Strittige Szenen am 35. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Elfmeter für Kaiserslautern, 1860 und Würzburg, die verwehrten Strafstöße für Osnabrück, Saarbrücken und Berlin, ein Rückpass von Jacobsen (Wiesbaden), ein vermeintliches Handspiel von Mrowca (Wiesbaden) und ein Foul von Freiburgs Wagner. Am 35. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zehn strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Daniel Hanslik (Kaiserslautern) geht bei einem Luft-Zweikampf um den Ball mit Gino Fechner (Wiesbaden) im Strafraum zu Fall, Schiedsrichter Florian Badstübner gibt Elfmeter für den FCK. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]

Babak Rafati: Bei diesem Luft-Zweikampf ist Hanslik schneller am Ball und befördert das Spielgerät mit dem Kopf weiter, als Fechner etwas spät dazu kommt, den Ball verfehlt, stattdessen den Angreifer in der Luft anspringt und zu Fall bringt. Das ist ein Foulspiel, sodass die Elfmeter-Entscheidung richtig ist.

Szene 2: Ein von Stritzel abgewehrter Boyd-Schuss prallt vom Knie von Bjarke Jacobsen (Wiesbaden) auf den Keeper zurück, der den Ball aufnimmt. Badstübner wertet die Aktion als "Rückpass" und gibt indirekten Freistoß für den SVWW. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Bei dieser vom Schiedsrichter als "Rückpass" gewerteten Aktion wird der Ball zwar mit dem Fuß gespielt, aber das ist kein absichtliches Zuspiel von Jacobsen an seinen Torhüter, sondern ein Annehmen des Balls. Wenn allerdings Jacobsen den Ball annimmt und ihm den Torhüter überlässt, wird das als "Rückpass" gewertet. Somit ist nur die Absicht von Jacobsen relevant für die Entscheidung, ob ein Rückpass vorliegt oder nicht. Wenn man die Bewegung und Körperspannung von Jacobsen beobachtet, scheint dieser den Ball anzunehmen, um das Spielgerät anschließend aus der Gefahrenzone zu befördern. Also liegt kein "Rückpass" vor. Somit eine Fehlentscheidung.

Hinweis: In der Regel wird nicht die Definition "Rückpass" verwendet, sondern "Zuspiel", da der Ball nicht nur nach hinten, deshalb auch nicht Rückpass, sondern auch seitlich oder nach vorn zum Torhüter gespielt werden könnte.

Szene 3: Einen langen Schlag des FCK bekommt Sebastian Mrowca (Wiesbaden) im Mittelfeld in der Luft an die Schulter und sieht Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:06:05]

Babak Rafati: Mrowca spielt den Ball in dieser Aktion mit der Schulter und nicht mit dem Arm, wie es der Schiedsrichter wahrnimmt und folglich ahndet. Diese Fehleinschätzung liegt womöglich daran, dass Mrowca den Arm lang ausstreckt und dem Schiedsrichter somit suggeriert, den Ball mit dem Arm gespielt zu haben. Das ist aber eine Fehlentscheidung, sodass es diesen Freistoß sowie die gelbe Karte nicht hätte geben dürfen. Selbst wenn der Ball an den Oberarm gesprungen wäre, gilt für die Beurteilung von Handspielvergehen, dass die Grenze zwischen Schulter und Arm (bei angelegtem Arm) unten an der Achselhöhle verläuft. In diesem Fall war der Arm nicht angelegt, aber selbst, wenn das der Fall wäre, hätte der Ball den erlaubten Bereich des Armes berührt. Zudem ist ein Indiz für kein Handspiel immer dann gegeben, wenn ein Ball klar und deutlich abprallt respektive wegspringt, denn das passiert bei Handspielen nicht. Bei Handspielen wird von den Spielern nach dem Berühren des Balles reflexartig die Spannung heraus genommen, weil die Spieler instinktiv wissen, ein regelwidriges Verhalten begangen zu haben, sodass der Ball herunterfällt, statt abzuprallen.

 

Szene 4: Im Strafraum will Marc Heider (Osnabrück) zum Ball, geht aber im Duell mit Jasper Verlaat (Mannheim) zu Fall und fordert Elfmeter. Schiedsrichter Patrick Ittrich lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:44:05]

Babak Rafati: Bei diesem Luftduell im Strafraum von Mannheim arbeiten Heider und Verlaat beide mit den Händen, aber keiner von beiden begeht ein Foulspiel, sodass die Aktion im Bereich des Erlaubten ist. Selbst wenn Verlaat die Hände mehr als Gegenspieler einsetzt, reicht das keinesfalls für ein Foulspiel und einen Elfmeter aus. Als Heider anschließend auf den Boden aufkommt, tritt er in den Boden und geht dadurch zu Fall, sodass hier kein Fremdverschulden vorliegt. Selbst wenn sich die Beine dieser beiden Spieler zuvor in der Luft berührt haben sollten, ist das der Kategorie "Unfall" zuzuordnen und keinesfalls als Foulspiel zu werten. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 5: Nach einem Torschuss kommt Ba-Muaka Simakala (Osnabrück) im Strafraum gegen Marcel Seegert (Mannheim) zu Fall. Osnabrück will einen Strafstoß, den Ittrich aber erneut nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 2:10:50]

Babak Rafati: Simakala kann im gegnerischen Strafraum den Ball auf das Tor bringen und kommt im Zweikampf mit Seegert anschließend zu Fall. Ob Seegert ihn beim Torschuss entscheidend trifft oder sogar foult, ist anhand der vorliegenden TV-Bilder nicht zweifelsfrei aufzulösen. 

 

Szene 6: Im Strafraum kommt Justin Steinkötter (Saarbrücken) an den Ball und geht im Zweikampf mit Barne Pernot (Verl) zu Boden. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Wolfgang Haslberger. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Im Strafraum von Verl legt sich Steinkötter den Ball an Gegenspieler Pernot vorbei. Dabei nimmt der Verteidiger das Bein hoch, um den Ball zu spielen, zieht dann aber im richtigen Moment wieder zurück, weil er erkennt, dass er womöglich den Angreifer treffen und dadurch einen Elfmeter verschulden würde. Steinkötter will aus meiner Sicht in dieser Szene nur den Schiedsrichter täuschen und lässt sich daraufhin fallen. Somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Die Schwalbe zu erkennen und diese mit der gelben Karte zu ahnden, wäre natürlich optimal, aber so etwas kann ein Schiedsrichter in der realen Geschwindigkeit kaum sehen, zumal es im weiteren Bewegungsablauf einen Kontakt im Fußbereich gibt, der aber durch den Faller vom Angreifer ausgeht. Diese Vorgänge kann das menschliche Auge einfach nicht wahrnehmen. Kompliment an den Schiedsrichter, in dieser kniffligen Szene nicht auf den Faller hereingefallen zu sein.

 

Szene 7: Einen Befreiungsschlag des MSV Duisburg bekommt Leandro Morgalla (1860) im Mittelfeld an den Arm, Schiedsrichter Robert Schröder lässt weiterlaufen. Anschließend kommt Stefan Lex (1860) im Strafraum gegen Marvin Bakalorz (Duisburg) zu Fall, es gibt Elfmeter für 1860. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]

Babak Rafati: Morgalla nimmt den Arm bewusst und absichtlich heraus, um den Ball, der kurz zuvor aufspringt, annehmen zu können. Er nimmt schlussendlich das Spielgerät mit dem Arm an. Somit liegt ein absichtliches Handspiel vor, das mit einem Freistoß für Duisburg hätte geahndet werden müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen, zumal der Schiedsrichter eine freie Sicht zum Vorgang hat.

Beim anschließenden Zweikampf, der aus dieser Szene resultiert, kommt es im Strafraum von Duisburg zu einem Laufduell zwischen Bakalorz und Lex. Dabei stellt Lex den Körper zwischen Ball und Gegner, tickt den Ball kurz an und lässt sich ohne gegnerische Einwirkung fallen. Natürlich kommt es zu einer leichten Berührung – das lässt sich bei Zweikämpfen fast nie ausschließen und ist zudem regelkonform -, aber es ist sowohl im Oberkörperbereich als auch im Fußbereich kein Foulspiel auszumachen, sodass nicht die Spielweise des Verteidigers ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers ist. Vielmehr wird dieser leichte Kontakt, der im natürlichen Bewegungsablauf passiert und somit nicht ahndungswürdig ist, aus meiner Sicht vom Stürmer genutzt, um sich dankend fallen zu lassen. In dieser Szene einen Elfmeter zu pfeifen, ist eine Fehlentscheidung, zumal erneut das gute Stellungsspiel nicht genutzt wird, um die richtige Entscheidung zu treffen. Das sind genau die Szenen, die vom DFB vor der Saison als "cheap-penalty" ausgerufen wurden, die man eben nicht pfeifen darf.

 

Szene 8: Brooklyn Ezeh (Berlin) bringt Dennis Waidner (Würzburg) am Boden liegend zu Fall, Schiedsrichter Dr. Robin Braun zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 2:00]

Babak Rafati: Waidner erkämpft sich gegen Ezeh regelgerecht den Ball an der Torlinie, der dabei selbstverschuldet zu Boden geht. Als Waidner sich den Ball an ihm vorbeilegt, um eine gute Angriffssituation einzuleiten, streckt Ezeh das Bein heraus und stellt dieses in den Laufweg von Waidner, der dadurch entscheidend am Weiterlaufen gehindert und schließlich zu Fall gebracht wird. Das ist ein Foulspiel durch Beinstellen. Eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters, der in glänzender Position steht, einen Elfmeter für Würzburg zu pfeifen.

Szene 9: Im Strafraum geht Shinji Yamada (Berlin) nach einem leichten Schubser von Marvin Stefaniak (Würzburg) zu Fall, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:45:10]

Babak Rafati: Yamada führt den Ball im gegnerischen Strafraum am Fuß und wird dabei vom Gegenspieler ein wenig am Trikot bearbeitet. Diese Spielweise ist allerdings erlaubt und stellt keine Regelwidrigkeit dar. Davon würden wir sprechen, wenn ein Trikothalten vorliegen würde, was aber in dieser Szene definitiv nicht der Fall ist. Solche Zweikämpfe reichen für einen Elfmeter einfach nicht aus, zumal Yamada nicht wegen solch eines Vorgangs zu Fall kommen kann. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 10: Der bereits gelb-verwarnte Robert Wagner (Freiburg II) grätscht gegen zwei Havelser, kommt beim Schiedsrichter aber mit einer letzten Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:54:50]

Babak Rafati: Bei der ersten Aktion von Wagner kann man noch weiterspielen lassen. Bei der zweiten Aktion gegen Leonardo Gubinelli will er sicherlich den Ball spielen, verfehlt das Spielgerät aber knapp und trifft nur Gubinelli mit den Stollen in die Bänder/Knöchel. Das ist sehr schmerzlich für den Gegenspieler. Zudem ist das eine brutale Spielweise von Wagner, sodass die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet wird. Folglich hätte es nicht nur die gelbe Karte, die zu einer gelb-roten Karte geführt hätte, sondern die rote Karte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diese nicht auszusprechen. Die Ursache dafür, dass der Schiedsrichter dieses Vergehen nicht so richtig wahrnimmt und entsprechend einordnet, liegt womöglich darin, dass er stehen bleibt und sich nicht zum Spielgeschehen hinbewegt, um einen optimalen Blick auf die Situation haben zu können. Hier hätte auch der Assistent, der auf dieser Seite postiert ist, helfen können, um zur richtigen Entscheidung zu gelangen.

Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde

   
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