Fascher und Hansa: Zwischen Identitätsfindung und Neuanfang

Im Fußball passiert es zunehmend, dass der Sport sich mit dem gesellschaftlichen Leben und dessen Werten und Normen vermischt. Im Fall von alltäglicher Straßengewalt außerhalb der Spieltage, die auf einen Fußballzusammenhang zurückzuführen sind, erschrickt das, in anderen Fällen wünscht man sich „mehr Menschlichkeit im Fußball“. Manchmal entstehen dabei Verhältnisse, die sich nicht auf den ersten Blick erklären lassen.  Am vergangenen Mittwoch gab der F.C. Hansa Rostock bekannt, dass man den Vertrag von Trainer Marc Fascher nicht verlängern werde. Fascher war im Vergleich zu den Trainern, die die Kogge seit der Wende gesehen hat keiner, der durch besondere sportliche Erfolgserlebnisse auffiel. Trotzdem stand die breite Masse der Fans des F.C. Hansa hinter ihm, weil er Persönlichkeit ausstrahlte, die in Rostock seit bald einem Jahrzehnt schmerzlich vermisst wird.

Wer gibt der Kogge ein Gesicht?

In Rostock konnte man sich seit dem Abstieg aus der Bundesliga 2005 kaum noch an Persönlichkeiten binden. Allein in den letzten vier Jahren wurde der Kader zweimal rundum erneuert, in dieser Sommerpause kommt ein drittes Mal hinzu. Hauseigene Legenden wie Juri Schlünz, René Rydlewicz oder Stefan Beinlich wecken aufgrund der Querelen um ihre Positionen im Verein nach Karriereende gerade bei den jüngeren Fans kaum Emotionen, Nationalspieler wie Oliver Neuville oder Marko Rehmer sehen sich anderen Vereinen enger verbunden als der Kogge. Die Persönlichkeiten, die in Rostock seitdem heimisch wurden, waren schneller wieder verschwunden, als dass sie Legendenstatus aufbauen konnten. Gledson, Cetkovic, Kern, Schober, Yelen, alle wechselten innerhalb Deutschlands zu anderen Vereinen oder wurden, wie im Fall Cetkovics, rausgeworfen. Heute zählen Spieler wie Matthias Holst zu den Vorbildern, welcher im Sommer ebenfalls gehen muss. Dahinter kommt Tom Weilandt, der in seiner Popularität vom großen Namen seines Vaters Hilmar und nur selten von seinen Leistungen auf dem Platz zehrt und danach nichts mehr. Spieler wie Freddy Borg, die auf den ersten Blick sympathisch wirkten, wurden schnell zu Publikumslieblingen, weil sich das Publikum nach Personen sehnt, zu denen sie aufschauen können. Wer stiftet die Identität an der Ostsee? An welche Persönlichkeiten denkt man heute, wenn man den Begriff „F.C. Hansa Rostock“ hört?

Fascher mehr als nur ein Fußballtrainer

Auf dieser Suche nach sich selbst fand man mit Marc Fascher einen, der in seiner geistigen Vielschichtigkeit und in der Komplexität seiner Analysen über die schlichte Aufgabe als Übungsleiter der Lizenzspielermannschaft hinausschoss. Dabei gewann er das Vertrauen der Fans nicht etwa direkt in der Serie guter Spiele nach seinem Amtsantritt, sondern vor allem mit seinen Analysen und seiner direkten Art und Weise, sich gegenüber den, bei den Fans eher unbeliebten, Mecklenburger Medien zu rechtfertigen, als es unerwartet schlecht um die Kogge stand. Während Kritiker in seinen Worten Pathos monierten, war überraschenderweise und entgegen der Regel der Inhalt und weniger die Form das, was die Fans erreichte. So fungierte Fascher in seiner Amtszeit nicht nur als Fußballlehrer, sondern auch als Vorbild für Spieler und Fans dafür, wie mit überraschend negativen Situationen umgegangen werden kann. Er war Symbol dafür, dass die Realität weitaus schlimmer werden kann, als man sie erwartet, dass man sich dabei aber so verhalten sollte, dass man dabei trotzdem noch „in den Spiegel schauen kann“, wie er sich Fascher einmal äußerte. Eine Situation, die man im leidgeprüften Mecklenburg-Vorpommern nur zu gut kennt.

Gute Lösung für alle Parteien

Und so mag es vielleicht fragwürdig anmuten, dass Fascher in der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Karlsruhe nachdrücklich von einer einvernehmlichen Trennung sprach, obwohl er in der Woche zuvor noch geäußert hatte, dass er gerne bleiben würde, auf der anderen Seite ist es wohl die beste Lösung für den Trainer und den Verein. Als Mensch hat Fascher in Rostock mehr erreicht, als kaum ein Trainer zuvor in Rostock, als Fußballtrainer bleibt aber eine Bilanz, die den Ansprüchen des Vereins nicht gerecht wird. Dabei hätte Fascher unter dem warnenden Blick der Kritiker in der kommenden Saison einen schweren Stand gehabt, wäre womöglich geschlingert und entlassen worden und man hätte dieselbe Situation gehabt, wie vor einem knappen Jahr mit Wolfgang Wolf. So geht Fascher im Guten, mit den Sympathien und der guten Erinnerung vieler Fans auf seiner Seite und mit der von ihm erwünschten Gewissheit „jederzeit wieder nach Rostock kommen zu können“.

Vorerst letzter Umbruch

Für die Kogge geht es nun in eine wahrlich ungewisse Zukunft. Man hatte einen Plan, den man nun verworfen hat. Laut Vereinsangaben soll es einen neuen Plan geben, den man nun zielstrebig verfolgen will. Dafür startet man im Sommer den nächsten Umbruch, wohlwissend, dass es für den F.C. Hansa der Letzte für einen langen Zeitraum sein wird. Dementsprechend sollten sich die handelnden Personen darüber bewusst sein, dass das Schicksal einer Institution in ihren Händen liegt, die unwiderruflich zu einem ganzen Bundesland gehört. Kein Verein in Deutschland hat rund um seine Umgebung solch einen Konsens, wie der F.C. Hansa in Mecklenburg-Vorpommern.  In jedem Bundesland und in jeder Großstadt gibt es mehrere einflussreiche Vereine in der unmittelbaren Umgebung. In Mecklenburg-Vorpommern kommt zwischen Hamburg und Berlin nichts anderes als Hansa. Eine Verantwortung, der sich zumindest Marc Fascher vollkommen bewusst war, und die er nachhaltig gemeistert hat.

FOTO:  Sebastian Ahrens / rostock-fotos.de

   

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