Kommentar: Die Totengräber

Der Amateurfußball steht am Scheideweg. Geringe Fernsehgelder, Zweitvertretungen der Profivereine und verschärfte Aufstiegsbedingungen machen besonders den Dritt- und Viertligisten das Leben schwer. Bei der Suche nach den Gründen spielen nicht nur Salonfähigkeit und exzessive Logenpartys eine Rolle.

Vor einigen Wochen zog in der italienischen Hafenstadt Genua ein Trauerzug durch die Straßen. 30.000 Anhänger des CFC Genua 1893 gaben ihrem Stadtrivalen „Samp“, der kurz zuvor in die Serie B abgestiegen war, das letzte Geleit. Mit selbstgebastelten Pappsärgen in Vereinsfarben ausgestattet, wanderte die schwarze Gesellschaft durch die schmucken Gassen. Ein bittersüßes Bild hatten sich die Angehörigen des „Cricket and Football Club“ da ausgedacht, das durch als Priester und trauernde Witwen verkleidete Fans noch auf die Spitze getrieben wurde.

Indem sich die Erfinder dieses bizarren Spektakels am Bereich der religiösen Vollzüge bedienten, haben sie nicht nur Zeugnis über die Art ihrer Beziehung zum Nachbarverein abgelegt, sondern ein Sinnbild für die Zerrissenheit geliefert, welcher der moderne Fußball mehr und mehr ausgeliefert ist. Die Sampdoria – Fans ihrerseits griffen den eigenen Trainer körperlich an und randalierten beim Mannschaftstraining. Ihrem Vereinspräsidenten warfen sie vor, nicht genug Geld in ihre Liebe investiert zu haben. Unabhängig davon, ob die Zweifel berechtigt waren, zeigen sie, wie nah das scheinbare Gegensatzpaar Macht und Idealismus beeinander liegt.

Zu den Verhältnissen im italienischen Fußball, die in der Tat eine ganz eigene Dimension haben, scheint der deutsche Fußball mit dem strengen Lizenzierungsverfahren in krassem Gegensatz zu stehen. Gerade dieses sorgt dieser Tage jedoch für überdurchschnittlich viele Schlagzeilen. Denn das Problemkind Dritte Liga, das sich der DFB mit der letzten Ligenreform an Land gezogen hat, steht vor dem Abgrund. Während es zusammen mit der Regionalliga immer mehr einem Massengrab, denn dem ursprünglich geplanten, weicheren Auffangbecken für die Zweitligaabsteiger gleicht, verkörpert es zugleich, so gut wie nichts sonst, den Graben zwischen Logen-Business und Ultrà-Idealismus.

Wirtschaftliches und emotionales Denken

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Wenn beides unmittelbar aufeinandertrifft, können Szenen wie in Italien zustande kommen, in denen sich die Anhängerschaft gegen die Clubverantwortlichen auflehnt, um etwas einzufordern, das es selten gibt: das Recht der Fans an der Mitgestaltung des Vereins. Die Meinungsbekundungen rund um den Wechsel Manuel Neuers nach München sind ebenso ein Beispiel dafür.

Dass die Vorstellungen von der Machart der Fußballwelt so unterschiedlich sind, liegt daran, dass Vorstandsvorsitzende und Manager grundsätzlich wirtschaftlich und nicht, wie viele Anhänger, emotional, denken. Damit stehen die wilden Wurzeln des Fußballs, der einst als Arbeitersport Einzug in die Städte hielt, seit einigen Jahren der Sachlichkeit der Geschäftswelt gegenüber – eine schier unendliche Zerreißprobe. Ihre Spannungen, die an allen Ecken und Enden auszumachen sind, spüren jene Clubs am meisten, die keine Teilhabe an den großen Geldtöpfen der Bundesliga genießen. Die Existenz der Dritt- und Viertligaclubs ist deshalb so spannungsreich, weil diese unter wirtschaftlichen Bedingungen Profifußball spielen, die mit denen der 36 Bundesligisten nicht vergleichbar sind. Während alleine in der Zweiten Bundesliga jeder Verein zwischen vier und fünf Millionen Euro Fernsehgelder pro Saison erhält, liegt der Betrag in der Dritten Liga bei 600.000 bis 800.000 Euro im Jahr – ein Quantensprung aus Sicht der Zweitligisten. Die Folge dieser Vorraussetzungen sind Schwierigkeiten bei der Lizenzerteilung, die sich Jahr für Jahr abzeichnen.

Die Ökonomie ist stärker in den Vordergrund gerückt

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Doch bei der Debatte um die Traditionsvereine geht es nicht nur um die Frage, inwieweit der Fußball angesichts der ausgebauten Exklusivität auf den Tribünen seine Tradition verliert. Neben exzessiven Logenpartys anstelle von alten Stehtraversen, ist die Schaffung einer breiten Salonfähigkeit des Premiumproduktes, mit dem Milliardenumsätze generiert werden, in den Mittelpunkt gerückt. So haben das betriebswirtschaftliche Potenzial und seine massenbewegende Öffentlichkeitswirkung den Fußball seine Unschuld gekostet. Fußball ohne finanziellen Rahmen hat es früher schon nicht gegeben. Was sich aber verstärkt hat, ist die Härte des Geschäfts, weil die Ökonomie stärker in den Vordergrund gerückt ist.

Wirtschaftskompetenter Sachverstand ist im oft emotionsüberladenen Fußball unabdingbar, um möglichst sachdienliche Entscheidungen zum Wohle der Vereine treffen zu können. Und besonders im Hinblick auf das Erfolgsverlangen vieler Fans scheint die gleichzeitige Kritik mancher an den modernen Entwicklungen utopisch, da Sponsoren- und Fernsehgelder sportliches Fortkommen erst in die Wege leiten. Das aktuelle Vorgehen aber verdeutlicht, dass die Marke Bundesliga sich abschottet und die kalte Kalkulation immer mehr Einzug in die Stadien hält. Indem der Fußball durch diese Extreme attraktiver und anziehender gemacht werden soll, verliert er seine Leichtigkeit, die seine Anziehung im Grunde erst ausmacht. Bezahlen müssen das die Amateurvereine, für die der Anschluss an die oberen Spielklassen schwieriger wird.

Wiedereinführung der Relegation

Durch die Wiedereinführung der Relegation und die Verringerung der möglichen Aufstiegsplätze von der dritten in die zweite Liga, wird offensichtlich angestrebt, die Fluktuation zwischen den ersten beiden Ligen sowie dem Rest so gering wie möglich zu halten. In dieses Bild passen auch die Reformpläne für die Regionalliga. Ab 2012 sollen hier nach jetzigem Stand aus drei Staffeln fünf werden, deren Meister dann zusammen mit dem Zweitplatzierten der Weststaffel in einer Aufstiegsrunde die drei Plätze in der Dritten Liga ausspielen.

Hinzu kommt die Forderung der Amateure, die zweiten Mannschaften der Profiklubs, die am regulären Spielbetrieb der unteren Ligen teilnehmen, in eine eigene Liga zu verlagern. Diese Möglichkeit, die in vielen anderen europäischen Ländern Gang und Gäbe ist, stößt bei den Ansprechpartnern jedoch deshalb auf Ablehnung, da der Nachwuchs in den zweiten Mannschaften die Möglichkeit hat, unter Wettbewerbsbedingungen Erfahrung zu sammeln. Das ist jedoch ein Argument, welches mit zunehmender Zahl der Reserveteams immer mehr seine Überzeugungskraft verliert, da manche Regionalligastaffel bereits jetzt einer eigenen Liga für den Bundesliganachwuchs gleicht. Besonders bemerkenswert ist hierbei der mögliche Aufstieg der dritten Mannschaft Werder Bremens in die Regionalliga.

Auch der Verzicht der Bundesligisten auf die Fernsehgelder, die ihrer Zweiten zustünden, sind eine entgegenkommende Geste, jedoch „Peanuts“ im Vergleich zu den finanziellen Herausforderungen, denen sich die unterklassigen Clubs stellen müssen. Das erstaunliche an dieser Situation ist, dass sich die Amateure im Hinblick auf den Bedarf nach Änderungen oftmals auf ihre Tradition berufen. Die Verbesserung des Zustandes, der aus ihrer Sicht die Tradition immens bedroht, würde aber einen weiteren Verlust ebendieser verstärken, da sie eine Entwicklung in Richtung Bundesliga bedeuten würde. Zudem lassen sie ihre eigenen Zweitvertretungen nach Möglichkeit ebenfalls in der höchstmöglichen Spielklasse antreten. Letztlich geht es also kaum um Tradition, vielmehr um das Leben in einem großen Becken, das sich da Fußball nennt.

Die Witwen beim Trauerzug von Genua waren ein guter Einfall. Sie waren schon im Altertum in manchen kulturellen und religiösen Kreisen besonders zu beachten, wenn es um das Geben von Almosen geht, da sie nach dem Tod ihres Mannes außer der Unterstützung durch ihre Kinder selten die Möglichkeit hatten, ein Einkommen zu bestreiten. Die Amateurvereine stehen zwar auch in Abhängigkeit, die eigentliche Witwe scheint jedoch der Fußball an sich zu sein, weil er immer mehr in die Mühlen des Kampfes um ein Produkt gerät, das er nie gewesen ist.

   
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