Strittige Szenen am 17. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Der nicht gegebene Treffer für Halle, das 2:0 von Köln, die verwehrten Elfmeter für Duisburg, Kaiserslautern, Wiesbaden, Würzburg, Saarbrücken, Braunschweig und Osnabrück, ein Foulspiel von Tomiak an Pherai, der Platzverweis gegen Cigerci und ein Foul von Belkahia an Meyer: Am 17. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 14 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach einem Eckball bringt Jonas Nietfeld (Halle) das Spielgerät im Tor unter, Schiedsrichter Mario Hildenbrand entscheidet jedoch auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:55]
Babak Rafati: Nach einem Kopfball von Nietfeld auf das Tor von Köln läuft Jannes Vollert zwar zum Ball, berührt das Spielgerät aber nicht mehr, bevor dieses ins Tor geht. Das sieht man sehr gut an der Flugbahn des Balles. Auch wird kein Verteidiger im Sinne der Regel irritiert, sodass die Abseitsposition vom Mitspieler nicht aktiv, sondern passiv und somit nicht maßgeblich ist. Somit hätte das Tor für Halle zählen müssen. Eine Fehlentscheidung, den Treffer zu annullieren.
Szene 2: Benjamin Hemcke (Köln) spritzt in einen Pass von HFC-Keeper Daniel Mesenhöler und leitet den Ball zu Luca Marseiler weiter, der zum 2:0 trifft. Halle reklamiert Abseits, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]
Babak Rafati: Bei diesem Treffer sieht man an der Rasenmarkierung am Fünfmeterraum sehr gut, dass Luca Marseiler zum Zeitpunkt des Abspiels beziehungsweise Abfangen des Balles in Abseitsposition steht. Somit hätte der Treffer nicht zählen dürfen. Dadurch, dass der Assistent nicht vorbereitet ist und nicht in der richtigen Position steht, um die Szene optimal beurteilen zu können, ist er überrascht, und ihm entgeht womöglich die Abseitsposition. Er hätte mindestens auf Höhe des "Fünfers" stehen müssen, steht aber circa zwei Meter versetzt, sodass das Bild verzerrt wird. Eine Fehlentscheidung den Treffer zu geben.
Szene 3: Einen Kopfball von Moritz Stoppelkamp (Duisburg) bekommt Niklas Sommer (Mannheim) im Strafraum an den Arm. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Patrick Alt. [TV-Bilder – ab Minute 1:12:40]
Babak Rafati: Nach einem Kopfball von Stoppelkamp bekommt Sommer den Ball an die Brust, und von da aus geht der Ball über die Torlinie ins Aus. Selbst wenn der Ball am Arm von Sommer gelandet wäre, würde kein absichtliches Handspiel vorliegen, da die Distanz sehr kurz ist und zudem der Arm in natürlicher Haltung ist. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Im Strafraum geht Orhan Ademi (Duisburg) gegen Marcel Seegert (Mannheim) zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:44:20]
Babak Rafati: Im Strafraum von Mannheim kommt es zu einem Zweikampf. Ademi führt den Ball am Fuß und will Seegert ausspielen. Dieser rutscht ins Leere, trifft dabei nicht den Ball, aber auch nicht Ademi. Wenn überhaupt ein leichter Kontakt vorliegt, ist dieser kein Foulspiel und somit nicht ausreichend, um einen Elfmeter zu verhängen. In dieser Szene wird ein leichter Kontakt – wenn überhaupt – zum Anlass genommen, dankend zu Fall zu kommen. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und nicht auf Strafstoß für Duisburg zu entscheiden.
Szene 5: Im Strafraum kreuzen sich die Laufwege von Philipp Hercher (Kaiserslautern) und Soumaila Coulibaly (Dortmund II). Der Lautrer geht zu Fall, doch auf den Punkt zeigt der Schiedsrichter nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:31:45]
Babak Rafati: Hercher läuft in den Strafraum, erkennt womöglich, dass er nicht mehr an den Ball kommen kann und lässt sich in der Nähe vom Gegenspieler Coulibaly fallen. Maximal spürt er den Atemzug des Verteidigers, ansonsten liegt noch nicht mal im Ansatz eine Berührung vor, geschweige denn ein Foulspiel. Nicht zu pfeifen und Weiterspielen zu lassen, ist nicht falsch. Optimal wäre es aber, auf Schwalbe und gelbe Karte gegen Hercher zu entscheiden.
Szene 6: Für ein Foul an Immanuël Pherai (Dortmund II) kommt der bereits gelb-verwarnte Boris Tomiak (Kaiserslautern) mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:34:40]
Babak Rafati: Pherai legt sich den Ball auf der linken Außenbahn vor und will einen guten Angriff einleiten. Sein Gegenspieler Tomiak kommt hinzu, kann den Angreifer nur noch durch ein Beinstellen stoppen und zu Fall bringen. Das ist ein rücksichtsloses Foulspiel, das mit der gelben Karte sanktioniert werden muss. Für solch ein taktisches Foulspiel gibt es null Toleranz. Eine Fehlentscheidung, die Karte nicht zu zeigen, was für den bereits verwarnten Tomiak die Ampelkarte zur Folge hätte.
Szene 7: Im Strafraum will sich Gustaf Nilsson (Wiesbaden) gegen Lasse Jürgensen (Verl) durchsetzen, geht dabei aber zu Boden und fordert Elfmeter. Schiedsrichter Patrick Hanslbauer lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 18:30]
Babak Rafati: Im Strafraum von Verl kommt es zu einem Zweikampf. Dabei setzt Jürgensen zwar seine Hände gegen Nilsson ein, allerdings ist dieser Einsatz im Bereich des Erlaubten. Der Einsatz ist fußballtypisch, auch wenn Nilsson diesen Einsatz dankend annimmt und zu Fall kommt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 8: Nach einer Ecke köpft Ahmet Gürleyen (Wiesbaden) den Ball auf das Tor, wo Nico Ochojski (Verl) den Ball an die Hand bekommt und ein Gegentor verhindert. Kein Elfmeter, sagt Hanslbauer. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]
Babak Rafati: Nach einem Kopfball von Gürleyen auf das Tor von Verl steht Ochojski auf der Torlinie und kann den Ball nur noch durch ein absichtliches Handspiel auf der Torlinie abwehren und somit einen Gegentreffer verhindern. Der Kopfball prallt vorher noch auf dem Boden auf und springt dann an den ausgestreckten Arm von Ochojski. In dieser Szene hätt es einen Elfmeter für Wiesbaden sowie die rote Karte gegen Ochojski geben müssen, da der Arm zum Ball geht und somit eine Absicht vorliegt. Eine Fehlentscheidung, dieses Vergehen nicht zu ahnden. Vermutlich versperren die Spieler die Sicht des Schiedsrichters, sodass er das Vergehen nicht sehen kann, denn Ochojski steht hinter der Spielertraube. Auch für den Assistenten ist es sehr schwierig dieses Vergehen zu sehen, obwohl er auf der Höhe des Verteidigers steht. Das Vergehen ist nämlich von ihm aus gesehen auf der abgewendeten Seite. Somit kann er dem Schiedsrichter nicht helfen, die richtige Entscheidung zu treffen.
Szene 9: Einen Kopfball von Marvin Pourié (Würzburg) bekommt Markus Ballmert (Meppen) im Tor stehend an die Hand, Schiedsrichter Konrad Oldhafer lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 3:50]
Babak Rafati: Nach einem Kopfball von Pourié auf das leere Tor kann Ballmert den Ball nur noch mit dem Arm auf der Torlinie aufhalten und anschließend mit dem Fuß abwehren. Dadurch verhindert er ein klares Tor. Das ist ein absichtliches Handspiel, weil er aktiv mit dem Arm zum Ball geht. Somit hätte es einen Elfmeter für Würzburg sowie die rote Karte gegen Ballmert wegen grober Unsportlichkeit geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 10: Nach einem Zweikampf wird Tolgay Cigerci (Berlin) von Luca Kerber (Saarbrücken) festgehalten. Cigerci will sich befreien, stößt Kerber aber zu Boden und sieht von Schiedsrichter Lukas Benen Rot, während Kerber mit Gelb verwarnt wird. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]
Babak Rafati: Kerber hält zunächst seinen Gegenspieler Cigerci von hinten fest und sieht daraufhin vollkommen berechtigt die gelbe Karte. Nach dem Festhalten von Kerber revanchiert sich Cigerci, indem er ihn umklammert und leicht zu Boden stößt. Das ist eine Tätlichkeit, wenn auch in einem leichteren Fall, da das Vergehen nicht heftig und nicht mit viel Dynamik ausgeführt wird. Trotzdem liegt hier eine richtige Entscheidung vor, die rote Karte gegen Cigerci zu zeigen.
Szene 11: Tobias Jänicke (Saarbrücken) dringt in den Strafraum ein und geht gegen Lukas Pinckert (Berlin) zu Fall. Benen lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:29:00]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Berlin kommt Jänicke zwar zu Fall, allerdings geht sein Gegenspieler Pinckert nur zum Ball und spielt das Spielgerät, sodass kein Foulspiel vorliegt. Jänicke verstolpert eher und kommt deshalb zu Fall. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 12: Pena Zauner (Braunschweig) kommt im Strafraum an den Ball und geht gegen Alexander Bittroff (Magdeburg) zu Fall. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Dr. Robert Kampka nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:54:00]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Magdeburg kommt es womöglich zu einem leichten Kontakt im Fußbereich von Bittroff gegen Zauner. Diesen Kontakt nimmt Zauner dankend an und kommt schnell zu Fall. Allerdings ist dieser Kontakt nicht ursächlich für den Faller des Angreifers. Somit liegt kein Foulspiel vor. Weiterspielen zu lassen, ist die richtige Entscheidung.
Szene 13: Aaron Opoku (Osnabrück) kommt im Strafraum an den Ball und will auf das Tor schießen, geht aber im Duell mit Kiliann Sildillia (Freiburg II) zu Fall und fordert einen Elfmeter. Schiedsrichter Mitja Stegemann winkt ab. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Freiburg will Opoku den Ball nach einem Abpraller kontrollieren und hat die Sohle auf dem Ball. Dabei kommt sein Gegenspieler Sildillia hinzu und spielt klar den Ball. Dadurch, dass Opoku den Fuß auf dem Ball hatte verliert er die Balance und kommt deshalb zu Fall. Somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 14: Auf dem Weg zum Tor wird Linus Meyer (Havelse) von Semi Belkahia (1860) zu Fall gebracht, Schiedsrichter Patrick Schwengers pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]
Babak Rafati: Bei einem Laufduell kurz vor dem Strafraum von 1860 München bekommt Meyer den Ball in aussichtsreicher Position zugespielt. Belkahia läuft hinter Meyer her und hat die schlechtere Position zum Ball. Daher kann er sich nur noch durch ein Foulspiel helfen, indem er sich einfach kurz vor dem Strafraum von hinten in Meyer hineinwirft und ihn somit zu Fall bringt. Das ist ein Foulspiel und hätte somit einen Freistoß für Havelse geben müssen. Auch wenn der Angreifer im Strafraum zu Fall kommt, ist der Ort des Kontaktes – nämlich außerhalb des Strafraumes – maßgeblich. Eine rote Karte kann es nicht geben, da unmittelbar daneben ein weiterer Verteidiger von 1860 München noch rechtzeitig hätte eingreifen können. Dennoch eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
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