm allein ist noch nicht das entscheidende Argument für ein strafbares Handspiel, sondern a) die Absicht sowie b) eine Vergrößerung der Körperfläche oder natürliche Haltung.

Hinweis: Das Umdrehen von Castaneda ist nicht aus dem Stand in statischer Form, sondern geschieht mit Schwung im Umdrehvorgang. Man kann es selbst mal ausprobieren, wie der Arm mitschwingt, wenn man sich abrupt zu einer Seite wegdreht. Der Arm auf der entsprechenden Seite schwingt automatisch und in natürlicher Haltung mit.

 

Szene 7: Im eigenen Strafraum spielt Marcel Benger (Verl) den Ball mit der Hand, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:38:30]

Babak Rafati: Benger will den aufprallenden Ball auf dem Boden mitnehmen und spielt das Spielgerät mit der Brust und dem Oberarm. Der Bereich des Oberarms, mit dem er den Ball spielt, ist im regelgerechten Bereich, sodass kein strafbares Handspiel vorliegt. Für die Beurteilung von Handspielvergehen im Arm-/Schulterbereich gilt, dass die Grenze zwischen Schulter und Arm (bei angelegtem Arm) unten an der Achselhöhle verläuft. Daher liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen

 

 

Szene 8: Manfred Starke bringt den Ball im Tor unter, allerdings entscheidet der Schiedsrichter bei einem Zweikampf zwischen Eroll Zejnullahu (1860) und Franz Roggow (Dortmund II) auf Stürmerfoul und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 22:50]

Babak Rafati: Vor dem Strafraum kommt es zu einem Zweikampf zwischen Zejnullahu und Roggow. Dabei prallt der Ball auf dem Boden auf, und beide versuchen das Spielgerät zu erobern. Als Zejnullahu schließlich den Ball mit dem Knie zum anschließenden Torschützen Starke spielt, will Roggow zum Ball und klären, wird dabei aber entscheidend von Zejnullahu kurz und ansatzlos, aber wirksam am Arm gezogen und zu Fall gebracht. Man sieht auch sehr gut, dass das Halten des Münchners den Dortmunder tatsächlich abbremst und daran hindert, Starke zu stören und am Torschuss zu hindern. Das ist ein Foulspiel, sodass die Entscheidung richtig ist. Auch wenn Roggow im Zweikampf mit Zejnullahu auch ein bisschen am Trikot gehalten wird, ist das kein Foulspiel, weil solche Vergehen branchenüblich sind und den Gegenspieler nicht entscheidend hindern.

Szene 9: Einen Schuss von Michael Eberwein (Dortmund II) bekommt Jesper Verlaat (1860) im Strafraum an den Oberarm, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:10]

Babak Rafati: Eine Flanke von Eberwein von der rechten Angriffsseite blockt Verlaat mit der Brust/Schulter und kann dadurch verhindern, dass der Ball vor das Tor geflankt wird. Das Spielen des Balles in diesem Schulterbereich, ist, wie in Szene 7 bereits ausführlich beschrieben, regelgerecht, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen. Anschließend ist auch gut zu sehen, dass der Assistent auf dieser Seite dem Schiedsrichter anzeigt, dass Verlaat den Ball mit der Brust gespielt hat, indem er sich auf die eigene Brust fasst. Eine gute Außenwirkung (!), die die Akteure auf dem Platz auch sehen, weil sie ihren Blick in Erwartung des Pfiffs des Schiedsrichters anschließend auf den Assistenten richten und womöglich eine Bestätigung ihrer Wahrnehmung bekommen, was die Akzeptanz der Entscheidung erhöht.

 

Szene 10: Nachdem Konrad Faber (Regensburg) im Strafraum nach einem Zweikampf mit Berkay Yilmaz (Freiburg II) zu Fall geht, winkt der Schiedsrichter zunächst ab, zeigt dann aber doch auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Strafraum will Yilmaz den Ball spielen, verfehlt das Spielgerät aber, trifft stattdessen Faber hinten in die Hacke und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und die Elfmeterentscheidung somit richtig. Allerdings ist der Ablauf sehr unglücklich. Der Schiedsrichter zeigt zunächst klar und eindeutig zweimal gestenreich an, dass kein Vergehen vorliegt und entscheidet sofort danach auf Elfmeter. Es ist auch von der Körpersprache des Assistenten auf dieser Seite kein Zeichen oder eine entsprechende Körperhaltung erkennbar, dass dieser den Anstoß für diese Entscheidung gegeben hat. Fakt ist dennoch, dass die Entscheidung richtig ist, aber zugleich eine unglückliche Außenwirkung darstellt. Hinweis: Einige Stimmen aus dem Fanlager haben moniert, dass Faber im Zweikampf, der zum Elfmeter führt, den Arm einsetzt und damit ein Foulspiel begeht. Der Armeinsatz ist vollkommen fußballtypisch. Da kann man keinesfalls über ein Foulspiel des Angreifers sprechen.

 

Szene 11: Jalen Hawkins (Mannheim) kommt im Strafraum bei einem Laufduell mit Moritz Seiffert (Ingolstadt) zu Fall, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:06:30]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell zwischen Seiffert und Hawkins im Strafraum kommt der Angreifer zwar zu Fall, allerdings kommt es lediglich zu einem Kontakt im Oberkörperbereich, der aber kein Foulspiel darstellt, sondern vielmehr branchenüblich ist und zum Fußball dazugehört. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 12: Für ein rüdes Foul an Dennis Chessa (Ulm) sieht Luca Marseiler (Köln) nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:05:00]

Babak Rafati: An der Seitenlinie springt Marseiler unkontrolliert mit beiden Beinen und offener Sohle in den Zweikampf und trifft kein bisschen den Ball, sondern nur Chessa in die Füße und bringt ihn rüde zu Fall. Diese Aktion ist gesundheitsgefährdend und muss die rote Karte gegen Marseiler nach sich ziehen. Man sieht die Heftigkeit des Foulspiels bei gleichzeitigem Nicht-Bewegen-des-Balles schon in der realen Geschwindigkeit, sodass sofort gepfiffen und die rote Karte gezeigt werden muss. Eine Fehlentscheidung, Gnade vor Recht ergehen zu lassen und nicht die rote Karte zu zeigen, auch wenn die Mannschaft des Foulenden bereits 1:3 zurückliegt und das Spiel schon entschieden ist, da nur noch knapp zwei Minuten zu spielen sind. Bei so einer klaren Aktion muss die rote Karte sofort und überzeugend ausgesprochen werden, da mit zunehmender Dauer zuviel auf die Schiedsrichter eingeredet wird und der spontane Eindruck mit dem entsprechenden Bauchgefühl verloren geht und meist zu einer milderen Strafe führt.

 

Szene 13: Aue moniert ein Foul von Kaito Mizuta (Bielefeld) an Omar Sijaric, der Schiedsrichter pfeift nicht. Wenig später fällt das 2:2. [TV-Bilder – ab Minute 1:53:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spitzelt Mizuta zunächst regelgerecht den Ball vom Fuß von Sijaric weg. Allerdings streckt Mizuta, der nach der ersten Aktion am Boden liegt, das Bein aktiv nach hinten aus und bringt dadurch Sijaric zu Fall, sodass die zweite Aktion ein Foulspiel ist, auch wenn Sijaric gleich wieder aufsteht und den Ball in Bedrängnis an einen anderen Gegenspieler verliert. Hier hätte es aufgrund der zweiten Aktion einen Freistoß für Aue geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Allerdings muss auch erwähnt werden, dass der fehlende Freistoßpfiff nicht der Grund für den Gegentreffer kurz danach ist. Aue hatte den Ball nach dem nicht erfolgten Pfiff wieder zurück erobert und sicher abgefangen und selbst verschuldet einen Fehlpass geschlagen. Erst danach erfolgte der Gegenangriff, der zum Ausgleich führte.

 

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

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