Strittige Szenen am 8. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die verwehrten Treffer für Havelse, Wiesbaden und 1860, die Platzverweise gegen Gürleyen und Gjasula, die nicht gegebenen Elfmeter für Rostock, Saarbrücken, Essen, Verl und Regensburg, die Strafstöße für Saarbrücken, Wiesbaden, Mannheim und Aachen, das 1:0 für Aue, das 2:1 für Duisburg, das 1:1 für Aachen, sowie Foulspiele von Düker, Boujellab und Strauss. Am 8. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 20 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach einer Flanke bringt Emre Aytun (Havelse) den Ball zum 1:0 im Tor unter. Schiedsrichter Justin Hasmann entscheidet auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 20:50]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt der Flanke stehen die beiden Spieler auf einer Höhe, sodass keine Abseitsposition des anschließenden Torschützen Aytun erkennbar ist. Somit hätte das Tor zählen müssen. Eine Fehlentscheidung, auf Abseits zu entscheiden und den Treffer abzuerkennen. Anzumerken ist, dass die Arme bei der Beurteilung von Abseitspositionen nicht relevant sind, da man mit den Armen und Händen kein Tor erzielen darf.
Szene 2: Bei einem Laufduell mit Ahmet Gürleyen (Rostock) geht John Xaver Posselt (Havelse) zu Fall. Hasmann wertet die Szene als Notbremse und zeigt Gürleyen die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf liegt unstrittig ein Foulspiel von Gürleyen gegen Posselt vor. Das Foulspiel ist an sich nur gelbwürdig. Allerdings verhindert der Verteidiger eine klare Torchance, denn der Angreifer hat an der Strafraumgrenze circa zwei Meter Vorsprung zum nächsten Abwehrspieler, sodass dieser nicht mehr hätte entscheidend eingreifen können. Somit liegt eine Notbremse vor, sodass die rote Karte gegen Gürleyen richtig ist. Bei der verhältnismäßig kurzen Distanz zum Tor – in diesem Fall circa 16 Meter – sind 2 Meter Vorsprung sehr viel. Bei einer größeren Entfernung zum Tor, würde sich der Fall anders darstellen. Zudem ist es unerheblich, dass Gürleyen vielleicht auch ohne Foul früher als der Angreifer an den Ball gekommen wäre. Foul ist Foul, und ohne dieses wäre eine klare Torchance entstanden.
Szene 3: Der bereits verwarnte Julius Düker (Havelse) stempelt gegen Florian Carstens (Rostock), der Schiedsrichter lässt Vorteil laufen und ahndet die Szene auch nachträglich nicht.
Babak Rafati: Bei diesem Foulspiel des bereits verwarnten Düker gegen Carstens ist der Einsatz gelbwürdig, und in dieser Zone einen Vorteil zu geben, ergibt überhaupt keinen Sinn. Hier wäre es angebracht, gleich abzupfeifen und Düker die gelb-rote Karte zu geben. Das wäre ein deutlich besserer Vorteil. Somit eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und die entsprechende Ampelkarte nicht zu zeigen.
Szene 4: Der bereits verwarnte Nassim Boujellab (Havelse) foult Benno Dietze (Rostock), der Schiedsrichter entscheidet auf Vorteil und lässt weiterlaufen. Aus dem Angriff fällt das 1:1. Eine nachträgliche Bestrafung für Boujellab gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:23:40]
Babak Rafati: Für dieses Vergehen keine gelbe Karte gegen den bereits verwarnten Boujellab zu zeigen, ist eine richtige Entscheidung. Das Foul an sich ist kein gelb-würdiges Vergehen. Selbst wenn man da anderer Meinung ist, würde es sich um ein taktisches Foulspiel handeln, sodass bei Vorteilsauslegung, die ihre Wirkung erzielt, regeltechnisch eine Rabattierung möglich ist und folglich keine gelb-rote Karte gezeigt werden muss.
Szene 5: Nach einem Zweikampf zwischen Florian Carstens (Rostock) und Julian Rufidis (Havelse) im Strafraum pfeift Hasmann Stürmerfoul statt Elfmeter für Rostock. [TV-Bilder – ab Minute 1:40:35]
Babak Rafati: Carstens ist zuerst am Ball und spielt das Spielgerät. Auch, wenn Rufidis den Ball nicht mehr erreicht, touchiert er nur leicht den Stürmer, wobei die Bewegung vom Stürmer ausgeht, der im Bewegungsablauf zum Ball den Fuß dort hinführt und es zum Kontakt mit Rufidis kommt, aber hierbei keinesfalls ein Foulspiel vorliegt. In dieser Szene wäre ein Elfmeter eine Fehlentscheidung, und somit ist weiterspielen die richtige Entscheidung. Auf Stürmerfoul zu entscheiden, ist aber eine Fehlentscheidung.
Szene 6: Im Strafraum geht Till Schumacher (Saarbrücken) gegen Ole Wohlers (Wiesbaden) zu Fall, Schiedsrichter Robert Kampka gibt Elfmeter für den FCS. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]
Babak Rafati: Zunächst einmal streckt Wohlers das Bein knapp außerhalb des Strafraumes aus, um den Ball gegen Schumacher zu spielen. Er verfehlt das Spielgerät, trifft aber auch nicht seinen Gegenspieler. Dennoch kommt Schumacher im Strafraum spektakulär zu Fall, obwohl noch nicht einmal eine Berührung vorliegt. Das Fallmuster ist auch typisch für ein Nicht-Foulspiel. Hier liegt eine klare Schwalbe vor, sodass es keinen Pfiff für Saarbrücken hätte geben dürfen. Eine klare Fehlentscheidung. Es hätte es stattdessen die gelbe Karte gegen Schumacher geben müssen. Wenn sich der Schiedsrichter während des Angriffs vorausschauend zur Strafraumlinie, die die Torlinie kreuzt, orientiert hätte, sprich weiter nach links, um auf Höhe der Strafraumlinie postiert zu sein, wäre eine bessere Perspektive zustande gekommen. Damit hätte der Schiedsrichter zumindest bei seiner falschen Wahrnehmung nicht mehr auf Elfmeter, sondern auf Freistoß entschieden.
Szene 7: Moritz Flotho bringt den Ball zum 2:1 für Wiesbaden unter, jedoch entscheidet Kampka auf Stürmerfoul an Kasim Rabihic (Saarbrücken) und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: Beim Zweikampf zwischen Flotho und Rabihic ist alles im grünen Bereich. Beide rangeln zwar gleichermaßen ein bisschen, aber keiner von ihnen begeht ein Vergehen, was man mit einem Foulspiel hätte ahnden müssen. Der Verteidiger lässt sich beim Kontakt, der dazu gehört, einfach fallen und bekommt den Freistoß. Das ist aber eine Fehlentscheidung, sodass das Tor hätte zahlen müssen.
Szene 8: Nach einem leichten Schubser von Lasse Wilhelm (Saarbrücken) geht Lukas Schleimer (Wiesbaden) im Strafraum zu Fall, Kampka zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]
Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum kommt es zwar zu einem Kontakt von Wilhelm an Schleimer, der sich daraufhin dankend fallen lässt, allerdings ist das keinesfalls ein Foulspiel. Kontakt ja, aber kein Foulspiel, lautet das Fazit. Wenn für so etwas ein Elfmeter gepfiffen wird, haben wir zukünftig zig Elfmeter im Spiel, und das würde den Fußball kaputt machen. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter zu geben.
Szene 9: Im Strafraum geht Florian Pick (Saarbrücken) gegen Sascha Mockenhaupt (Saarbrücken) zu Fall und fordert einen Elfmeter, den es nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 4:05]
Babak Rafati: Mockenhaupt trifft nur ein wenig den Ball, dafür aber klar die Beine von Pick, was auch ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers ist. Das ist ein Foulspiel, und es hätte einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben.
Szene 10: Für ein Foulspiel gegen Kennedy Okpala (Mannheim) sieht Klaus Gjasula (Essen) von Schiedsrichter Florian Lechner die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Wieder einmal eine Szene, die zeigt, wie wichtig das richtige Positionsspiel des Schiedsrichters sein kann. Gjasula geht in den Zweikampf gegen Okpala, aber letztendlich stellt er ihm nur das Bein, was ein Foulspiel darstellt und die gelbe Karte nach sich ziehen muss. Dadurch, dass der Schiedsrichter nicht vorausschauend in Position läuft, um einen möglichen Treffer in die Beine sehen und richtig einordnen zu können, schaut er von hinten drauf und wird sich womöglich wegen der Falleinlage von Okpala gedacht haben, dass ein anderes Trefferbild zustande gekommen ist. Das darf natürlich nicht passieren, und es hätte folglich die gelbe Karte geben müssen. Die rote Karte ist eine Fehlentscheidung.
Szene 11: Kennedy Okpala (Mannheim) bekommt den Ball im Strafraum bei einer Klärungsaktion an den Arm. Kein Elfmeter, sagt Lechner. [TV-Bilder – ab Minute 1:49:25]
Babak Rafati: Okpala verfehlt den Ball und bekommt anschließend sogar zweimal den Ball an den Arm. Allerdings sind in beiden Aktionen die Arme in natürlicher Haltung, zudem gehen die Arme nicht absichtlich zum Ball. Somit eine richtige Entscheidung, auf Weiterspielen zu entscheiden und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 12: Im Strafraum geht Sascha Voelcke (Mannheim) gegen Michael Kostka (Essen) zu Fall, der Schiedsrichter zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:45]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum fährt Kostka zwar das Bein heraus, aber es kommt noch nicht mal zu einem Kontakt mit Gegenspieler Voelcke. Dennoch lässt sich dieser zu einer Schauspieleinlage verleiten und kommt zu Fall. In dieser Szene hätte es statt eines Elfmeters einen Freistoß für Essen sowie die gelbe Karte gegen Voelcke wegen Schwalbe geben müssen. Eine Fehlentscheidung, einen Elfmeter zu geben
Szene 13: Kevin Volland bringt eine Ecke zum 1:0 im Tor unter, allerdings entscheidet Schiedsrichter Luca Jürgensen auf Stürmerfoul an Aue-Keeper Martin Männel und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]
Babak Rafati: Nach einer Ecke kommt es unter anderem zu einem Gerangel zwischen einem Verteidiger und einem Angreifer, bei dem der Verteidiger hält und der Angreifer schiebt, was aber okay und fußballtypisch ist. Keeper Männel stolpert, beim Versuch dem Ball entgegen zu laufen, über das Bein des Mitspielers, der zuvor in diesem beschriebenen Zweikampf verwickelt war, was aber okay war. Somit liegt kein Foulspiel vor und das Tor hätte zahlen müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Treffer abzuerkennen.
Szene 14: Nach einer Flanke trifft Marvin Stefaniak zum 1:0 für Aue. 1860 reklamiert Handspiel bei der Ballannahme, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Nach einer Flanke springt der Ball kurz vor Stefaniak auf und von da aus gegen seinen Bauch. Dabei zieht er den Arm leicht zurück, weil der Ball seitlich vom Bauch abspringt und an den Arm kommen könnte. Eine Berührung mit dem Arm ist aber nicht erkennbar und auch die Gegenspieler, die in unmittelbarer Nähe sind, reklamieren kein Handspiel, was man zumindest als Indiz heranziehen kann. Somit eine richtige Entscheidung, den Treffer anzuerkennen. Auch wenn keine Absicht beim Handspiel vorgelegen hätte und der Ball an den Arm gegangen wäre, hätte das Tor nicht zählen dürfen. Wenn unmittelbar der Ball mit dem Arm gespielt wird, völlig unerheblich absichtlich oder unabsichtlich, und anschließend vom gleichen Spieler ins Tor geschossen wird, wird das Handspiels strafbar und das Tor darf nicht zählen.
Szene 15: Nach einer Ecke kommt der Ball zu Alexander Hahn, der zum 2:1 für Duisburg trifft. Ingolstadt reklamiert Abseits, weil Steffen Meuer kurz vor der Torlinie noch zum Ball geht. Schiedsrichter Felix Bickel gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 3:00]
Babak Rafati: Bei der Ecke liegt keine Abseitsposition vor, da der Ball von der Torlinie kommt und von da aus kann es nie Abseits sein. Danach fälscht ein Verteidiger den Ball ab, und von dort springt der Ball zu Hahn, der den Ball anschließend im Tor unterbringt. Dadurch, dass der letzte Pass maßgeblich für die Abseitsposition ist und dieser vom Verteidiger ist, wird die Abseitsposition von Meuer aufgehoben und ist somit nicht strafbar, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, den Treffer anzuerkennen.
Szene 16: Vor dem Strafraum kommt Niklas Castelle (Aachen) gegen Lucas Zeller (Schweinfurt) zu Fall. Schiedsrichter Cengiz Kabalakli gibt Freistoß, aus dem das 1:1 fällt. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Bei einem Zweikampf kurz vor dem Strafraum ist Castelle früher am Ball und legt sich das Spielgerät vor. Dabei kommt Zeller, der den Ball auch spielen will, etwas zu spät und verfehlt den Ball. Er schafft es nur noch, Castelle mit dem Knie zu stoppen, indem er das Bein ausfährt, mit dem er den Ball verfehlt hat. Folgerichtig gibt es einen Freistoß für Castelle.
Szene 17: Lars Gindorf (Aachen) kommt im Strafraum bei einem Duell mit Nils Piwernetz (Schweinfurt) zu Fall, Kabalakli gibt Elfmeter für Aachen. [TV-Bilder – ab Minute 4:25]
Babak Rafati: Bei diesem Duell spielt Piwernetz klar den Ball. Wenn überhaupt trifft anschließend Gindorf dem Verteidiger am Fuß und nicht andersherum. In dieser Szene einen Elfmeter zu geben, ist eine klare Fehlentscheidung. Richtig wäre weiterspielen zu lassen oder sogar auf Stürmerfoul zu entscheiden.
Szene 18: Felix Strauss (Regensburg) räumt Oualid Mhamdi (Verl) ab. Eine Karte sieht er von Schiedsrichterin Fabienne Michel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 29:30]
Babak Rafati: Strauss spielt zwar den Ball, springt aber dermaßen unkontrolliert in den Zweikampf, dass er auch Mhamdi mit dem Nachziehbein in die Füße trifft. Das ist mindestens ein rücksichtsloser Einsatz, sodass es neben einem Freistoß Minimum eine gelbe Karte geben muss. Eine Fehlentscheidung, keine Karte zu geben.
Szene 19: Yari Otto (Verl) geht im Strafraum bei einem Duell gegen Noel Eichinger (Regensburg) zu Fall und forderte einen Elfmeter, den Michel aber nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 2:18:25]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spielt Eichinger ein bisschen den Ball, trifft aber auch Gegenspieler Otto in die Hacke und bringt ihn entscheidend zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und es hätte folglich einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben.
Szene 20: Im Strafraum wird Eric Hottmann (Regensburg) von Yari Otto (Verl) zu Fall gebracht. Kein Elfmeter, entscheidet die Schiedsrichterin. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf grätscht Otto zum Ball, trifft aber nur Hottmann in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein klares Foulspiel, und es hätte einen Elfmeter und die gelbe Karte gegen Otto geben müssen. Da die Aktion ballorientiert und nicht gegnerorientiert ist, ist eine rote Karte nicht erforderlich. Somit eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.
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