Strittige Szenen am 4. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für 1860 (3), Stuttgart II, Rostock (2), Osnabrück, Cottbus, Mannheim und Köln, das 2:2 für Duisburg, der Platzverweis gegen Kijewski, der verwehrte Treffer von Osnabrück, die Strafstöße für Cottbus und Mannheim, sowie Foulspiele von Hahn und Yarbrough. Am 4. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 17 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Im Strafraum geht David Philip (1860) im Duell mit Mirza Catovic (Stuttgart II) zu Fall, Schiedsrichter Cengiz Kabalakli lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]

Babak Rafati: Beim Zweikampf nimmt Catovic den Fuß heraus und spielt/blockt den Ball. Erst danach fällt Philip über den Fuß von Catovic, der kurz zuvor den Ball gespielt hat und kommt anschließend zu Fall. Das Ballspielen kann man auch sehr gut an der Flugbahn des Balles erkennen. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

Szene 2: Mansour Ouro-Tagba (Stuttgart II) kommt im Strafraum an den Ball, geht gegen Jesper Verlaat (1860) aber zu Fall und fordert Elfmeter. Diesen gibt Kabalakli allerdings nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]

Babak Rafati: Ouro-Tagba wird vom Gegenspieler Verlaat am Fuß getroffen und kommt dann zu Fall. Das ist ein Foulspiel, da Verlaat eine aktive Bewegung in die Laufrichtung von Ouro-Tagba macht und damit ein Beinstellen zustande kommt. Anders wäre es gewesen, wenn der Angreifer selbst in die Beine von Verlaat gelaufen wäre, ohne dass Verlaat eine aktive Bewegung macht, quasi wenn Verlaat das Bein nicht bewegt hätte und der Angreifer gegen ein mögliches Standbein von Verlaat gelaufen wäre. Eine Fehlentscheidung, keinen Elfmeter zu geben und stattdessen weiterspielen zu lassen.

Szene 3: Auf dem Weg in Richtung Tor kommt Florian Niederlechner (1860) gegen Samuele di Benedetto (Stuttgart II) im Strafraum zu Fall, erneut gibt Kabalakli keinen Strafstoß. [TV-Bilder – ab Minute 48:45]

Babak Rafati: Bei Zweikampf nimmt di Benedetto das Bein heraus und blockt damit den Ball. Erst danach fällt Niederlechner über das ausgestreckte Bein des Verteidigers. Somit ist der Ball Spielobjekt, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben. Wäre nicht der Ball zuerst gespielt worden, dann wäre es erst ein Foulspiel mit der Folge eines Elfmeters.

Szene 4: Nach einem Torschuss geht erst David Philipp (1860) im Strafraum gegen Leny Meyer (Stuttgart II) zu Fall, dann auch Florian Niederlechner gegen Keeper Florian Hellstern. Die Partie läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:23:40]

Babak Rafati: Beim ersten Zweikampf ist ein regelwidriger Einsatz von Meyer gegen Philipp nicht erkennbar. Der Angreifer legt sich den Ball aus seitlicher Position etwas zu weit vor und kommt dann beim Versuch, den Ball noch erreichen zu wollen, ein bisschen aus der Balance, sodass alles korrekt ist.

Beim zweiten Zweikampf ist Niederlechner etwas früher am Ball. Keeper Hellstern will sicherlich nur zum Ball, aber steht dann nur im Weg und bringt den Angreifer mit dem Oberkörper zu Fall, indem er ihn am Bein trifft. Somit geht der Keeper ein Risiko ein, was in der Natur der Sache liegt, wenn Keeper einen Moment zu spät zum Ball kommen und das Spielgerät nicht rechtzeitig erreichen. Ja, der Angreifer nimmt diesen Kontakt anschließend clever und dankend an. Dennoch ändert das nichts an der Tatsache, dass dieser Kontakt zu einem Foulspiel wird, sodass es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Karte wäre nicht notwendig gewesen, da im Kampf um den Ball. Somit keine gelbe Karte und keine rote Karte, weil der Ball nicht mehr vom Angreifer erreicht wäre und somit keine Torchance vereitelt wird. Eine Fehlentscheidung, dennoch, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

 

Szene 5: Alexander Hahn (Duisburg) geht mit offener Sohle und gestrecktem Bein in einen Zweikampf mit Berkan Taz (Verl) und trifft ihn oberhalb des Oberschenkels. Schiedsrichter Sebastian Hilsberg belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Hahn geht mit offener Sohle und gestrecktem Bein in den Zweikampf gegen Taz und trifft ihn oberhalb des Knöchels, sodass bei solch einem Trefferbild die Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers billigend in Kauf genommen wird und diese brutale Spielweise nur die rote Karte zur Folge haben kann. Eine Fehlentscheidung, diese Spielweise lediglich mit der gelben anstatt mit der vorgeschriebenen roten Karte zu sanktionieren.

Szene 6: Nach einem Freistoß für den MSV geht Nico Kijewski (Verl) im eigenen Strafraum nach einen Schubser von Thilo Töpken (Duisburg) zu Fall und bleibt liegen, direkt danach fällt das 2:2 und zählt. [TV-Bilder – ab Minute 3:40]

Babak Rafati: Nach einem Freistoß schubst Töpken seinen Gegenspieler kurz und ansatzlos mit beiden Armen entscheidend in den Rücken und bringt ihn deshalb zu Fall. Das Wegschubsen ist ursächlich für das Zufallkommen des Verteidigers, auch wenn dieser nicht mehr an den Ball gekommen wäre. Dennoch liegt ein Foulspiel vor, was auch sehr gut erkennbar ist, wenn man sieht, welchen Ruck der Verteidiger plötzlich nach dem Schubser bekommt, bevor er zu Boden geht. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und kein Stürmerfoul zu pfeifen und stattdessen den Treffer anzuerkennen.

Szene 7: Joshua Bitter (Duisburg) und Nico Kijewski (Verl) gehen zum Ball, wobei der Verler zuerst am Ball ist und anschließend von Bitter getroffen wird. Dennoch entscheidet Hilsberg auf Foul von Kijewski und zeigt diesem Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 4:05]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf gehen Bitter und Kijewski zum Ball, und Bitter ist einen Moment früher am Leder und spielt dieses. Dabei kommt Kijewski etwas zu spät, verfehlt den Ball und trifft ins Leere. Am Boden bekommt er den Fuß von Bitter gestempelt, sodass das Foulspiel von Bitter ausgeht und nicht von Kijewski. Somit hätte es einen Freistoß für Verl geben müssen. Eine Fehlentscheidung, verkehrt herum zu pfeifen und zudem die gelb-rote Karte gegen Kijewski zu zeigen. Zugegebenermaßen ist diese Szene auf dem Platz sehr undurchsichtig. In dieser Szene hätte es sicherlich geholfen, ein wenig die Spielerreaktionen abzuwarten, bevor man schnell und voreilig entscheidet. Das erfordert natürlich Erfahrung, was bei den Schiedsrichtern in der 3. Liga oftmals aufgrund des noch jungen Alters schwierig ist.

 

Szene 8: Auf dem Weg in Richtung Tor kommt Maximilian Krauß (Rostock) gegen Ruben Reisig (Hoffenheim) im Strafraum zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Simon Schreiner. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell ist Reisig in einer schlechteren Position zum Ball als Krauß, nämlich hinter ihm. Er schafft es nur noch seinen Gegenspieler aus dem Tritt zu bringen, indem er ihn erst leicht und anschließend kräftiger in den Rücken stößt. Zudem nimmt er gleichzeitig das Bein heraus und hindert ihn am Weiterlaufen. Auch, wenn beide Vergehen auf den ersten Blick nicht sonderlich wie klare Foulspiele aussehen, kann in der Dynamik des Laufens auf das Tor durch den Angreifer auch eine leichte Behinderung gerade hierdurch zu einem Foulspiel avancieren. Das passiert genau in dieser Szene, sodass in der Summe unter Hinzunahme der Dynamik ein Foulspiel vorliegt. Somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Dadurch, dass zudem eine klare Torchance vorliegt und das Vergehen nicht mehr ballorientiert ist, hätte es zudem die rote Karte gegen Reisig geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht entsprechend zu ahnden.

Szene 9: Mit dem Ball am Fuß dringt Benno Dietze (Rostock) in den Strafraum ein und geht gegen Ruben Reisig (Hoffenheim) zu Fall. Erneut bleibt die Pfeife von Schreiner stumm. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]

Babak Rafati: Erneut eine sehr knifflige Szene für den Schiedsrichter. Dietze setzt sich mit dem Ball am Fuß sehr energisch gegen zwei Gegenspieler durch. Dabei stößt Reisig an der Strafraumgrenze, was bis in den Strafraum anhält, mit dem Arm in den Rücken von Dietze. Dadurch kommt der Angreifer aus der Balance und schließlich zu Fall. Auch in dieser Szene ist dieses Stoßen in den Rücken durch die starke Dynamik in der Laufgeschwindigkeit ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers, sodass es in dieser Szene einen Elfmeter und die gelbe Karte gegen Reisig hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, erneut keinen Elfmeter zu geben und stattdessen weiterspielen zu lassen. Das Fallmuster des Angreifers verdeutlicht auch das Foulspiel, nämlich wie unkontrolliert er in den nächsten Abwehrspieler hineinläuft.

 

Szene 10: Nach einer Ecke bringt Robin Fabinski den Ball zum 1:0 für Osnabrück im Tor unter, soll dabei allerdings mit der Hand am Spielgerät gewesen sein, sodass Schiedsrichterin Davina Lutz den Treffer nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]

Babak Rafati: Bei dieser Torerzielung springt der Ball an die Brust/Schulter von Fabinski und von da aus ins Tor, sodass alles regelkonform ist. Vermutlich bekommt die Schiedsrichterin nach der Torerzielung und den Protesten der Spieler einen Hinweis des Assistenten und nimmt deshalb das Tor wegen eines möglichen Handspiels zurück. Sie selbst zeigt zunächst nichts an, und zudem wirkt sie etwas fragend. Dieses Tor hätte aber zählen müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, den Treffer abzuerkennen.

Szene 11: Im Strafraum will Lars Kehl (Osnabrück) zum Ball, geht aber im Duell mit Havelse-Keeper Leon Opitz zu Fall. Kein Elfmeter, sagt die Schiedsrichterin. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist Kehl zuerst am Ball und legt sich das Spielgerät am Keeper Opitz vorbei, der etwas zu spät kommt und statt das Spielgerät zu erreichen, nur in die Füße des Angreifers gelangt und diesen dadurch klar zu Fall bringt. Das ist ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine gelbe Karte wäre nicht vorgeschrieben. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter dennoch nicht zu geben.

 

 

Szene 12: Bei einer Flanke von Henry Rorig (Cottbus) nimmt Yannick Deichmann (Ingolstadt) die Arme heraus und bekommt den Ball anschließend an den Arm. Schiedsrichterin Fabienne Michel gibt Elfmeter für Cottbus. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]

Babak Rafati: Nach einer Flanke von Rorig dreht sich Deichmann vom Ball weg, nimmt dabei aber den Arm heraus, sodass der Arm vom Körper abgespreizt ist und damit das Spielgerät blockiert wird. Auch, wenn die Distanz zum Ball kurz ist, wird die Intention bestraft, sodass ein absichtliches Handspiel und folglich eine richtige Entscheidung vorliegt, einen Elfmeter zu geben.

Szene 13: Im Laufduell mit Lukas Fröde (Ingolstadt) wird Ted Tattermusch (Cottbus) am Trikot gezogen, geht aber nicht zu Fall. Geahndet wird die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:46:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf halten sowohl Fröde als auch Tattermusch jeweils ihre Gegenspieler am Trikot, sodass es regeltechnisch in Ordnung ist und somit eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen und nicht abzupfeifen. Hätte der Verteidiger nicht auch festgehalten, wäre es möglich gewesen, seine Aktion nachträglich abzupfeifen und dem Verteidiger die gelbe Karte zu zeigen, da der Vorteil nicht den erhofften Erfolg bewirkt hätte.

 

Szene 14: Nach einem Torschuss kommt Kennedy Okpala (Mannheim) gegen Ulm-Keeper Christian Ortag zu Fall, Schiedsrichter Eric Weisbach gibt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Auch wenn Okpala bereits abgeschlossen hat, das klare Foulspiel vom Keeper Ortag danach passiert und der Ball ins Toraus geht, liegt ein Foulspiel vor, was geahndet werden muss. Man hätte Vorteil gewähren können, wenn der Ball statt ins Toraus ins Tor gegangen wäre. In diesem Fall gibt es aber nachträglich vollkommen zu Recht einen Elfmeter und keine gelbe Karte gegen den Torhüter.

Szene 15: Auf dem Weg Richtung Tor geht Terrence Boyd (Mannheim) im Duell mit Jan Boller (Ulm) zu Fall und fordert einen Strafstoß, den Weisbach allerdings nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf gibt es natürlich einen leichten Schubser von Boller von hinten gegen Boyd, aber das reicht bei weitem nicht aus für einen Elfmeter. Ja, Boyd wird aus dem Tritt gebracht, aber dieser Einsatz ist branchenüblich. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Wenn man dieses sogenannte "Bearbeiten" auf beiden Seiten abpfeifen würde, gäbe es wenig Spielfluss und das würde dem Fußballsport nicht guttun.

 

Szene 16: Nach einem langen Ball ist Ramien Safi (Essen) frei durch und geht gegen Lamar Yarbrough (Aachen) zu Fall. Schiedsrichter Martin Petersen belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 43:20]

Babak Rafati: Es liegt unstrittig ein Foulspiel von Yarbrough gegen Safi ca. 30-35 Meter vor dem Tor vor. Dadurch, dass noch ein weiterer Verteidiger ca. 1-2 Meter hinter Safi herläuft, liegt keine offensichtliche Torchance vor, weil dieser Verteidiger noch hätte eingreifen können. Somit eine richtige Entscheidung, lediglich die gelbe Karte zu zeigen. Sehr gut (!) hierbei die Außenwirkung, indem der Schiedsrichter nach dem Zeigen der gelben Karte durch Gestik anzeigt, dass ein zweiter Spieler hätte eingreifen können.

 

Szene 17: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Yannick Tonye (Köln) im Strafraum gegen Robin Ziegele (Regensburg) zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Assad Nouhoum nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:43:15]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell im Strafraum legt sich Tonye den Ball vor, und Ziegele will ihm den Ball vom Fuß weg spitzeln, kommt aber etwas zu spät und kann den Angreifer nur noch durch ein Beinstellen stoppen und zu Fall bringen. Das ist ein Foulspiel, und es hätte einen Elfmeter sowie eine gelbe Karte gegen Ziegele geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter nicht zu geben, zumal der Schiedsrichter eigentlich eine gute Position zum Zweikampf hat und zudem die Flugbahn des Balles gut im Blick haben müsste.

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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