Strittige Szenen am 15. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Saarbrücken, 1860 (2), Aachen, Duisburg und Köln, ein Handspiel von Rizzuto, ein nicht gegebener Freistoß für Essen sowie ein Foulspiel von Wilhelm. Am 15. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de neun strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Auf dem Weg in Richtung Tor wird Kasim Rabihic (Saarbrücken) im Strafraum von Philipp Maier (1860) geschubst. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Felix Weller. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Strafraum schubst Maier klar und deutlich seinen Gegenspieler Rabihic mit beiden Händen zu Boden und hindert ihn dadurch am Weiterlaufen. Man sieht durch die Art und Weise des Zufallkommens des Stürmers sehr gut, dass die Ursache tatsächlich das Schubsen des Verteidigers ist und kein Schinden des Angreifers vorliegt. Somit eine Fehlentscheidung, keinen Elfmeter zu geben und stattdessen weiterspielen zu lassen.

Szene 2: Im Strafraum geht Sigurd Haugen (1860) gegen Lasse Wilhelm (Saarbrücken) zu Fall. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 56:25]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zwischen Wilhelm und Haugen wiederum liegt kein Schubsen vor, vielmehr ist der Arm von Wilhelm leicht im Rücken des Gegenspielers. Der Kontakt wird von Haugen dankend angenommen, und dieser geht zu Boden. Hier liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu pfeifen.

Szene 3: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Sigurd Haugen (1860) im Laufduell mit Lasse Wilhelm (Saarbrücken) zu Fall. Weller bewertet die Szene nicht als Notbremse und zeigt nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:05]

Babak Rafati: Es liegt unstrittig ein Foulspiel von Wilhelm an Haugen vor. Bei der Frage der Kartenfrage, ist zu berücksichtigen, dass der Schiedsrichter von hinten auf die Szene schaut und unbedingt auf die Hilfe des Assistenten auf der entsprechenden Spielfeldseite angewiesen ist, weil dieser von der Seite die beste Perspektive hat und den Abstand der einzelnen Spieler zum Tor am besten einsehen kann. Das kann der Schiedsrichter naturgemäß aufgrund seiner Position eben nicht. Ob der Assistent in dieser Szene geholfen hat oder nicht, kann man nicht erkennen. Es ist eine grenzwertige Situation, denn der Ball rollt etwas weiter nach links, Wilhelm ist 2-3 Meter rechts von Haugen und kann ihn vielleicht – vielleicht aber auch nicht – noch einholen und ins Spielgeschehen eingreifen. Da Restzweifel bestehen bleiben, ist die gelbe Karte eine richtige Entscheidung. Es muss eine klare – in diesem Fall klarere – Torchance vorliegen, um auf rote Karte zu entscheiden.

Szene 4: Bei einem Schussversuch kommt David Philipp (1860) im Strafraum gegen Calogero Rizzuto (Saarbrücken) zu Fall, erneut gibt Weller keinen Strafstoß. [TV-Bilder – ab Minute 1:50:30]

Babak Rafati: Beim Schussversuch von Philipp nimmt Rizzuto das Bein heraus, um den Ball zu spielen, verfehlt aber das Spielgerät. Stattdessen trifft er seinen Gegenspieler Philipp am Bein und bringt ihn aus der Balance, sodass dieser den Ball nicht voll trifft und schlussendlich zu Fall kommt. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben.

Szene 5: Beim Versuch, den Ball nach einem Angriff der Löwen zu klären, bekommt Calogero Rizzuto (Saarbrücken) diesen an den Arm. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:00:15]

Babak Rafati: Eine vermeidbare Situation, die in der Entstehung absehbar ist. In dieser Szene darf ein Schiedsrichter nicht einfach durch das Mittelfeld galoppieren, sondern muss sich vorausschauend schnellstmöglich in eine optimale Position bringen, aus der er den Ball und die zwei Spieler besser sehen kann. Aus dieser vorliegenden Position schaut er nur auf den Rücken des Verteidigers und kann ein mögliches Handspiel gar nicht erkennen. Tatsächlich nimmt Rizzuto den Ball mit der Brust an, nimmt aber zusätzlich den Arm/Hand zu Hilfe und vergrößert dadurch die Körperfläche. Das ist kein Abprallen des Balles an die Hand, das man als unabsichtlich auslegen kann, sondern ein bewusstes Einsetzen des Armes, sodass ein strafbares Handspiel vorliegt. Dabei ist es auch unerheblich, dass der Ball kurz zuvor von einem anderen Körperteil abprallt. Die Absicht ist hier entscheidend. Somit hätte es einen Freistoß für das Handspiel geben müssen sowie die rote Karte gegen Rizzuto, da der zweite Verteidiger etwas hinterher ist, nicht mehr hätte eingreifen können und somit eine klare Torchance vereitelt wird. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor.

 

Szene 6: Im Strafraum bekommt Benedikt Bauer (Regensburg) den Ball bei einer Klärungsaktion an den Arm. Aachen fordert Elfmeter, den Schiedsrichter Felix Wagner aber nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 4:00]

Babak Rafati: Auch wenn die Arme von Bauer beim Laufen zum Ball mitschwingen, ist zum Zeitpunkt der Klärungsaktion das Laufen fast beendet, sodass der Arm beim Berühren des Balles nicht mehr in natürlicher Haltung ist, vielmehr absichtlich zum Ball geführt wird, weil er sich bei der Fußabwehr etwas verschätzt. Somit liegt ein strafbares Handspiel vor, sodass es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, keinen Elfmeter für dieses Handspiel zu geben. Das Argument, dass der Ball vor dem Handspiel mit einem anderen Körperteil gespielt wurde und von da aus an die Hand geht ist nicht relevant, da die Absicht im Vordergrund steht und dabei ist es folglich unerheblich, dass der Ball vorher mit dem Fuß gespielt wurde.

 

Szene 7: Kurz vor dem Strafraum geht Jannik Hofmann (Essen) im Duell mit Anderson Lucoqui (Cottbus) zu Fall, Schiedsrichter Martin Wilke peift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:10:50]

Babak Rafati: Nachdem Hofmann den Ball auf der rechten Außenbahn in die Mitte passt, kommt Lucoqui etwas zu spät und grätscht in die Beine seines Gegenspielers und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein rücksichtsloser Einsatz, für den es einen Freistoß sowie die gelbe Karte gegen den Verteidiger hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen nicht entsprechend zu ahnden.

 

Szene 8: Im Strafraum bekommt Luca Erlein (Hoffenheim II) eine Flanke von Can Coskun (Duisburg) an den Arm, Schiedsrichter Niclas Rose lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:35:50]

Babak Rafati: Erlein bekommt den Ball aus kurzer Entfernung von Coskun an den Arm geschossen. Dabei ist der Arm von Erlein angelegt und somit in natürlicher Haltung. Daher liegt kein strafbares Handspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

 

Szene 9: Meiko Sponsel (Köln) geht im Strafraum gegen Verl-Keeper Philipp Schulze zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Jonah Besong. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf laufen Keeper Schulze und Gegenspieler Sponsel im Strafraum zum Ball. Dabei ist der Keeper zuerst am Ball und kann das Spielgerät klären. Danach kommt der Angreifer über den herausgeeilten Keeper zu Fall. Die Aktion des Keepers ist ein natürlicher Bewegungsablauf, und wenn der Ball klar gespielt wird, liegt kein Foulspiel vor. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben. Wäre der Ball nicht vom Keeper gespielt worden, würde folglich ein Foulspiel eher in Frage kommen. Was in dieser Szene zu einer guten Entscheidungsfindung führt, ist, dass der Schiedsrichter bemerkt, dass er den anschließenden Zweikampf zwischen dem Torhüter und dem Angreifer aus seiner Position nicht gut einsehen kann, weil der Keeper die Sicht mit seinem Körper verdecken würde. Deshalb rückt er vorausschauend etwas nach rechts, um einen besseren Blickwinkel zu bekommen. Prima (!) Positionsspiel, das zu einer richtigen Entscheidung führt.

 

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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