Strittige Szenen am 36. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Elfmeter für Saarbrücken, Aachen (2), Cottbus, Rostock, Wiesbaden (2), der Platzverweis gegen Rizzuto, das 1:0 von Stuttgart II, Foulspiele von Krauß und Matsuda, die gelbe Karte gegen Oehmichen, ein Foulspiel von Taz und ein mögliches Handspiel von Seimen außerhalb des Strafraums: Am 36. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 14 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Nach einem langen Schlag ist Kai Brünker (Saarbrücken) frei durch, wird aber in der eigenen Hälfte von Berkan Taz (Verl) gehalten. Schiedsrichter Timon Schulz belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 27:50]
Babak Rafati: Das Foulspiel von Taz an Gegenspieler Brünker ist noch in der gegnerischen Hälfte und die Distanz zum gegnerischen Tor zum Zeitpunkt des Foulspiels einfach zu weit weg, um über eine klare Torchance sprechen zu können. Es hätte noch ein Spieler von Verl, der nur eine Rasenmarkierung weiter hinter dem Zweikampf ist, die Chance gehabt, einzugreifen. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, das Foulspiel mit einer gelben Karte zu belegen.
Szene 2: Im Strafraum bekommt Tim Köhler (Verl) den Ball bei einem Zweikampf mit Sven Sonnenberg (Saarbrücken) an den Hals, Schulz will jedoch ein Handspiel erkannt haben und pfeift Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]
Babak Rafati: Köhler bekommt bei diesem Zweikampf mit Sonnenberg den Ball aus kurzer Entfernung an den Hals, nachdem dieser den Ball köpft. Der Schiedsrichter pfeift dennoch Elfmeter, weil er ein Handspiel erkannt haben will. Das ist aber nicht der Fall, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt. Gut ist aber, dass sich der Schiedsrichter nach dem Spiel stellt und den Fehler zugibt. Das ist eine gesunde Fehlerkultur, die zukünftig häufiger praktiziert werden sollte, nicht nur bei klaren Fehlern, wie bei diesem. Das sorgt für mehr Respekt und Anerkennung.
Szene 3: Der bereits verwarnte Calogero Rizzuto (Saarbrücken) geht mit dem Ellenbogen in einen Zweikampf mit Timur Gayret (Verl) und bringt ihn zu Fall, trifft aber auch den Ball. Der Schiedsrichter zeigt Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf liegt maximal ein Allerweltsfoul vom bereits gelb-verwarnten Rizzuto an Gegenspieler Gayret vor, nicht mehr und nicht weniger. Ein Freistoßpfiff allein wäre in Ordnung gewesen, aber die zweite gelbe Karte, die folglich zu einer gelb-roten Karte führt, ist eine Fehlentscheidung. Besser wäre es auch gewesen, wenn der Schiedsrichter nicht so nah am Geschehen gestanden hätte, um einen besseren Überblick zu haben.
Szene 4: Auf Vorlage von Mohamed Sankoh trifft Thomas Kastanaras zum 1:0 für Stuttgart II, steht dabei aber möglicherweise im Abseits, nachdem der Torhüter bereits überspielt worden ist. Schiedsrichter Felix Grund gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]
Babak Rafati: Sankoh spielt den Torhüter aus und will sich den Ball von einem Fuß auf den anderen legen. Das gelingt ihm allerdings nicht, vielmehr kommt stattdessen das Spielgerät zum Mitspieler Kastanaras, der anschließend ins Tor schießt. Da der Torhüter bereits ausgespielt war und nur noch ein Verteidiger näher zur eigenen Torlinie war und zudem Kastanaras nicht hinter, sondern vor dem Ball stand, liegt eine strafbare Abseitsposition vor. Somit eine Fehlentscheidung, den Treffer anzuerkennen.
Szene 5: Soufiane El-Faouzi (Aachen) geht im Strafraum im Duell mit Laurin Ulrich (Stuttgart II) zu Fall, Grund gibt Elfmeter für Aachen. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kommt es zwar zum Kontakt von Ulrich gegen El-Faouzi, allerdings nimmt der Angreifer diesen sehr dankend an und kommt spektakulär zu Fall, zumal er auch nachhilft und kurz vorher abhebt. Wenn man Woche für Woche solch einen Zweikampf – insbesondere im Strafraum – mit diesem Maßstab abpfeifen würde, gäbe es pro Spiel zahlreiche Elfmeter, was nicht im Sinne des Fußballsports sein kann. In dieser Szene wäre es richtig gewesen, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt.
Szene 6: VfB-Keeper Dennis Seimen fängt einen Ball mit den Händen ab, steht dabei aber womöglich knapp außerhalb des Strafraums. Geahndet wird die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:01:45]
Babak Rafati: Aus den vorliegenden TV-Bildern sieht es danach aus, dass Keeper Seimen den Ball gerade noch innerhalb des Strafraumes abfängt. Wenn man die Positionen der Beine vom Keeper und von seinem Gegenspieler in Betracht zieht, kommt man zumindest nicht zu einem anderen Ergebnis, wenngleich die Szene nicht zu hundert Prozent zweifelsfrei aufzulösen ist. Aber gerade dann sollte ein Schiedsrichter immer laufen lassen und kein Fass aufmachen. Somit tendenziell eine richtige Entscheidung.
Szene 7: Auf dem Weg in Richtung Tor kommt Sasa Strujic (Aachen) gegen Jannik Hofmann (Stuttgart II) zu Fall, erneut erhält die Alemannia einen Strafstoß. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell trifft Hofmann seinen Gegenspieler knapp außerhalb des Strafraumes mit dem Knie hinten in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist unumstritten ein Foulspiel. Allerdings hätte es einen Freistoß und folglich als Disziplinarstrafe die rote Karte gegen Hofmann geben müssen, da eine klare Torchance verhindert wird. Eine Fehlentscheidung, den Tatort in den Strafraum zu verlegen. Das kann aber nur der Assistent aus seiner Position von der Seite erkennen. Der Schiedsrichter läuft hinter den beiden Spielern her, und für ihn ist aus seiner Position der Tatort bei dieser knappen Situation nicht erkennbar.
Szene 8: Im Strafraum geht Timmy Thiele (Cottbus) im Duell mit Henning Matriciani (Mannheim) zu Fall, Schiedsrichter Tom Bauer zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:40]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum stellt Matriciani nur den Körper. Thiele setzt zum Kopfball an und nimmt dann einen belanglosen Kontakt mit Matriciani als Anlass, sich fallen zu lassen. Das ist kein Foulspiel, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, auf Elfmeter zu entscheiden.
Szene 9: Der bereits verwarnte Maximilian Krauß (Cottbus) geht rustikal in einen Zweikampf mit Malte Karbstein (Mannheim), kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 2:10:00]
Babak Rafati: Der bereits gelb-verwarnte Krauß geht übermotiviert in einen Zweikampf und trifft Karbstein am Fuß. Dieser Einsatz ist rücksichtslos und nimmt in Kauf, den Gegenspieler zu verletzen, sodass die gelbe Karte unumgänglich ist. Lediglich eine Ermahnung auszusprechen, ist eine Fehlentscheidung, denn es hätte die gelb-rote Karte geben müssen. Selbst die erste Reaktion von Krauß spricht Bände, dass er weiß, was er getan hat. Auch wenn das Spiel bereits entschieden und nur noch kurze Zeit zu spielen ist, sollte ein Schiedsrichter weiterhin hoch konzentriert bleiben und zum Spielende nicht nachlässig werden.
Szene 10: Im Strafraum bekommt Jakob Lewald (Sandhausen) den Ball im Duell mit Adrien Lebeau (Rostock) an den Arm, auch Edvinas Girdvainis berührt das Spielgerät mit der Hand. Schiedsrichter Richard Hempel gibt Elfmeter für Hansa. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]
Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Strafraum nimmt Lewald den Arm heraus und spielt den Ball kurz und ansatzlos mit diesem Arm. Das ist ein absichtliches Handspiel, sodass es strafbar ist und somit eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Elfmeter zu entscheiden. Das zweite Handspiel wäre nicht strafbar, da Girdvainis in einer natürlichen Bewegung ist, sodass kein strafbares Handspiel vorgelegen hätte.
Szene 11: Emanuel Taffertshofer (Wiesbaden) kommt im Strafraum gegen Michael Eberwein (Dortmund II) zu Fall, Schiedsrichter Daniel Bartnitzki zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum hat Eberwein zwar den Arm an der Schulter von Taffertshofer, aber das anschließende Hinfallen des Angreifers fällt unter die Rubrik „dankend angenommen.“ Im Zweikampf zu arbeiten und den Gegner zu stören, gehört einfach dazu, sodass es in dieser Situation besser gewesen wäre, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben. Eine Fehlentscheidung, diesen Kontakt als Foulspiel auszulegen.
Szene 12: Im Strafraum bekommt Patrick Göbel (Dortmund II) den Ball von Ivan Franjic (Wiesbaden) an den Arm geschossen, erneut gibt Bartnitzki Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 4:05]
Babak Rafati: Auch, wenn der Ball an den Arm von Göbel springt, ist der Arm angelegt und in einer natürlichen Bewegung, bei der er sogar beim Kontakt versucht, den Arm zurückzuziehen, sodass keine Absicht vorliegt und folglich dieses Handspiel nicht strafbar ist. Der Arm wird schlussendlich nicht zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt. Eine Fehlentscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden.
Szene 13: Im Duell mit Joel Grodowski (Bielefeld) spielt Lukas Oehmichen (Dresden) den Ball, sieht von Schiedsrichter Patrick Ittrich aber dennoch Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:02:35]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf an der Seitenlinie spielt Oehmichen klar und absolut sauber den Ball, sodass kein Foulspiel vorliegt. Zwar kommt Grodowski anschließend über das ausgestreckte Bein von Oehmichen zu Fall, dennoch ist das ein ganz normaler Zweikampf. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, auf Freistoß zu entscheiden und Oehmichen die gelbe Karte zu zeigen.
Szene 14: Hayate Matsuda (Hannover II) trifft Lenn Jastremski (Unterhaching) mit den Stollen an der Schulter, sieht von Schiedsrichter Leonidas Exuzidis aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 33:55]
Babak Rafati: Matsuda nimmt im Zweikampf mit Jastremski das Bein einfach zu hoch und trifft ihn mit der offenen Sohle an der Schulter. Diese Spielweise nimmt die Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers billigend in Kauf, und somit hätte es die rote Karte gegen Matsuda geben müssen. Beim zweiten Tritt scheint sogar Absicht dahinter zu stecken, sodass die rote Karte noch mehr zu rechtfertigen wäre. Solch ein Trefferbild muss einfach von einem im Schiedsrichtergespann erfasst werden. Der vierte Offizielle hat hierbei die beste Sicht auf den Vorgang, muss einfach helfen und ist nicht nur "Bankhüter." Eine Fehlentscheidung, schlussendlich diese Szene nur mit einer gelben statt mit einer roten Karte zu belegen.
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