Strittige Szenen am 12. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Elfmeter für Zwickau, Dortmund II und Saarbrücken, das 2:1 von Duisburg, das 2:2 von Zwickau, die Platzverweise gegen Bakalorz und Wurtz, das 2:1 von Magdeburg, der nicht gegebene Treffer für Kaiserslautern, der verwehrte Elfmeter für Türkgücü und die gelbe Karte gegen Verl-Keeper Thiede: Am 12. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de elf Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).
Szene 1: Niclas Stierlin (Duisburg) stützt sich im eigenen Strafraum bei Ronny König (Zwickau) auf, Schiedsrichter Timo Gerach gibt Elfmeter für den FSV. [TV-Bilder – ab Minute 0:55]
Babak Rafati: Bei diesem Luftkampf springt Stierlin im eigenen Strafraum zum Kopfball hoch und setzt den Arm regelwidrig gegen König ein, sodass er ihn zum einen herunter drückt und zum anderen im Gesicht trifft. Auch wenn König diesen Armeinsatz dankend annimmt, liegt ein Foulspiel vor, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, diesen Elfmeter für Zwickau zu pfeifen.
Szene 2: Nach Luftzweikämpfen mit Oliver Steurer (Duisburg) und Nicolas Stierlin (Duisburg) bleiben zwei Zwickauer liegen, das Spiel läuft weiter. Aus dem Angriff fällt das 2:1 für Duisburg und zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:18:05]
Babak Rafati: Bei beiden Szenen ist sowohl der Armeinsatz als auch der Körperkontakt korrekt. Dabei sind beide Luftzweikämpfe maximal grenzwertig, sodass in beiden Szenen kein Foulspiel auszumachen ist. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer für Duisburg anzuerkennen.
Szene 3: Einen Pass von Luca Horn verwertet Dominic Baumann zum 2:2. Duisburg reklamiert Handspiel, Gerach gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]
Babak Rafati: Beim Zuspiel von Horn auf den anschließenden Torschützen Baumann grätscht ein Duisburger Verteidiger zum Ball, will die Hereingabe vor das eigene Tor verhindern und wird womöglich dadurch die Abseitsposition mit der Position seines Fußes aufheben, sodass die Entscheidung tendenziell richtig sein müsste. Die Linie des Fünfmeterraumes ist hierbei eine gute Orientierung für den Assistenten. Zweifelsfrei aufgelöst werden kann die Szene aber nicht.
Szene 4: Im Mittelfeld geht Marvin Bakalorz (Duisburg) nach einem Zweikampf mit Davy Frick (Zwickau) zu Boden, das Spiel läuft weiter. Kurz danach geraten Bakalorz und Jansen einander. Dabei holt der Duisburger zum Kopfstoß aus und trifft Jansen. Gerach lässt zunächst Vorteil laufen, beim anschließenden Angriff bekommt Niko Bretschneider den Ball kurz vor dem Strafraum an die Hand. Diese Szene pfeift der Schiedsrichter allerdings nicht, sondern ahndet Bakalorz‘ Kopfstoß mit Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:40]
Babak Rafati: Bakalorz ist mit der Entscheidung des Schiedsrichters nicht einverstanden und läuft deshalb außerhalb des Blickfeldes (im Rücken) des Schiedsrichters auf Jansen zu und versetzt ihm einen leichten Kopfstoß. Das Spiel läuft zunächst weiter, weil der Schiedsrichter dem Spielgeschehen folgt und logischerweise den Vorgang nicht sieht. Anschließend kommt es beim Gegenangriff zu einer Abwehr des Balles durch Bretschneider am Duisburger Strafraum. Ob die Aktion mit dem Arm oder Kopf geschieht, ist schwer erkennbar, aber meiner Einschätzung nach spielt der Duisburger den Ball mit dem Kopf.
Nun bekommt der Schiedsrichter einen Hinweis von seinem Assistenten per Headset. Dieser hat den Kopfstoß von Bakalorz gesehen und meldet den Vorgang. Auch wenn der Kopfstoß nicht brutal beziehungsweise nicht mit Wucht erfolgt ist, liegt eine leichte Tätlichkeit vor, sodass diese rote Karte eine absolut richtige Entscheidung ist. Bei Vergehen, die mit der roten Karten zu ahnden sind, ist allerdings die Anweisung, das Spiel sofort zu unterbrechen. Hier hätte der Assistent unmittelbar den Vorgang melden müssen, damit es erst gar nicht so weit kommt, dass weitere Vergehen passieren.
Wenn es dann doch so passiert, wie in dieser Szene, ist es möglich, falls Bretschneider mit dem Arm am Ball gewesen sein sollte, nach dem Aussprechen der roten Karte gegen Bakalorz das anschließende Handspiel zu sanktionieren und einen Freistoß kurz vor dem Strafraum für Zwickau zu verhängen. In diesem Fall hat der Schiedsrichter aber nicht mehr auf Handspiel entschieden – was meiner Einschätzung nach richtig ist – und somit das Spiel dort fortgesetzt, wo der Kopfstoß passierte, wenn auch ein paar Meter versetzt. Fazit: Insgesamt eine richtige Entscheidung, eine rote Karte gegen Bakalorz zu geben und ein vermeintliches Handspiel nicht zu ahnden. Jedoch hätte der Assistent schneller reagieren müssen, damit beim Kopfstoß das Spiel sofort unterbrochen wird.
Szene 5: Nach einem Freistoß für den 1. FC Magdeburg köpft Jason Ceka den Ball auf das Tor. Meppen-Keeper Erik Domaschke (Meppen) will den Ball abwehren, wird dabei aber von Alexander Bittroff, der möglicherweise im Abseits steht, behindert. Schiedsrichter Martin Thomsen gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]
Babak Rafati: Beim langen Ball in den Strafraum ist alles regelkonform. Nachdem der aufgerückte Keeper Domaschke den Ball wegfausten kann, kommt das Spielgerät durch einen Kopfball von Magdeburgs Ceka erneut in Richtung Meppener Tor. Zu diesem Zeitpunkt steht Bittroff in Abseitsposition, da nur ein Verteidiger näher zur eigenen Torlinie steht. Bittroff geht zwar nicht zum Ball, aber dadurch, dass er den Torwart daran hindert, zum Ball zu gehen, wird die Abseitsposition aktiv, glaubt man zunächst, sodass das Tor im Normalfall nicht hätte zählen dürfen.
In dieser Szene allerdings ist entscheidend, ob der Torhüter überhaupt noch hätte eingreifen können, um den Ball noch vor der Torlinie zu retten. Natürlich stoppt Bittroff geschickt ab, um den Torhüter ein wenig zu hindern. Aber der Torhüter wäre unabhängig davon auch nicht mehr an den Ball heran gekommen, sodass die Abseitsposition nicht mehr relevant ist. Selbst wenn Bittroff nicht an der Stelle, an der der Torhüter zum Ball will, gestanden hätte, hätte Domaschke den Ball nicht mehr erreichen können. Eine richtige Entscheidung, diesen Treffer anzuerkennen.
Szene 6: Bei einem Freistoß für den BVB wird Danilo Wiebe (Braunschweig) im Strafraum etwas geschoben. Dabei reißt er den Arm nach oben und berührt den Ball mit der Hand. Schiedsrichter Lars Erbst gibt Elfmeter für den BVB. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]
Babak Rafati: Nach einer Freistoßhereingabe von der linken Seite durch einen Dortmunder Spieler kommt der Ball vor das Tor von Braunschweig. Anschließend springt Wiebe zum Kopfball hoch, verschätzt sich ein wenig, kann den Ball nicht mehr mit dem Kopf erreichen, nimmt dann den Arm heraus, spielt das Spielgerät und begeht dadurch ein absichtliches Handspiel. Da der Zweikampf regelkonform ist und vor diesem kein Foulspiel vorliegt, entscheidet der Schiedsrichter richtigerweise auf strafbares Handspiel und verhängt einen Elfmeter für Dortmund.
Szene 7: Niklas Kastenhofer (Halle) trifft Sebastian Jacob (Saarbrücken) im Strafraum am Kopf, Schiedsrichter Florian Heft gibt Elfmeter für Saarbrücken. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: Beim Rettungsversuch von Kastenhofer, den Ball vor der eigenen Torlinie zu retten und zu verhindern, dass Jacob den Ball ins Tor köpft, nimmt er in Fallrückzieher-Manier das Bein sehr hoch, spielt aber klar und deutlich den Ball. Somit ist Spielobjekt eindeutig der Ball und nicht der Gegner. Es kommt womöglich noch zu einem leichten Kontakt beziehungsweise Touchieren mit Jacob, allerdings ist das dem natürlichen Bewegungsablauf geschuldet. Somit liegt kein Tritt vor. Im Fachjargon wird solch eine Aktion im Zusammenhang mit einem zu hohen Bein als verbotenes Spiel bezeichnet. Hier liegt nun ein gefährliches Spiel vor, für das es regeltechnisch einen indirekten Freistoß geben muss. Diesen gibt es auf der Fünfmeterraumlinie, und zwar dem nächsten Punkt zum Tatort. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, einen Elfmeter zu geben. Hätte Kastenhofer den Ball verfehlt und stattdessen Jacob nur ins Gesicht getroffen (Spielobjekt Gegenspieler), wäre die Elfmeter-Entscheidung richtig gewesen.
Szene 8: Alexander Winkler (Kaiserslautern) köpft den Ball nach einer Ecke auf das Tor, Schiedsrichter Nicolas Winter zeigt aber an, dass der Ball nicht hinter der Linie gewesen sein soll. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]
Babak Rafati: Eine knifflige Szene, die anhand der vorliegenden TV-Bilder nicht zweifelsfrei auflösbar ist. Hier das Motto zu beherzigen, im Zweifel für den Angeklagten weiterspielen zu lassen, ist eine bessere Entscheidung, als wenn man nicht eindeutig belegen kann, dass der Ball tatsächlich die Torlinie mit dem gesamten Umfang überschritten hat.
Szene 9: Einen Schuss von Johannes Wurtz (Wiesbaden) bekommt Marco Kehl-Gomez (Türkgücü) im Strafraum an die Hand, das Spiel läuft weiter. Es kommt zu einem Zweikampf zwischen beiden Spielern, an dessen Ende sich Wurtz zu einem Kopfstoß hinreißen lässt und von Schiedsrichter Max Burda Rot sieht. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]
Babak Rafati: Kehl-Gomez bekommt den Ball aus kurzer Entfernung von Gegenspieler Wurtz an den Arm gespitzelt. Dabei ist der Arm von Kehl-Gomez in natürlicher Haltung, sodass kein absichtliches Handspiel vorliegt. Anschließend geht Wurtz auf Kehl-Gomez zu und versetzt ihm einen Kopfstoß. Das ist eine Tätlichkeit und wird folgerichtig vom Schiedsrichter mit der roten Karte sanktioniert.
Szene 10: Ünal Tosun (Türkgücü) dringt in den Strafraum ein und geht gegen Thijmen Goppel (Wiesbaden) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Burda. [TV-Bilder – ab Minute 46:20]
Babak Rafati: Tosun dringt in den Strafraum ein und wird dabei von Goppel per Grätsche attackiert, wobei er mit einem lupenreinen Tackling klärt, indem er nur den Ball vom Fuß seines Gegenspielers wegspitzelt und somit kein Foulspiel begeht. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 11: Niclas Thiede (Verl) lässt eine Flanke aus der Hand rutschen und will dann retten, trifft allerdings nur Tobias Fölster (Havelse) im Gesicht. Er kommt bei Schiedsrichter Mitja Stegemann mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]
Babak Rafati: Thiede lässt den Ball aus der Hand fallen und will anschließend klären. Allerdings ist Fölster früher am Ball und köpft ihn ins Tor. In dieser Aktion wird er vom Keeper im Gesicht getroffen. Da die Aktion des Torhüters nicht dazu dient, den Gegenspieler zu treffen, vielmehr im Kampf um den Ball passiert, ist die gelbe Karte diegenau richtige und angemessene persönliche Strafe für dieses Vergehen. Anders wäre der Sachverhalt, wenn der Einsatz nur gegnerorientiert, brutal und ohne Rücksicht auf Verluste wäre. Diese Aktion ist aber einfach nur rücksichtslos, die regeltechnisch eine gelbe Karte nach sich zieht.
Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde