Strittige Szenen am 11. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Mannheim, Dortmund II, Aue und 1860, das 2:1 für Dresden, der Strafstoß für Dortmund II, eine Tätlichkeit von Dresdens Kutschke, eine nicht geahndete Grätsche von Lübecks Gözüsirin, sowie die Platzverweis gegen Regensburgs Breunig und Lübecks Sommer. Am 11. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zehn strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Jesaja Herrmann (Mannheim) dringt in den Strafraum ein und will zum Tor, geht aber im Duell mit Jonas Kersken (Bielefeld) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Florian Lechner. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]

Babak Rafati: Herrmann dringt in den Strafraum ein, läuft zum Ball, tickt das Spielgerät an und will anschließend am herauseilenden Keeper Kersken vorbei. Dadurch, dass Herrmann den Ausfallschritt zum Ball macht, kommt er selbst ein bisschen ins Straucheln. Gleichzeitig wirft sich der Keeper in den Laufweg von Herrmann und trifft den Angreifer mit den Armen gegen dessen Beine und bringt ihn dadurch final entscheidend zu Fall. Hätte der Keeper den Angreifer nicht getroffen, wäre der Angreifer auf den Beinen geblieben und hätte den Ball erreicht.

Auch wenn der Angreifer diesen Kontakt sucht, liegt ein Foulspiel vor, das bei diesem Tempo kaum vermeidbar ist, wenn ein Keeper in den Zweikampf geht. Es sei denn, es wird klar der Ball gespielt, was aber in dieser Szene nicht der Fall ist. Es hätte einen Elfmeter und die gelbe Karte gegen den Keeper geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter nicht zu geben.

 

Szene 2: Nach einer Ecke bekommt Claudio Kammerknecht (Dresden) den Ball womöglich den Arm, danach bringt er das Spielgerät im Tor unter. Schiedsrichter Lukas Benen gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]

Babak Rafati: Nach einer Ecke bekommt Kammerknecht den Ball an den Unterarm (wenn auch unbeabsichtigt) und befördert anschließend das Spielgerät ins Tor. Wenn ein Spieler den Ball unbeabsichtigt an den Arm bekommt und unmittelbar danach diesen ins Tor schießt, liegt ein strafbares Handspiel vor. Somit hätte das Tor nicht zählen dürfen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt. Das Handspiel ist für die TV-Zuschauer im Video bei 2:04 gut zu sehen. Für den Schiedsrichter ist es aus seiner Position schwieriger, den Vorgang zu erkennen. Allerdings ist die Art und Weise, wie der Ball herunterfällt, ein Indiz dafür, dass die Hand im Spiel ist.

Beim Zweikampf unmittelbar vor der Torerzielung zwischen einem Ulms Philipp Maier und Dresdens Kraulich stellt sich zudem die Frage, ob der Ulmer den Dresdner nicht wegstößt und somit foult und es deshalb auch einen Elfmeter hätte geben können. Auch wenn Kraulich rückwärts läuft, um an den Ball zu kommen und dadurch etwas ins Straucheln kommt, ist das klare Schubsen von Maier elfmeterwürdig. Der Dresdner bleibt zwar standhaft, aber er wird letztlich durch dieses Schubsen entscheidend daran gehindert, mit dem Kopf an den Ball zu kommen. Einen Elfmeter zu geben, wäre eine richtige Entscheidung gewesen und hätte die anschließende Diskussionen um das Handspiel erspart.

Szene 3: Bei einem Zweikampf im Mittelfeld will sich Stefan Kutschke (Dresden) von Tom Gaal (Ulm) losreißen, macht dabei mit dem Arm eine Ausholbewegung und trifft ihn im Bauchbereich. Benen ahndet die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:25:00]

Babak Rafati: Außerhalb des Blickwinkels des Schiedsrichters hält Gaal Gegenspieler Kutschke ein bisschen am Arm, und daraufhin schlägt Kutschke diesem mit Schwung auf den Oberschenkel. Wenn der Schiedsrichter den gesamten Vorgang gesehen hätte, wäre eine gelbe Karte gegen Gaal fällig, weil er mit diesem Halten – wenn auch nur leicht – provoziert, denn der Ball ist nicht in unmittelbarer Spielnähe. Kutschke hätte die rote Karte wegen des Nachschlagens sehen müssen, auch wenn es sich nur um eine leichte Tätlichkeit handelt, da der Schlag auf dem Oberschenkel landet. Eine Fehlentscheidung, beide Vergehen nicht zu ahnden, wenngleich der Schiedsrichter auf einen anderen Zweikampf mit Ball konzentriert ist und ihm diese Szene schon mal entgehen kann.

 

Szene 4: Im Strafraum kommt Julian Hettwer (Dortmund II) gegen Mustafa Kourouma (Essen) zu Fall, Schiedsrichterin Dr. Riem Hussein gibt Elfmeter für Dortmund II. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Strafraum spielt Hettwer den Ball und hat diesen zwar nicht so wie gewünscht unter Kontrolle, allerdings kommt Kourouma etwas unkontrolliert angelaufen und will zwar auch zum Spielgerät, trifft aber dabei nur die Beine des Angreifers und bringt ihn dadurch zu Fall. Der Bewegungsablauf ist nicht in der Form, dass sich der Angreifer verhakt, vielmehr stoppt der Verteidiger nicht ab und nimmt in Kauf, den Angreifer zu treffen, was auch tatsächlich passiert und ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers ist. Somit eine richtige Entscheidung, den Elfmeter zu geben.

Szene 5: Guillermo Bueno (Dortmund II) dringt in den Strafraum ein und wird von Eric Voufack (Essen) zu Fall gebracht. Auf den Punkt zeigt Hussein nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]

Babak Rafati: Bueno spielt Gegenspieler Voufack aus und dringt in den Strafraum ein. Dabei ist der Verteidiger hinter dem Angreifer und will den Ball an der Torlinie per Grätsche klären, verfehlt allerdings das Spielgerät, trifft stattdessen den Angreifer in die Füße und bringt ihn entscheidend zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter sowie die gelbe Karte gegen Voufack geben müssen. Eine Fehlentscheidung, dieses klare Foulspiel ungeahndet zu lassen.

 

Szene 6: Nachdem Tarik Gözüsirin (Lübeck) einen Freistoß nicht gepfiffen bekommen hat, setzt er gegen Dominik Kother (Regensburg) nach und setzt zur Scherengrätsche an, trifft ihn aber nicht. Danach begeht Sören Reddemann (Lübeck) ein Foul an Kother und sieht Gelb. Gözüsirin kommt bei Schiedsrichter Leonidas Exuzidis ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:29:20]

Babak Rafati: In dieser Szene macht sich der Schiedsrichter das Leben selbst schwer. Nachdem Gözüsirin zurecht keinen Freistoß bekommt, steht er auf und setzt zu einer Grätsche an, bei der er den Gegenspieler zwar nicht trifft, aber dennoch der Schiedsrichter pfeifen und die gelbe Karte gegen Gözüsirin zeigen sollte. Diese Spielweise ist gefährlich und provoziert, sodass diese Unsportlichkeit unterbunden werden muss.

Das anschließende Foulspiel von Reddemann abzupfeifen und dann mit der gelben Karte zu ahnden, ist zwar vertretbar, aber so weit darf es erst gar nicht kommen. Der Schiedsrichter hat noch Glück, dass es in der Folge nur zu solch einem leichten Festhalten und nicht zu einer bösen Grätsche kommt. Eine Fehlentscheidung, vorher nicht einzuschreiten und weiterspielen zu lassen. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass der Schiedsrichter in diesem Spiel zudem eine sehr kleinliche Spielleitung mit vielen Karten anwendet, so dass es erst recht in die Linie gepasst hätte, die Spielweise von Gözüsirin zu unterbinden und mit der gelben Karte zu ahnden.

Szene 7: Weil der bereits gelb-verwarnte Louis Breunig (Regensburg) nach einem Freistoßpfiff für Lübeck mit dem Ball ein Stück wegläuft, sieht er Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]

Babak Rafati: Wenn nur das, was im Bild zu sehen ist, zu einer gelb-roten Karte gegen Breunig geführt haben soll, ist diese einfach übertrieben und letztlich eine Fehlentscheidung. Auch wenn die Schiedsrichter vor der Saison die Anweisung bekommen haben, gegen Unsportlichkeiten konsequenter vorzugehen, kann bei dieser minimalen Aktion keinesfalls von einem Zeitspiel oder Unsportlichkeit die Rede sein.

Szene 8: Leon Sommer (Lübeck) hält Bryan Hein (Regensburg) auf dem Weg zum Tor am Trikot. Exuzidis entscheidet auf Notbremse und zeigt Sommer die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]

Babak Rafati: Bei einem Laufduell kurz vor dem Strafraum hält Sommer Gegenspieler Hein am Trikot fest und hindert ihn daran, allein auf das gegnerische Tor zuzulaufen. Der Angreifer kommt zu Fall, und durch das Vergehen wird eine klare Torchance vereitelt, sodass die rote Karte wegen einer Notbremse richtig ist.

 

Szene 9: Nach einem Pfostenschuss von Boris Tashchy (Aue) bekommt Moritz Fritz (Köln) den Ball an den Arm, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Mario Hildenbrand nicht. [TV-Bilder – ab Minute 38:50]

Babak Rafati: Der Ball wird von Tashchy scharf an die Latte geschossen. Von da aus prallt das Spielgerät tückisch auf das Spielfeld zurück, prallt dann kurz auf den Boden und von da aus an den angelegten Arm von Fritz, der den Arm daraufhin sofort zurückzieht, da er vom Abpraller überrascht wird. Das ist kein absichtliches beziehungsweise strafbares Handspiel, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen. So schnell kann Fritz gar nicht reagieren, wie der Ball angeflogen kommt.

 

 

Szene 10: Nach einer Ecke bekommt Yassine Bouchama (Münster) den Ball möglicherweise an den Arm, Schiedsrichter Dr. Robin Braun lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:40:30]

Babak Rafati: Bei der vorliegenden TV-Sequenz ist nicht zweifelsfrei erkennbar, ob ein strafbares Handspiel von Bouchama vorliegt oder nicht.

 

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

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