Orlando Smeekes: Zwischen Genie und Wahnsinn
Es ist der vorletzte Spieltag der 3. Liga 09/10 und der FC Carl Zeiss Jena, der immerhin noch gute Chancen hat einen Aufstiegsplatz zu erreichen, ist beim bereits abgestiegenen Wuppertaler SV zu Gast. Auf dem Papier ist dieses Spiel leicht zu gewinnen, aber auf dem Platz führen die Wuppertaler mehr als verdient seit der 17. Minute mit 1:0. Der FCC ist wie gelähmt; an diesem Tag geht gar nichts und der Traum vom Aufstieg fängt schon an zu verblassen. Da kommt Patrick Amrhein wie aus dem Nichts und drischt die Kugel aus der 2. Reihe in die Maschen – Ausgleich in der 89. Minute. Nicht nur im Gästeblock ist jetzt wieder Aktivität zu verzeichnen, auch auf dem Rasen mobilisieren die Blau-Gelb-Weißen allerletzte Kraftreserven. Ist dieser (Spiel)tag noch zu retten? Noch ein Tor und der Aufstieg bleibt greifbar. Einer, der schon öfters für das Entscheiden von Spielen verantwortlich war, scheint sich auch dieses Mal dieser Sache annehmen zu wollen – Orlando Smeekes.
Mehr als einmal hat er in dieser Spielzeit das entscheidende Tor erzielt oder die entscheidende Spielsituation eingeleitet und damit wichtige Punkte für den FCC geholt. Ohne Zweifel: dass der FC Carl Zeiss Jena zu diesem Zeitpunkt der Saison überhaupt auf die Aufstiegsplätze schielen kann und in der Rückrunde mit 13 nicht verlorenen Spielen in Folge quasi unschlagbar war, ist zu einem großen Teil Orlando Smeekes anzurechnen. 2 Dinge sind es, die ihn so besonders machen: Beschleunigung und Geschwindigkeit. Vermutlich gibt es in der gesamten 3. Liga keinen Spieler, der ihm hinsichtlich dieser beiden Eigenschaften das Wasser reichen kann. Das erkannte auch Zeiss-Trainer René van Eck und hat das gesamte Angriffsspiel der Thüringer auf diesen schnellen Stürmer zugeschnitten. Das Konzept ist so denkbar einfach, dass es fast schon peinlich sein muss, es tatsächlich anzuwenden. Doch es funktioniert hervorragend und die Mannschaft hat es bereits verinnerlicht: Orlando muss einfach steil angespielt werden, denn dann kann er seinen Antritt und seine Schnelligkeit voll ausnutzen und praktisch jedem Gegenspieler enteilen. Das macht ihn zu ultimativen Angriffswaffe. Doch nicht nur seine Schnelligkeit macht ihn im Sturm so gefährlich, sondern auch sein Torriecher und die stürmertypische Eigensinnigkeit. Orlando Smeekes sucht den direkten Weg zum Tor und auf jeden Fall den Abschluss – egal aus welcher Lage. Auf diese Art und Weise schoss er nicht wenige unmögliche Tore für den FCC und ist mit 17 Saisontreffern nicht nur mit Abstand Jenas bester Torschütze, sondern auch Drittbester in der gesamten 3. Liga.
Doch was macht dieser Superstürmer eigentlich bei einem thüringer Drittligisten, der zur Winterpause noch arg abstiegsbedroht war und damals wie heute mit massiven finanziellen Problemen zu kämpfen hat und noch nicht einmal weiß, ob er in der kommenden Saison überhaupt noch drittklassig ist? Sein Weg führte durch die zweite holländische Liga bis er im September 2008 zu den Stuttgarter Kickers in die 3. Liga wechselte. Nach einer verkorksten Saison stiegen die Kickers ab und Smeekes wechselte an die Saale. Auf seinen Stationen in Holland und Deutschland war er allerdings nie überdiemaßen torgefährlich und brachte es lediglich 7 Treffer für die Go Ahead Eagles Deventer und gar nur 4 Treffer für die Kickers aus Stuttgart. Erst das „Eck’sche System" ließ den Knoten bei ihm platzen. Doch auch wenn die Torstatisiken bis hierhin diesen Eindruck vermitteln, der Fußballer Orlando Smeekes ist keineswegs komplett. So laufstark und torgefährlich er auf dem Platz auch sein mag, er zeigt dennoch einige Schwächen von denen mangelnde Disziplin und Selbstbeherrschung wahrscheinlich die größten sind. Das machte es für Spieler und Trainer unglaublich schwer, diesen Ausnahmestürmer so erfolgreich ins Team zu integrieren. So ging Smeekes gleich zu Saisonbeginn abends mal etwas länger aus und überzog den Zapfenstreich, wofür er von Trainer van Eck suspendiert, später jedoch wieder rehabilitiert wurde. Ein anderes mal ignorierte er in einem Spiel freistehende Mitspieler, behielt den Ball, verzögerte den Angriff und beschwor dann sogar noch eine Torchance für den Gegner herauf indem er, immernoch alle Mitspieler ignorierend, den Ball aus der gegnerischen Hälfte über 70 Meter zu Torwart Nulle zurück drosch. Die Fans quittierten diese Eigensinnigkeit mit wütenden Pfiffen auf die Smeekes kurzerhand mit ausgestrecktem Mittelfinger in Richtung Haupttribüne reagierte. Aber auch Unsportlickeiten wie absichtliches Handspiel und Schwalben prägen seine Spielkultur und so ziehen sich derartige Vorfälle und kleine Konflikte durch die gesamte Hinrunde. Smeekes scheint nicht unter Kontrolle zu bringen zu sein und sowohl er als auch der Verein tragen sich mit dem Gedanken sich vorzeitig von einander zu trennen, doch ein Wechsel in der Winterpause zum FSV Frankfurt scheitert. Zum Bleiben gezwungen scheint sich Smeekes' Einstellung in der Rückrunde zu verbessern, nicht zuletzt weil man den Eindruck gewinnt, dass er von Trainer van Eck besondere Zuwendung bekommt. Das gibt dem Stürmer Auftrieb. Er spielt sich gerade Mitte der zweiten Halbserie in einen regelrechten Rausch, macht Buden am Fließband und entscheidet wichtige Spiele. Der Trainer unterstützt ihn, die Mannschaft spielt ihm zu und die Fans lieben ihn wieder, denn er ist die personifizierte Aufstiegshoffnung der Zeiss-Anhänger.
Und nun bleiben ihm noch weniger Minuten in Wuppertal, um ein verloren geglaubtes Spiel zu drehen und die Chance auf den Aufstieg des FCC zu wahren. Die erfolgreiche Rückrunde hat ihm das nötige Selbstvertrauen dafür gegeben und das wird in dieser Schlussphase deutlich sichtbar. Zwar wurden die ersten 89 Minuten verschlafen, doch man merkt der Mannschaft und besonders Orlando Smeekes an, dieses Spiel dennoch gewinnen zu wollen – und zu können. Immer wieder bietet er sich auf seiner linken Außenbahn an und läuft sich frei. Häufig bekommt er der den Ball und zieht damit sofort nach innen. Wieder ignoriert der seine Mitspieler und versucht sich allein irgendwie gegen die Abwehrspieler der Wuppertaler durchsetzen zu können und zum Abschluss zu kommen. Doch statt einem Tor, gibt es für ihn ordentlich was auf die Knochen. Gleich zwei mal hintereinander versuchen zwei Wuppertaler Verteidiger ihn zu stoppen, treffen aber nur die Beine des Stürmers. Da brennt bei Smeekes die Sicherung durch und er stößt den Wuppertaler Gegenspieler Stefan Lorenz einfach um. Der Schiedsrichter fackelt nicht lange und schickt ihn duschen. Der DFB ahndet diese Tätlichkeit mit 4 Spielen Sperre, was bedeutet, dass Smeekes das letzte Saisonspiel und die ersten 3 Spiele der neuen Saison von der Tribüne aus beobachten darf. Was jedoch noch schlimmer ist: das 1:1 in Wuppertal besiegelt für den FC Carl Zeiss Jena den Verbleib in der 3. Liga und verschlimmert durch verpasste zusätzliche Einnahmen die Finanzkrise bei den Thüringern. Ein wahrlich unrühmlicher Saisonabschluss für ihn, wo er sich in der Rückrunde doch so gesteigert hatte und disziplinarisch auf dem Weg der Besserung schien. Wie es in der kommenden Saison für Orlando Smeekes weiter geht, ist noch nicht völlig klar. Zwar hat er noch 1 Jahr Vertrag beim FCC, jedoch steckt dieser in so großer finanzieller Not, dass Smeekes bei einem entsprechenden Angebot sicherlich abgegeben würde. Die Frage ist welcher Verein ein solches Angebot machen wird. Zwar hat Smeekes sportlich beeindrucken können, zeigte aber hier und dort Mängel in der Einstellung und Professionalität und machte somit deutlich, dass er gerade menschlich ein Ausnahmespieler ist, der eine besondere Behandlung und Führung braucht. Nichtsdesotrotz hat er den Härtetest in der 3. Liga bestanden. Ob es allerdings für ein Angebot aus der 2. Liga reicht, in der er gerne spielen würde, bleibt bis zum Ende der Transferperiode wohl offen.
sh