Fragen und Antworten zum Aus von Türkgücü München
Aus und vorbei! Türkgücü München zieht sich vom Spielbetrieb zurück und steht damit als erster Absteiger fest. Wie konnte es dazu kommen? Wie geht es für den Klub jetzt weiter? liga3-online.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Türkgücü-Aus.
Hintergründe
Wie lief der Tag ab?
Für 11:30 Uhr hatte Insolvenzverwalter Max Liebig im Restaurant Ägäis an der Münchner Heinrich-Wieland-Straße zu einer Betriebsversammlung geladen. Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt dazu: "Weil sie es alle nicht abwarten konnten, wurde das Ende des Profifußballs bei Türkgücü München bereits um 11.24 Uhr bekannt gegeben. Geschäftsführer Maximilian Kothny teilte im Beisein des Insolvenzverwalters den Spielern mit, dass der Spielbetrieb ab April nicht mehr finanziert werden könne." Einige Spieler sollen danach sofort ihre Sachen zusammen gepackt haben, während andere noch einmal zusammen trainierten.
Warum setzt Türkgücü den Spielbetrieb nicht fort?
Es fehlt schlicht am Geld, nachdem Investor Hasan Kivran im Januar ausgestiegen war und der Klub daraufhin Insolvenz anmelden musste. Weil die Gehälter der Spieler und Angestellten über das Insolvenzgeld der Agentur für Arbeit nur noch bis Ende März gesichert waren, hätte Türkgücü einen neuen Investor benötigt. Zwar standen die Münchner mit mehreren Geldgebern in Kontakt, darunter laut "dieblaue24" das US-chinesische Unternehmen "Pacific Media Group", das nun beim 1. FC Kaiserslautern vor dem Einstieg stehen soll. Doch "trotz intensiver Bemühungen in den vergangenen Wochen" sei die Suche erfolglos geblieben, wie Kothny sagte.
Die zu erwartenden Einnahmen aus dem Spielbetrieb bis Saisonende können die laufenden Kosten unterdessen "bei weitem nicht decken", so der 25-Jährige. Dem Vernehmen nach soll ein hoher sechsstelliger Betrag nötig gewesen sein, um den Spielbetrieb bis zum Saisonende fortsetzen zu können. Ein Gehaltsverzicht der Spieler sowie die Inanspruchnahme des DFB-Kautionsfonds wären nicht ausreichend gewesen.
Aus welchem Grund liefen die Gespräche mit den Investoren nicht erfolgreich?
Kothny zufolge sollen sich die potenziellen Geldgeber "beeindruckt" vom couragierten Auftreten der Mannschaft gezeigt haben, seien jedoch schlussendlich "durch das hohe Risiko eines Abstiegs in Folge des drohenden Punktabzugs abgeschreckt" worden. Elf Punkte hatte der DFB den Münchner aufgrund der Insolvenz und eines Auflagenverstoßes abgezogen. Insbesondere gegen den Neun-Punkte-Abzug aufgrund der Insolvenz waren die Münchner vorgegangen, doch die DFB-Regularien sind eindeutig, sodass eine Minderung von Anfang an nicht realistisch war.
Welche Folgen hat das Aus für die Tabelle?
Gemäß Paragraf 55a werden sämtliche Spiele der Münchner annulliert und aus der Wertung gestrichen. Wie die Tabelle jetzt aussieht, und was der Rückzug von die Vereine im Auf- und Abstiegskampf bedeutet, ist hier zu sehen.
Die ersten Reaktionen
Wie hat der DFB reagiert?
Manuel Hartmann, beim DFB als Geschäftsführer Spielbetrieb für die 3. Liga zuständig, spricht von einem "traurigen Tag", sieht aber keine Mitschuld des DFB.
Wie haben die anderen Vereine reagiert?
Während HFC-Coach André Meyer von einer "Vollkatastrophe" spricht und bemerkt, dass das Lizenzierungsverfahren durch die Zahlungsunfähigkeit und den Rückzug von Türkgücü mitten in der Saison "ad absurdum" geführt werde, hat der 1. FC Saarbrücken angekündigt, gegen den Punktabzug vorgehen zu wollen. "Wir werden alle juristischen Möglichkeiten nutzen, um dieses unsportliche und unfaire Vorgehen des Punktabzuges zu verhindern", teilte der Klub gegenüber dem "SID" mit. "Die sogenannten Insolvenzregeln, die nun zur Anwendung kommen, sind sowohl in sportlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht untragbar und müssen geändert werden." Es könne nicht sein, "dass Klubs unverschuldet dafür bestraft werden, dass andere Vereine unter Aufsicht des DFB Misswirtschaft betrieben haben".
Der TSV 1860 München, der vom Türkgücü-Aus profitiert, ließ über Sportchef Günther Gorenzel ausrichten: "Egal, ob wir Profiteure dieser Entscheidung sind: Für das Renommee der Liga ist es schlecht. Alle Beteiligten müssen zukünftig dafür Sorge tragen, dass so etwas nicht mehr passiert und das Image der 3. Liga gestärkt wird." Auch Trainer Michael Köllner betont: "Solche Entscheidungen will im Fußball grundsätzlich keiner haben." Kölns Geschäftsführer Andreas Rettig spricht in der "Bild" von einem "Skandal", FCS-Coach Uwe Koschinat von einem "massiven Eingriff in den Wettbewerb" und Magdeburgs Christian Titz von "Wettbewerbsverzerrung". Weitere Statements gibt es unter anderem von Eintracht Braunschweig und dem VfL Osnabrück.
Wie hat sich Andreas Heraf geäußert?
Türkgücüs Trainer sprach bei "Sky" von einem "traurigen Moment" für den Verein, die Spieler und das Trainerteam, musste aber auch einräumen: "In Wahrheit haben wir damit gerechnet." Ohne den Elf-Punkte-Abzug, den der Österreicher als "großen Faktor" für die Suche nach einem neuen Investor bezeichnete, "hätten wir den Nicht-Abstieg erreichen können". Unmittelbar nach der Entscheidung am Donnerstag leitete Heraf nochmal das Training, nun ist Schluss: "Jetzt ist der Augenblick gekommen, die Taschen zu packen. Für die anderen Vereine tut es mir Leid, weil es natürlich eine Wettbewerbsverzerrung ist."
Wie es weitergeht
Wie geht es für Türkgücü weiter?
Durch den Rückzug vom Spielbetrieb steht Türkgücü als erster Absteiger fest. Ob und in welcher Liga die Münchner in der Saison 2022/23 den Neustart angehen werden, "wird sich in den kommenden Wochen entscheiden", teilte der Klub mit. Heißt: Nicht ausgeschlossen, dass sich der Verein komplett zurückzieht. Noch bis zum 8. April kann Türkgücü eine Lizenz für die Regionalliga beantragen, allerdings soll es laut der "Süddeutschen Zeitung" an der Grundfinanzierung fehlen. Denn auch für die Regionalliga braucht es Geldgeber und Sponsoren – zumal Türkgücü auf keine große Fanbasis bauen kann. Die zahlungsunfähige GmbH & Co. KGaA wird im Rahmen des Insolvenzverfahrens nun abgewickelt und danach aufgelöst. Die Gläubiger, darunter der SV Wehen Wiesbaden, dem noch 100.000 Euro aus dem Transfer von Paterson Chato zustehen, werden allerdings nur einen Bruchteil ihrer Forderungen erhalten.
Was passiert mit den Spielern?
Die Spieler sind ab dem 1. April vereinslos und können sich nun arbeitslos melden. Sobald das Insolvenzverfahren eröffnet ist, wird ihnen zudem gekündigt. Der Wechsel zu einem anderen Verein ist zwar schon möglich, allerdings würde die Spielberechtigung erst mit dem 1. Juli in Kraft treten. Einige Akteure, die im Winter-Transferfenster ein Angebot eines anderen Klubs vorliegen hatten, sollen Türkgücü unterdessen auf Schadenersatz verklagt haben, wie die "SZ" berichtet.
Was passiert mit den persönlichen Strafen für die Spieler der übrigen Vereine?
Dieser Sachverhalt befinde sich laut Eintracht Braunschweig derzeit "in Klärung" beim DFB. Die Tendenz gehe aber dahin, dass die Strafen weiterhin Bestand haben. Sollte das der Fall werden, würden etwa gelbe Karten aus den annullierten Spielen gegen Türkgücü nicht gestrichen.
Gab es so einen Fall bei Türkgücü in die 3. Liga schon mal?
Nein, es handelt sich um ein Novum. Die übrigen acht Vereine, die seit 2008 Insolvenz anmelden mussten, konnten die Saison jeweils zu Ende spielen.