Strittige Szenen am 13. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Das Foul von Bachmann an Jänicke, die nicht gegebenen Elfmeter für Kaiserslautern, Saarbrücken, 1860, Wiesbaden, Magdeburg und Ingolstadt, die Platzverweise gegen Spahic und Dressel, das Foul von Sorge an Mölders und das nicht gegebene 1:0 für den KFC. Am 13. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).

Szene 1: Frei vor dem Tor kommt Tobias Jänicke (Saarbrücken) in Schussposition, wird von Janik Bachmann (Kaiserslautern) aber zu Fall gebracht. Schiedsrichter Franz Bokop belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 21:05]

Babak Rafati: Jänicke wird angespielt und hat dadurch eine sehr aussichtsreiche Torchance, wird jedoch von Bachmann kurz vor dem gegnerischen Strafraum durch ein Foulspiel zu Fall gebracht. Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob die zwei anderen Verteidiger von Kaiserslautern noch hätten eingreifen können. Diese Frage ist zu verneinen, denn sie stehen relativ (!) weit weg, um noch eingreifen zu können. Jänicke hat nur noch den Torwart vor sich und hätte mit nur einem Schuss das Duell für sich entscheiden können. Auf der anderen Seite ist das Foulspiel nicht nur gelbwürdig: Bachmann nimmt die Verletzung des Gegenspielers billigend in Kauf, da der Einsatz mit offener Sohle im Bänder-/Knöchelbereich passiert. Das ist eine brutale Spielweise, sodass zwei Argumente für eine rote Karte gegen Bachmann sprechen. Eine Fehlentscheidung, nur Gelb zu zeigen.

Szene 2: Nach einem Eckball bringt Janik Bachmann (Kaiserslautern) den Ball auf das Tor, Manuel Zeitz (Saarbrücken) bekommt das Spielgerät an die Hand und verändert die Flugbahn. Einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:36:45]

Babak Rafati: Bei einem Abwehrversuch im Saarbrücker Strafraum klärt Zeitz den Ball zunächst, bekommt diesen jedoch, nachdem er von einem Lautrer Spieler geblockt wird, in Bruchteilen einer Sekunde in Billard-Manier an die Hand. Der Arm ist in natürlicher Haltung, weil ein Spieler beim Ausholen zum Schuss die Arme nicht an den Körper anlegt, sondern mit ihnen im normalen Bewegungsablauf Schwung holt, um Power auf den Schuss zu bekommen. Auch wenn dabei die Flugbahn des Balles verändert wird, liegt kein absichtliches Handspiel vor. Selbst wenn diese Aktion auf der Torlinie passiert wäre, würde es keinen Strafstoß geben.

Eine hilfreiche Faustformel ist, dass immer wenn ein Spieler gedanklich wie auch körperlich gar nicht so schnell reagieren kann, keine Absicht vorliegt. Absicht erfordert eine gewisse Kalkulation. In dieser Szene kann Zeitz gar nicht einkalkulieren, dass er den Ball anschließend an die Hand bekommen könnte. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen. Auch wenn der Schiedsrichter den Vorgang gar nicht sehen konnte, weil die Spieler die Sicht mit ihrem Rücken verdecken, ist das ein gutes Beispiel dafür, im Zweifel immer weiterspielen zu lassen.

 

Szene 3: Niklas Shipnoski (Saarbrücken) dringt in den Strafraum ein und geht im Duell mit Adam Hlousek (Kaiserslautern) zu Fall. Bokop lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:37:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Kaiserslautern kommt es zu einem Laufduell zwischen Shipnoski und Hlousek. Dabei "bearbeitet" der Lautrer seinen Gegenspieler im Oberkörperbereich absolut fußballtypisch. Es liegt keineswegs ein Foulspiel vor, sodass es eine richtige Entscheidung ist, weiterspielen zu lassen. Wenn so etwas abgepfiffen werden würde, hätten wir allein bei Ecken und Freistößen eine zweistellige Anzahl von Strafstößen.

Szene 4: Einen Kopfball von Tobias Jänicke (Saarbrücken) wehrt FCK-Keeper an der Strafraumgrenze mit dem Ellenbogen ab und sieht Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]

Babak Rafati: Eine äußerst diskussionswürdige Szene, die selbst mit einem Standbild nicht zu 100 Prozent aufzulösen ist. Bei einem langen Angriff von Saarbrücken will Jänicke den Ball an der Strafraumgrenze über den herausgeeilten Keeper hinwegköpfen, der sich etwa noch einen halben bis einen Meter innerhalb des eigenen Strafraumes befindet. Dabei reißt der Keeper beide Arme hoch und wehrt den Ball nach vorne ab. Ob der Kontakt noch innerhalb oder außerhalb geschieht, kann man nicht zweifelsfrei bewerten. Das besonders Schwierige ist, dass der Keeper die Arme nicht nur hochreißt, sondern auch noch mit einer Bewegung nach vorne und somit Anlass dazu gibt zu hinterfragen, ob der Ballkontakt mit Arm/Ellenbogen nicht vielleicht doch außerhalb des Strafraumes geschieht. Als Schiedsrichter ist es ratsam von solchen Szenen, bei denen man sich nicht sicher ist, die Finger zu lassen. Ich persönlich hätte es in diesem Fall laufen lassen. Wenn sich der Schiedsrichter allerdings sicher ist oder vielleicht sogar den Impuls von seinem Assistenten bekommen hat, der von der Seite den besten Blickwinkel hat, sollte man die Entscheidung akzeptieren.

Szene 5: Der bereits gelb-verwarnte Hikmet Ciftci (Kaiserslautern) wehrt einen Freistoß von Fanol Perdedaj (Saarbrücken) im Strafraum mit der Hand ab. Kein Elfmeter, sagt Bokop. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]

Babak Rafati: Nach einem Freistoß von Perdedaj kommt der Ball in die Mauer zu Ciftci, der im Strafraum steht, aktiv mit der Hand zum Ball geht und diesen blockt. Man kann nicht von einem Schuss aus kurzer Distanz sprechen, denn die Entfernung beträgt bei einem Freistoß bekanntlich 9,15 Meter. Ciftci geht zudem aktiv mit der Hand zum Ball, sodass es einen Strafstoß für Saarbrücken sowie die gelbe-rote Karte gegen Ciftci hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und Ciftci nicht vom Platz zu stellen.

 

Szene 6: Nach einer Flanke von 1860 in den Türkgücü-Strafraum wehrt Stefan Stangl (Türkgücü) den Ball mit der Hand ab. Schiedsrichter Patrick Hanslbauer lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum von Türkgücü springt Stangl unbehindert zum Ball hoch, verschätzt sich bei der Ballannahme jedoch, sodass er im letzten Moment den Arm zu Hilfe nimmt und den Ball schlussendlich kontrolliert. Der Ball ist lange in der Luft, und wenn der Ball dann an den Arm springt, handelt es sich immer um ein strafbares Handspiel – zumal Stangl auch noch aktiv mit dem Arm zum Ball geht. Hier hätte es einen Strafstoß für 1860 München und die gelbe Karte gegen Stangl geben müssen. Somit eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 7: Beim Kampf um den Ball trifft Dennis Dressel (1860) seinen Gegenspieler Philipp Erhardt (Türkgücü) am Schienbein und sieht glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]

Babak Rafati: Dressel verspringt der Ball vom Fuß, sodass er nachsetzt, um den Ball noch zu erreichen. Sein Gegenspieler Erhardt ist jedoch früher am Ball, sodass er Erhardt beim Nachsetzen mit gestrecktem Bein und offener Sohle am Schienbein trifft, und nicht den Ball. Dieser schwerwiegende und brutale Kontakt ist sicherlich sehr unglücklich und womöglich unbeabsichtigt von Dressel, da der Einsatz nur zum Ball gerichtet ist. Die FIFA schreibt aber bei solchen Szenen, bei denen die Verletzung des Gegenspielers in Kauf genommen wird, eine konsequente Regelauslegung vor, die mit einer roten Karte sanktioniert werden muss. Unabhängig davon, ob eine Absicht vorliegt oder nicht. Man spricht dabei – wie z.B. auch bei Ellenbogenschlägen – über den Einsatz einer "Waffe" (Englisch: Weapon). Eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters, Dressel für diese Aktion die rote Karte zu zeigen.

Szene 8: Der bereits gelb-verwarnte Alexander Sorge (Türkgücü) stützt sich bei Sascha Mölders (1860) auf und springt ihm in den Rücken. Hanslbauer belässt es bei einer Ermahnung. [TV-Bilder – ab Minute 1:56:25]

Babak Rafati: Bei diesem Lufteinsatz springt Sorge schon robust in den Rücken von Mölders, spielt aber auch eindeutig den Ball, sodass die Attacke ballorientiert ist. Natürlich ist solch ein Einsatz grenzwertig, denn der Arm/Ellenbogen kann auch woanders landen, zum Beispiel am Kopf des Gegenspielers. In diesem Fall ist aber ein Freistoßpfiff absolut ausreichend und es bedarf keiner weiteren Karte. Eine vertretbare Entscheidung, es bei einer Ermahnung zu belassen.

 

Szene 9: Nach einer Ecke berührt Markus Schwabl (Unterhaching) den Ball nach einem Kopfball von Florian Carstens (Wiesbaden) mit der Hand, Schiedsrichter Asmir Osmanagic lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:27:35]

Babak Rafati: Nach einer Ecke springt Carstens zum Kopfball hoch und trifft den Ball nicht voll. Kurz im Anschluss spielt Schwabl, der hinter Carstens postiert ist, klar und eindeutig den Ball mit der Hand und spitzelt ihn weg. Das ist ein absichtliches Handspiel und hätte einen Strafstoß für Wiesbaden sowie die gelbe Karte gegen Schwabl geben müssen. Eine Fehlentscheidung, dieses Handspiel nicht zu ahnden.

Szene 10: Benedict Hollerbach (Wiesbaden) wird im Strafraum von Alexander Fuchs (Unterhaching) zu Fall gebracht. Kein Elfmeter, entscheidet der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 1:58:55]

Babak Rafati: Nach einem Zweikampf im Strafraum von Unterhaching ist Hollerbach schneller am Ball als sein Gegenspieler Fuchs, spielt diesen kurz und kommt plötzlich zu Fall. Es ist kein entscheidender Kontakt auszumachen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 11: Eine Flanke von Dominik Ernst (Magdeburg) bekommt Marco Schikora (Zwickau) im Strafraum an die Hand. Schiedsrichter Lasse Koslowski pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:22:10]

Babak Rafati: Bei einer Abwehrattacke springt Schikora im eigenen Strafraum zum Ball und spielt diesen zunächst mit dem Fuß. Unmittelbar danach schießt er sich selbst den Ball an den eigenen Arm, der über seiner Schulter ist, sodass nach dem Reglement kein strafbares Handspiel vorliegt. Wenn sich ein Spieler den Ball mit dem Kopf, Körper oder Fuß an den Arm schießt/spielt und sich der Arm über der Schulterhöhe befindet, liegt kein strafbares Handspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 12: Nach einer Göbel-Flanke trifft Muhammed Kiprit (Uerdingen) zum 1:0 für Uerdingen, aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition gibt Schiedsrichter Sören Storks der Treffer jedoch nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]

Babak Rafati: Wieder mal eine Szene für die kalibrierten Linien, wie wir sie vom Videobeweis aus der Bundesliga kennen. Kiprit steht tendenziell im Abseits, was aber nicht zweifelsfrei aufzulösen ist. Daher sollte man die Entscheidung akzeptieren.

 

Szene 13: Nach einer Ecke kommt Marcel Gaus (Ingolstadt) an den Ball und geht im Strafraum im Duell mit Luka Tankulic (Meppen) zu Fall. Schiedsrichter Thorben Siewer entscheidet auf Stürmer-Foul. [TV-Bilder – ab Minute 1:51:10]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Meppen geht Gaus nach einem Laufduell mit Tankulic zunächst zu Boden und bringt danach auch Tankulic zu Fall. Ob ein Foulspiel des Meppeners vorliegt, ist nicht erkennbar. Der Schiedsrichter steht jedoch exzellent und entscheidet sehr überzeugend auf Stürmerfoul, sodass bei mir das Gefühl aufkommt, dass eine richtige Entscheidung vorliegen müsste.

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