Strittige Szenen im DFB-Pokal: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Essen, Rostock und Köln, der Strafstoß für Hannover, das 1:0 von Hoffenheim, das 3:0 von Magdeburg, der verwehrte Treffer von Ulm, das 2:1 von Köln sowie Foulspiele von Owusu und Nkili. In den Pokalspielen der Drittligisten hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zehn strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach einer Hereingabe in den Strafraum will Dominik Martinovic (Essen) zum Ball, kommt aber gegen Filippo Mane (Dortmund), der das Bein sehr hoch hat, zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Frank Willenborg. [TV-Bilder – ab Minute 4:40]
Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum geht Martinovic mit dem Kopf zum Ball und spielt diesen auch. Mane will diesen Kopfball verhindern, kommt aber einen Moment zu spät und trifft deshalb nicht mehr den Ball, sondern vielmehr Martinovic mit einem etwas hohen Bein ins Gesicht, wenn auch womöglich nur leicht. Das Nicht-Ballspielen von Mane kann man gut daran erkennen, dass sich die Flugbahn des Balles nach dem Kopfball des Angreifers nicht verändert.
Die Frage danach, ob der Kopf von Martinovic zu tief ist und womöglich ein Vergehen des Angreifers vorliegt, kann man verneinen. Somit eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben. Am Ende entscheidet die Schwere des Vergehens, ob man einen Elfmeter geben kann oder nicht. Hier wird es auch Meinungen geben, diesen nicht zu geben. Für mich ist ausschlaggebend, dass der Verteidiger das Risiko eingeht und der Treffer zustandekommt, zudem das Fallmuster typisch für einen Treffer ist. Deshalb ist das ist für mich ein Foulspiel.
Szene 2: Kelsey Owusu (Essen) tritt Yan Couto (Dortmund) mit gestrecktem Bein auf das Knie, sieht von Willenborg aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 5:10]
Babak Rafati: Couto spielt den Ball weg, dabei kommt Owusu mit viel Dynamik und offener Sohle und gestrecktem Bein angelaufen und trifft mit diesem Bein seinen Gegenspieler am Knie. Das ist eine brutale Spielweise, und dafür gibt es nur die rote Karte. Eine Fehlentscheidung, diese nicht zu geben.
Szene 3: Im Strafraum geht Benedikt Pichler (Hannover) gegen Dominik Pelivan (Cottbus) zu Fall, Schiedsrichter Felix Prigan gibt Elfmeter für Hannover. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf gibt es womöglich eine leichte Berührung von hinten von Pelivan an Pichler, der spektakulär zu Boden fällt. Diese leichte Berührung nimmt der Angreifer dankend an und lässt sich sehr theatralisch fallen. Doch allein das Fallmuster deutet daraufhin hin, dass es kein Foulspiel sein kann. Dass sich der Angreifer auch noch anschließend das linke Schienbein hält, ist ein Indiz dafür, dass kein Foulspiel vorgelegen hat, denn in diesem Bereich gibt es überhaupt keinen Kontakt. Eine Fehlentscheidung, bei dieser Szene auf Elfmeter zu entscheiden. Der Schiedsrichter weicht noch ein wenig nach rechts aus, um den Vorgang besser einsehen zu können, was aber ein wenig zu spät ist, da der Stürmer schon zu Fall gekommen ist. Er hätte etwas früher nach rechts rücken sollen, dann hätte er den Zweikampf besser sehen und richtig einordnen können.
Szene 4: Noel Aseko Nkili (Hannover) schubst Henry Rorig (Cottbus) im Mittelfeld um, Prigan belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 4:00]
Babak Rafati: Zunächst einmal hätte es zuvor einen Freistoß für Cottbus geben müssen. Der Schiedsrichter lässt aber fälschlicherweise weiterspielen. Der Ball wurde von Chakroun zwar mit dem rechten Fuß gespielt, aber mit dem Nachziehbein wurde Boziaris am Fuß getroffen und entscheidend zu Fall gebracht. Hier hätte es einen Freistoß für Cottbus geben müssen. Eine Fehlentscheidung, dieses Vergehen nicht zu ahnden. Danach ist Rorig über diese Entscheidung sauer, hält seinen Gegenspieler fest und stoppt ihn am Weiterlaufen. Anschließend schubst Nkili diesen leicht weg. Für diese beiden Aktionen zeigt der Schiedsrichter zurecht jeweils die gelbe Karte. Rorig bekommt nicht für ein Zeitspiel die gelbe Karte, wie es der Kommentator gesehen haben will, vielmehr für das taktische Foulspiel. Das sieht man daran, dass der Schiedsrichter unmittelbar nach dem Foulspiel und noch vor dem Zeitspiel die gelbe Karte zückt.
Szene 5: Bernado (Hoffenheim) bekommt im Strafraum den Ball nach einem Schuss von Jan Mejdr (Rostock) an den Arm, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Wolfgang Haslberger nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: Nach einem Schuss von Mejdr bekommt Bernado zwar den Ball an den Arm, allerdings ist dieser am Körper angelegt, sodass keine Absicht vorliegt. Damit ist dieses Handspiel nicht strafbar. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 6: Nach einem Einwurf geht Marco Schuster (Rostock) im Duell mit Fisnik Asllani (Hoffenheim) zu Boden und bleibt liegen, direkt danach fällt das 1:0 und zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:50]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf nach einem Einwurf spielt Asllani klar den Ball, was man an der Flugrichtung des Balles sehr gut erkennen kann. Selbst wenn es zu einem möglichen Kontakt gekommen sein sollte, ist das klare Ballspielen entscheidend, sodass kein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, das Spiel weiterlaufen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen.
Szene 7: Im Mittelfeld geht Florian Pick (Saarbrücken) gegen Lubambo Musonda (Magdeburg) zu Fall, Schiedsrichter Robin Braun lässt weiterlaufen . Aus dem Angriff fällt das 3:0 für Magdeburg. [TV-Bilder – ab Minute 4:50]
Babak Rafati: Pick und Musonda verpassen beide den Ball, dabei trifft Musonda seinen Gegenspieler hinten in die Beine und bringt ihn zu Fall, sodass ein Foulspiel vorliegt. Somit hätte es einen Freistoß für Pick geben müssen und der anschließende Treffer nicht zählen dürfen. Eine Fehlentscheidung, diesen regelwidrigen Einsatz nicht zu unterbinden und weiterspielen zu lassen, was in der Folge zu einem Tor führt.
Szene 8: Nach einem langen Ball ist Lucas Röser (Ulm) frei durch und bringt den Ball im Tor unter, allerdings entscheidet Schiedsrichter Richard Hempel auf Abseits und gibt den Treffer daher nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Abspiels auf Röser ist anhand der TV-Bilder mit deren Kameraperspektive nicht zweifelsfrei erkennbar, ob der anschließende Torschütze im Abseits steht oder nicht. Man kann natürlich als Argument anbringen, dass die Assistenten im Zweifel weiterlaufen lassen sollen. Trotzdem kann nicht von einer Fehlentscheidung gesprochen werden.
Szene 9: Nach einer Flanke bekommt Benedikt Bauer (Regensburg) den Ball im eigenen Strafraum an die Hand, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Christian Dingert nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:35]
Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum verschätzt sich Bauer ein wenig und will den Ball spielen. Dabei bekommt er den Ball zuerst auf den rechten Oberschenkel, von da aus prallt das Spielgerät gegen den rechten Arm. Dieser Arm ist allerdings angelegt und in absolut natürlicher Haltung, sodass dieses Handspiel nicht strafbar ist. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 10: Bei einer Hereingabe in den Strafraum stützt sich Ragnar Ache (Köln) bei Felix Strauss (Regensburg) auf, gepfiffen wird die Aktion nicht. Kurz danach erzielt Köln das 2:1. [TV-Bilder – ab Minute 6:45]
Babak Rafati: Nach einer Hereingabe in den Strafraum kommt es zu einem Zweikampf. Dabei springt Ache zum Kopfball hoch, und durch das Hochspringen gelangt sein Arm auf die Schulter von Gegenspieler Strauss. Dieses "Armauflegen" ist branchenüblich und keinesfalls ein Foulspiel, denn das ist kein Aufstützen oder Herunterdrücken, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, diese Spielweise weiterlaufen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen. Solche Zweikämpfe gehören einfach dazu. Wenn man so etwas unterbinden würde, müsste man auf der anderen Seite bei Zweikämpfen von Verteidigern gegen Stürmer zig Elfmeter im Spiel pfeifen, was nicht im Sinne des Fußballsports wäre.