Das Ende der Hochzeit

In den 80er und 90er Jahren durchläuft der 1. FC Saarbrücken vom Amateurbereich bis zur 1. Bundesliga alle Etagen des westdeutschen Vereinsfußballs. Zu den ständigen Reisebegleitern gehören auch Anhänger, die mitunter weiter gehen, als andere.

Die Bundesligaübertragung, die im Fernsehen läuft, wirkt wie ein Gruß aus einer anderen Welt. Einst ein Teil davon, erinnern in Saarbrücken nur noch die mächtigen, eisernen Flutlichtmasten des Ludwigsparks an die wogenden Massen und den Torjubel, der sich oft wie der Knall eines Schallmauerdurchbruchs durch die Stadt gegraben hat.
Eine Zeit lang gingen die Emotionen sogar so weit, dass es auch in einer Form geknallt hat, die im deutschen Fußball zunächst neu war.
Die Mehrzahl der Stadien, die die intensivste Phase dieses Phänomens erlebt haben, ist heute entweder in modernere Arenen umgewandelt oder steht im Schatten von emsigen Architekten. Mit Neuentwürfen und Abrissbirnen auf dem Zettel aufwartend, schicken sie sich an, der Nostalgie das Gesicht zu nehmen und zugleich Raum für neue Erinnerungen zu schaffen.

In der Nähe des TV-Bildschirms sitzen drei Männer, die all die Bilder, die sie von damals im Gedächtnis haben, gegen nichts eintauschen wollen. Ihre Gesichter lassen hier und da erahnen, dass sie nicht nur selbst an der Gestaltung jenes Damals beteiligt waren, sondern ihrerseits davon geformt wurden.

Aus dem Halbdunkel ihres Ecktisches heraus kann man schemenhafte Silhouetten ausmachen, die, in Richtung Fernsehen orientiert, am Thresen sitzen und Bier trinken.
Eines der Klischees, das im Hinterkopf war, ist nach dem ersten Besuch der Bedienung schon nicht bestätigt. Ständig am Alkohol nippende Saufmaschinen sitzen hier nicht beisammen. Stattdessen wird Mineralwasser und Malzbier getrunken.

„Du willst jetzt bestimmt was über Gewalt hören“. Über kürzliche Straßenschlachten und Kämpfe im Wald gibt es aber nichts erzählen, sagen sie, weil Hooligans beinahe tot sind. In ganz Deutschland sind sie am aussterben. Überhaupt kann aus ihrer Sicht niemandem das Recht zuerkannt werden, sich Hooligan zu nennen, nicht einmal sie selber haben sich jemals so gesehen. Das liegt daran, dass sie zwischen ihren einstigen Aktivitäten und der etymologischen Herkunft des Begriffes keinen unmittelbaren Zusammenhang sehen. Zu dem Wort, dessen Ursprung sowohl bei einer irischen Familie namens O' Hoolihan aus dem 19. Jahrhundert, als auch bei dem Iren Patrick Hooligan, dem Anführer einer Bande Jugendlicher, vermutet wird, können sie keine Verbindung erkennen.

Schlägereien entstanden aus Emotionen

Selber betrachteten sie sich vor allem nie als Gang, führen sie aus, eher als große Familie. Schon deshalb trifft jeder Rückbezug auf den Jungen, der 1898 in einem Bericht der Londoner Polizei auftaucht, nicht zu. Doch auch die Verbindung zu besagter Familie erhält trotz der ähnlichen Eigendefinition eine klare Absage. Denn genauso, wie der Junge mit dem signifikanten Nachnamen, hatte auch der irische Clan, der sich seinen Ruf durch diverse schwere Prügeleien angeeignet hatte, im Grunde nichts mit Fußball zu tun.

Schlägereien haben für sie aber immer nur unmittelbar beim Fußball Sinn gemacht, führen sie weiter aus, weil diese immer aus Emotionen heraus entstanden sind, die sie in dieser Intensität aufgrund ihrer großen Verbundenheit mit dem Verein nur dort erlebt haben.

Dadurch, dass sie Fußball und Gewalt also stets in enger Verknüpfung erlebt haben, können sie nicht nur für sich selbst nichts mit dem Begriff Hooligan anfangen. Auch die Teilnehmer von „verabredeten Dingern“ und Wald- und Wiesenterminen kann man nicht unter diesem Begriff einordnen. Diese prügeln sich zwar, weitab von jeder öffentlichen Aufmerksamkeit, abseits der Stadien. Sie tun das aber vorwiegend aufgrund der stark gestiegenen polizeilichen Präsenz am Spielort und noch immer im Namen des Fußballs.

„Bei den anderen sind nur zwei stehengeblieben“

Gemäß dieser These wären also die einzigen Menschen, die sich „Hooligans“ nennen dürften, solche, die sich nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fußball oder anderen Sportarten schlagen. Stattdessen muss genau genommen hinsichtlich des Anlasses eine Entsprechung zu jener Motivation bestehen, die die Protagonisten im 19. Jh. dazu trieb, mit ihrer Jugendbande oder ihrer Familie umherzuziehen und sich Schlägereien zu liefern.

Das aber ist, nüchtern betrachtet, im Nachhinein schwierig zu ermitteln. Ausserdem führen sie an, dass durchaus schon eine gewachsene Verbindung zwischen dem Hooligan-Begriff und der Sportart Fußball bestehe, auch, weil es im Grunde einige nicht zu übersehende Parallelen zum irischen Original gibt. Das Auftreten in einer Gruppe sei beispielsweise ein Charakteristikum, das beidseitig vorkommt. Allerdings habe man nie ein „unfaires Match“ gemacht. „Wenn bei den anderen nur zwei stehengeblieben sind und wir zu zehnt waren, haben wir es gelassen“.

Das wiederum lässt an einer Verwandtschaft in Richtung britische Inseln zweifeln, vor allem dann, wenn in den dortigen Polizeiakten von einer terrorisierenden Jugendbande die Rede ist. Dann kommt schon wieder eher die Familie in Frage.

Auch ist die Eigenschaft des wilden, die das aus dem Irischen kommende Adjektiv „hooley“ meint, auch bei ihnen immer anzutreffen gewesen.
Als Ergebnis dieser Abwägung bekräftigen sie erneut, dass sich letztlich niemand Hooligan nennen kann. Einerseits ist das für solche nicht möglich, die sich im Namen des Fußballs prügeln, weil das Wort ursprünglich nichts mit Fußball zu tun hat.
Andererseits hat die Entwicklung über die Jahrzehnte hinweg dazu geführt, dass die Verbindung des Begriffes mit dem Sport nicht mehr zu leugnen ist, sodass sich diejenigen, die sich ohne Bezug zum Fußball schlagen, auch nicht derart benennen können.

Fortschritte in der Handhabung der Gewalt

Insgesamt sieht das nach einer echten Zwickmühle aus, die aber vor allem auf Entwicklungen und veränderte Vorraussetzungen im Vergleich zu früher zurückzuführen ist. Letztlich gibt es so viele Sichtweisen, wie es Menschen gibt, sodass für jemand anderen möglicherweise nur eine Schlägerei in der Disko oder das Angeln gehen Sinn macht. Denn ein wichtiger Faktor, der bei der Angelegenheit mitspielt, ist ihrer Meinung nach der Stress- und Aggressionsabbau, sowie eine immense Verbundenheit und so nie erlebte Freundschaften.

Deshalb haben sie zum Beispiel auch Banker und Anwälte kennengelernt, die, genauso wie sie, am Wochenende, statt auf der Arbeit, beim Fußball mitgemischt haben. Regelrechten Verwandlungen

kommt soetwas gleich, wenn am Spieltag eingelaufene Turnschuhe, in deren Sohle noch Glasscherben vom letzten Wochenende stecken, gegen schwarze Lederschuhe, die vorwiegend die verfließte Kantinentoilette zu Gesicht bekommen, eingewechselt werden.
Das lässt erneut aufhorchen, ist doch bei der Rede von solchen Kreisen ein gängiger Gedanke, dass es sich bei den Teilnehmern der Schlägereien stets um arbeitslose, rechtsradikale Säufer handelt. Auch das bestätigt sich bei den arbeitnehmenden und überaus aufgeräumt erscheinenden Familienvätern nicht.

In der Verantwortung, die sie für ihre Familien und in ihrem Job tragen, liegen neben dem mittleren Alter, das sie erreicht haben, auch die Gründe dafür, dass sie sich zur Ruhe gesetzt haben. Zwar sind sie noch an jedem Wochenende im Stadion anzutreffen, sehen sich aber im Zusammenhang mit dem gezeugten Nachwuchs in einer Pflicht, die über die Leidenschaft für den Verein hinausgeht. Hinzu kommt der Umstand, dass es aus ihrer Sicht im Stadionumfeld weitaus schwieriger geworden ist, gegnerischen Fans zu begegnen, da neben den Wald- und Wiesengängern auch die Polizei Fortschritte in der Handhabung der Gewalt erzielt hat.

Keinerlei Fortschritte aber nehmen sie im Hinblick auf die allgemeine Vermutung bestimmter politischer Tendenzen bei ihnen wahr, mit der sie sich regelmäßig konfrontiert sehen.

„Fußball ist Fußball und Politik ist Politik“ lautet ihr dahingehendes Bekenntnis, sodass die Frage aufkommt, wie es zu einem so anderen Bild dieser Leute kommen konnte, wenn sich nun ein Klischee nach dem anderen als haltlos erweist.

Für den beharrlichen braunen Schatten auf ihrer Zunft machen sie weitestgehend die Presse verantwortlich. Die tiefe Kluft zwischen beiden ist auch im Dämmerlicht der Garderobe nicht ganz überwunden, aber der Mann mit dem Stone Island – Pulli erklärt, dass man den Leuten grundsätzlich genauso zu begegnen versucht, wie sie selber auftreten. Wie man in den Wald reinruft, so kommt es tatsächlich heraus. Und so schallt, zwischen dem vom Bildschirm hervorgerufenen Raunen der anderen Kneipenbesucher, auf die Frage nach den genauen Gründen für das Zerrbild in der Öffentlichkeit eine klare Erklärung zurück.

„Was einer in seinen 4 Wänden macht, ist seine Sache“

Zum einen gibt es durchaus unglücklich zusammengekommene Parallelen zu entsprechenden partei-politisch motivierten Gruppen im Kleidungsstil. Er stellt fest, dass dabei an manchen Stellen mehr Fingerspitzengefühl von Nöten gewesen wäre. Zum Beispiel dann, wenn jemand einen Kuttenaufnäher, auf dem ursprünglich der Stolz zur deutschen Staatsangehörigkeit dokumentiert worden war, umfunktioniert hatte, um auszudrücken, dass er stolz auf seinen Verein ist. „Es war nicht geschickt, dass die weiterhin von der Anordnung her genauso ausgesehen haben.“

In erster Linie, verdeutlicht er, ist es ihnen bei der Kleidung darum gegangen, sich in teuren Markenklamotten zu schlagen, die sie von ihrem erarbeiteten Geld gekauft haben. Aus England haben sie diese Idee übernommen und sich nicht darum gekümmert, wenn andere Leute ähnliche Labels getragen haben.
Eine plausible Erklärung scheint das zu sein, vermag aber nicht die Tatsache wegzuwischen, dass es besonders in den 80ern dann und wann klare Bekenntnisse zu rechtem Gedankengut in den Stadien gegeben hat.

Doch auch das wird klar abgelehnt. In erster Linie wurde dieses durch die von ihnen zu unterscheidende Skin-Head-Szene an die Spielorte transportiert. Die Idee des „Skin-Heads“, die eigentlich aus der Arbeiterbewegung kommt, beinhaltet jedoch ursprünglich keine extreme

politische Ausrichtung. Vielmehr ging es während der Londoner Anfangszeit zu Beginn der 70er um die Hervorhebung proletarischer Merkmale und eine damit einhergehende Abgrenzung vom Bürgertum. Zu diesem Streben nach Anderssein gehörten auch Schlägereien.

Während es ursprünglich beispielsweise auch schwarze Skin-Heads gab, kam es erst Anfang der 80er unter anderem durch parteipolitische Einflussnahme in der bis dahin politisch vielfältigen Szene zu Radikalisierungen. So entstand ein Spektrum von links- bis rechtsextremen Skin-Heads, deren äußere Merkmale, wie Kleidung auch neonazistisch orientierte Jugendliche übernahmen. Ähnlich, wie die Skin-Head-Szene ursprünglich körperlichen Auseinandersetzungen nicht abgeneigt war, fühlten sich die politisch extrem motivierten Anhänger, die schließlich zum Fußball gingen, den Aktivitäten der Hooligans nicht abgeneigt und suchten Anschluss. Dies taten sie aber, ohne ihre politischen Ansichten außen vor zu lassen. Aus Sicht vieler Hooligans haben manche Pressevertreter alle über einen Kamm geschert.

„Was einer in seinen eigenen 4 Wänden macht und welche politischen Ansichten er vertritt, ist seine Sache.“ Genauso, wie es in anderen gesellschaftlichen Bereichen Wähler unterschiedlicher Couleur gibt, sind sie auch und gerade beim Fußball anzutreffen. „ Aber man sollte es für 90 Minuten schaffen, seine politischen Ansichten zu Hause zu lassen, weil sie beim Fußball keine Rolle spielen und schon gar nicht bei den Schlägereien.“

Liegestütze im Keller

Mittlerweile ist das Bundesligaspiel im Fernsehen zu Ende. Es wird etwas ruhiger im Raum und die Männer erklären, dass in Saarbrücken oft eine höhere Polizeipräsenz zugegen sei, als im Oberhaus des deutschen Fußballs. Sie beschweren sich über unverhältnismäßige Vorgehensweisen der Beamten, „deshalb lasse ich mein Kind lieber zuhause.“ Die Debatte um Gewalt und Gegengewalt scheint ebenso schwierig zu sein, wie die Frage nach der Henne und dem Ei. Überanstrengte Polizisten, die in ihren schweren Anzügen schwitzen und sich wünschen, bald weg von den manchmal aggressiven Massen, nach Hause zu können, oder friedliche Fans, die ohne Verschulden Pfefferspray abbekommen – kaum zu sagen, was zuerst da war.

Aber sie wissen, dass man auch hier nicht alle über einen Kamm scheren darf, weil es immer solche und solche gibt.

Nachdem sie sich nach ihren aktiven Jahren von ihrem Schlägerdasein zurückgezogen haben, beobachten sie heute, dass sich die Prügeleien im Fußball verlagert haben. Nicht nur in die Wälder, sondern auch auf den Ultrà-Bereich, wo sich manche schlagen, um „Fahnen zu zocken“ oder im Rahmen von Fanfreundschaften. Auch solche Vorfälle haben zu einer höheren Präsenz der staatlichen Gewalt bei den Spielen geführt.

Den Ultrà – Gedanken in Deutschland zu etablieren, sehen sie grundsätzlich als schwierig an, weil die Mentalität eine andere ist, als im Ursprungsland Italien. Aber auch dabei schauen sie ein bisschen genauer hin: „Was zum Beispiel die Ultras Frankfurt auf die Beine stellen, ist erste Klasse, davor ziehe ich meinen Hut.“

„Die Leute sind bereit, alles zu riskieren“

Die Fanfreundschaften von einst, wie zum BVB, Hannover oder dem FC Zürich, über die heute noch gesprochen wird, hat es aber so vereinsübergreifend, wie es mancherorts verbreitet ist, nie

gegeben. „Das waren einfach Kontakte, die dadurch zustande gekommen sind, dass der eine oder andere mal in einer anderen Stadt gearbeitet hat. Dort ist er dann zum Fußball gegangen und so wurden private Bekanntschaften geschlossen, die zum Teil bis heute gepflegt werden.

Im Grunde sind sie aber immer dem FCS treu geblieben. Nur in ihren Familien gibt es schon mal andere Vereinsvorlieben. In England, wo der Fußball geboren wurde, ist das allerdings völlig unmöglich. „Da kann ein Kind gar keinen anderen Verein haben, als seine Eltern. Die Leute sind dort bereit, einfach alles für ihren Club zu riskieren.“

Beachtung schenken sie auch den Schlägergruppen in Polen, wo bald die EM stattfinden wird. „Wenn Du dort an einem Spieltag sagst, dass Du keine Zeit hast und nicht mitkannst, bist Du sofort raus.“ Vor allem hat dort die Perspektivlosigkeit in den Plattenbauten einen großen Einfluss auf das Verhalten der Fans und die weitaus höhere Aggressivität, die dort auch mit Waffengebrauch vermischt ist. Nicht ausschließlich, aber auch darauf ist es zurückzuführen, dass auch in manchen deutschen Städten noch hier und da Kampfsportler gemeinsam in Kellern trainieren und neben Bannern, auf denen „Kämpfen für LOK“ steht, Liegestütze machen.

Von solchen organisierten Strukturen sind die Saarbrücker allerdings ein gutes Stück entfernt. Sie sind eine große Familie geworden, die sich untereinander kennt und sich, außer beim Fußball, auch auf verschiedenen Feiern trifft.

Die Bedienung fragt, ob es noch etwas sein darf. Für die vom Reden ausgetrockneten Kehlen klingt das wie die Vorstellung davon, im prasselnden Regen zu stehen und mit geschlossenen Augen die Zunge in die Tropfen zu halten.
„Ich mache lieber das, als gegen meine Frau zu Hause die Hand zu heben“, sagt einer der drei, nachdem sie weg ist. Er ist noch etwas jünger, Anfang 20 vielleicht und hört sich fast so an, als wollte er das Leben jetzt erst richtig auskosten. Verheiratet ist er schon.

   

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