Meyer im Interview: "Mit Schiri-Leistungen äußerst zufrieden"

Im Interview mit liga3-online.de spricht Drittliga-Schiedsrichter-Chef Florian Meyer über das Trainingslager der Schiedsrichter/innen, Fehlentscheidungen in der letzten Saison, deren Aufarbeitung, die deutlich gestiegene Anzahl von gelben Karten wegen Unsportlichkeiten und gegen Teamoffizielle und Ziele für die nächsten Jahre.
"Auslegungskorridor bei der Regelanwendung"
Herr Meyer, Sie kommen gerade aus dem Trainingslager der Schiedsrichter/innen. Auf welche Bereiche wurde dort der Fokus gelegt?
Wir haben sowohl im theoretischen als auch im athletischen Bereich sehr intensiv gearbeitet und die grundlegenden Guidelines für die neue Saison besprochen. Der Fokus lag auf Haltevergehen im Strafraum und groben Foulspielen – gerade im Hinblick auf den Gesundheitsaspekt. Zudem haben wir nochmal die Umsetzung der Kapitänsregelung besprochen. Da wollen wir weiter eine sehr klare und auch stringente Linie verfolgen – auch im Sinne der Vorbildfunktion für den gesamten Fußball.
Außerdem sind wir auf die Kommunikation innerhalb der Schiedsrichterteams und auf Themen wie Strafraumvergehen, Abseits, Spielverständnis, Spielentwicklung, Antizipation und grundlegendes Spielmanagement eingegangen. Körperlich sind unsere Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter in einer absoluten Top-Verfassung. Wir haben ein tolles und hochmotiviertes Team der Drittliga-Schiedsrichter/innen. Sie gehen mit großer Vorfreude und bestmöglich vorbereitet in die neue Saison.
Gegenüber der letzten Saison sind gleich acht neue Schiedsrichter/innen dabei. Wie bereiten Sie diese auf die oft intensiven und hitzigen Spiele in der 3. Liga vor?
Sie sind zwar als Unparteiische neu in der 3. Liga, aber dadurch, dass sie schon in der Rolle des Assistenten oder als Vierter Offizieller in der 3. Liga unterwegs waren, betreten sie kein komplettes Neuland. In die Gruppe der Schiedsrichter/innen der 3. Liga haben sie sich entsprechend schnell integriert.
Zudem kommen alle neuen Schiedsrichter/innen aus dem Perspektivteam, das wir in den vergangenen Jahren unterhalb der 3. Liga aufgebaut haben und in dem – quasi analog zu den Nachwuchsleistungszentren der Vereine – die talentiertesten Schiedsrichter/innen der Regionalverbände vertreten sind. Im Perspektivteam machen wir sie vertraut mit den Anforderungen des Profifußballs und bereiten sie auf die Herausforderungen in diesem Bereich vor.
Wie bewerten Sie generell die Qualität der Schiedsrichterleistungen in der letzten Saison? In der DFB-Statistik sind 108 sogenannte Einzelfehler aufgeführt, unser Experte Babak Rafati hat 245 Fehlentscheidungen gezählt.
Insgesamt hatten wir in der Saison 2024/25 eine durchschnittliche Anzahl an Einzelfehlern – leicht erhöht im Vergleich zur Vorsaison, aber auch geringer als in der Saison vor zwei Jahren. Alles in allem sind wir mit der Gesamtsaison mit Blick auf die generelle Qualität der Schiedsrichterleistungen äußerst zufrieden. Natürlich kann ich es aber verstehen, wenn Medien Experten an ihrer Seite haben, die wie Fans oder Klubvertreter bestimmte Situationen anders beurteilen als wir.
Vielleicht kommen Differenzen in der Anzahl an Fehleinschätzungen zustande, weil aus unserer Sicht nicht jede Entscheidung seriös in richtig oder falsch eingeordnet werden kann. Stattdessen gibt es einen Ermessensbereich und damit auch einen Auslegungskorridor bei der Regelanwendung. Das heißt, dass wir viele Entscheidungen dabeihaben, die wir so, wie sie auf dem Platz getroffen wurden, als akzeptabel und vertretbar einordnen.
Gerade in der 3. Liga, wo es deutlich weniger Kameras gibt als in den Profiligen darüber, kann man, wenn man Situationen aus bestimmten Perspektiven betrachtet, in der Auslegung durchaus zu unterschiedlichen Auffassungen kommen. Wir haben nur diejenigen Situationen als vollständig korrekt oder vollständig falsch eingeordnet, für die uns auch ein klares und eindeutiges Bildmaterial vorlag.
Mir ist es wichtig zu betonen, dass der Fokus auf Einzelfehler das Gesamtbild der Schiedsrichterleistungen verzerrt. Das wird der Qualität der Schiedsrichter/innen in der 3. Liga nicht gerecht, denn wir hatten überwiegend richtige Entscheidungen und gute Leistungen.
Gleichwohl waren auch einige größere Fehlentscheidungen dabei, wie etwa das nicht gegebene Tor für 1860 München im Spiel gegen Cottbus.
Sicherlich waren vermeidbare Fehler dabei. Genau das sind auch die Punkte, an denen wir arbeiten. Es geht darum, aus den Fehlern zu lernen, Schlüsse zu ziehen und Lösungswege aufzuzeigen. Nach innen wie nach außen gehen wir offen mit Fehlern um und arbeiten diese in einer intensiven Spielanalyse mit den Schiedsrichter/innen detailliert auf. Bei jedem Spiel ist ein Beobachter am Spielort, der mit den Schiedsrichter/innen die Spiele analysiert. Zudem hat jeder Schiedsrichter und jede Schiedsrichterin einen individuellen Coach und arbeitet mit diesem über die gesamte Saison an den individuellen Stärken und identifizierten Handlungsfeldern zur persönlichen Weiterentwicklung.
Generell gibt es aber nun mal Situationen, bei denen ein Schiedsrichter keine Möglichkeit hat, beispielsweise ein verdecktes Handspiel zu erkennen. Andererseits gibt es Fehler, bei denen wir hinterher feststellen, dass die betreffende Situation durchaus auf dem Platz hätte erkannt und richtig entschieden werden müssen. Der Coach entwickelt mit dem betreffenden Schiedsrichter oder der Schiedsrichterin Wege, wie er oder sie diese Situation beim nächsten Mal richtig lösen kann, etwa durch eine vorausschauende Positionierung, einen anderen Blick, eine effizientere Teamkommunikation.
"Es sollte fachlich und fair bleiben"
Wie wird generell mit Fehlern umgegangen? Gibt es ein System zur Analyse und Aufarbeitung von strittigen Entscheidungen?
Wir analysieren zum einen die Szenen, die gut und richtig gelöst worden sind, und zum anderen die Entscheidungen, die aus unserer Sicht falsch waren. Dazu stehen wir in stetigem Austausch mit den Schiedsrichtern/innen, um zu identifizieren, wo die Ursachen für eine falsche Entscheidung liegen. Das kann etwa eine fehlerhafte Kommunikation im Team oder ein zu spätes Starten in den Vorgang sein. Anhand des Bildmaterials können wir das meistens sehr genau aufarbeiten.
Zum anderen analysieren wir die Szenen auch im gesamten Team der Unparteiischen, also auf Lehrgängen und in Workshops. Wir haben wirklich einen tollen Teamspirit, wodurch die Schiedsrichter/innen mit- und voneinander lernen und sich auch deshalb weiterentwickeln.
Eine Teilnahme der Schiedsrichter/innen an den Pressekonferenzen nach den Spielen würde sicherlich die Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen erhöhen und würde zudem für mehr Transparenz sorgen.
Ich kann diesen Ansatz verstehen, aber ich glaube, dass die Schiedsrichter/innen eine andere Rolle spielen als die Vereine, als die Spieler und Trainer. Es ist aber auch jetzt schon so, dass die Schiedsrichter/innen oft zu Interviews nach den Spielen bereit sind. Gerade bei strittigen oder erklärungsbedürftigen Entscheidungen gibt es Nachfragen.
Wichtig ist: Wenn Fehler angesprochen werden, sollte das sachlich und fachlich geschehen und nicht in polemischer Form. Das kommt mir an der einen oder anderen Stelle noch zu kurz. Deshalb wünsche ich mir auch für die neue Saison, dass es – bei allem Verständnis für Emotionen – sachlich und fair bleibt. Schiedsrichter/innen sind Menschen und sollten auch als solche wahrgenommen werden. Es ist doch ein positives Zeichen, dass wir in diesem Jahr erstmals seit mehr als zehn Jahren wieder über 60.000 Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter in Deutschland haben.
Der VAR könnte die Anzahl der Fehlentscheidungen sicherlich reduzieren, wird von der Mehrheit der Vereine aber weiterhin nicht gewünscht. Sehen Sie das als Vorteil oder Nachteil?
Das ist eine Frage, die die Liga und die Vereine beantworten müssen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Schiedsrichter/innen bestrebt sind, alle Möglichkeiten zur Verfügung zu haben, die helfen, am Ende die richtige Entscheidung zu treffen.
Die Anzahl der gelben Karten wegen Unsportlichkeiten ist in der letzten Saison im Vergleich zur Spielzeit davor deutlich gestiegen. Gleiches gilt für die persönlichen Strafen gegen Teamoffizielle. Beunruhigt Sie das?
Für mich sind die gestiegenen Zahlen angesichts der Kapitänsregelung, die wir nach der Europameisterschaft im vergangenen Jahr in allen Spielklassen eingeführt haben, nicht überraschend. Gerade die erhöhte Zahl der Verwarnungen wegen Unsportlichkeiten ist vor allem darauf zurückzuführen. Was mich beunruhigt, ist die hohe Anzahl von 96 Verwarnungen gegen Teamoffizielle in der Hinrunde der vergangenen Saison. Das hat dazu geführt, dass wir einen Weg finden mussten, gemeinsam gegenzusteuern. So kam es im Januar zu einem Austausch zwischen den Schiedsrichter/innen sowie mehreren Trainern in unserem Winter-Trainingslager.
Dort haben wir vereinbart, dass wir mehr miteinander sprechen müssen. Wenn wir uns besser kennen, wenn wir wissen, warum der andere so agiert, dann haben wir auch gleich Ansatzpunkte im Spiel, respektvoller aufeinander zuzugehen, wenn mal eine diskutable Situation entsteht oder wenn die Emotionen hochkochen. Das Ergebnis war, dass wir in der Rückrunde nur noch genau die Hälfte der Verwarnungen hatten, also 48.
Ich bin überzeugt, dass wir diesen Weg gemeinsam fortsetzen müssen. Der erneute Austausch mit den Trainern am vergangenen Wochenende hat mich darin bestärkt – und die Trainer übrigens ebenso. Wir alle waren sehr angetan von der Offenheit und vom Verständnis der Trainer für die Aufgabe der Schiedsrichter/innen. Umgekehrt ist es für uns auch immer wichtig, den Blickwinkel der Trainer einzunehmen, von deren spieltaktischen Finessen zu partizipieren und zu schauen, warum sie sich im Spiel so verhalten, wie sie es tun. Auch für die neue Saison haben wir uns darauf verständigt, miteinander zu sprechen. Beispielweise unmittelbar nach den Spielen, wo die Gelegenheit zu einem freiwilligen gemeinsamen Feedbackgespräch in der Schiedsrichterkabine besteht. Eine Möglichkeit, die in der Rückrunde vielfach genutzt wurde.
"Keine dramatisch große Zahl von Einzelfehlern"
Zur neuen Saison wird der sogenannte Handshake-Dialog vor den Spielen eingeführt. Was ist die Idee dahinter?
Ziel ist es, dass sich Cheftrainer, Kapitäne und Schiedsrichter/innen 70 Minuten vor Spielbeginn in der Schiedsrichterkabine treffen und sich kurz austauschen. Das soll dazu beitragen, die Temperatur während des Spiels besser in einer respektvollen Art und Weise wieder herunterregeln zu können, wenn es mal hitziger wird.
Nach den Einschätzungen von Rafati haben die Fehlentscheidungen in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Wie haben sich die Leistungen der Unparteiischen aus Ihrer Sicht entwickelt?
Insgesamt hatten wir in den vergangenen Jahren keine dramatisch große Zahl von Einzelfehlern. In der Saison 2024/25 gab es pro Spieltag 2,84 falsche spielrelevante Entscheidungen – wie gesagt: etwas mehr als im Jahr zuvor und etwas weniger als vor zwei Jahren. In den deutlich meisten komplexen und schwierigen Situationen waren die Entscheidungen aber richtig. Das macht für uns das Gesamtbild und die Qualität eines Schiedsrichters aus. Wir messen die Unparteiischen natürlich auch an Einzelentscheidungen, entscheidender ist aber ihr gesamtes Leistungsbild. Dazu gehören neben der Einzelentscheidungsqualität auch und vor allem das Spielmanagement und der persönliche Umgang mit den Spielern und Teamoffiziellen.
Ist es für junge Schiedsrichter/innen in der 3. Liga schwieriger, Spiele zu leiten, weil sie engere Leitplanken haben als die Bundesliga-Schiedsrichter/innen?
Es wäre falsch, das pauschal so zu sagen. Es ist einfach eine Frage der Herangehensweise. Der eine leitet ein Spiel etwas großzügiger, der andere etwas enger. Wir haben Persönlichkeiten auf dem Platz, die das Spiel führen, managen und leiten. Und wir möchten auch Schiedsrichter/innen, die ihre Entscheidung souverän, klar und auch für die Beteiligten nachvollziehbar treffen. Jede Schiedsrichterin, jeder Schiedsrichter geht mit einem bestimmten Matchplan, einer Strategie ins Spiel – wie die Teams auch. Dann kommt es aber auch darauf an, was die Mannschaften anbieten, um die Linie der Spielleitung offen und flexibel darauf auszurichten.
Welche Ziele haben Sie sich persönlich für die Entwicklung der Schiedsrichter/innen in der 3. Liga gesetzt?
Die 3. Liga wird oft als "Ausbildungsliga" für Schiedsrichter/innen bezeichnet. Der Begriff ist aus meiner Sicht nicht zutreffend. Denn die Schiedsrichter/innen, die in der 3. Liga zum Einsatz kommen, sind über mehrere Jahre in ihren Regionalverbänden intensiv geschult und sehr gut ausgebildet worden. Sie gehören zu den Top 0,04 Prozent von über 60.000 Schiedsrichter/innen. Es ist unser Ziel, hochtalentierte Schiedsrichter/innen weiterzuentwickeln, damit sie weiterhin bestmöglich die Spiele der 3. Liga leiten und dabei auf einen möglichen nächsten Schritt vorbereitet werden. So wie in den vergangenen drei Jahren 13 Schiedsrichter den Sprung in die 2. Bundesliga geschafft haben. Eine Zahl, die aus meiner Sicht die grundlegend hohe Qualität der Unparteiischen in der 3. Liga unterstreicht.