Doppel-Durchmarsch: Ein Hoch auf diese verrückte 3. Liga

Zwei Aufsteiger, die direkt in die 2. Bundesliga weiterziehen – das ist selbst für die Maßstäbe dieser 3. Liga verrückt. Wieder ist ein Jahr (fast) vorüber, in dem nicht prognostizierbare Ereignisse geschehen sind. Und schon jetzt, kurz nach dem 38. Spieltag, darf die Vorfreude aufs nächste Jahr in luftige Höhen steigen. Ein Kommentar.

Respekt vor Ulm und Münster

Chapeau, SSV Ulm! Chapeau, Preußen Münster! Ihr habt die Geschichtsbücher des deutschen Profifußballs aufgewertet. Ein doppelter Doppel-Aufstieg, ein Durchmarsch aus den Niederungen der Regionalliga zurück in die Top 36 des deutschen Fußballs, noch dazu nach dem flächendeckenden Scheitern der namhafteren Konkurrenz völlig zurecht: Ihr habt es Euch verdient, das nächste Jahr zu genießen. Ihr habt es Euch verdient, nach mehreren Jahrzehnten wieder auf Namen wie Schalke 04, den Hamburger SV und Hertha BSC zu treffen. Ihr werdet die 2. Bundesliga mit Eurer Tradition, Euren Spielstätten für Fußballromantiker und Euren tollen Standorten gleichermaßen begeistern. Nochmals: Genießt es – selbst wenn das kommende Jahr für euch sportlich wie infrastrukturell ein Kraftakt wird. Einziges Manko: Ihr werdet ein aller Voraussicht nach spektakuläres Jahr in unserer 3. Liga verpassen. Aber das werdet ihr verkraften…

Viele andere Klubs kennen solche Festtage gegen den HSV und Co., daheim wie auswärts, aus jüngerer Vergangenheit. Sie wollten teils mit aller Macht dahin zurück und mussten kläglich kapitulieren. Für sie ist es eine schallende Ohrfeige, das nun zwei Klubs aufsteigen, die wahlweise in puncto Finanzen, Infrastruktur oder Drittliga-Erfahrung deutlich unterlegen waren. Doch Dresden, Sandhausen, Ingolstadt und Bielefeld, um nur einige Namen zu nennen, werden einen neuen Anlauf wagen. Sie werden wieder zu den Top-Adressen gehören. Doch machen wir uns den Spaß und zählen alle denkbaren Aufstiegskandidaten auf. Wo machen wir da weiter, oder besser gesagt, wo hören wir auf?

Die halbe Liga hat Aufstiegspotenzial

Der VfL Osnabrück ist im Fahrstuhl zwischen zweiter und dritter Liga schon so oft wieder hochgefahren. Hansa Rostock muss endlich ein sportliches Konzept entwickeln, das sich in der 2. Bundesliga dauerhaft bewährt, auch wenn die Umstände und der Ruf des Vereins sich nicht zum Positiven entwickelt haben. Natürlich wird die Kogge aber Ansprüche haben, direkt oben mitzuspielen. Sollte Jahn Regensburg die Relegation verlieren, werden die Hoffnungen auf ein besseres Folgejahr auch hier groß sein – die finanziellen Möglichkeiten des SV Wehen Wiesbaden, sollte dieser noch absteigen, sind derweil hinlänglich bekannt. Gemeinsam mit Rot-Weiss Essen, das in dieser Saison schon lautstark träumte, und mit dem klassischen Geheimfavoriten Erzgebirge Aue kommen wir schnell auf die nächsten realistischen Favoritentipps. Und was plant wohl der 1. FC Saarbrücken mit seinen Pokal-Einnahmen? Er hat schon jetzt eine Spitzenmannschaft zusammen, die die Relegation nur um einen Sieg verpasst hat und die, das deuten die ersten Transfers schon an, weiter massiv verstärkt wird.

Zählen wir nun zusammen, darf – schon jetzt – in der Saison 2024/25 die halbe Liga berechtigte Aufstiegsambitionen hegen. Vereine wie Verl, Köln und Unterhaching sowie die Profi-Reserven sind zugleich beliebte Stolpersteine, weil dort ohne den ganz großen Druck von außen aufgespielt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass mal wieder mindestens ein großer Traditionsverein nach einem Fehlstart langfristig ums Überleben und den Ligaverbleib kämpfen wird, ist also ebenfalls hoch.

Erwartet uns die "beste Liga aller Zeiten"?

Lehnen wir uns da zu weit aus dem Fenster, wenn wir vom 17. Jahr des Bestehens Großes erwarten dürfen? Vielleicht sogar, in Anlehnung an einen zugegeben etwas abgerockten TV-Slogan, "die beste Liga aller Zeiten"? Aus der Regionalliga kommen Alemannia Aachen, die vielleicht größte Attraktion im neuen Teilnehmerfeld, plus Energie Cottbus, das zuletzt ebenfalls regelmäßig fast 20.000 Fans im Stadion der Freundschaft mobilisierte. Der Besucher-Rekord der 3. Liga, aufgestellt in der just beendeten Saison mit fast 9.700 Fans pro Spiel, dürfte schon wieder wackeln.

Und wenn wir schon jetzt einen Blick auf mögliche Favoriten werfen: Wer wäre denn besser geeignet für den nächsten Durchmarsch-Versuch als die Kaiserstadt mit ihrer springflutartig aufgekommenen Euphorie? Oder die Lausitzer als weiterer Ex-Bundesligist dieses Jahrtausends? Einzig der nächste "Südwest-Durchmarsch" ist aufgrund des Aufstiegs des VfB Stuttgart II ausgeschlossen.

Verrückt, unberechenbar, faszinierend

Diese Liga ist verrückt und unberechenbar. Nichts zeigte dies eindrücklicher als die Abstürze in Regensburg und Dresden, als das Comeback von Waldhof Mannheim, als der Doppel-Durchmarsch von den Spatzen und den Adlerträgern. So bitter die Momente des Scheiterns sind, so fulminant sind die Momente des unerwarteten Erfolgs. Was sich in der Bundesliga mit dem Triumph von Bayer Leverkusen wie ein Jahrhundert-Ereignis anfühlt, erleben wir in der 3. Liga (fast) jährlich. Es ist die bekloppteste, die faszinierendste, die wildeste und authentischste Profifußballliga, die wir haben. Oder möchte das jemand ernsthaft diskutieren?

Starten wir also schon jetzt den Countdown hin zum 2. August, an dem in etwas mehr als zehn Wochen die nächste Drittliga-Spielzeit eingeläutet wird. Die Europameisterschaft 2024 im eigenen Land wird uns den Sommer sportlich versüßen – aber seien wir ehrlich: Es ist doch "nur" ein netter Zeitvertreib. Zu groß ist die Vorfreude auf das, was uns die 3. Liga schon bald bieten wird.

   

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