Strittige Szenen am 17. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Platzverweise gegen Wiebe, Kügel und Kolgeci, die Elfmeter für Rostock und Mannheim, ein verwehrter Treffer von Saarbrücken, die nicht gegebenen Strafstöße für Saarbrücken, Duisburg (2) und 1860, das 1:0 von Ingolstadt sowie Foulspiele von Schuster Am 16. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach einem langen Ball bekommt Danilo Wiebe (Aachen) den Ball erst an den Rücken und dann den Oberarm. Schiedsrichter Daniel Bartnitzki wertet die Aktion als Handspiel und zeigt Wiebe zudem Rot. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]
Babak Rafati: Es gibt drei Sequenzen, die ein mögliches Handspiel von Wiebe vermuten lassen. Die erste ist das mögliche Berühren mit der Hand im Laufduell. Das ist aber zu vernachlässigen, da nicht erkennbar ist, ob tatsächlich eine Berührung vorliegt, wobei tendenziell keine Berührung vorgelegen haben dürfte. Die dritte Sequenz ist kein Handspiel, da der Ball klar an den Rücken prallt. Die zweite Szene ist entscheidend und relevant für diese Analyse und womöglich für die Beurteilung für den Schiedsrichter auf dem Platz. Hierbei ist nicht zweifelsfrei erkennbar, ob der Ball tatsächlich mit dem Oberarm gespielt wurde.
In solch einer Szene, bei der man als Schiedsrichter eben kein klares Bild hat und die zudem zu einer schwerwiegenden Entscheidung führen würde – in diesem Fall zu einer möglichen roten Karte – sollte ein Schiedsrichter gar nicht einschreiten. Im Zweifel immer weiterspielen lassen. Der Schiedsrichter hat aber offensichtlich den Impuls von seinem Assistenten auf der entsprechenden Seite bekommen, da er nach dem Pfiff nach draußen schaut, um sich zu orientieren. Damit ist er aber schlecht beraten. Wiederum gut (!) vom Schiedsrichter, sich nach dem Spiel zu stellen und die Fehlentscheidung und wie es dazu gekommen ist, zu erklären. Das schafft mehr Transparenz und Akzeptanz.
Szene 2: Im Anschluss an einen Zweikampf tritt Marco Schuster (Rostock) seinem Gegenspieler Lars Gindorf unabsichtlich auf das Sprunggelenk. Geahndet wird die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 36:15]
Babak Rafati: Dass in dieser Szene keine Absicht von Schuster gegen Gindorf vorliegt, ist unumstritten. Allerdings sieht die Regel bei solch einem Trefferbild vor, dass eine rote Karte ausgesprochen werden muss. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob Absicht vorliegt oder nicht. Die Gesundheitsgefährdung des Gegenspielers wird billigend in Kauf genommen, und somit liegt eine Fehlentscheidung vor, diese zwingend rote Karte nicht zu zeigen. Als Unfall kann man das nicht mehr abhandeln.
Szene 3: Vor dem Strafraum bekommt Joel da Silva Kiala (Aachen) den Ball an den Kopf, Bartnitzki pfeift Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]
Babak Rafati: In dieser Szene springt da Silva Kiala zum Kopfball hoch und hat den rechten Arm, der ausgespreizt ist, neben dem Kopf. Das Spielgerät spielt er aber schlussendlich mit dem Kopf und nicht mit dem Arm. Der Schiedsrichter zögert lange, nämlich 6 Sekunden und pfeift erst dann Handspiel. Womöglich lässt er sich von den Protesten der Rostocker verleiten oder er bekommt erneut einen Impuls von seinem Assistenten. Das ist nicht genau nachvollziehbar. Warum er dann aber bei falscher Wahrnehmung (statt Kopf Hand) auch noch auf Elfmeter entscheidet, liegt daran, dass der Arm vom Verteidiger im Strafraum war. Deshalb wurde der Tatort innerhalb des Strafraumes verortet. Insgesamt eine Fehlentscheidung, überhaupt zu pfeifen und anschließend einen Elfmeter sowie die gelbe Karte gegen da Silva Kiala zu geben.

Szene 4: Im Strafraum bekommt Calogero Rizzuto (Saarbrücken) den Ball nach einem Schuss von Emmanuel Iwe (Mannheim) an dem Arm, Schiedsrichter Felix Bickel gibt Elfmeter für den Waldhof. [TV-Bilder – ab Minute 0:35]
Babak Rafati: Iwe flankt den Ball im Strafraum von der rechten Seite, dabei dreht sich Rizzuto leicht vom Ball weg und bekommt das Spielgerät an den rechten Unterarm geschossen. Gegen einen Elfmeter spricht, dass der Arm am Körper ist und der Verteidiger sich beim Bewegungsablauf vom Ball wegdreht. Für einen Elfmeter spricht dagegen, dass der Arm zwar angelegt ist, aber der Unterarm eben aktiv leicht abgespreizt und dadurch der Ball geblockt wird. Somit ist ein Elfmeter eine bessere und zugleich vertretbare Entscheidung, als wenn der Schiedsrichter weiterlaufen lassen würde. Die verhaltenen Proteste lassen auch vermuten, dass die Entscheidung richtig ist.
Szene 5: Nach einer Flanke trifft Kasim Rabihic zum 2:2 für Saarbrücken, jedoch wird dem Treffer aufgrund eines Stürmerfouls von Patrick Schmidt an Niklas Hoffmann (Mannheim) die Anerkennung verwehrt. [TV-Bilder – ab Minute 1:12:50]
Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum kommt es zu einem Luftzweikampf, bei dem Hoffmann zu Boden geht. Schmidt hat die Arme leicht im Rücken von Hoffmann, aber das reicht für ein Foulspiel bei Weitem nicht aus. Der Verteidiger nimmt diesen Kontakt dankend an und geht schnell zu Boden, weil er sich auch bei der Bewegung zum Ball ein wenig verschätzt. Solch ein Zweikampfverhalten würde man andersherum auch niemals als Elfmeter pfeifen. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, den anschließenden Treffer nicht anzuerkennen und stattdessen auf Foulspiel zu entscheiden.
Szene 6: Im Strafraum geht Amine Groune (Saarbrücken) gegen Samuel Abifade (Mannheim) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Bickel. [TV-Bilder – ab Minute 2:18:50]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist der Einsatz von Abifade mit dem linken Arm gegen Groune zu vernachlässigen. Der Einsatz mit dem rechten Arm ist hingegen grenzwertig, aber in dieser Szene weiterspielen zu lassen, ist die bessere und richtigere Entscheidung. Daher eine richtige Entscheidung, keinen Elfmeter zu geben.
Zugegebenermaßen ist diese Auslegung des Schiedsrichters aber nicht einheitlich, da er zuvor (in Szene 5) kleinlich und anders als in dieser Szene pfeift. Diese Szenen hätte man entweder beide laufen lassen oder beide abpfeifen müssen. Die erste Variante ist aber die richtige und auch die, die der Fussball und seine Protagonisten favorisieren.

Szene 7: Bei einer Flanke kommt Tristan Zobel (Aue) nach einem Schubser von Jonas Scholtz (Ingolstadt) im eigenen Strafraum aus dem Gleichgewicht, anschließend bekommt Scholtz den Ball noch an den Arm. Das Spiel läuft weiter, direkt danach fällt das 1:0 für Ingolstadt. Schiedsrichter Simon Schreiner gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]
Babak Rafati: Eine Szene, die verdeutlicht, wie wichtig das Positionsspiel des Schiedsrichters ist, um Szenen richtig wahrzunehmen und einordnen zu können. Nach einer Flanke kommt der Ball in die Spielertraube, und beim Luftkampf schubst Scholtz seinen Gegenspieler Zobel weg, sodass dieser gar nicht mehr stören beziehungsweise klären kann. Das Schubsen ist so intensiv, dass der Verteidiger einen richtigen Ruck bekommt. Gleich im Anschluss geht Scholtz, weil er sich ein wenig verschätzt und den Ball nicht mehr mit dem Kopf erreicht, mit dem Arm zum Ball und stoppt diesen somit. Das ist ein absichtliches und zugleich strafbares Handspiel, sodass gleich zwei Vergehen in unmittelbarer Folge vom Schiedsrichter übersehen werden. Eine Fehlentscheidung, den anschließenden Treffer anzuerkennen, anstatt auf Stürmerfoul zu entscheiden. Hätte sich der Schiedsrichter vorher einen seitlichen Blick in die Spielertraube verschafft, hätte er einen viel besseren Blick auf die Geschehnisse und hätte sicherlich die Vergehen gesehen und ahnden können.
Szene 8: Für ein Foul gegen Ryan Malone (Aue) sieht Julian Kügel (Ingolstadt) die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]
Babak Rafati: Kügel kommt an der Seitenlinie mit gestrecktem Bein und offener Sohle in den Zweikampf und trifft Malone mit den Stollen an der Innenseite des Fußes beziehungsweise an der Fußspitze. Dabei ist die Geschwindigkeit und Intensität sehr hoch, zudem ist das Bein in der Luft und damit unkontrolliert, sodass bei diesem Trefferbild die Gesundheitsgefährdung des Gegenspielers billigend in Kauf genommen wird. Folglich ist die rote Karte eine richtige Entscheidung. Es macht zwar den Anschein, dass Kügel seinen Gegenspieler nicht voll trifft. Das liegt daran, dass es kurz und ansatzlos den Treffer gibt, Malone aber nach dem Treffer aufgrund der vermutlich großen Schmerzen reflexartig das Bein zurückzieht. Kurz danach ist das Bein von Kügel wieder kontrolliert auf dem Boden und das suggeriert wiederum, dass es kein Volltreffer war, was aber nicht zutrifft, zumindest für einen kurzen Moment nicht. Zugegebenermaßen sind diese Details auf dem Platz für einen Schiedsrichter gar nicht erkennbar. Da helfen oft auch ein Gesamteindruck, Bauchgefühl und Erfahrung.

Szene 9: Im Strafraum geht Christian Viet (Duisburg) gegen Lukas Michelbrink (Cottbus) zu Fall, Schiedsrichter Tom Bauer lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]
Babak Rafati: Nach einem Einwurf kommt der Ball in den Strafraum, und dabei fällt der Ball zu Boden. Michelbrink, der hinter Viet steht, will den Ball wegschießen, tritt seinem Gegenspieler aber entscheidend gegen die Wade und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein klares Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben. Auch wenn anschließend durch die RefCam zu erkennen ist, dass der Schiedsrichter den Tritt nicht sehen kann, ist das keine Entschuldigung. Er hätte sich vorher in die richtige Position bringen müssen, indem er nach links läuft und dadurch einen seitlichen Blick auf die Situation hat.
Szene 10: Nach einem Schuss von Rasim Bulic (Duisburg) reklamiert der MSV ein Handspiel von Jonas Michelbrink (Cottbus), erneut gibt Bauer keinen Strafstoß. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: In dieser Szene bekommt Michelbrink den Ball an die Brust, sodass kein Handspiel vorliegt. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu pfeifen.

Szene 11: Einen Schuss von Kevin Volland (1860) bekommt Thomas Meißner (Schweinfurt) im Strafraum an den Arm, Schiedsrichter Lennart Kernchen pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]
Babak Rafati: Bei dieser Aktion ist der Arm von Meißner weit vom Körper entfernt und somit abgespreizt, sodass ein strafbares Handspiel vorliegt. Somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben.

Szene 12: Nach Zweikämpfen mit Alessio Besio und Berkan Taz sieht Besfort Kolgeci (Havelse) von Schiedsrichter Justin Hasmann jeweils Gelb und muss vom Platz. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Das erste Foul von Kolgeci an Besio ist lediglich ein Beinstellen, und das auch noch in der gegnerischen Hälfte. Somit ein Allerweltsfoul. Man sieht in der Zeitlupe sehr gut, dass kein Stempeln oder ähnliches vorliegt, denn der Fuß setzt neben dem Fuß des Gegenspielers auf. Der Schiedsrichter pfeift auch zeitverzögert, weil er in der Wahrnehmung richtig liegt. Dadurch, dass sich Besio am Boden wälzt und den Eindruck vermittelt, dass das Foul schlimmer ist, lässt sich der Schiedsrichter womöglich irritieren und zeigt Kolgeci die gelbe Karte. In dieser Szene hätte aber lediglich ein Freistoßpfiff ohne Karte ausgereicht, sodass die gelbe Karte eine Fehlentscheidung ist.
Bei der zweiten Szene greift Kolgeci seinem Gegenspieler Taz oben an die Schulter und verhindert dadurch, dass dieser weiterlaufen kann. Auch wenn Taz mehr daraus macht, ist diese Karte berechtigt, da ein taktisches Foulspiel vorliegt. Somit ist diese gelbe Karte korrekt. Die erste Karte allerdings nicht, sodass beim Platzverweis – insgesamt aufgrund der ersten Aktion – eine Fehlentscheidung vorliegt.
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