Strittige Szenen am 3. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Platzverweise gegen Gaudino und Borkowski, die nicht gegebenen Elfmeter für Aachen (2), Cottbus (2), Schweinfurt, Aue und Stuttgart II, das 2:0 für Hoffenheim II, der verwehrte Treffer von Wiesbaden, der Strafstoß für Essen, sowie Foulspiele von Torsiello. Am 3. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach einem Angriff tritt Fabio Torsiello (Aachen) 1860-Keeper Thomas Dähne auf den Fuß, kommt bei Schiedsrichter Dr. Robert Kampka ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 30:00]

Babak Rafati: Torsiellos Bewegung sieht nicht nach einem normalem Ablauf aus, vielmehr scheint es so, dass er diesen Tritt auf den Fuß von Keeper Dähne in Kauf nimmt. Womöglich wundert es ihn dann doch, dass er ihm so klar auf den Fuß tritt und entschuldigt sich beim Keeper deshalb unmittelbar nach seinem Vergehen. Hierfür hätte es aber die gelbe Karte geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, diese nicht zu zeigen.

Szene 2: Sowohl für ein taktisches Foul gegen Thore Jacobsen (1860) als auch ein Einsteigen gegen Florian Niederlechner (1860) sieht Gianluca Gaudino (Aachen) jeweils Gelb und muss vom Platz. [TV-Bilder – ab Minute 57:35 & 1:41:15]

Babak Rafati: Das Bein von Gaudino geht gegen Jacobsen heraus, auch wenn er ihn nur leicht trifft. Dennoch ist das ein Foulspiel, weil Niederlechner ausweichen muss, dabei ein wenig die Balance verliert und bei der nächsten leichten Berührung durch Richter zu Fall kommt. Dadurch, dass ein guter Angriff unterbunden wird, liegt eine richtige Entscheidung vor, die gelbe Karte zu zeigen. Auch richtig, Gaudino die gelbe Karte zu zeigen und nicht Richter. Hier wurde nur kurz der Vorteil abgewartet, deshalb kommt der Pfiff etwas zeitverzögert.

Bei der zweiten Aktion geht Gaudino mit dem linken Bein in den Zweikampf und trifft Niederlechner nicht mit dem Fuß, vielmehr trifft er ihn mit dem ausgestreckten Bein an dessen Bein, und somit kommt es zu einem unglücklichen Zufallkommen von Niederlechner, weil dieser aus der Balance gerät. Der gesamte Bewegungsablauf sieht sehr spektakulär aus und stellt auch ein Foulspiel dar. Ob dabei aber eine gelbe Karte zwingend vorgeschrieben ist, ist eine andere Frage. Es gibt Argumente dafür und dagegen. Wenn man die Fernsehbilder sieht, dann tendiert man eher dazu, keine gelbe Karte zu geben. Nach dem gesamten Bewegungsablauf auf dem Platz (!) ist aber der Vorgang (das unglückliche Zufallkommen) nicht klar erkennbar, sodass es zumindest nachvollziehbar ist, dass der Schiedsrichter diese Aktion mit der gelben Karte ahndet. Insgesamt ist die gelbe Karte, die zu einer gelb-roten Karte führt, vertretbar, wenngleich auch eine andere Entscheidung auch vertretbar wäre.

Szene 3: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Fabio Torsiello (Aachen) im Duell mit Jesper Verlaat (1860) zu Fall. Einen Elfmeter gibt Kampka nicht, dennoch sieht Verlaat anschließend Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:31:55]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf holt Torsiello kurz vor dem Strafraum zum Torschuss aus, dabei führt Verlaat das Bein in Richtung Ball, sodass der Angreifer statt den Ball Verlaat hinten in die Beine trifft. Somit liegt ein Stürmerfoul vor, sodass es einen Freistoß für 1860 statt für Aachen hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, einen Freistoß für den Angreifer zu geben und zudem Verlaat die gelbe Karte zu zeigen.

Bei der Fragestellung, ob das ausgestreckte Bein von Verlaat zum Ball nicht die entscheidende Aktivität ist und somit ein Foulspiel von ihm vorliegt, ist Folgendes zu beachten. Verlaat streckt den Fuß zum Ball und der Fuß ist am Boden, dabei liegt keine aktive oder strafbare Bewegung in die Beine von Torsiello vor, sondern Torsiello selbst ist es, der die Bewegung mit dem Bein Richtung Ball ausführt und final die Beine von Verlaat trifft. Somit geht die Initiative von Torsiello aus.

Szene 4: Im Anschluss an einen Einwurf geht Kwasi Wriedt (Aachen) gegen den bereits verwarnten Jesper Verlaat (1860) im Strafraum zu Fall. Auf den Punkt zeigt Kampka nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf sind sowohl Wriedt als auch Verlaat am Rangeln, Halten und Ziehen, sodass für mich eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen. Man kann aber auch argumentieren, dass Verlaat mehr hält und Wriedt deshalb zu Fall kommt. Ursächlich für das Zufallkommen ist aber, dass Wriedt einen Schritt nach hinten macht und gegen das Schienbein von Verlaat zu Fall kommt. Auch in dieser Szene gibt es sicherlich unterschiedliche Meinungen, sodass auch Elfmeter möglich gewesen wäre. Ich hätte aber keinen Elfmeter gepfiffen, weil für mich keine klare Aktion vorliegt und beide am "Bearbeiten" sind, auch wenn Verlaat mehr macht. Aber für ein Vergehen reicht mir das einfach nicht aus.

 

Szene 5: Nach einem Eckball bekommt Luka Duric (Hoffenheim II) den Ball im Strafraum an den Arm, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Yusuke Ohashi nicht. [TV-Bilder – ab Minute 27:30]

Babak Rafati: Selbst wenn der Ball nach dem Kopfball leicht an der Hand von Duric gewesen sein sollte, ist zu beachten, dass der Arm vorher in natürlicher Weise hochging und ebenso natürlich wieder herunter geht, sodass bei einer möglichen Berührung keine Absicht vorliegen würde. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

Szene 6: Im Mittelfeld geht Erik Engelhardt (Cottbus) gegen Luka Duric (Hoffenheim II) zu Fall und bleibt liegen. Das Spiel läuft weiter, und aus dem Angriff fällt das 2:0. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]

Babak Rafati: Sowohl im Fuß- als auch im Oberkörperbereich ist kein Foulspiel von Duric gegen Engelhardt erkennbar, auch wenn es zum Kontakt kommt, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

Szene 7: Erik Engelhardt (Cottbus) kommt im Strafraum im Duell mit Kelven Frees (Hoffenheim) zu Fall und fordert einen Elfmeter, den Ohashi jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 1:33:35]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zwischen Engelhardt und Frees kommt es zwar zum Kontakt, aber es ist kein regelwidriger Einsatz vom Verteidiger erkennbar, vielmehr wird der Kontakt vom Angreifer dankend angenommen, und Engelhardt lässt sich daraufhin fallen. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

 

Szene 8: Nach einem Freistoß bringt Ryan Johansson den Ball zum 1:0 für Wiesbaden unter, allerdings will Schiedsrichter Lennart Kernchen eine Abseitsposition gesehen haben und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 51:40]

Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Schusses auf das Tor stehen mehrere Spieler von Essen tiefer als der anschließende Torschütze Johansson, sodass sich diese näher zur eigenen Torlinie befinden als der Angreifer. Somit hätte der Treffer zählen müssen. Eine Fehlentscheidung, dieses Tor nicht anzuerkennen. Ein möglicher Grund für die falsche Wahrnehmung durch den Assistenten könnte sein, dass der Angreifer von der Distanz näher zum Assistenten steht und somit den Fokus auf sich lenkt und daher der Assistent ihn in einer möglichen Abseitsposition sieht.

Szene 9: Im Strafraum kommt Fatih Kaya (Wiesbaden) gegen RWE-Keeper Jakob Golz Fall, Kernchen gibt Elfmeter für den SVWW. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]

Babak Rafati: Kaya und Keeper Golz wollen zum Ball, dabei ist Kaya etwas schneller und legt sich das Spielgerät leicht vor, sodass Golz einen Moment zu spät kommt und dabei nur noch Kaya trifft. Auch, wenn die Hand nur leicht auf den Fuß des Angreifers gerät und der Angreifer zudem den Kontakt dankend annimmt, ist dieser Elfmeter vertretbar. Hätte der Keeper zumindest den Ball auch gespielt, wäre Weiterspielen die richtige Entscheidung.

 

Szene 10: Für ein Foulspiel gegen Niklas Kölle (Ulm) und ein Ballwegschlagen an der Seitenlinie sieht Dennis Borkowski (Duisburg) von Schiedsrichter Koki Nagamine jeweils Gelb und muss vom Platz. [TV-Bilder – ab Minute 1:15 & 1:35]

Babak Rafati:  Bei der ersten Aktion spielt Borkowski im Zweikampf gegen Kölle zwar auch den Ball, aber das Einsteigen ist schon rücksichtslos. Zudem kommt es zum Treffer in die Beine des Gegenspielers, sodass diese gelbe Karte berechtigt ist und somit eine richtige Entscheidung vorliegt.

Bei der zweiten Aktion ist dieses Ballwegschieben auf den ersten Blick nicht so schlimm, aber es stellt regeltechnisch eine Unsportlichkeit dar. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, den bereits gelb-verwarnten Borkowski mit der gelb-roten Karte vom Platz zu stellen.

 

Szene 11: Im Strafraum kommt Manuel Wintzheimer (Schweinfurt) gegen Phil Beckhoff (Regensburg) zu Fall und fordert einen Elfmeter, den Schiedsrichter Martin Wilke allerdings nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Wintzheimer spielt zunächst einen Verteidiger im Strafraum aus. Dann will er an Beckhoff vorbei, aber dieser nimmt das Bein aktiv heraus, und dadurch kommt der Angreifer über das ausgetreckte Bein des Verteidigers zu Fall und wird am Weiterlaufen gehindert. Das ist ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter nicht zu geben. Womöglich steht der Schiedsrichter zu nah am Geschehen. Dadurch fehlt der (gesamte) Überblick. Wenn sich der Blickwinkel verkürzt, zum Beispiel durch solch eine Nähe zum Zweikampf, dann guckt der Schiedsrichter wie in diesem Fall nur unten auf die Füße, dort wo der Ball geführt wird und dann kann schnell ein Kontakt beziehungsweise ein Foulspiel auf Kniehöhe übersehen werden.

 

Szene 12: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Pascal Fallmann (Erzgebirge Aue) im Duell mit Emre Aytun (Havelse) im Strafraum zu Boden. Auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Jonah Besong nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum rempelt Aytun seinen Gegenspieler Fallmann im Laufduell sehr leicht mit dem Oberkörper und nimmt ein wenig den Arm zur Hilfe, was aber kein Foulspiel darstellt – auch, wenn der Angreifer anschließend zu Fall geht. Im Fußbereich ist auch kein regelwidriger Einsatz erkennbar, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

 

Szene 13: Nach einem Freistoß bekommt Yari Otto (Verl) den Ball im Strafraum an die Hand, Schiedsrichter Niclas Rose lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]

Babak Rafati: Nach einer Flanke in den Strafraum köpft ein Stuttgarter den Ball auf das gegnerische Tor. Danach springt Otto, der neben ihm hergelaufen ist und den Zweikampf aus einer ungünstigeren Position zum Ball verliert, nach oben, nimmt den Arm unnatürlich und absichtlich heraus und blockt dadurch den Ball. Dadurch verhindert er, dass der Ball auf das Tor kommt. Das ist ein strafbares Handspiel, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Zudem hätte es die gelbe Karte geben müssen und keinesfalls die rote Karte, da der Torwart noch hätte eingreifen können. Eine Fehlentscheidung, keinen Elfmeter zu geben.

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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