Fanforscher Pilz: "Es helfen nur lebenslange Stadionverbote"

Es lief die 56. Minute in der Partie zwischen Hansa Rostock und Dynamo Dresden, als Schiedsrichter Daniel Siebert beide Mannschaften für über zehn Minuten in die Kabinen schickte. Der Grund: Vermeintliche Dynamo-Anhänger schossen mit Leuchtraketen in den benachbarten Hansa-Fanblock. Verletzt wurde zwar niemand, dennoch droht den Sachsen eine empfindliche Strafe seitens des Deutschen Fußball-Bund (DFB). Bereits unmittelbar nach der Partie kündigten die Verantwortlichen der SGD an, die Täter, wenn diese identifiziert werden, drastisch zu bestrafen. liga3-online.de sprach mit Fanforscher Prof. Dr. Gunter A. Pilz über die Motive der Chaoten, ob sich solche Szenen wie in Rostock verhindern lassen und über höhere Strafen sowie mögliche Lösungen.

Herr Pilz, die Ausschreitungen am Samstag in Rostock schweben uns allen noch vor Augen. Was geht in Menschen vor, die mit Leuchtraketen auf andere Leute schießen und somit Verletzungen anderer in Kauf nehmen?

Die Leute, die so etwas tun, sind skrupellos, denn sie nehmen wissentlich in Kauf, dass andere Menschen verletzt und gefährdet werden. Also können wir von einer kriminellen Handlung sprechen, die da durchgeführt wird. Diese hat auch überhaupt nichts mit Stimmung zu tun, sondern da geht es offensichtlich ausschließlich um Randale und Gewalt.

Mit welcher Motivation stehen die Leute morgens vor dem Spiel auf und fahren ins Stadion?

Da müssen wir zwischen zwei Arten von Hooligans unterscheiden. Die einen sind die sogenannten Proll-Hools – das sind Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, einem geringen Selbstwertgefühl und Leute, die sich in Gruppen zusammenfinden, um dann in der Gruppe Gewalt gegen andere auszuüben. Ich fürchte, dass vorwiegend diese Leute am Samstag für die Ausschreitungen verantwortlich waren. Über diese Aktionen verschaffen sich diese Leute dann ein besseres Selbstwertgefühl. Wenn ich eine Leuchtrakete in einen anderen Block schieße, habe ich dadurch ein Erfolgserlebnis und fühle mich als jemand, der in dieser Gesellschaft anerkannt ist.

Zum anderen gibt es dann die Yuppie-Hools. Diese Leute fahren zu solchen Spielen, weil sie einfach Lust haben, Gewalt auszuleben. Sie müssen damit nicht ihr Selbstwertgefühl aufbauen, sondern das sind meistens Leute aus dem Bildungsbürgertum, also zum Beispiel Akademiker. Sie gehen dann zu den Ereignissen, weil Gewalt der letzte Kick ist. Jemand hat das mal mit den Worten beschrieben: ‚Wenn du nachts durch die Straßen rennst und die anderen sind hinter dir her, es fliegen Steine und Flaschen, dann weißt du: Dieses Gefühl ist geil, das schaffst du mit keiner Frau und mit keiner Droge‘.

Geht es auch darum, Grenzen auszutesten und/oder reizt die Tatsache des Verbots, insbesondere auch beim Hineinschmuggeln der Gegenstände?

So lange es sich um Pyrotechnik handelt, reizt es durchaus, verbotene Gegenstände hineinzuschmuggeln. Wenn man es mit dieser ins Stadion geschafft hat, kann man zeigen, dass man die anderen ausgetrickst hat. Es gibt einen interessanten Zusammenhang, wann Pyrotechnik und Feuerwerkskörper gezündet werden: Dies geschieht in der Regel nur bei Auswärtsspielen. Das hat dann einen symbolischen Akt: Ich kann damit zeigen, dass man das gegnerische Stadion „erobert“ und die Polizei sowie den Ordnungsdienst des Heimvereins ausgetrickst hat.

Ich habe das mal in Hannover erlebt: Da haben Wolfsburger Ultras in ihrem Block ein riesiges Feuerwerk gezündet. Daraufhin hat der ganze Hannoversche Ultra-Block wütend gepfiffen. Beim nächsten Auswärtsspiel von Hannover 96 in Leverkusen haben die gleichen Leute, die sich beim Wolfsburg-Spieler darüber aufgeregt haben, dass die Wolfsburger in ihrem Stadion gezündet haben, selbst Pyrotechnik gezündet – dann haben die Leverkusener gepfiffen. Daran sieht man deutlich, dass diese Leute diesen Akt als symbolische und territoriale Eroberung wahrnehmen. Von daher ist es ein zusätzliches Mittel der Provokation.

Wenn es allerdings um das gezielte Schießen von Leuchtmunition in einen Fanblock geht, dann ist das kriminell. Da muss man dann Grenzen ziehen.

Werden solche Aktionen spontan oder eher langfristig geplant?

Ich fürchte, dass die Aktion am Samstag in Rostock langfristig geplant war. Denn die Munition muss man ja organisieren und mitnehmen – das kann man nicht mal so nebenbei machen. Zudem weiß man ja auch, dass es nicht gegen jeden, sondern nur gegen bestimmte Vereine geht, wo es tradierte Feindschaften gibt. Diese werden gepflegt, sodass die Aktionen entsprechend langfristig geplant sind.

© imago

War es eigentlich Zufall, dass die Pyrotechnik unmittelbar nach dem Ausgleichstreffer des F.C. Hansa gezündet wurde, oder steckt System dahinter, um so das gegnerische Team, das in diesem Moment offenbar besser im Spiel ist, mit einer langen Unterbrechung zu schwächen?

Natürlich stecken da auch solche Überlegen mit drin, das kann man gar nicht ausschließen. Man kann dann, wenn die eigene Mannschaft hinten liegt, mit dem Feuerwerk zeigen: Schaut mal, wir sind trotzdem da.

Bei der Partie zwischen Dresden und Bielefeld am letzten Spieltag der vergangenen Zweitliga-Saison sorgten Dynamo-Anhänger ebenfalls unmittelbar nach einem Tor der Gäste für eine lange Spielunterbrechung. Direkt danach drehte Dresden das Spiel von 0:2 auf 2:2. Kann man also sagen, dass die gegnerischen Spieler anders auf die Vorkommnisse reagieren als die „eigenen“?

Das hoffe und glaube ich nicht. Denn wenn das so wäre, dann müssten die Spieler ja solche Aktionen auch gutheißen. Und das glaube ich nicht. Aber man weiß ja, wenn sich eine Mannschaft gerade in einen Rausch spielt, wird sie durch eine Unterbrechung in ihrem Spielfluss gestört. Das hat dann natürlich eine Auswirkung.

Bei Sportarten, wo es sogenannte Auszeiten gibt, wird diese ja gezielt genutzt, um die gegnerische Mannschaft aus dem Spielfluss zu nehmen. Im Fußball gibt es das eben nicht.

Lassen sich solche Szenen wie am Samstag in Rostock verhindern? Wie sieht Ihr Lösungsvorschlag aus?

Ich glaube, da gibt es nur die Lösung des lebenslangen Stadionverbots. Auf der anderen Seite braucht man einen Ordnungsdienst, der viel genauer hinschaut. Und zum Dritten muss man sich bewusst sein, dass man diese Dinge nie ganz verhindern kann. Denn wenn sie jeden wirklich so abtasten wollen, dass nichts ins Stadion geschmuggelt werden kann, müssten die Leute zwei Tage vor dem Spiel zum Stadion kommen, damit sie dann rechtzeitig das Spiel sehen. Das funktioniert nicht. Ganzkörper-Scanner und ähnliches gibt es im Fußball Gott sei Dank noch nicht und deshalb muss man auch mit einem gewissen Risiko leben. Aber auch ein gut organisierter Ordnungsdienst kann solche Dinge in Grenzen halten. Ganz ausschließen kann man es nicht, das ist leider so. Das ist auch das Problem des Rechtsstaates, dass er bestimmte Gesetzesüberschreitungen einfach auch aushalten muss.

Muss vielleicht auch der DFB höhere Strafen aussprechen? Zeigen sich die Täter davon überhaupt beeindruckt, wenn „ihr“ Verein viel Geld zahlen oder ein Spiel ohne Zuschauer austragen muss?

Den Tätern ist das egal. Die haben sich vom Verein ohnehin so weit entfernt, dass es ihnen egal ist, ob dieser eine Strafe zahlen muss oder nicht. Das würde sie dann treffen, wenn sie identifiziert werden und die Strafe auf sie übertragen wird – dann tut es sicherlich weh. Aber die wissen auch, dass die Gefahr aufgrund der Anonymität in der Masse relativ gering ist. Ich glaube auch nicht, dass höhere Geldstrafen das Problem lösen. Das schadet dem Verein, aber nicht den Fans.

Und wenn man weiß, wie Dynamo Dresden und auch Hansa Rostock finanziell dastehen, bringt es überhaupt nichts. Denn der Verein unternimmt dagegen wahrscheinlich schon genug – vielleicht muss er beim Ordnungsdienst noch ein bisschen mehr machen. Und das, was sich im Stadion bei den Fans entlädt, sind ja auch keine Dinge, die der Verein zu verantworten hat. Es ist gesellschaftlich produzierte Gewalt, die sich da entlädt. Insgesamt sind alle gefordert und es ist wichtig, dass man die Täter alle klar identifizieren kann. Dann sollten sie erstmal zwei oder drei Jahre Stadionverbot bekommen. Wenn sie es dann noch immer nicht verstanden haben, sollte man diese Leute vom Fußball fernhalten. Doch damit ist das Problem der Gewalt noch nicht gelöst. Denn so fragt man sich, wo sich die Gewalt dann entlädt.

Müssen die Täter, wenn sie identifiziert werden, vielleicht noch stärker bestraft werden? Welche Möglichkeiten gibt es diesbezüglich?

Mit immer härteren Strafen löst man die Probleme auch nicht. Wenn sie die Strafen als ungerechtfertigt sehen, wird sich an ihrem Verhalten wenig ändern. Wichtig ist, dass man sich auch Gedanken macht, wie man in den Köpfen dieser Leute etwas verändert. Aber die, die wirklich unbelehrbar sind, muss man bestrafen. Und da haben wir genügend Möglichkeiten. Wir haben bei Identifizierung das Stadionverbot. Bei Vorfällen wie in Rostock reden wir nicht mehr von der Sportgerichtsbarkeit sondern von Straftaten. Dann ist die normale Rechtsprechung gefordert. Dann kann man die Täter vor Gericht bringen und entsprechend bestrafen – das muss man auch nutzen. Zudem können Regressansprüche des Vereins geltend gemacht werden, was auch passiert. Diese Maßnahmen dürften eigentlich ausreichen.

Das große Problem ist jedoch, dass man die Täter nicht wirklich identifizieren oder erwischen kann. Die Ultras haben sich ja zurecht beklagt, dass DFB und Liga oft sogenannte Pauschalverurteilungen gegen ganze Gruppen vornehmen obwohl nur ein Teil dieser beteiligt war. Deshalb haben sich DFB und DFL auch verpflichtet, nur noch Einzeltäter zu bestrafen. Das setzt aber voraus, dass man die Leute klar identifizieren kann. Dafür haben die Vereine in teure Videoanlagen investiert, mit den man klare Beweisaufnahmen machen kann. Aber wie reagieren die Ultras? Sie vermummen sich und machen es so wieder schwerer. Deshalb ist es für mich so, dass jemand, der sich vermummt, aus dem Stadion geschmissen werden sollte. Denn wer sich vermummt und hinterher beklagt, dass er als Gruppe in Haftung genommen wird, hat ein falsches Rechtsverständnis. Er vermummt sich nur, damit man ihn nicht identifiziert und damit signalisiert er auch, dass er mit dem, was in seinem Block passiert, auch einverstanden ist.

Am Samstag kam es in Rostock auch nach Abpfiff zu unschönen Szenen, als Hansa-Fans eine Polizeidienststelle mit Steinen bewarfen. Welche Motive stecken dahinter?

Das ist ganz einfach: Das ist ein massiv ausgeprägtes Feindbild gegenüber der Polizei, das die Fans besitzen und sich von der Polizei ungerechtfertigt behandelt fühlen. Sie empfinden die Reaktionen der Polizei überzogen und daher richtet sich die Gewalt gegen diese. Und wenn die gegnerischen Fans nicht präsent sind und die Polizei dazwischensteht dann hat man diese als Gegner.

Wie sehen Sie die Gewalt-Entwicklung in den letzten Jahren insgesamt, besonders mit Blick auf die 3. Liga?

Entgegen dem typischen Reflex von Journalisten, die bei solchen Ereignissen wie in Rostock immer von einer Gewaltzunahme reden, muss ich sagen, dass die Gewalt eher abgenommen hat. Nehmen sie mal die Hochzeiten des Hooliganismus. Da hatten wir ganz andere Szenarien. Es gibt immer Wellenbewegungen und man sieht, dass es bestimmte Spiele gibt, bei denen man Probleme hat, aber insgesamt ist die Gewalt nicht mehr geworden. Was man vielleicht beklagen kann ist, dass die Qualität der Gewalt eine andere geworden ist. Es ist zum Teil enthemmter und brutaler. Es scheint offensichtlich so zu sein, dass das Fußballumfeld für viele, die mit Fußball nichts am Hut haben  – wir reden nicht von Hooligans sondern Kriminellen – ein willkommenes Umfeld ist, in dem sie ihre Gewaltphantasien ausleben können.

Vielen Dank für das Interview!

 

   
Back to top button