Strittige Szenen am 16. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Elfmeter für Mannheim, Kaiserslautern und 1860, die verwehrten Strafstöße für Osnabrück, Kaiserslautern, Berlin und Havelse, das 1:1 von Mannheim, der nicht gegebene Treffer für Kaiserslautern und das 4:0 von Meppen: Am 16. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach Vorlage von Joseph Boyamba (Mannheim) trifft Dominik Martinovic zum 1:1. Osnabrück reklamiert Abseits, Schiedsrichter Richard Hempel gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: In dieser Szene ist die Bewertung einer möglichen Abseitsposition im normalen Ablauf besser zu beurteilen, als es danach in der Zeitlupe den Anschein macht. Florian Kleinhansl hebt das Abseits auf, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, diesen Treffer anzuerkennen. Man darf nicht vergessen, dass die Kamera nicht auf der entsprechenden Höhe der beteiligten Spieler postiert, sondern ein paar Meter versetzt ist, sodass die TV-Sicht verzerrt wird.
Szene 2: Joseph Boyamba (Mannheim) geht im Strafraum im Duell mit Philipp Kühn (Osnabrück) zu Fall, Hempel gibt Elfmeter für Mannheim. Eine Karte sieht Kühn nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Die Elfmeterentscheidung ist absolut unstrittig, das ist ein klares Foulspiel vom Keeper Kühn gegen Boyamba. Dadurch, dass der Keeper beim ersten Mal den Ball verfehlt und danach erneut das Bein hochfährt, um Boyamba zu stoppen, handelt der Keeper vorsätzlich und will nur Foul spielen. Das Vergehen ist somit nicht fahrlässig (unachtsam oder unvorsichtig), sondern rücksichtslos (Gefahr für den Gegner außer Acht lassen), deshalb wäre eine gelbe Karte vorgeschrieben, die aber vom Schiedsrichter nicht gezeigt wird. Dadurch, dass Boyamba mit dem Ball nicht direkt zum Tor zieht und noch andere Spieler in der Nähe sind, ist eine rote Karte nicht erforderlich, auch wenn die Attacke nur gegnerorientiert ist. Es wird aber kein Tor verhindert, sodass die Notbremse-Regelung nicht zieht.
Szene 3: Im Strafraum wird Bu-Muaka Simkala (Osnabrück) von Marc Schnatterer (Mannheim) zu Fall gebracht, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Mannheimer Strafraum wird Simkala freigespielt. Sein Gegenspieler Schnatterer ist in einer schlechteren Position und will mit dem rechten Fuß zwar zum Ball, trifft aber nur Simkala an dessen Fuß und bringt ihn aus dem Tritt und schließlich zu Fall. Das ist ein klares Foulspiel durch Beinstellen, es hätte somit einen Elfmeter für Osnabrück sowie die gelbe Karte gegen Schnatterer geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Gilian Jurcher (Mannheim) läuft auf das Tor zu und geht gegen Philipp Kühn (Osnabrück) zu Boden. Erneut gibt es Elfmeter für Mannheim, zudem sieht Kühn Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 3:00]
Babak Rafati: Diesmal kommt Keeper Kühn aus seinem Tor heraus, wirft sich vor den heraneilenden Jurcher und verhindert damit eine glasklare Torchance, da Jurcher allein auf das Tor zuläuft. Das ist natürlich ein klares Foulspiel. Somit ist die Entscheidung, auf den Punkt zu zeigen, absolut richtig. Der Keeper will in dieser Aktion zum Ball, allerdings verschätzt er sich und kommt etwas zu spät. Sein Einsatz ist somit ballorientiert. Dennoch ist dieses Foulspiel laut Regeltext rücksichtslos und hat richtigerweise die gelbe Karte zur Folge. Wäre die Aktion gegnerorientiert, zum Beispiel durch Trikothalten und ohne Chance zum Ball, hätte es die rote Karte zur Folge.
Hätte Kühn in der ersten Elfmeterszene die gelbe Karte gezeigt bekommen, würde das in dieser Szene zur Folge haben, dass er wegen der zweiten gelben Karte die Ampelkarte sieht.
Szene 5: Felix Götze (Kaiserslautern) läuft in Richtung Strafraum und wird von Dennis Kempe (Wiesbaden) gehalten und am Fuß getroffen. Dabei geht Götze zu Fall, Schiedsrichter Nico Fuchs gibt Elfmeter für Kaiserslautern. Wiesbaden reklamiert, dass das Foul außerhalb des Strafraums war. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]
Babak Rafati: Beim Laufduell zwischen Götze und Kempe kommt es am Strafraum von Wiesbaden zu einem kniffligen Zweikampf. Beim leichten Trikotziehen liegt noch kein Vergehen vor, allerdings kreuzen sich die Laufwege. Und auch wenn Kempe versucht auszuweichen, kommt es im Bewegungsablauf zu einem Kontakt im Fußbereich, der Götze entscheidend aus dem Tritt und schließlich zu Fall bringt. Das ist ein Foulspiel, weil der Einsatz fahrlässig ist und in Kauf nimmt, den Gegner zu treffen. Auch dieser Kontakt ist außerhalb des Strafraumes. Der Schiedsrichter zögert einen Moment bezüglich der Tatortbestimmung, schaut dabei zu seinem Assistenten auf dieser Seite und lässt sich womöglich ein wenig von der Vorwärtsbewegung des Assistenten beeinflussen.
Die Assistenten haben bei knappen Entscheidungen an der Strafraumgrenze die Anweisung, dass wenn das Vergehen innerhalb des Strafraumes geschieht, sie in Richtung der Torlinie durchlaufen, um ihrem "Chef" auf dem Platz den Tatort aus einer besseren – nämlich seitlichen Position – zu signalisieren. Andernfalls sollen Sie demonstrativ von der Torlinie in die andere Richtung weglaufen und auf Höhe von etwa 1-2 Metern außerhalb des Strafraums stehen bleiben. Ein Signal dafür, dass der Tatort außerhalb des Strafraumes war und das Vergehen "nur" einen Freistoß zur Folge hat. Das Vergehen in diesem Fall war außerhalb des Sechzehners, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, einen Elfmeter für Kaiserslautern zu geben.
Szene 6: Nach einem langen Ball aus der eigenen Hälfte bringt Kenny Prince Redondo (Kaiserslautern) den Ball zum 2:0 im Tor unter, wird aber aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition zurückgepfiffen. [TV-Bilder – ab Minute 1:44:05]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball aus der eigenen Hälfte laufen zwei Lauterer Spieler zum Ball. Bis hierhin ist alles okay. Dann berührt Daniel Hanslik den Ball, der sich zu Boden senkt, tickt ihn weiter auf Mitspieler Redondo, und dieser trifft anschließend ins gegnerische Tor. Auf dem ersten Blick scheint eine Abseitsposition von Redondo vorzuliegen, da dieser mit der Fußspitze näher zur Torlinie steht, als zwei verteidigende Spieler. Allerdings spielt auch ein anderer Faktor eine entscheidende Rolle: Redondo ist hinter dem Ball, sodass die Abseitsposition aufgehoben wird, unabhängig von der Position der Verteidiger. Eine Fehlentscheidung, diesem Treffer die Anerkennung zu verweigern. Es sei aber auch angemerkt, dass es für den Assistenten, der ganz auf der anderen Seite steht, wirklich schwierig ist, in diesem engen Raum den Moment des Ball-Antickens vom Mitspieler von Redondo zu erkennen.
Szene 7: Kenny Prince Redondo (Kaiserslautern) erläuft im Strafraum einen Ball, wird dabei aber von Florian Stritzel (Wiesbaden) abgeräumt. Kein Elfmeter, entscheidet Fuchs. [TV-Bilder – ab Minute 1:59:45]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Wiesbaden ist Keeper Stritzel vor Redondo am Ball und klärt das Spielobjekt klar und deutlich, sodass der Ball Spielobjekt ist. Erst danach kommt es im natürlichen Bewegungsablauf zu einem Zusammenprall mit Redondo, was fußballtypisch ist. Somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 8: Vincent Gembalies (Duisburg) bringt Stefan Lex (1860) im Strafraum zu Fall und verursacht damit einen Elfmeter, kommt bei Schiedsrichter Timo Gerach aber ohne gelbe Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Das Foulspiel ist unstrittig. Beim Zweikampf will Gembalies im eigenen Strafraum zum Ball und kommt einen Moment zu spät, sodass er Lex nur noch in die Beine trifft und zu Fall bringt. Der Einsatz ist somit fahrlässig. Das bedeutet, dass er zwar unvorsichtig in den Zweikampf geht, aber hierfür keine Disziplinarmaßnahme vorgeschrieben ist. Eine richtige Entscheidung, die Aktion nicht mit einer gelben Karte zu ahnden.
Szene 9: Erneut verursacht Vincent Gembalies (Duisburg) nach einem Foul an Stefan Lex (1860) einen Elfmeter und sieht dieses Mal dafür Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]
Babak Rafati: Auch in dieser Szene ist das Foulspiel unstrittig. Dabei steht erneut Gembalies als Foulender im Mittelpunkt. Sein Abwehrversuch gilt nur dem Ball. Er will nämlich mit dem Fuß zum Ball, ist dabei in einer schlechteren Position (hinter dem Angreifer) und trifft Lex, beim Versuch den Ball vom Fuß des Angreifers wegzuspitzeln, hinten in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Dieses Vergehen ist rücksichtslos und hat damit die gelbe Karte zur Folge. Wäre seine Attacke in dieser Szene nur gegen den Gegenspieler gerichtet, zum Beispiel durch ein Trikothalten, dann wäre nicht mehr der Ball Spielobjekt, sondern der Gegenspieler. Das hätte die rote Karte zur Folge, weil in diesem Zusammenhang ein Tor verhindert worden wäre (Notbremse). Auch in dieser Situation entscheidet der Schiedsrichter vollkommen richtig und zeigt Gembalies die gelbe Karte.
Wie wichtig eine saubere Abstufung der persönlichen Strafe (gelbe und rote Karten) durch den Schiedsrichter ist, zeigen diese zwei Fouls von Gembalies. Hätte nämlich der Schiedsrichter in der ersten Szene die gelbe Karte gezeigt, um seine Entscheidung zu untermauern – was oft passiert -, wäre er gezwungen gewesen, in dieser zweiten Szene, den Verteidiger durch eine weitere gelbe Karte mittels der Ampelkarte vom Platz zu stellen.
Szene 10: Einen Schuss von Morgan Faßbender (Meppen) bekommt Christoph Greger (Köln) vor dem Strafraum an den Arm. Schiedsrichter Florian Exner gibt Freistoß für Meppen, der zum 4:0 führt. [TV-Bilder – ab Minute 2:13:00]
Babak Rafati: Faßbender schießt den Ball kurz vor dem Kölner Strafraum auf das gegnerische Tor. Dabei bekommt Greger den Ball aus sehr kurzer Distanz an die Hand geschossen und blockt somit das Spielgerät. Der Arm des Verteidigers ist hierbei allerdings in natürlicher Haltung, sodass keine Absicht vorliegt. Dies ist ein Paradebeispiel dafür, dass keine Absicht vorliegen kann: Kurze Entfernung, der Ball geht zur Hand und nicht andersherum sowie natürliche Haltung des Armes und somit keine Vergrößerung der Körperfläche. Eine Fehlentscheidung, diesen Freistoß für Meppen für dieses vermeintliche Handspiel zu geben.
Szene 11: Im Strafraum fährt Christian Strohdiek (Würzburg) gegen Björn Jopek (Berlin) den Arm aus und bringt seinen Gegenspieler zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Patrick Kessel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:20]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Zuspiels auf Jopek schaut der Schiedsrichter zum Passgeber, und somit entgeht ihm außerhalb seines Blickwinkels der Schubser von Strohdiek, der strafbar ist und somit ein Foulspiel darstellt. Dieser Schubser ist nicht im Kampf um den Ball, sondern einfach ein Foulspiel jenseits vom Ballort. Der Assistent wiederum schaut wegen einer möglichen Abseitsposition genau auf diesen Zweikampf, sodass zumindest ihm dieses Vergehen nicht hätte entgehen dürfen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter für Berlin zu pfeifen. Zudem hätte es die gelbe Karte gegen Strohdiek geben müssen.
Szene 12: Nach einer Flanke in den Strafraum geht Fynn Lakenmacher (Havelse) mit dem Kopf zum Ball und kommt im Duell mit Nishan Burkart (Freiburg II) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Tom Bauer. [TV-Bilder – ab Minute 30:55]
Babak Rafati: Bei diesem Luftkampf im Strafraum von Freiburg springt Burkart zum Kopfball hoch, trifft aber nicht das Spielgerät, sondern landet im Rücken von Lakenmacher und bringt ihn dadurch klar zu Fall. Auch wenn der Verteidiger den Ball spielen wollte, ist der Einsatz fahrlässig, da er unvorsichtig zum Ball steigt und eben diesen nicht spielt, sondern den Gegner anspringt und umrennt. Hier hätte es einen Elfmeter für Havelse geben müssen. Somit eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
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