Strittige Szenen am 16. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Das 2:1 für Saarbrücken, die Strafstöße für Essen, Köln, Cottbus (2) und Rostock, die nicht gegebenen Elfmeter für Saarbrücken (2), Aachen, Ingolstadt und 1860, der verwehrte Treffer für Ingolstadt, die rote Karte gegen Seidel, sowie Foulspiele von Mizuta, Pick und Pfanne. Am 16. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 16 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Über Abdoulaye Kamara kommt der Ball zu Patrick Schmidt, der Florian Pick in Szene setzt. Dieser trifft dann zum 2:1. Essen reklamiert Abseits beim Zuspiel auf Schmidt, Schiedsrichter Eric Weisbach gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:36:35]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Zuspiels auf Schmidt auf der rechten Außenbahn direkt vor dem Assistenten steht dieser knapp im Abseits. Das kann man sehr gut an der Rasenmarkierung erkennen. Somit hätte der Treffer nicht zählen dürfen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt.
Szene 2: Nach einem Zweikampf mit Kaito Mizuta (Essen) bleibt Abdoulaye Kamara (Saarbrücken) im Mittelfeld liegen. Der FCS fordert Rot, geahndet wird die Szene aber nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:52:05]
Babak Rafati: Dieser Zweikampf ereignet sich hinter dem Rücken des Schiedsrichters, da er richtigerweise zum Ball guckt. Auch die Assistenten können diesen Zweikampf nicht sehen. Zunächst hindert Kamara seinen Gegenspieler auf der linken Außenbahn am Weiterlaufen, was noch korrekt ist. Anschließend stößt Mizuta seinen Gegenspieler mit dem Arm (am Körper) weg, was man dann, wenn man es gesehen hätte, mit einer gelben Karte gegen Mizuta belegen könnte. Von einer Fehlentscheidung kann aber hier nicht die Rede sein, weil keiner im Schiedsrichterteam solch eine Szene, die sich fernab des Spielgeschehens abspielt, einfangen und folglich erkennen kann. So etwas entgeht einfach.
Szene 3: Im Mittelfeld geht Kai Brünker (Saarbrücken) im Duell mit Tobias Kraulich (Essen) zu Fall, das Spiel läuft weiter. Anschließend bekommt Philip Fahrner (Saarbrücken) den Ball im Strafraum nach einem Schuss von Lucas Brumme (Essen) an den Arm, Weisbach gibt Elfmeter für Essen. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:15]
Babak Rafati: Beim Zweikampf zwischen Brünker und Kraulich ist alles im grünen Bereich. Es gibt einen Kontakt im Fußbereich, aber dieser wird durch Brünker initiiert, sodass kein Foulspiel vorliegt. Anschließend schießt Brumme auf das Tor, Gegenspieler Fahrner nimmt den Arm heraus und blockt das Spielgerät. Das ist eine Vergrößerung der Körperfläche, und somit ist das Handspiel strafbar. Der Arm wird nicht natürlich geschwungen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, einen Elfmeter und die gelbe Karte für das Handspiel zu geben.
Szene 4: Nach einem Kampf um den Ball trifft Florian Pick (Saarbrücken) RWE-Keeper Jakob Golz mit der Hüfte am Kopf. Der Schiedsrichter belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:59:25]
Babak Rafati: Dieser Einsatz von Pick an Keeper Golz ist ein rücksichtsloser Einsatz, sodass in Kauf genommen wird, den Gegner treffen zu können. Dass dann solch ein Kontakt zustande kommt, ist einfach unglücklich (ein sogenannter Unfall im Fachjargon, was nicht im Regeltext Anwendung findet), aber keinesfalls eine Aktion, die gesundheitsgefährdend verübt wird. Eine vollkommen richtige Entscheidung, dieses Foulspiel lediglich mit einer gelben Karte zu sanktionieren.
Szene 5: Kai Brünker (Saarbrücken) geht im Strafraum im Duell mit Michael Schultz (Essen) zu Fall und fordert einen Elfmeter, den Weisbach nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 2:11:05]
Babak Rafati: Brünker will gerade ansetzen und zum Kopfball hochsteigen, allerdings bekommt er von Schultz, der unmittelbar hinter ihm postiert ist, den Arm kurz und ansatzlos in den Nacken/Rücken und kommt dadurch zu Fall. Der Einsatz von Schultz ist ursächlich für das Zufallkommen von Brünker, sodass ein Foulspiel vorliegt. Die Aktion ist zwar unspektakulär, aber der Treffer ist wirkungsvoll und hindert das Hochsteigen zum Kopfball. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 6: Im Strafraum kommt Robin Bormuth (Saarbrücken) im Duell mit Michael Schultz (Essen) zu Fall, erneut zeigt der Schiedsrichter nicht auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 2:12:50]
Babak Rafati: Zugegebenermaßen ist im normalen Ablauf nicht zweifelsfrei erkennbar, ob Schultz seinen Gegenspieler Bormuth am Fuß trifft oder nicht. Fakt ist, dass beide den Ball nicht erreichen. Der Stürmer, weil der Ball etwas zu lang ist und er trotz eines langen Beines zum Ball das Spielgerät nicht mehr erreicht, und der Verteidiger, weil er taktisch den Ball für seinen Keeper durchlassen will. An der Reaktion der Beteiligten kann man im Ablauf aber gut erkennen, dass kein Foulspiel vorgelegen haben kann. Das Fallmuster von Bormuth ist sehr theatralisch, und viel wichtiger ist, dass seine drei Mitspieler in unmittelbarer Nähe die Entscheidung anstandslos hinnehmen. Und das in der letzten Aktion der langen Nachspielzeit, was sehr selten vorkommt. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

Szene 7: Im Strafraum kommt Simon Handle (Köln) gegen Moritz Hannemann (Cottbus) zu Fall, Schiedsrichter Timon Schulz zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]
Babak Rafati: Im Zweikampf steigt Hannemann zwar unbeabsichtigt auf den Fuß von Gegenspieler Handle, aber die Absicht ist beim Foulspiel irrelevant, sodass dieses sogenannte "Stempeln" ein Foulspiel darstellt und folglich eine richtige Entscheidung vorliegt, einen Elfmeter zu geben.
Szene 8: Nach einem Fehlpass versucht Viktoria-Keeper Dudu zu retten, trifft aber nur Gegenspieler Moritz Hannemann (Cottbus) und verursacht damit einen Elfmeter. Schulz belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Dass ein Foulspiel von Keeper Dudu an Gegenspieler Hannemann vorliegt, ist unumstritten. Bei der Frage, ob für dieses Vergehen eine gelbe oder rote Karte vorgeschrieben ist, ist folgendes zu beachten: Es wird zwar durch den Keeper eine klare Torchance vereitelt und somit liegt eine Notbremse vor. Allerdings ist die Aktion des Keepers ballorientiert und im Kampf um den Ball und nicht gegnerorientiert (z.B. Halten oder Stoßen). Somit wird die Strafe von Rot auf Gelb verringert, sodass die gelbe Karte eine richtige Entscheidung ist.
Szene 9: Moritz Hannemann (Cottbus) geht im Strafraum gegen Florian Engelhardt (Köln) zu Boden. Schulz gibt Elfmeter für Cottbus und Rot gegen Engelhardt. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kreuzen sich die Laufwege von Engelhardt und Hannemann, und es kommt zu einem Positionsgerangel, wer besser zum Ball kommt. Engelhardt bearbeitet seinen Gegenspieler Hannemann von hinten, aber ein strafwürdiges Vergehen ist nicht zweifelsfrei auszumachen. Hannemann will anscheinend zum Ball und dreht sich ein wenig, um seinen Gegenspieler vom Ball wegzuhalten, arbeitet hierbei wie sein Gegenspieler auch mit den Armen. Dabei tritt er auch ein wenig in den Boden und verliert dadurch ein wenig die Bodenhaftung. Für mich eine Fehlentscheidung, auf Foulspiel zu entscheiden, da ein Vergehen nicht erkennbar ist, vielmehr im Bereich des Erlaubten „bearbeitet“ wird und somit fußballtypisch ist. Die rote Karte unterstreicht, dass der Schiedsrichter ein Halten ahndet, weil das eine gegnerorientierte Aktion wäre und folglich die rote Karte gezeigt werden müsste. Ein Fußtreffer wird somit nicht geahndet, das würde nämlich als ballorientiertes Vergehen gewertet werden, und der Schiedsrichter hätte lediglich die gelbe Karte gezeigt. Für mich aber, wie bereits oben beschrieben, liegt gar kein Foulspiel vor.

Szene 10: Für ein Foulspiel gegen Cedric Harenbrock (Rostock) sieht Nick Seidel (Regensburg) die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]
Babak Rafati: An der Seitenlinie springt Seidel mit hoher Intensität mit gestrecktem Bein und Stollen voraus in die Beine von Harenbrock, trifft ihn am Fuß/Knöchel und bringt ihn dadurch zu Fall. Klar erkennbar ist der Treffer im TV zwar nicht, aber aufgrund der Reaktion von Harenbrock, wie er in der Luft beim Fallen das linke Bein zurückzieht, ist es sehr wahrscheinlich, dass es den entscheidenden Treffer mit den Stollen auch gegeben hat. Das linke Bein geht bei diesem Fallmuster nicht nach oben, um womöglich abzuheben, vielmehr zieht er das Bein im Fallen nach hinten, weil der Schmerz so groß ist. Ein Indiz für einen wirkungsvollen Treffer. Somit mindestens vertretbar, diese rote Karte zu zeigen. Wenn man so in den Zweikampf geht und billigend in Kauf nimmt, die Gesundheit des Gegenspielers in dieser Art und Weise zu gefährden, muss man mit der entsprechenden Konsequenz wie in dieser Szene rechnen.
Szene 11: Im Strafraum bekommt Leo Mätzler (Regensburg) den Ball nach einem Schuss von Andreas Voglsammer (Rostock) an den Arm. Es gibt Elfmeter für Rostock. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]
Babak Rafati: Bei einer Flanke von Voglsammer von der linken Seite hat Mätzler den linken Arm am Körper und den rechten Arm abgespreizt und somit nur mit dem rechten Arm die Körperfläche vergrößert. Schlussendlich geht der Ball aber an den linken Arm, der am Körper angelegt ist, sodass kein absichtliches Handspiel vorliegt. Der Schiedsrichter wird angenommen haben, dass der Ball an den rechten Arm gegangen ist und somit zu dieser Entscheidung gekommen sein. Eine Fehlentscheidung allerdings, diesen Elfmeter zu geben.
Man muss aber auch anerkennen, dass sich der Schiedsrichter anschließend stellt, die Fehlentscheidung einräumt und zudem verständlich und nachvollziehbar erklärt, wie es dazu kommen konnte. Fehlentscheidung, ja! Aber gleichzeitig lobenswert (!) diese einzugestehen.
Szene 12: Auf dem Weg Richtung Tor geht Eric Hottmann (Regensburg) gegen Franz Pfanne (Rostock) zu Boden. Der Rostocker ist letzter Mann, sieht aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:33:15]
Babak Rafati: Diesen Zweikampf als Foulspiel auszulegen, ist okay, denn Pfanne nimmt den Arm heraus und verhindert dadurch, dass Hottmann in Richtung des gegnerischen Tores laufen kann. Bei der Frage, ob eine Notbremse vorliegt oder nicht, muss man diese klar verneinen. Dadurch, dass Hottmann keine Ballkontrolle hat und sich der Ball zum Zeitpunkt des Foulspiels in etwa in der Mitte zwischen Angreifer und Keeper und sogar im Weiterrollen Richtung des Torhüters befindet, liegt keine klare Torchance vor. Lediglich eine gute Angriffssituation wird vereitelt, und somit ist die gelbe Karte eine vollkommen richtige Entscheidung.

Szene 13: Im Strafraum spielt Leon Müller (Duisburg) den Ball mit dem Arm, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Konrad Oldhafer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: Nach einem Einwurf läuft der Angreifer in den Strafraum zum Ball und wird dabei von Müller verfolgt. Dieser ist hinter ihm in einer schlechteren Position zum Ball, geht klar und deutlich mit dem Arm zum Ball und spielt diesen. Das ist ein klar absichtliches Handspiel, das einen Elfmeter nach sich ziehen muss. Der Schiedsrichter kann dieses strafbare Handspiel aus seiner Position nicht erkennen, was aber eine Fehlentscheidung ist.

Szene 14: Nach einer Ecke bringt Gustav Christensen den Ball zum 1:1 im Tor unter, Schiedsrichter Nico Fuchs entscheidet jedoch auf Stürmerfoul, weil sich Max Besuschkow bei Ruben Reisig (Hoffenheim II) aufgestützt hatte. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]
Babak Rafati: Bei einem Luftkampf gehen Besuschkow und Reisig zum Kopfball hoch. Dabei hat der Angreifer, der hinter dem Verteidiger steht, die Arme am Rücken des Verteidigers, was eine übliche Zweikampfführung darstellt. Hierbei liegt kein Schubsen, Stoßen oder ähnliches vor, sodass es sich auch nicht um Foulspiel handelt, wenngleich der Verteidiger den Kontakt dankend annimmt und zu Boden geht. Solch eine Szene würde man andersherum auch nicht als Elfmeter pfeifen. Eine Fehlentscheidung, abzupfeifen und den anschließenden Treffer nicht anzuerkennen.
Szene 15: Im Strafraum geht ein Ingolstädter gegen Hoffenheim-Keeper Lukas Petersson zu Boden. Weil der Ball zuvor aber bereits im Toraus gewesen sein soll, gibt Fuchs Ecke statt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]
Babak Rafati: Anhand der vorliegenden TV-Bilder ist nicht zweifelsfrei auflösbar, ob der Ball bereits im Toraus war oder nicht. Aber wenn das der Fall ist, dann kann in der Folge keine Spielstrafe – in diesem Fall Elfmeter – mehr verhängt werden, da das Spiel unterbrochen werden muss. Folglich wäre das Foulspiel des Keepers nicht mehr relevant.

Szene 16: Im Strafraum kommt Marvin Rittmüller (1860) gegen Niklas Kölle (Ulm) zu Fall, Schiedsrichter Leonidas Exuzidis ahndet die Szene nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf wird Rittmüller vom Gegenspieler Kölle am linken Fuß getroffen und somit kommt dieser zu Fall. Spektakulär, dass er sich dabei anschließend am rechten Fuß verletzt. Das liegt daran, dass der Fußtreffer womöglich nicht wehgetan hat, auch wenn ein Foulspiel vorgelegen hat. Vielmehr verletzt er sich am rechten Fuß, weil er in der Folge des Foulspiels und dem entsprechenden Bewegungsablauf mit dem rechten Fuß im Boden stecken bleibt. Es hätte auf jeden Fall für das Foulspiel einen Elfmeter geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
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